human behavior and experience in social context

Kategorie: Diversität in Organisationen

Andere Länder, andere Sitten: Seien wir gemeinsam fortgeschritten

Wie der kulturelle Hintergrund Einfluss auf die Emotionale Intelligenz und die Zusammenarbeit im Team nehmen kann.

▶︎ von Svea Beyer, Silan Bilgili und Sophie Wierzbowski

Sind Ihnen schon einmal Unterschiede zwischen Kulturen aufgefallen, außer Essgewohnheiten oder das Freizeitverhalten, wenn man im Urlaub ist? Tatsächlich existieren tiefgründigere Kulturunterschiede, die das Verhalten von Menschen sowohl privat als auch im Arbeitskontext stark beeinflussen. Wenn man den Hintergrund dieser Unterschiede versteht, kann man mit dem Verhalten besser umgehen, da man erkennt, wo gewisse Verhaltensmuster ihren Ursprung haben.

Globalisierung – eine dynamische und unaufhaltsame Entwicklung, die Grenzen verschwimmen und die Welt schrumpfen lässt. Unternehmen entwickeln sich zu multinationalen Organisationen, Teams werden immer internationaler und das Verständnis von Kulturen spielt eine immer größere Rolle für den Unternehmenserfolg. Unternehmen sind gefordert, kulturelle Unterschiede zu identifizieren und die daraus entstehende Vielfalt zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Dies kann sowohl helfen, Konflikte langfristig zu vermeiden als auch Synergieeffekte zu nutzen, die sich aus der Vielfalt ergeben. Dies ist eng verbunden mit der Emotionalen Intelligenz, die dafür verantwortlich ist, Emotionen richtig wahrzunehmen, um Handlungshintergründe zu erkennen. Die Wechselbeziehung zwischen diesen Themen wird in diesem Blogbeitrag behandelt, wobei sich vorab eine Frage stellt: Welche Eigenschaften einer Kultur haben einen Einfluss auf den Umgang mit Emotionen? Ziel ist es, am Ende des Blogbeitrags eine Antwort auf diese Frage zu finden.

Kann man Kultur eigentlich definieren?

Der niederländische Forscher Geert Hofstede (2001) hat einen Versuch gewagt: Eine Kultur bestehe aus den grundlegenden Normen und Werten einer Gesellschaft, wodurch sich Gesellschaften bzw. Gruppen voneinander unterscheiden lassen. Er erforschte diese Unterschiede und entwickelte daraus ein System mit den fünf folgenden Kulturdimensionen.

 „Kollektivismus“: Individualismus vs. Kollektivismus

Auf der individualistischen Seite sind Bindungen zwischen den Individuen eher oberflächlich, jeder Mensch sorgt für sich und die unmittelbare Familie. Kulturen, bei denen Menschen von Geburt an in Gruppen integriert sind (wie bspw. Großfamilien) und ihnen bedingungslose Loyalität bieten, sind auf der kollektivistischen Seite zu verorten.

Machtdistanz“: Stark vs. Schwach

Sie wird definiert als die Akzeptanz der ungleichen Verteilung von Macht durch Organisationsmitglieder, die weniger Macht besitzen. Daraus folgt, dass sowohl die Gefolgschaft als auch die führenden Personen einer Gesellschaft gleichermaßen für die Machtungleichheit verantwortlich sind.

Unsicherheitsvermeidung“:  Stark vs. Schwach

Diese Dimension beschreibt das Ausmaß, in dem sich die Mitglieder einer Kultur in unstrukturierten, mehrdeutigen Situationen wohl oder unwohl fühlen. Dementsprechend besitzen sie eine schwache oder starke Ausprägung der Unsicherheitsvermeidung.

Maskulinität“: Maskulinität vs. Feminität

Der Pol der gesellschaftlichen Maskulinität wird durch Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen und Wettbewerbsorientierung charakterisiert. Der feminine Pol wird durch Bescheidenheit und Fürsorglichkeit beschrieben.

Langzeitorientierung“: Langzeitorientierung vs. Kurzzeitorientierung

Diese Dimension beschreibt das Ausmaß, in dem Gesellschaften auf kurzfristigen Erfolg oder langfristige Lösungen ausgerichtet sind. Mit dem Pol der Langzeitorientierung verbundene Werte sind Durchhaltevermögen, Bescheidenheit sowie Schamgefühl.

 

Menschen einer Kultur lassen sich zwischen den Extrem-Polen dieser Dimensionen einordnen, wie beispielsweise in dieser Darstellung:

Außerdem ist eine hohe Ausprägung in Richtung eines Pols kein Indikator für eine hohe Ausprägung auf einer anderen Dimension. Dadurch entsteht dann ein Gesamtbild der Kultur, welches je nach Land sehr individuell ist. Beispielsweise können Land A und Land B individualistisch sein. Land A könnte dann eine hohe Machtdistanz haben, während Land B eine niedrige besitzt.

Lass uns auf eine Forschungsreise gehen…

Auch Gunkel et al. fragten sich, ob die Kulturzugehörigkeit und der Umgang mit Emotionen zusammenhängen. Sie nahmen sich 2014 vor, den Einfluss der Kulturdimensionen auf Emotionale Intelligenz  zu untersuchen, die unter anderem in den Bereichen Führung, Zusammenarbeit und organisationale Effektivität bedeutende Vorteile erzeugt.

