Wie ist die Forschungsfrage entstanden?

Beim Brainstorming innerhalb des Kurses zur praktischen Linguistik entstand der Wunsch, sich im Rahmen einer Forschung der geschlechtersensiblen Sprache zu widmen. Geschlechtersensible Sprache als Feld ist sehr weitgreifend, weshalb wir uns nach einiger Recherche für eine Korpusanalyse entschieden haben. Zum Zeitpunkt der Überlegungen fanden die Bremer Landtagswahlen statt, weswegen sich politische Wahlplakate und die gewählten Formulierungen als ein aktuelles und für die Gruppe wichtiges Thema herausstellte. Der Bundestag als hohe Instanz mit großem Einfluss bietet eine gut dokumentierte Datensammlung der gehaltenen Reden und ermöglicht somit einige interessante Fragen. Bemüht sich unser Bundestag, die Bürger*innen auch in ihrer Sprache zu repräsentieren? Bestätigen sich im Sprachgebrauch der Parteien die jeweiligen porträtierten Gesinnungen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Sprachgebrauch und politischer Überzeugung? Sind unsere Erwartungen und Bilder der Fraktionen wahrheitsgemäß? Auf diese Fragen haben wir mit unserem Forschungsprojekt erste Antworten gefunden.

Definitionen

Um unsere Forschungsergebnisse verständlich zu formulieren, führen wir zunächst einige Fachbegriffe der gendersensiblen Sprache ein. Sie finden sich in den Kreisdiagrammen auf dem gestalteten Plakat wieder.

 Geschlechtsneutrale Formulierung

Die geschlechtsneutrale Formulierung wird auch Partizip I genannt. Hier wird nicht zwischen „Mann“ und „Frau“ unterschieden, sondern eine Art Überbegriff gesucht, zum Beispiel „Studierende“. Die sprachliche Funktion eines Partizips ist jedoch die Zustandsbeschreibung und wird daher für eine geschlechtsneutrale Formulierung teilweise als irreführend bezeichnet.

Binäre Paarform

Die Paarform adressiert die männliche und die weibliche Wortform, entweder durch das Verbinden mit dem Wort „und“ oder einen Schrägstich (Studenten und Studentinnen bzw. Studenten/Studentinnen). Kritikpunkt hieran ist, dass impliziert wird, es gäbe nur zwei Geschlechter: männlich und weiblich.

Schreibungen mit Sonderzeichen

Durch das Setzen eines Sterns (*) zwischen der männlichen und der weiblichen Form wird hier Raum gegeben für sämtliche weitere Geschlechtsidentitäten, die von der Binärität abweichen. Auch an Wörter, denen eine eindeutige Geschlechtsidentität zugeordnet ist, also „Mann“ oder „Frau“, kann ein Genderstern angehängt werden, um so darauf aufmerksam zu machen, dass das biologische Geschlecht einer Person nicht immer mit der Selbstdefinition einer Person übereinstimmt. Wie der Genderstern symbolisiert auch der Gender_Gap, also ein Unterstrich zwischen der männlichen und der weiblichen Variante (Student_innen) einen Raum für die verschiedenen möglichen Geschlechtsidentitäten. Dieser Gender_Gap kann auch an beliebigen Stellen innerhalb eines Wortes gesetzt werden, um zu zeigen, dass Geschlechtsidentitäten dynamisch und nicht eindeutig abgrenzbar sind.

Kritik an der Gender_Gap ist, dass der Unterstrich für ein „Nichts“ stehe und der binären Geschlechtereinteilung nicht entgegenwirke. In manchen Darstellungen findet mensch auch den Doppelpunkt (Student:in) mit der im Vorhinein festgestellten Bedeutung, explizit auch nichtbinäre Geschlechtszuschreibungen einzubeziehen.

Weitere visuelle Darstellungen mittels Sonderzeichen sind der Schrägstich (Student/in) oder das Binnen-I (StudentIn).

Der Genderstern, der Gender_Gap, der Doppelpunkt, das Binnen-I sowie die Darstellung durch einen Schrägstrich können akustisch durch einen sogenannten Glottisverschluss, also eine kurze Pause, dargestellt werden.

Das generische Femininum

In Anlehnung an das Konzept des bekannten generischen Maskulinums wird hier ausschließlich die weibliche Form verwendet. Alle nicht-weiblichen Formen sollen hier mitgemeint sein. Dazugehörige Formen sind die x-Form und die a-Form. Bei der x-Form wird die Endung eines Wortes durch ein x ersetzt (Studierx) und so die gegenderte Sprache symbolisch zu durchkreuzen. Bei der a-Form geht es darum, die Feminisierung der Sprache voranzutreiben, indem eher männlich konnotierte Wortendungen durch weibliche ersetzt werden (Studenta).

