human behavior and experience in social context

Kategorie: Urteilen und Entscheiden im wirtschaftlichen Kontext

Nach dem Unternehmenszusammenschluss ist vor dem Zusammenschluss – zumindest sollte es so sein

▶︎ von Hannah Krüger, Merisa Muric und Bastian Rexhäuser

Die wohl größte Veränderung, die ein Unternehmen heutzutage durchlaufen kann, ist eine Fusion oder ein Unternehmenszusammenschluss. Schauen Sie sich in Ihrem Umfeld einmal um: Wie viele Personen kennen Sie, die einen solchen Wandel miterlebt haben? Allein in der DACH-Region haben im Jahr 2020 2.470 Unternehmenszusammenschlüsse stattgefunden. Doch auch nach sorgfältigem Abwägen scheitern viele Unternehmen mit der erfolgreichen Umsetzung dieses Vorhabens. Warum?

Ein Beispiel gefällig? Gerne…

Betrachten wir dafür einmal den Zusammenschluss zweier deutscher, global operierender Unternehmen im Jahr 2000, die vor der Fusion als direkte Konkurrenten in der gleichen Branche agierten. Als etwa gleich große Akteure beschäftigten die beiden Unternehmen zusammen rund 60.000 Mitarbeitende und erzielten einen Jahresumsatz von rund 15 Mrd. €.

Im Zuge des Zusammenschlusses fanden drei Hauptprozesse parallel zueinander statt:

  • Fokus auf Kernkompetenzen
    Geschäftsbereiche, die nicht unmittelbar zum Kerngeschäft gehörten, wurden verkauft. So lag der Fokus auf den Kernkompetenzen beider Unternehmen. Dabei wurde sich auch von Geschäftsbereichen getrennt, die zum Prestigegefühl der Mitarbeitenden beigetragen haben.
  • Aufbau neuer Hierarchien
    Mit dem Zusammenschluss der Unternehmen etablierte die neue Geschäftsführung auch insgesamt eine neue Unternehmenshierarchie. Die mittlere Führungsebene hatte dabei keinen Einfluss auf die Entscheidungen.
  • Einführung von “Service Units”
    Diese Serviceeinheiten für einzelne Geschäftsbereiche waren fortan für den Vertrieb und das Tagesgeschäft verantwortlich. Mit dieser Umstrukturierung wurden Teams auseinandergerissen und Mitarbeitende fanden sich in neuen, ihnen unbekannten Konstellationen wieder.

Vom “Wir”-Gefühl zum “Ich”-Gefühl

Im Nachhinein stellte sich dieser Unternehmenszusammenschluss als Fehlschlag heraus.

In Interviews mit Mitarbeitenden aus dem mittleren Management beider Unternehmen konnten zwei Faktoren identifiziert werden, die zum Scheitern des Zusammenschlusses beigetragen haben: eine durchgehende strukturelle und prozedurale Unsicherheit der Mitarbeitenden sowie eine fehlende gemeinsame Unternehmensleitlinie.

Die strukturelle und prozedurale Unsicherheit war beispielsweise darauf zurückzuführen, dass die Veränderung der bekannten Strukturen zu schnell erfolgte. Die entstandene Unsicherheit wurde schließlich verstärkt durch ein komplizierteres Kommunikationssystem und extrem bürokratische Strukturen und Prozesse. Vor allem Mitarbeitende der neuen Service Units blickten in eine unklare Zukunft und fühlten sich durch die Umstrukturierung herabgestuft und alleingelassen. Gerade in den Service Units herrschte zusätzlicher Leistungsdruck durch die Quantifizierbarkeit und Vergleichbarkeit der Arbeitsergebnisse. Infolgedessen nahm Konkurrenz untereinander zu und das Vertrauen zu Kolleg:innen und Vorgesetzten ab.