In diesem Zusammenhang befragten sie 2067 Wirtschaftsstudent:innen aus neun Ländern, die sich unterschiedlichen kulturellen Clustern zuordnen lassen. Die Ergebnisse der Forschung sind sehr interessant: Sie zeigen, dass Kollektivismus, Unsicherheitsvermeidung und Langzeitorientierung die Emotionale Intelligenz positiv beeinflussen.

Kollektivismus

Die Ergebnisse zeigen, dass kollektivistisch orientierte Personen ihre eigenen Emotionen besser verstehen und ausdrücken können. Das liegt daran, dass sie die Fähigkeit besitzen, die Bedeutung einer Situation durch Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Doch nicht nur die eigenen, sondern auch die Emotionen anderer können kollektivistische Kulturen besser bewerten. Individualistischen Menschen fällt es hingegen eher schwer, negative Emotionen wie Traurigkeit zu erkennen. Solche Emotionen werden in einer kollektivistischen Gesellschaft wiederum eher zugunsten der Gruppe unterdrückt, was ein hohes Maß an Emotionsregulation erfordert. Außerdem sind Personen aus kollektivistischen Kulturen vermutlich in der Lage, ihre eigenen Emotionen so zu lenken, dass neben ihnen auch die gesamte Gruppe profitieren kann.

Unsicherheitsvermeidung

In Gesellschaften mit hoher Unsicherheitsvermeidung ist es der Forschung zufolge normal, Emotionen offen zu zeigen, weshalb diese als ausdrucksstarke Kulturen angesehen werden können. Das Verständnis für die eigenen Emotionen und die Regulation dieser stehen für Personen mit einer hohen Unsicherheitsvermeidung im Vordergrund. Neben den eigenen Emotionen beobachten die Menschen die Emotionen anderer genau und interpretieren das Verhalten. Dies trägt zum einen dazu bei, zukünftig die unbeliebten Ungewissheiten zu vermeiden. Zum anderen können Missverständnisse und unangenehme Situationen vermieden werden, indem die Menschen das eigene Verhalten anpassen.

Langzeitorientierung

Langzeitorientierte Personen zeigen Emotionen im Allgemeinen eher nicht so offen wie Personen aus kurzzeitorientierten Kulturen. Das hat aber nicht unbedingt einen Einfluss auf die Wahrnehmung der eigenen Emotionen. Der Grund für dieses Verhalten liegt auf der Hand: In langzeitorientierten Kulturen steht der Aufbau von Beziehungen im Vordergrund. Um potenzielle langfristige Beziehungen nicht zu verletzen, kann es notwendig sein, die eigenen Emotionen zu kontrollieren. Zudem spielt die Beobachtung der Gefühle des Gegenübers und in diesem Zuge auch das Verständnis für das Verhalten eine wichtige Rolle. Langzeitorientierte Personen sind also bereit, die nötige Zeit und Mühe in das Verständnis von Emotionen zu investieren.

An dieser Stelle fragen Sie sich wahrscheinlich: Was ist denn mit den anderen beiden Dimensionen? Gibt es dazu keine Ergebnisse? Jein. Das Ergebnis ist, dass es keinen relevanten Zusammenhang zwischen Emotionaler Intelligenz und den Dimensionen Maskulinität und Machtdistanz gibt, der uns auf der Suche nach der Antwort auf unsere Frage unterstützt.

Um auf die Frage vom Anfang zurückzukommen…

Kollektivismus, Unsicherheitsvermeidung und besonders Langzeitorientierung sind die Ausprägungen der Dimensionen, die den Umgang mit Emotionen positiv beeinflussen. Daraus können wir schließen, dass die Kultur einen Einfluss darauf nimmt, welche Emotionen gezeigt werden und wem diese offenbart werden. Dies hat jedenfalls die Studie bewiesen. Doch wie können Führungskräfte und Teammitglieder sich diese Erkenntnis im Arbeitsalltag zunutze machen? Erwiesenermaßen arbeiten Teams aus emotional intelligenten Beschäftigten besser zusammen und erbringen höhere Leistungen. Deshalb ist es wichtig, sich der Emotionalen Intelligenz von Teammitgliedern und dem Ursprung dieser bewusst zu sein, wodurch sich diese zu einer der wichtigsten Kompetenzen im Arbeitsalltag benennen lässt. Sollte nun der Entwicklungsbedarf der Teammitglieder hinsichtlich ihrer Emotionalen Intelligenz bewertet oder Schulungen bedarfsgerecht gestaltet werden, können mithilfe der kulturellen Länderunterschiede Bereiche ausgewählt werden, auf die sich fokussiert wird. Auch im Hinblick auf einen Arbeitseinsatz im Ausland könnten gezielte Entwicklungsmaßnahmen die Vorbereitung vereinfachen, da diese positive Auswirkungen auf die Emotionale Intelligenz aufweisen. Die Weiterbildung von Führungskräften erhöhen außerdem die Zufriedenheit und Leistung aller Mitarbeitenden im Team, was auf den verstärkten Teamzusammenhalt und die Motivationssteigerung zurückgeführt werden kann. Zusätzlich unterstützen die Erkenntnisse bei der Personalauswahl sowie der Schulung von Führungskräften. Durch die Berücksichtigung der verschiedenen kulturellen Einflüsse auf die Emotionale Intelligenz in diversen Teams kann es der Führungskraft gelingen, die Effizienz durch geeignete Maßnahmen zu steigern. Letztlich zeigen die vielfältigen Einsatzbereiche die Relevanz der Analyse von kulturellen Unterschieden für eine erfolgreiche Teamarbeit.