Schwierigkeiten bei der Recherche

Gendersensible Sprache ist der Versuch, mittels sprachlicher Äußerungen und Sprechakten alle Geschlechtsidentitäten im Sprachgebrauch abzubilden. Sie bleibt dabei aber nicht nur in einer passiven Rolle zurück, die sich an gesellschaftliche Veränderungen anpasst, sondern unternimmt den Versuch, aktiv sexistische Sprache aus dem Sprachgebrauch zu entfernen. Um das umzusetzen, gibt es viele verschiedene Ansätze und Ideen ohne einheitlichen Konsens. Erschwerend kommt hinzu, dass verschiedene Sprachen unterschiedlich sexistisch diskriminieren: Während im Deutschen lange das generische Maskulinum als die Form für Gruppen unspezifischen Geschlechts galt, kommen andere Sprachen mit einem generischen Femininum oder gar ohne geschlechtsspezifische Form aus. Innerhalb einer Sprache ist es keineswegs klarer: So haben wir uns in unserer Forschung berechtigterweise gefragt, ob die binäre Doppelform bei „Kolleginnen und Kollegen“ oder „Damen und Herren“ lediglich als Sprachfloskel verwendet wurde oder aus tatsächlicher Überzeugung, dass der Fraktionsvorsitzenden der CDU seine weiblichen Kolleginnen im Bundestag auf Augenhöhe anspricht. Auf der Strecke bleiben weiterhin die nichtbinären Kolleg*innen, die definitiv nicht Teil der Anrede sind. Kann mensch nur ein bisschen geschlechtersensibel sprechen? Es gibt keinen einheitlichen Konsens zur gendersensiblen Sprache.

Kurzes Sprachprofil zu den einzelnen Sprecher*innen

AfD – Alice Weidel

Alice Weidel nutzt, entlang dem parteiinternen Konsens, in ihren Redebeiträgen fast ausschließlich das generische Maskulinum. Es ist davon auszugehen, dass dies gewollt und gewählt ist. Nur in einigen wenigen floskelhaften Paarformen und wenigen Partizip-I-Konstruktionen (12,5%) weicht sie vom generischen Maskulinum ab.

CDU/CSU – Friedrich Merz

Friedrich Merz verwendet in 55% alle Formulierungen die binäre Paarform. Ein gutes Drittel seiner Formulierungen bezieht sich auf das generische Maskulinum und die restlichen knapp 12% sind genderneutrale Formulierungen. Auffällig ist, dass Friedrich Merz für gleiche Bezeichnungen, in unserem Material zum Beispiel „Soldat*innen“, an verschiedenen Stellen unterschiedliche Formen wählt: An einer Stelle verwendet er die binäre Doppelform „Soldatinnen und Soldaten“, an anderer Stelle spricht er lediglich von „Soldaten“ im generischen Maskulinum.

FDP – Christian Dürr

Christian Dürr verwendet überwiegend die Paarform, davon handelt es sich bei drei Vierteln um Floskeln wie „Kolleginnen und Kollegen“ oder „Damen und Herren“. Selten verwendet Christian Dürr das generische Maskulinum und lediglich einmal wendet er das Partizip I an, als er sich auf „Studierende“ bezieht.

Bündnis 90/Die Grünen – Katharina Dröge

Gut 60% alle Formulierungen fallen bei Katharina Dröge unter neutrale Formulierungen. Binäre Paarform mit 6 Formulierungen und generisches Maskulinum mit 5 Formulierungen halten sich etwa die Waage. Es ist festzustellen, dass auffällig oft versucht wird, eine neutrale Formulierung zu finden, die keinen spezifischen Geschlechtsbezug trägt, zum Beispiel „Menschen“, „Personal“ oder „Fachkräfte“.

SPD – Dr. Rolf Mützenich

Dr. Rolf Mützenich verwendet in seinen Redebeiträgen in großen Teilen die Paarform, wobei es sich in ca. 41% der Fälle um Floskeln handelt, die dem zuhörenden Bundestag gewidmet sind (bspw. „Kolleginnen und Kollegen“). Zusätzlich verwendet Mützenich in wenigen Fällen eine geschlechtsneutral konstruierte Form mithilfe des Partizip I sowie das generische Maskulinum. In den Fällen, in denen das generische Maskulinum verwendet wird, ist nicht immer eine rein männlich gelesene Gruppe gemeint.

Die Linke – Amira Mohamed Ali

Amira Mohamed Ali verwendet in ihren von uns analysierten Reden zum Großteil das generische Maskulinum. Es ist nicht immer klar, ob es vielleicht teilweise bewusst gewählt wird, denn wenn von Weidetierhaltern oder Schäfern die Rede ist, könnte es sich in ihrer Ansprache auch wirklich um eine rein männlich gelesene Gruppe handeln. Wenn Amira Mohamed Ali die Paarform verwendet, passiert dies ausschließlich in Form von Floskeln, also bei den Anreden „Kolleginnen und Kollegen“ oder „Damen und Herren“.

Anschließende Ideen und Forschungen:

Welche Sprachen nutzen das generische Femininum? Andere Sprachen im Wandel zu geschlechtersensiblerer Sprache?

Die Forschungsfrage, mit der sich befasst wurde, lautet: „Wie verwenden Fraktionsvorsitzende der Parteien im Bundestag geschlechtersensible Sprache in ihren Reden in Bundestagsdebatten?“. Um dies zu erforschen, wurden jeweils pro Bundestagsfraktion (CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen) 10 Minuten der neuesten Reden basierend auf den offiziellen Videoaufzeichnungen sowie Protokollen der Debatten auf geschlechtersensible Sprache hin untersucht. Mögliche Kategorien für geschlechtersensible Sprache sind das generische Maskulinum, das generische Femininum, neutrale Formen, der Glottisverschluss sowie binäre Doppelformen. Die Ergebnisse wurden anschließend prozentual zusammengefasst, um für die erhobenen Daten ein aussagekräftiges Modell verfassen zu können.