Zum Misstrauen trugen auch symbolische Handlungen bei, die als “leer” enttarnt wurden.  Beispielsweise sprach die Geschäftsführung immer von einer Gleichberechtigung zwischen den Fusionspartnern; dies stellte sich aber durch die unbalancierte Besetzung des Aufsichtsrates als leeres Versprechen heraus. Das neue Unternehmen übernahm das Logo von einem der Fusionspartner. Die Mitarbeitenden des anderen Unternehmens konnten sich daraufhin nicht mit dem neuen Arbeitgeber identifizieren. Diese Aspekte führten weiterhin dazu, dass sich der Fokus der Mitarbeitenden vom Unternehmen als Ganzes auf kleine Teams und sich selbst verschob.

Auch weitere Aspekte trugen zum allgemeinen Missmut bei: Die Interviewten kritisierten den Fusionsprozess als stark verkürzt und zu wenig partizipativ; es wurden auch zu wenige Möglichkeiten zur Gestaltung der Unternehmenskultur geboten. Ebenso führte die Trennung von einer Bank, die nicht im Kerngeschäft verankert war, aber von den Mitarbeitenden als positiver Teil des Unternehmens betrachtet wurde, zu einem subjektiven Ansehensverlust.

Unsicherheiten, leere Symbolhandlungen und mangelnde Kontinuität führten schließlich dazu, dass sich die organisationale Identifikation der Mitarbeitenden auf einzelne Organisationseinheiten (beispielsweise die Arbeitsteams) oder ganz auf das Individuum verschob. Im Endeffekt wurde eine Identifikation der Mitarbeitenden mit der gesamten Organisation schlicht unmöglich.

Warum Identifikation eine Rolle spielt

Um zu erklären, warum die zuvor genannten Aspekte so tiefgreifend sind, schauen wir einmal mit einer sozialpsychologischen Theorie in die Psyche des Individuums: der Social Identity Theory von Henry Tajfel. Diese Theorie beschreibt die soziale Identität eines Individuums als den Teil des Selbstkonzepts, der auf dem Wissen über Mitgliedschaften in sozialen Gruppen und der dazugehörigen emotionalen Signifikanz basiert.

Diese sozialen Gruppen können sich anhand verschiedener Charakteristiken bilden. Tajfel zeigt in einem Experiment, wie niedrigschwellig die Gemeinsamkeiten von Individuen sein können, um sich als Gruppe zu verstehen. Dabei sollten die Teilnehmenden die Anzahl von präsentierten Punkten erraten. Diejenigen, die die Anzahl der Punkte überschätzt haben, bildeten eine Gruppe, genauso wie diejenigen, die die Punktzahl unterschätzt haben. Danach sollten die Teilnehmenden einen bestimmten Geldbetrag auf zwei Personen aufteilen, von denen eine Person zur eigenen Gruppe gehörte und die andere Person zur anderen Gruppe. Obwohl die einzige Information über die beiden Personen war, dass die Punktzahl über- oder unterschätzt wurde, wurde das Mitglied der eigenen Gruppe wohlwollender behandelt. Dieses Phänomen wird auch “minimal group” genannt.

Soziale Gruppen sind aber nicht immer “minimal groups”. Menschen schließen sich auch aufgrund deutlicherer Gemeinsamkeiten zu Gruppen zusammen: Sprache, Nationalität, Freizeitaktivitäten, Interessen, Geschlecht und Hautfarbe. Ob ein Individuum zu einer sozialen Gruppe gehört oder nicht, wirkt sich auf sein Verhalten aus. Menschen halten Mitgliedschaften zu Gruppen aufrecht, die positiv zu ihrer Identität beitragen. Umgekehrt werden sie (sofern möglich) eine Gruppe verlassen, sobald die Zugehörigkeit zu dieser sich nicht mehr positiv auf die eigene soziale Identität auswirkt.

Auch ein Unternehmen als Ganzes kann als eine – wenn auch sehr große – soziale Gruppe betrachtet werden, mit der sich Mitarbeitende identifizieren können. In diesem Kontext bilden sich zudem auch kleinere Gruppen durch die Einteilung in Teams und Abteilungen.

Um zur Frage zurückzukommen: Warum ist die Unternehmensfusion letztlich gescheitert?