 

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Literatur

Gunkel, M., Schlägel, C. & Engle, R. L. (2014). Culture’s influence on emotional intelligence: An empirical study of nine countries. Journal of International Management, 20(2), 256-274. http://dx.doi.org/10.1016/j.intman.2013.10.002

Hofstede, G. (2001). Culture’s Consequences: Comparing Values, Behaviors, Institutions, and Organizations Across Nations (2. Aufl.). Sage Publications.

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Sag ich‘s oder sag ich‘s nicht? – Die unsichtbare soziale Identität und warum sie am Arbeitsplatz oft versteckt bleibt

▶︎ von Maja Kassulke, Annelie Lorber und Konstantin Schöps

Diversität am Arbeitsplatz betrifft mehr als nur das Geschlecht oder die Herkunft. Es gibt Identitäten, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind und die Menschen dennoch von anderen abgrenzen. Gerade weil nicht direkt sichtbar ist, dass sie andersartig” sind, stellen sich Betroffene die Frage: Sag ich‘s oder sag ich‘s nicht? Denn während die Geheimhaltung psychisch belastend sein kann, bringt eine Offenlegung der eigenen Identität oft gravierende Konsequenzen mit sich.

Studierende, die eine Ausbildung belächeln. Abteilungen, die um das Ansehen der Führungskräfte wetteifern. Mitarbeitende in der Produktion, die Verwaltungsangestellte verachten. Solche Situationen kennen die meisten. Auch wenn man es nicht selbst initiiert, hat doch jeder schon einmal Vergleichbares erlebt. Menschen denken hier in Gruppen. Neben diesen eher harmlosen Szenen kommt es jedoch auch vor, dass andere Arten von Gruppen bewertet und benachteiligt werden. So können Menschen wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, einer Krankheit oder ihrer Religion verurteilt werden. Das Verhalten vieler schwankt dabei zwischen unbewusster Stereotypisierung bis hin zu absichtlicher Diskriminierung.

Wie unser Denken und Handeln von Gruppenzugehörigkeit beeinflusst wird

Dieses Verhalten lässt sich durch die Theorie der sozialen Identität erklären. Die Sozialpsychologen Henri Tajfel und John Turner bauen auf Festingers Theorie des sozialen Vergleichs auf, laut der Informationen über das eigene Selbst durch den Vergleich mit anderen gewonnen werden. Die Theorie der sozialen Identität fokussiert jedoch die Macht- und Verhaltensentwicklungen innerhalb von Gruppen. Tajfel und Turner behaupten, dass Individuen sich selbst und andere weitgehend entlang sichtbarer Linien in soziale Kategorien einordnen, indem sie nach auffälligen Merkmalen wie Geschlecht, Alter oder Ethnie gehen. 

Laut ihnen finden zwischenmenschliche Interaktionen meist gruppenübergreifend statt, sodass die Menschen sowohl als Individuum als auch als Mitglied einer sozialen Gruppe auftreten. Im Extremfall kann die Gruppenzugehörigkeit sogar die individuellen Merkmale einer Person übertrumpfen.  

Dabei kommt es zu einem Vergleichsprozess zwischen den Gruppen. Mit diesem gehe laut Tajfel und Turner auch ein Bedürfnis einher, besser dazustehen als die andere Gruppe. Es kommt häufig zu einem sozialen Wettstreit zwischen den Gruppen und infolgedessen werden die „Anderen“ abgewertet oder sogar stigmatisiert.

Das verändert nicht nur die Art und Weise, wie Menschen andere Menschen beurteilen und miteinander umgehen, sondern auch, wie sie sich selbst sehen. Besonders am Arbeitsplatz, wo Menschen verschiedener Identitäten zusammentreffen, kann diese Art des Denkens zu Ausgrenzung, Leistungs- und Motivationsabfall und psychischen Problemen führen. 

Was passiert, wenn die soziale Identität nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist

Der Mann mit Multipler Sklerose, der im Meeting zum Mitschreiben gebeten wird, aber durch seine Krankheit heute besonders zittert. Die lesbische Frau, die Elternschaftsurlaub beantragen will, aber nicht als schwanger gelesen wird. Sie alle haben eine unsichtbare soziale Identität aufgrund (chronischer) Krankheit oder sexueller Orientierung, die sie in Erklärungsnot bringen kann.

Diese Identität ergibt sich aus den Gruppen oder Kategorien, denen die Person gesellschaftlich zuzuordnen ist. Das muss jedoch nicht auf sichtbaren Merkmalen oder Verhalten basieren, wie man in den Beispielen sieht. Sind solche Hinweise nicht gegeben, wird eine Mitgliedschaft in bestimmten sozialen Identitäten angenommen. So gehen wir meist automatisch davon aus, dass unser Gegenüber heterosexuell und körperlich unbeeinträchtigt ist. 

Personen, die eine unsichtbare soziale Identität haben, müssen sich bewusst dafür entscheiden, diese offenzulegen. Die soziale Identität geheim zu halten, kann durch das Gefühl “sich zu verstellen” schnell zu einer hohen psychologischen Belastung werden. Betroffene sprechen von dem Gefühl, isoliert zu sein und eine Fassade aufrechterhalten zu müssen. Auch haben sie häufig weniger Netzwerke und Zukunftschancen durch ihre Verschlossenheit und kompromittieren ihr Privatleben z. B. aufgrund von Leugnen der Lebensgefährt:innen.

Das Ausmaß, in dem sich eine Person bei der Arbeit offenbart, hat direkte Auswirkungen auf ihre Situation. So können sie völlig „in the closet“ sein und niemandem von ihrer „Andersartigkeit“ erzählen. Sie können sich aber „partially outen“ und nur einige Auserwählte einweihen, die das Geheimnis bewahren – etwa der Personalabteilung oder  engen Arbeitsfreundschaften, die sie unterstützen können. Oder aber die Person offenbart sich vollkommen und erzählt die Information wahllos. 

Entscheidet sich eine Person, ihre Identität offenzulegen, knüpft sie dadurch meist engere Beziehungen zu Kolleg:innen und unterstützt zusätzlich den sozialen Wandel am Arbeitsplatz. Außerdem reduziert diese Informationspreisgabe innere Konflikte betroffener Personen. Diese entstehen dadurch, dass das wahre Ich nicht mit dem Bild übereinstimmt, das sie anderen vermittelt. 

Für diesen Schritt entscheiden sich allerdings wenige Personen. Meist sind es die, die generell eine offene Persönlichkeit oder wirklich enge Arbeitsfreundschaften haben. Das zeigt eine Studie von Johnson und Joshi.  Sie führten 2016 eine zweiteilige Studie zur Offenlegung von Autismus-Diagnosen am Arbeitsplatz durch. Dazu wurden zunächst 30 arbeitende Erwachsene, die auf der hochfunktionalen Seite des Autismus-Spektrums liegen, und später 500 autistische Erwachsene befragt. Dabei kam heraus, dass die deutliche Mehrheit der Befragten ihre Diagnose geheim hält und selbst bei einer Offenlegung nur das allernötigste kommuniziert. 

Hinter dem Maskenball: Warum viele ihre Identität am Arbeitsplatz verbergen

Die Frage, warum das so ist, lässt sich einfach beantworten: Stigmatisierung. Das Problem kennt vermutlich jede Person, deren sichtbare oder unsichtbare Identität zur Minderheit gehört. Folgen von Stigmatisierung können Stereotypisierung, Statusverlust und Diskriminierung sein. Menschen bewerten andere, die mit einem Stigma behaftet sind, negativ, unabhängig von der Wahrheit oder der Berechtigung der negativen Bewertung.

Besonders am Arbeitsplatz führt dies zu inneren Konflikten. In keiner anderen Alltagssituation kommt es zu mehr möglichen Offenbarungen – und mehr Nachteilen. Für die Studie von Johnson und Joshi ist zudem relevant, dass im Gegensatz zu Geschlecht oder sexueller Orientierung geistige Beeinträchtigungen in direktem Zusammenhang mit der Aufgabenerfüllung am Arbeitsplatz stehen.

 Hauptsächlich halten autistische Personen ihre Diagnose geheim, weil nachgewiesenermaßen die persönlichen Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten durch Stigmata beeinträchtigt werden. Lieber nehmen sie das Label „introvertiert” an, als sich dem Stigma auszusetzen, sie seien mental langsam oder unhöflich. Die Angst ist zu groß, dass Aufträge, Kunden oder Reisen bewusst (nicht) verteilt werden. Zudem sorgen sich die betroffenen Personen, dass ihre Arbeit durch die HR-Abteilung stärker überwacht wird. Aber auch soziale Isolation und eine beeinträchtigte Entwicklung von Beziehungen sind Folgen, die wiederum die Vernetzung und das berufliche Fortkommen hemmen würden. Insgesamt kommt es häufig zu schlechteren Arbeitsleistungen und Schwierigkeiten bei der Einstellung oder dem Erhalt eines Arbeitsplatzes. Zusätzlich sahen viele Befragte ihre Privatsphäre als verletzt an und fühlten sich unwohl dabei, ihre Diagnose zu teilen.

Und die Moral von der Geschicht’…

… was bei anderen Menschen los ist, wissen wir nicht.

Deshalb sollten wir uns bewusst darüber sein, dass unser Gegenüber vielleicht mehr zu tragen hat als auf den ersten Blick erfassbar. Jetzt, da wir wissen, welche weitreichenden Konsequenzen das Offenlegen einer sozialen Identität haben kann, sollte niemand dazu gezwungen werden. Als Außenstehende sollten wir unser Verhalten reflektieren und von vornherein inklusiver handeln, ohne dass uns jemand darum bitten und sich dadurch outen muss. Wenn man am Arbeitsplatz ein:e Verbündete:r sein möchte, sollte man außerdem aktiv gegen stigmatisierendes und diskriminierendes Verhalten angehen, wenn man es mitbekommt.

Betroffene Arbeitnehmer:innen können zusätzliche außerbetriebliche Unterstützung in Anspruch nehmen, um geeignete Vertrauenspersonen für die Offenlegung am Arbeitsplatz zu identifizieren. Zum Beispiel können Job-Coaches beim Entscheidungsprozess zur Offenlegung helfen. Dabei können Arbeitgeber:innen durch das Anbieten geeigneter Angebote unterstützen. Auch sollte ein größeres Bewusstsein dazu in Schulungsprogramme zu Diversität integriert werden, um Betroffenen zu helfen, mit Stigmatisierung umzugehen, das Bewusstsein für das Thema bei Außenstehenden zu erweitern und Stigmatisierung sowie Diskriminierung in allen Bereichen entgegenzuwirken.