Genau hier hat es bei der Fusion gehakt: Die Mitarbeitenden fanden es aus mehreren Gründen nicht mehr attraktiv, dem fusionierten Unternehmen anzugehören, da sie sich nicht mehr mit diesem identifizieren konnten. Maßgeblich dafür waren Unsicherheiten im neuen Arbeitsalltag und die Auflösung der alten Hierarchien, Abteilungen und Teams. Die Mitarbeitenden sahen keine Vorteile in den neuen Strukturen – eher im Gegenteil.
Damit die Mitarbeitenden die neuen Strukturen angenommen hätten, wären zwei Dinge nötig gewesen: eine Unternehmensleitlinie und die Möglichkeit, an Entscheidungen der Geschäftsführung zu partizipieren. Diese Voraussetzungen waren jedoch nicht gegeben, was zu wachsender Unzufriedenheit führte. So wurde die Zugehörigkeit zum Unternehmen nicht mehr als positiv bewertet, wie es vor der Fusion der Fall war. Mit der schwindenden Identifikation sanken auch das Commitment zu den Unternehmenszielen und die Bereitschaft, etwas zum Erfolg des Unternehmens beizutragen. In Folge wendeten sich die Mitarbeitenden vom Unternehmen ab.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ein essenzieller Aspekt, der leider häufig nicht bei folgenschweren Entscheidungen, Umstrukturierungen oder Fusionen im Unternehmenskontext beachtet wird, ist die menschliche Komponente. Auch wenn die Zahlen stimmen: Wenn die Mitarbeitenden sich nicht mehr mit dem “neuen” Unternehmen identifizieren, ist die Fusion zum Scheitern verurteilt. Sprechen Sie doch gerne noch einmal die Personen in Ihrem Bekanntenkreis an, die eine Fusion erlebt haben: Wie zugehörig fühlen sich diese dem Unternehmen noch und wurde bei ihnen die menschlich-soziale Komponente während der Veränderung erfolgreich berücksichtigt?

Zum Behalten: Es ist wichtig, dass Mitarbeitende sich auch nach einem Unternehmenszusammenschluss fortwährend mit ihrem Arbeitgeber identifizieren – trotz aller erfolgender Änderungen.

 

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Literatur 

Institute for Mergers, Acquisitions and Alliances (IMAA). (11. Februar, 2021). Anzahl der M&A Deals in der DACH-Region von 1991 bis 2020 [Graph]. In Statista. Zugriff am 06. Januar 2023, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/972508/umfrage/anzahl-der-munda-deals-in-der-dach-region/

Tajfel, H. (1974). Social identity and intergroup behaviour. Social science information, 13(2), 65-93.

Ullrich, J., Wiesecke, J. & van Dick, R. (2005). Continuity and Change in Mergers and Acquisitions: A Social Identity Case Study of a German Industrial Merger*. Journal of Management Studies, 42 (2), 1549-1569. https://doi.org/10.1111/j.1467-6486.2005.00556.x

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Ankereffekt: Der Superstar unter den Beeinflussungstechniken

▶︎ von Lukas Berg, Yannic Schadly und Jannik Schreier

Sind Sie schon einmal voller Hoffnungen in eine Verhandlung gestartet und sind anschließend unzufrieden aus dieser raus gegangen, da Sie nur ein für Sie enttäuschendes Ergebnis erzielen konnten? Dann sind Sie möglicherweise Opfer des sogenannten Ankereffekts geworden und wurden durch einen bestimmten Wert, eine Zahl oder Ähnliches beeinflusst. Im Folgenden soll dieser psychologische Effekt erklärt werden. Der Ankereffekt kann in vielen Bereichen des Lebens als auch des Berufs auftreten und Anwendung finden. Im Marketing und der Werbung, bei Preis-, Gehalts- oder anderen wirtschaftlichen Verhandlungen – auf welche sich in diesem Blog konzentriert wird – oder selbst bei Gerichtsverhandlungen konnten Einflüsse des Effekts in Studien nachgewiesen werden. Eines schon einmal vorweg: Der Ankereffekt kann als eine Art Superstar unter den Beeinflussungstechniken betitelt werden. Seien Sie also gespannt!