 

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Literatur

Clair, J. A., Beatty, J. E. & Maclean, T. I. (2005). Out of sight but not out of mind: Managing invisible social identities in the workplace. Academy of Management Review 30 (1), 78-95.

Johnson, T. D. & Joshi, A. (2016). Dark Clouds or Silver Linings? A Stigma Threat Perspective on the Implications of an Autism Diagnosis for Workplace Well-Being. Journal of Applied Psychology 10 (3), 430-449.

Tajfel, H., & Turner, J. C. (1979). An integrative theory of intergroup conflict. In: W. G. Austin & S. Worchel (Hrsg.), The Social Psychology of Intergroup Relations (S. 33–47). Brooks/Cole.

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Think Crisis – Think Female?! Vorurteile in der Wahrnehmung von Führungsverhalten

▶︎ von Julia Bücker, Annabell Busjaeger und Gesa Meinardus

Stellen wir uns zwei Führungskräfte vor. Die eine Führungskraft heißt Sarah, die andere Christian. Eine der beiden Personen ist selbstbewusst und durchsetzungsfähig. Die andere mitfühlend und hilfsbereit. Welche der Eigenschaften würden Sie instinktiv welcher Person zuordnen? Und welche der beschriebenen Attribute würden Sie in einer Krisensituation bevorzugen?
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Sie ohne langes Nachdenken Sarah als mitfühlend und Christian als durchsetzungsstark eingeschätzt haben. Dies haben wir klassischen Rollenerwartungen und Stereotypen zu verdanken, die auch heute noch eine große Rolle im beruflichen Kontext spielen und auch in Krisensituationen einen Einfluss auf die Wahrnehmung von Führungsverhalten haben. 

In der aktuellen Zeit sind Krisen so präsent in unserem Leben, wie wir es vermutlich nie für möglich gehalten hätten. Die andauernde Corona-Pandemie, der Ausbruch des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, die Energiekrise oder auch die Auswirkungen der hohen Inflation stellen nicht nur uns als Individuum, sondern auch Unternehmen und ihre Führungskräfte vor große Herausforderungen. Die Reaktionen, zum Beispiel auf die aufkommende Corona-Pandemie im Jahr 2019 und ihre darauffolgenden Auswirkungen, waren dabei auf persönlicher, gesellschaftlicher und unternehmerischer Ebene sehr unterschiedlich. Entscheidungen zur Arbeit im Home-Office, Anordnung von Kurzarbeit oder auch die Frage um die Kinderbetreuung mussten geklärt werden. Welche Reaktion hätten Sie sich von ihrer Führungskraft gewünscht, als plötzlich die Pandemie den (Arbeits-)Alltag komplett veränderte? Eher mitfühlend und verständnisvoll oder ein striktes, kontrolliertes Vorgehen zum schnellen Durchsetzen von Maßnahmen? Eine Frage, mit der sich auch Eichenauer und Kolleg:innen im Rahmen ihrer Forschung beschäftigt und dabei einen besonderen Fokus auf das geschlechterspezifische Führungsverhalten gelegt haben.

Wieso weibliche Führungskräfte es schwer haben oder: Die Rollen-Kongruenz-Theorie

Beide beschriebenen Führungsreaktionen und Verhaltensweisen auf die Corona-Pandemie haben sicher ihre Vor- und Nachteile, werden in akuten Krisensituationen jedoch unterschiedlich von Mitarbeitenden wahrgenommen. Nach der Rollen-Kongruenz-Theorie von Eagly und Karau (2002) können zwei grobe Richtungen von Führungsverhalten identifiziert werden, welche auf den Erwartungen an die sozialen Geschlechterrollen beruhen. Man kann hierbei zwischen dem gemeinschaftlichen und dem agenturischen Führungsstil unterscheiden. Der gemeinschaftliche Führungsstil umfasst dabei Eigenschaften, welche typischerweise eher Frauen zugeordnet werden. Dies sind beispielsweise liebevolle, hilfsbereite oder auch mitfühlende Aspekte. Die agenturischen Eigenschaften sind hingegen eher durchsetzungsstarke, kontrollierende und selbstbewusste Tendenzen, welche eher dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden. Von Führungskräften werden im Allgemeinen eher agenturische Eigenschaften erwartet, da diese als Grundlage für ihre beruflichen Anforderungen gesehen werden. Dies führt zu Vorurteilen gegenüber weiblichen Führungskräften. Aufgrund typischerweise zugeordneter Eigenschaften werden Frauen als weniger geeignet für Führungspositionen angesehen oder bei der Verwendung agenturischer Verhaltensweisen in der Regel negativer beurteilt als männliche Führungskräfte. 

Gemeinschaftlicher Führungsstil rocks oder: Führungspräferenzen von Arbeitnehmenden in Krisen

Anders sieht es nach den Studienergebnissen von Eichenauer et al. (2021) in Krisensituationen aus. Mit zwei verschiedenen Ansätzen untersuchten die Autor:innen präferierte Führungstendenzen im Kontext der Corona-Pandemie. Als ersten Ansatz nutzten die Forschenden reale Arbeitssituationen. Der zweite Ansatz beruhte auf fiktiven Arbeitsszenarien. Bei der Auswertung zeigte sich deutlich, dass aus Sicht der Mitarbeitenden der gemeinschaftliche Führungsstil in Krisen gefragt ist. Mitarbeitende wünschen sich aufgrund der sowieso bereits starken Belastungen der Krisensituation einen persönlichen und hilfsbereiten Umgang. Führungskräfte mit diesem Führungsstil werden in Krisen als kompetenter und sympathischer beurteilt als Führungskräfte, welche eher agenturische Tendenzen vorweisen. Es werden somit in Krisensituationen Eigenschaften gefordert, welche eher mit Frauen und nicht, im klassischen Sinne, mit einer männlichen Führungskraft assoziiert werden. Dies gilt für beide durchgeführten Studien: in realen und fiktiven Szenarien.

Interessanterweise hat das Geschlecht dabei keinen Einfluss auf den festgestellten Zusammenhang des gewünschten Führungsstils und Krisensituationen. Sowohl Frauen als auch Männer werden in Krisensituationen besser beurteilt, wenn sie gemeinschaftliche Führungstendenzen aufweisen – das Geschlecht macht dabei keinen Unterschied. 

Ein langer Weg bis zur Gleichbehandlung oder: Wahrnehmung von agenturischem Führungsverhalten bei Frauen

Ein anderes Bild zeigt sich hingegen bei der Beurteilung zwischen Männern und Frauen bezogen auf den agenturischen Führungsstil. Hier konnten die Forschenden im Rahmen der Studie Unterschiede in der Wahrnehmung von männlichem und weiblichem Führungsverhalten feststellen. Bei einer männlichen Führungskraft erhöhen agenturische Führungstendenzen die Beliebtheit. Ist die Führungskraft jedoch weiblich, verringert sich die Beliebtheit, wenn sie agenturisch handelt. Agenturisches Handeln zeigt dementsprechend einen positiven Zusammenhang mit der Beliebtheit von männlichen Führungskräften auf, Frauen hingegen werden für dasselbe Führungsverhalten negativer beurteilt als Männer. Wie kommt es zu dieser ungleichen Bewertung von männlichem und weiblichem Führungsverhalten in der Praxis? 

Die Begründung hierfür findet sich in der Rollen-Kongruenz-Theorie. Von Frauen wird, basierend auf den sozialen Geschlechterrollen, klassischerweise ein gemeinschaftlich geprägter Führungsstil erwartet, der mit liebevollen und mitfühlenden Eigenschaften verbunden ist. Der agenturische Führungsstil wird hingegen mit Attributen wie Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit dem männlichen Rollenbild zugeordnet. Verhält sich eine weibliche Führungskraft nun entgegen den stereotypischen Rollenerwartungen und weist agenturische Tendenzen auf, kommt es zu Backlash-Effekten. Sie wird als unsympathischer wahrgenommen, da sie die stereotypischen Erwartungen an weibliche Führungskräfte verletzt. Die agenturischen Eigenschaften passen nicht in das klassische Bild einer Frau und führen zu einer negativen Beurteilung.  

Hervorzuheben ist, dass lediglich die Wahrnehmung und Beurteilung des männlichen und weiblichen Führungsverhaltens in der Krise Abweichungen ergeben hat. Unterschiede im tatsächlichen Führungsverhalten von Männern und Frauen in Krisensituationen konnten im Rahmen der Studie nicht festgestellt werden.  

Gute Führung hat kein Geschlecht oder: Was wir aus den Ergebnissen lernen können

Für aktuelle und zukünftige Krisen sind die Erkenntnisse der Studie somit wichtige Ansatzpunkte. Männliche und weibliche Führungskräfte können und sollten bewusst ihre gemeinschaftlichen Eigenschaften verstärken, um den Mitarbeitenden in Krisensituation ein besseres Gefühl und Sicherheit zu vermitteln. Darüber hinaus müssen sich Alle bewusstwerden, dass das Potential von Führungskräften durch Geschlechterrollen geprägte Stereotypen nicht verzerrt bewertet werden darf. Krisenrelevante Kompetenzen können sowohl Sarah als auch Christian besitzen und erwerben.
Die notwendige Veränderung beginnt mit dem Bewusstwerden der Problematik von Vorurteilen, damit Sarah und Christian unabhängig von ihrem Geschlecht für ihre Führungskompetenzen wertgeschätzt werden.

 

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Literatur

Eagly, A. H. & Karau, S. J. (2002). Role congruity theory of prejudice toward female leaders.  Psychological review,  109(3), 573-598. 

Eichenauer, C. J., Ryan, A. M., & Alanis, J. M. (2022). Leadership during crisis: an examination of supervisory leadership behavior and gender during COVID-19.  Journal of Leadership & Organizational Studies,  29(2), 190-207. 

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Das Bienenkönigin-Phänomen oder warum Frauen sich gegenseitig ausstechen

▶︎ von Lisbeth Jürgensen, Jana Krüger und Julia Lanver 

Männer dominierte Führungsetagen plus Frauenquoten ist gleich Problem gelöst? So einfach ist es nicht. Was für Wirkungsmechanismen hinter eingefahrenen Führungsstereotypen stehen können, darüber gibt dieser Beitrag Aufschluss.