Der Ankereffekt als Heuristik

Der Ankereffekt ist eine Art von Heuristik, um Urteile zu fällen. Heuristiken können als innere Faustregeln bezeichnet werden, mit deren Hilfe man Urteile fällt. Der Vorteil an Heuristiken ist, dass diese oftmals zu recht guten Ergebnissen führen, jedoch kognitiv nicht zwingend anstrengend sind und die dahinterliegenden Denkprozesse meistens automatisch ablaufen. Der Ankereffekt wurde zuerst von den Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky in den 1960er Jahren umfassend beschrieben. Er kann als Angleichung oder auch Anpassung eines numerischen Urteils – beispielsweise über den Wert eines Produktes – an einen im Vorfeld gegebenen Vergleichswert definiert werden. Dieser Referenzwert wirkt wie ein Anker und zieht den Wert des Urteils oder der Schätzung in seine Richtung.

Theoretische Grundlage

Die theoretische Grundlage des Ankereffekts basiert auf der Annahme, dass Menschen bei der Einschätzung von Werten oder auch Wahrscheinlichkeiten nicht immer ökonomisch rational, also nach dem maximal möglichen Nutzen strebend, handeln. Dies zeigt sich auch in den Ideen der Prospect Theory, welche ebenfalls von Kahneman und Tversky entwickelt wurde und das Verhalten bzw. ganz konkret die Entscheidungsfindung bei Unsicherheit von Menschen in wirtschaftlichen Situationen beschreibt. Der Hauptgrund für die Irrationalität von Entscheidungen bei Unsicherheit sind hierbei kognitive Verzerrungen, also meistens unbewusstes und fehlerbehaftetes Wahrnehmen, Denken und Urteilen. Die Prospect Theory besagt, dass ein Mensch die Entscheidung treffen wird, bei der der erwartete, subjektive Gewinn mal der empfundenen Wahrscheinlichkeit, dass dieser Gewinn eintritt, am höchsten ist. Der Entscheidungsprozess lässt sich hierbei in zwei Schritte einteilen: Zuerst wird der Gewinn einer Variante subjektiv bewertet und danach die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Variante eingeschätzt. Auf diese zwei Schritte kann auch der Ankereffekt einwirken und somit die Entscheidungsfindung beeinflussen. So lässt beispielsweise das bekannte Angebot “Nimm 3, zahle 2” Produkte subjektiv viel attraktiver und günstiger wirken. Im ersten Schritt wird hierbei also der subjektive Gewinn höher bzw. der subjektive Verlust niedriger eingeschätzt. Im zweiten Schritt kann der Ankereffekt hingegen Sicherheit geben und die geschätzte Eintrittswahrscheinlichkeit eines Gewinnes erhöhen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn Freunde in einer Lotterie gewinnen und man selbst daraufhin die Wahrscheinlichkeit eines Gewinnes in der Lotterie subjektiv höher einschätzt. Der Ankereffekt kann also bei der Entscheidungsfindung innerhalb der Prospect Theory als ein möglicher Grund angesehen werden, weshalb Menschen von rationalen Entscheidungen abweichen. Dies trifft auch auf die Entscheidungsfindung in Verhandlungen zu, wie wir Ihnen in diesem Blog erklären wollen.

Der Ankereffekt ist sehr stabil in seiner Wirkung

Das Besondere am Ankereffekt ist, dass dieser sehr robust sowie stabil in seiner Wirkung ist und man ihn nicht vollständig eliminieren, sondern höchstens minimieren kann. Die Kenntnis und Informationen über den Effekt, Warnungen, sich nicht beeinflussen zu lassen und auch finanzielle Belohnungen für ein möglichst genaues Urteil zeigen keine Wirkung zur Eliminierung des Effekts. Selbst Experten mit Fachwissen oder Personen mit Erfahrung sind vor dem Effekt nicht geschützt und lassen sich durch einen Anker in ihrem Urteil beeinflussen.

Weshalb der Ankereffekt wirkt und was dagegen helfen kann

Der Ankereffekt und der vorgegebene Ausgangswert führen dazu, dass man sich überlegt, ob der tatsächliche Wert in der Nähe des Ankers liegen könnte und Gründe sowie Umstände gesucht bzw. abgerufen werden, die dies als möglich erscheinen lassen, während Umstände, die gegen den Ankerwert sprechen, vernachlässigt werden. Eine mögliche Gegenmaßnahme ist, dass man aufgefordert wird, Gründe zu nennen, die gegen den Ankerwert sprechen. So kann der Ankereffekt verringert, allerdings nicht vollständig eliminiert werden. 