Immer noch ist in Deutschland nur jede dritte Führungskraft weiblich. Dass es aktuell immer noch zu wenig Frauen in Führungspositionen gibt, ist also Fakt und wird schon seit Jahren heiß diskutiert. Die Gründe, warum wir diese Situation ändern müssen, sind klar. Alleine der Fachkräftemangel und die Vorteile, die diverse Teams mit sich bringen, sind wohl Argument genug, wenn Unternehmen der immer anspruchsvoller werdenden Arbeitswelt von morgen gerecht werden wollen.

Um die Situation zu ändern, gibt es verschiedene Maßnahmen. Für Unternehmen sind diese mittlerweile entweder gesetzlich vorgeschrieben oder werden freiwillig eingeführt. Beispielsweise gibt es die gesetzliche Frauenquote oder Förderprogramme, die speziell für Frauen konzipiert sind und sie dazu motivieren sollen, sich in Führungspositionen zu begeben.

In vielen Diskussionen werden dabei Männer als die Schuldigen betitelt. Ihnen wird vorgehalten, sich zu wenig auf Frauen einzulassen. Ihnen keine Chance zu geben, sich in Führungspositionen zu beweisen. In eingefahrenen Strukturen “Vetternwirtschaft” zu betreiben. Und letztlich Männer eher für Führungspositionen in Betracht zu ziehen und sie entsprechend zu fördern. Aber sind Frauen vielleicht nicht doch auch selbst schuld? Nein, natürlich nicht!

Aber es gibt trotzdem einige spannende Wirkungsmechanismen, die zeigen, dass auch andere Herausforderungen in diesem System bestehen.

Stellen wir uns vor, dass es Frau Simon nach vielen Jahren im Unternehmen und mit viel bewiesenen Durchhaltevermögen in den Vorstand geschafft hat. Für sie keine einfache Zeit, denn sie stand unter großem Druck und fühlte sich beobachtet. Außerdem erhielt sie Feedback auf andere Art und Weise als ihre männlichen Vorstandskollegen. Nun hat sie sich jetzt aber für ihr Empfinden gut in ihrer neuen Position eingewöhnt. Es fällt ihr allerdings nun zunehmend schwerer, den Kontakt zu ihren damaligen Kolleg:innen in den unteren Hierarchieebenen zu gestalten. Ihr wird nachgesagt, sie setze sich nicht dafür ein, dass alte Muster gebrochen werden, die es Frauen erschweren, sich weiterzuentwickeln und aufzusteigen. Dabei hatte sie sich das vorher fest vorgenommen. Das scheint gar nicht so unrealistisch, oder? Aber woran liegt das und wie problematisch ist dieses Phänomen tatsächlich?

Das Phänomen Queen Bee – es kann nur eine Königin geben

Wenn erfolgreiche Frauen in Führungsebenen entgegen den Erwartungen jüngere Kolleginnen nicht unterstützen, wird von dem Queen Bee Phänomen, beziehungsweise dem Bienenköniginnen Phänomen, gesprochen. Faniko (2015) zeigt, dass Frauen mit höherem Bildungsgrad seltener auferlegte Quoten unterstützen, die Frauen als Ganzes bestärken sollen. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben.

Zum Beispiel:

  • wird die Quote als Bestätigung des Stereotyps – das nicht ausreichend qualifiziert Sein – gesehen. Somit sei sie nicht nützlich, sondern schädlich gegenüber ihren eigentlichen Nutznießer:innen,
  • wird die Quote  abgelehnt aus Gründen der System-Rechtfertigung. Das heißt, es wird versucht, die Erzählung von Gerechtigkeit und einem erkämpften Status aufrechtzuerhalten. Unterstützer:innen von Quoten werden abgewertet.

Das Queen Bee Phänomen greift nun also bei Frauen in Managementpositionen, die unterstützende Maßnahmen als nicht sinnvoll erachten. Sie setzen sich nicht für jüngere Frauen mit ähnlichen Zielen ein. Ihre Position spielt hierbei eine wichtige Rolle: Gerade diese Frauen könnten nun als wichtige Change Agents für aufstrebende weibliche Führungskräfte agieren. Als Change Agents werden Mitarbeitende bezeichnet, die Veränderungen in Unternehmen vorantreiben sollen. Die Managerinnen agieren allerdings häufig nicht als solche. Interessant ist hier die Feststellung, dass auf gleicher Managementebene eben diese Frauen eine Quote wieder eher befürworten würden. Woran liegt das?

Ein häufig angenommener Grund für die fehlende Unterstützung anderer Frauen oder Quoten ist eine erhöhte Konkurrenz unter Managerinnen. Faniko et al. (2017) stellen jedoch fest, dass das Queen Bee Phänomen dies NICHT spiegelt. Außerdem wird oft vermutet, dass Queen Bees sich anders als alle Frauen wahrnehmen. Auch hier kann widersprochen werden, sie nehmen sich nicht anders als ALLE Frauen wahr. Zumindest aber anders als solche auf dem gleichen Karrierepfad wie sie, jedoch an einem früheren Zeitpunkt ihrer Karriere. Die tatsächlichen Hintergründe, wieso es solche Bienenköniginnen gibt und was sich in ihrem Verhalten widerspiegelt, können wir anhand verschiedener theoretischer Modelle erklären.

Justifying the System – was steckt hinter all dem?