Empirische Untersuchung des Ankereffekts

Die Auswirkungen des Ankereffekts in Verhandlungen untersuchten Galinsky und Mussweiler (2001) in ihrer Studie “First Offers as Anchors: The Role of Perspective-Taking and Negotiator Focus”. In einer Reihe von Versuchen mit jeweils verschiedenen Instruktionen sollten MBA-Studierende über den Verkauf einer fiktiven pharmazeutischen Fabrik verhandeln.
Grundsätzlich konnten sie empirisch belegen, dass das Unterbreiten des ersten Angebots einen erheblichen Vorteil in Verhandlungen hervorbringt. Wurde von der nachfragenden Seite das erste Gebot gemacht, wurde sich im Schnitt auf einen Preis von 19,7 Mio. $ geeinigt. Machte dagegen die anbietende Partei das erste Gebot wurde durchschnittlich ein Preis von 24,8 Mio. $ erzielt.
Darüber hinaus konnten sie nachweisen, dass die Taktiken des Perspektivwechsels und des Selbstfokus die Auswirkungen des Ankereffekts vermindern können. Besonders hilfreich zur Verminderung des Ankereffekts ist die Konzentration auf Informationen, die gegen den gesetzten Ankerwert sprechen. Ein Beispiel hierfür wäre die eigene Preisgrenze zu nennen. Auch die Fokussierung auf die eigenen Verhandlungsziele kann dabei helfen, sich vom Ankereffekt nicht (so stark) beeinflussen zu lassen.
Konzentrierten sich die Versuchsteilnehmer:innen mithilfe der genannten Taktiken dagegen auf Informationen, die für den Wert des gesetzten Ankers sprachen, so ließ sich keine Verminderung des Ankereffekts feststellen. 

Tipps für Ihre kommende Verhandlungssituation

Da wie vorangegangen beschrieben der Ankereffekt und seine Wirkung sehr robust sind und man ihn nicht wirklich eliminieren und nur schwierig minimieren kann, sollte man ihn vielmehr zu seinem Vorteil nutzen. Versuchen Sie also für Ihre Verhandlungssituationen die folgenden Tipps zu verinnerlichen:

  1. Setzen Sie sich hohe Ziele!
    Sie werden zwar tendenziell subjektiv enttäuschter aus der Verhandlung herausgehen, da man nicht immer seine gesetzten Ziele in einer Verhandlung vollständig erreichen kann. Allerdings erzielen Sie objektiv betrachtet bessere Ergebnisse.
  2. Machen Sie das erste Angebot!
    Versuchen Sie in Ihrer Verhandlung das erste Angebot zu machen, denn so setzen Sie den Anker und verzerren auf diesem Weg möglicherweise das numerische Urteil Ihrer Gegenpartei zu Ihren Gunsten.
  3. Setzen Sie den Wert des Ankers hoch an!
    Versuchen Sie, den Anker möglichst hoch zu setzen, denn das macht Sie zwar für Ihre Gegenpartei nicht zwingend sympathisch, dafür beeinflussen Sie aber das Ergebnis zu Ihrem Vorteil. Übertreiben Sie es jedoch nicht! Denn ein zu hoher Anker kann dazu führen, dass die Gegenpartei schnell und leicht Gründe findet, die gegen diesen hohen Wert sprechen und schlussendlich die Verhandlung scheitert.

Nutzen Sie den Ankereffekt, aber seien Sie auch vor ihm gewappnet

Der Ankereffekt wird, wie eingangs erwähnt, oftmals als Superstar unter den Beeinflussungstechniken bezeichnet, denn es ist fast unmöglich, den Effekt vollständig zu eliminieren. Das “Ankern” kann ein mächtiges Werkzeug zur Erreichung Ihrer Ziele in Verhandlungen sein. Nutzen Sie ihn also und versuchen Sie, das erste Gebot zu machen. Ist dies nicht möglich, suchen Sie für sich Gründe, die gegen die Plausibilität des Ankerwerts der Gegenseite sprechen. So kann für Sie die kommende Verhandlungssituation ein voller Erfolg werden!

 

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Literatur

Galinsky, A. D. & Mussweiler, T. (2001). First offers as anchors: the role of perspective-taking and negotiator focus. Journal of personality and social psychology, 81(4), 657.

Jonas, K., Stroebe, W., Hewstone, M., & Pendry, L. (2007). Soziale Kognition. Sozialpsychologie: Eine Einführung, 111-145.

Jungermann, H., Pfister, H.-R. & Fischer, Katrin. (2010). Die Psychologie der Entscheidung. Springer.

Kahneman, D., & Tversky, A. (2013). Prospect theory: An analysis of decision under risk. In Handbook of the fundamentals of financial decision making: Part I (pp. 99-127).

Mussweiler, T., Strack, F., & Pfeiffer, T. (2000). Overcoming the inevitable anchoring effect: Considering the opposite compensates for selective accessibility. Personality and Social Psychology Bulletin, 26(9), 1142–1150.

Ritov, I. (1996). Anchoring in simulated competitive market negotiation. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 67(1), 16–25. 

Strack, F., & Mussweiler, T. (1997). Explaining the enigmatic anchoring effect: Mechanisms of selective accessibility. Journal of Personality and Social Psychology, 73(3), 437–446.

Wilson, T. D., Houston, C. E., Etling, K. M., & Brekke, N. (1996). A new look at anchoring effects: Basic anchoring and its antecedents. Journal of Experimental Psychology: General, 125(4), 387–402.

Wright, W. F., & Anderson, U. (1989). Effects of situation familiarity and financial incentives on use of the anchoring and adjustment heuristic for probability assessment. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 44(1), 68–82.

Bildquelle

List, F. (2020, 09.Juli). Mit dem Ankereffekt Kunden gewinnen. Heise RegioConcept. https://www.heise-regioconcept.de/online-marketing/ankereffekt

Entscheidungen treffen in Verhandlungen – Ein Ende der Zerrissenheit

▶︎ von Sebastian Bahr, Mario Kerstinger und Anna Kolbanenko

Verhandlungen sind ein wichtiger Teil unseres täglichen Lebens, sei es im beruflichen Kontext, wenn wir mit Geschäftspartner:innen an einem gemeinsamen Projekt arbeiten und unterschiedliche Vorgehensweisen haben, oder im privaten Bereich, zum Beispiel bei Streitigkeiten mit Nachbar:innen über die Reparatur eines Zauns oder bei Preisverhandlungen auf dem Flohmarkt. Oft haben die Beteiligten unterschiedliche Interessen und es kommt zu unangenehmen Auseinandersetzungen, wenn keine Einigung erzielt werden kann. Wie ist es also möglich, eine Lösung zu finden, die für beide Seiten akzeptabel ist?

Um dieses Thema besser greifbar zu machen, stellen wir uns folgendes Szenario vor:

Jonas, 22, hat kürzlich sein Bachelorstudium im Bereich Maschinenbau erfolgreich abgeschlossen und ist nun auf der Suche nach einem geeigneten Arbeitgeber, der seinen Vorstellungen entspricht. Nach ausgiebiger Recherche kommen für ihn lediglich zwei große Automobilhersteller in Frage, die auch zufällig in seiner Heimatstadt ansässig sind. Er bewirbt sich bei beiden Unternehmen auf eine ausgeschriebene Stelle. Glücklicherweise erhält er in den darauffolgenden Wochen jeweils eine Einladung zum Bewerbungsgespräch. Jonas hat bereits einen Favoriten im Hinterkopf und darf sich bei diesem Unternehmen auch tatsächlich zuerst vorstellen. Während des Gesprächs hat er ein sehr gutes Gefühl und den Job bereits fast in der Tasche. Zum Abschluss des Gesprächs kommt das Thema Gehalt zur Sprache. Die ihm vorgeschlagene Summe gefällt Jonas jedoch nicht und so entschließt er sich zu pokern. Er erzählt seinem Gegenüber, dass er bereits eine weitere Zusage von einem Konkurrenzunternehmen bekommen hat und diese sogar seinen Gehaltsvorstellungen entspricht. Sein Gegenüber bleibt jedoch standhaft und versichert, ihm aus diesem Grund keine besseren Konditionen anbieten zu können. Das Gespräch kommt daraufhin schnell zum Abschluss. Jonas bleibt sich seiner Sache jedoch sicher und geht zwei Tage später zu seinem zweiten Bewerbungsgespräch. Dieses läuft jedoch überhaupt nicht wie geplant und er erhält noch am selben Tag eine Absage. Als er daraufhin bei dem ersten Unternehmen anruft, um sich zumindest diesen Job zu sichern, erhält er hier jedoch ebenfalls eine Absage, da „er ja bereits ein viel besseres Angebot bekommen hat“.