Eine Theorie, die Frau Simons Verhalten begründen kann, ist die System Justification Theory. Dieses sozialpsychologische Konzept besagt, dass Menschen eine starke Neigung haben, bereits bestehende soziale Systeme zu rechtfertigen und zu unterstützen. Vorhandene soziale Strukturen werden legitimiert. Es lässt sich also annehmen, dass Frau Simon als weibliche Führungskraft dazu neigt, sich an den bestehenden Machtstrukturen zu orientieren und diese Systeme zu unterstützen. Sie musste, um an ihre Position zu gelangen, Opfer erbringen. Das ist zwar nicht unbedingt fair, sie empfindet es aber als nur gerecht, wenn jüngere Frauen auch diesen Weg gehen müssen, um ihre Position zu verdienen. 

Im Zusammenhang mit dieser Theorie können wir auch die Selbstverifikationstheorie (Abrams & Hogg, 1988) als Erklärungsansatz für Frau Simons Verhalten heranziehen. Hiernach streben Menschen danach, die eigene Identität und Werte zu verifizieren. Frau Simon möchte sich möglicherweise durch ihr Verhalten von anderen Frauen auf dem gleichen Karrierepfad abgrenzen. So kann sie ihre eigene Identität als starke und mächtige Frau betonen, die sie sich systemgeschuldet erkämpfen musste. Das Queen Bee Phänomen tritt, wie bereits gesagt, vorrangig auf, wenn Frauen in männlich dominierten Berufen oder Bereichen tätig sind. Sie distanzieren sich von anderen Frauen und gleichen sich “männlichem Verhalten” an wir benutzen hier bewusst Geschlechterstereotypen, die in diesen Umgebungen als gegeben angesehen werden. Deshalb können wir sagen, dass sich die Queen Bees durch ihr Verhalten so in ihrem Bereich behaupten.

Was könnten weitere Gründe für das Verhalten der Bienenköniginnen sein? Die Stereotypisierung und der Generalisierungsbias liefern weitere Erklärungsansätze. Stereotypisieren wir, ordnen wir Menschen oder Gruppen von Menschen in bestimmte Kategorien ein und schreiben ihnen bestimmte Eigenschaften zu. Dabei achten wir nicht auf individuelle Unterschiede oder Fakten. So kommt es zu Vorurteilen und Diskriminierung. Stereotypisierungen entstehen, wenn versucht wird, die Komplexität der sozialen Welt zu verstehen und zu verarbeiten, indem wir sie in vereinfachte Kategorien einteilen. Im Zuge dessen können auch die Geschlechter-Stereotypen für Frau Simon bedacht werden. Queen Bees unterstützen nämlich mit ihrem Verhalten bestehende traditionelle Geschlechterstereotypen. Sie wollen sich bewusst von den traditionellen Geschlechterstereotypen für Frauen unterscheiden und von unerfahrenen Frauen auf ihrem Karrierepfad abheben. Damit wird die eigene Kompetenz und Autorität betont. Dies kann aus der Angst rühren, als schwächer oder weniger kompetent angesehen zu werden, wenn sie andere Frauen unterstützen und fördern würden. So kann Frau Simon beispielsweise auch davon ausgehen, dass sie sich von anderen jüngeren Frauen abheben MUSS, um als gleichwertig zu Männern der Führungsebene betrachtet zu werden.

Und das bedeutet jetzt genau?

Am Ende gibt es viele Herausforderungen für Frauen, in höhere Managementpositionen aufzusteigen. Bei näherer Betrachtung einzelner Phänomene wird deutlich, dass häufig strukturelle Probleme verantwortlich sind. Deren Wirkungsweisen müssen wir uns zunächst bewusst werden, bevor wir sie durchbrechen können. In unserem spezifischen Fall sehen wir jetzt, dass Frauen sich, aufgrund gegebener Strukturen, nicht immer nur Honig ums Maul schmieren. Bei Frau Simon zeigt sich sehr genau, dass sich ihr Verhalten durch ihre Erlebnisse begründen lässt. Allerdings sollte das keine notwendige Überlebensstrategie im Habitat der männlichen Führung sein müssen und vielleicht kann auch dieser Artikel seinen Teil dazu beitragen, dass das Queen Bee Phänomen hoffentlich bald der Vergangenheit angehört.

 

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Literatur

Abrams, D., & Hogg, M.A. (1988). Comments on the motivational status of self- esteem in social identity and intergroup discrimination. European Journal of Social Psychology, 18, 317-34.

Statistisches Bundesamt. (2023). Qualität der Arbeit: Frauen in Führungspositionen. DESTATIS. Abgerufen am 9. Januar 2023, von https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/frauen-fuehrungspositionen.html#:~:text=Nur%20jede%20dritte%20F%C3%BChrungskraft%20ist,(%2B0%2C6%20Prozentpunkte).

Faniko, K. (2015). Genre d’accord, mérite d’abord? Une analyse des opinions envers les mesures de discrimination positive [Gender ok, but merit first? An analysis of opinions toward Affirmative Action Plans]. Bern, Switzerland: Peter Lang.

Faniko, K., Ellemers, N., Derks, B., & Lorenzi-Cioldi, F. (2017). Nothing changes, really: Why women who break through the glass ceiling end up reinforcing it. Personality and Social Psychology Bulletin, 43(5), 6

Spencer, S. J., Quinn, D. M., & Steele, C. A. (Hrsg.). (2005). Stereotype threat: Theory, process, and application. In The Handbook of Prejudice, Stereotyping, and Discrimination. Psychology Press.

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