Aus diesem Fehlschlag will Jonas lernen und informiert sich gründlich zum Thema Verhandlungen sowie Entscheidungsfindung in Verhandlungen. Er beginnt mit den Grundlagen und fragt sich zunächst, was Verhandlungen eigentlich genau sind.

Was genau sind Verhandlungen?

Er erfährt, dass Verhandlungen als soziale Interaktionen zu verstehen sind. Diese entstehen, wenn zumindest eine der Verhandlungsparteien ein Ungleichgewicht wahrnimmt bzw. den Wunsch danach hat, dieses auszugleichen. Das Ziel der beteiligten Parteien (mindestens zwei) dabei ist es, eine Einigung bzw. einen Ausgleich mit Hilfe von Kommunikation zu erreichen. Verschiedene Faktoren, wie z. B. bisherige Erfahrung mit der anderen Partei, Erwartungen oder Interpretation des kommunizierten Inhalts können eine Verhandlung beeinflussen.

Und wie viele verschiedene Arten gibt es?

Jonas versteht, dass er in seiner Situation einer kompromissorientierten Verhandlungssituation ausgesetzt war. Diese ist neben dem positions- sowie  verständigungsorientierten Verhandeln eine der drei existierenden Hauptarten. Beim kompromissorientierten Verhandeln ist die Erreichung seiner eigenen Wünsche meist nicht vollständig möglich. Wir versuchen diesen also so nah wie möglich zu kommen und verhandeln einen Kompromiss („Treffen wir uns in der Mitte!“). Grundsätzlich bemerkt er jedoch auch, dass sich nur wenige Verhandlungen auf nur eine dieser Arten beschränken. Das heißt, während einer Verhandlung können auch verschiedene Arten von Verhandlungen gleichzeitig angewendet werden.

Aber wozu das Ganze?

Wie Jonas bereits gelernt hat, dienen Verhandlungen dazu, ein wahrgenommenes Ungleichgewicht wieder auszugleichen. Dieses Ungleichgewicht kann nun aber verschiedene Formen annehmen. Im Kern lassen sich diese unter drei Hauptfunktionen zusammenfassen:

  1. Konflikte lösen (z. B. Meinungsverschiedenheiten/Streit)
  2. Anschlussfähige Lösungen finden (z. B. nach Meinungsverschiedenheiten oder einem Streit)
  3. Entscheidungen treffen

Jonas fällt auf, dass die dritte Funktion, also Entscheidungen treffen, gut zu ihm und seiner erlebten Erfahrung passt. Er hat nämlich die falsche Entscheidung getroffen und sich somit ein eventuell gutes Jobangebot verspielt.

Best Alternative to a negotiated Agreement (“BATNA”)

Im weiteren Verlauf seiner Recherche stößt er auf das Konzept “best alternative to a negotiated agreement”, abgekürzt “BATNA”. Das Konzept scheint wie für ihn gemacht. Denn es stellt für Verhandelnde anscheinend eine wichtige Option zur Entscheidungsfindung dar, falls es nicht direkt zu einer Einigung kommt oder kommen könnte. Das Grundprinzip versteht er schnell. So ist es in Verhandlungssituationen immer ratsam, alle möglichen Alternativen zu kennen und miteinander zu vergleichen. Aus diesem Vergleich entsteht die persönliche BATNA, also die bestmögliche Alternative, für die sich entschieden werden kann, wenn die aktuelle Verhandlung scheitert. Das Ziel dabei ist es, das Ergebnis der aktuellen Verhandlung besser zu gestalten, als die bestmögliche Alternative es bieten könnte. Insbesondere in Situationen, in denen das Machtverhältnis, z. B. in seinem Fall ein Bewerbungsgespräch, nicht ausgeglichen ist, kann diese Vorgehensweise davor schützen, zu sehr von einer Option abhängig zu sein. Wichtig dabei ist, dass dieses Konzept nicht nur von Jonas als Bewerber angewendet werden kann, sondern auch zu jedem Verhandlungszeitpunkt von dem Unternehmen, in dem er sich bewirbt. Denn auch dieses möchte eine gute Entscheidung bei der Auswahl der Bewerber treffen.
Jonas begreift, dass er die während seines ersten Bewerbungsgesprächs zur Verfügung stehenden Alternativen nicht ausreichend berücksichtigt bzw. falsch eingeschätzt hat. So wurde ihm seine Notlüge, mit der er sich einen persönlichen Vorteil erschleichen wollte, zum Verhängnis. Er findet diesbezüglich sogar eine aktuelle Studie. In dieser wird das Verhandeln mit nicht vorhandenen BATNAs untersucht. Gemeint ist, dass eine Partei lediglich vorgibt, eine bessere Alternative zu haben. Ziemlich genau so, wie er es getan hat.
Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass das Vorgeben von besseren Alternativen zwar die eigene Verhandlungsmacht stärkt, jedoch auch unethisches und manipulatives Verhalten begünstigt. Des Weiteren stellte sich heraus, dass es oft zu einem Reputationsverlust führt, wenn nicht vorhandene oder unwahrscheinliche Alternativen beim Verhandeln eingesetzt werden. Vor allem, wenn diese am Ende wirklich nicht realisiert werden können und erneut mit der ursprünglichen Partei verhandelt werden muss. Jonas versteht nun auch, weshalb er letztendlich vom zweiten Arbeitgeber abgelehnt worden ist.

BATNA – Und nun?

Jonas fasst für sich und vor allem für seine nächsten Bewerbungsversuche zusammen, dass es in Verhandlungssituationen entscheidend sein kann, seine eigene beste Alternative zu kennen und diese auch als Ausgangspunkt für Verhandlungen zu nutzen, um eine starke Verhandlungsposition zu erreichen. Worauf er jedoch achten sollte, ist die Verhandlungsmacht seines Gegenübers sowie die Wahrscheinlichkeit seiner Alternativen richtig einzuschätzen. Hierbei ist ein besonderes Maß an Feingefühl gefragt. Denn auf der einen Seite möchte er sein Gegenüber während der Verhandlung nicht nachhaltig verärgern. Auf der anderen Seite möchte er aber genug glaubwürdigen Druck erzeugen, um seine Wünsche besser durchzusetzen bzw. ein befriedigendes Ergebnis für sich selbst erreichen zu können.

 

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Literatur:

Benz, A., L\Xfctz, S., Schimank, U. & Simonis, G. (2012). Handbuch Governance: Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder (German Edition) (2007. Aufl.). VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Kreggenfeld, U. (2015). Erfolgreich systemisch verhandeln: Ganzheitliche Verhandlungsstrategien – Checklisten – Anwendungsbeispiele (2014. Aufl.). Springer Gabler.

Pinkley, R. L., Conlon, D. E., Sawyer, J. E., Sleesman, D. J., Vandewalle, D. & Kuenzi, M. (2019). The power of phantom alternatives in negotiation: How what could be haunts what is. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 151, 34–48. 

Rock, H. (2022). Das Best Situation Management Modell (BSMM): Die Performanceorientierte Alternative zur BATNA (essentials) (1. Aufl. 2022). Springer Gabler.

Rommelfanger, H. J. (2013). Entscheidungstheorie: Klassische Konzepte Und Fuzzy-Erweiterungen (Springer-Lehrbuch) (2002. Aufl.). Springer.

Stroebe, W., Hewstone, M. & Stephenson, G. M. (1997). Sozialpsychologie: eine Einführung ; mit 17 Tabellen. Springer Publishing.

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