Simple Social Psychology

human behavior and experience in social context

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Viele Hände, fernes Ende – das Problem mit dem sozialen Faulenzen

▶︎ von Jill Barske, Lara Ehlting und Sascha Heitmann

Sinkende Motivation und Leistung sind ein häufig auftretendes Problem in Teams, vor allem wenn der Beitrag des:r Einzelnen nicht erkennbar ist. Sollten Gruppenarbeiten daher schon bald der Vergangenheit angehören? Nein. In der Sozialpsychologie wird dieses Phänomen schon seit langer Zeit erforscht und wir können Sie beruhigen: Es gibt Möglichkeiten, Motivation und Leistung im Team positiv zu beeinflussen.

Wir alle arbeiten häufig in Gruppen, sei es privat oder im Arbeits- und Studienkontext. Dabei gehen wir davon aus, dass mit steigender Anzahl der Beteiligten auch die Leistung steigt. Doch ist das wirklich so?

Schauen wir uns die folgende Situation an: Emma arbeitet in einer Marketingagentur und soll zusammen mit einer Projektgruppe eine Marketingkampagne für einen wichtigen Kunden entwickeln. Emma ist sehr positiv gestimmt und sich sicher, dass die Zusammenarbeit bereichernd sein wird. Grund dafür ist, dass die anderen vier Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen kommen und alle, wie sie hörte, ziemlich erfolgreich in ihrem Job sind. Auch macht sie sich keine weiteren Gedanken darüber, dass am Ende nicht ersichtlich sein wird, welchen Beitrag jedes einzelne Mitglied geleistet hat. Nach ein paar Wochen ist Emma jedoch frustriert. Die Deadline rückt immer näher und noch immer ist wenig passiert. Schon beim ersten Brainstorming, einer eigentlich einfachen Aufgabe, hatte sie das Gefühl, dass alles an ihr hängenbleibt. Einige der Gruppenmitglieder scheinen sich kaum zu beteiligen. Sie wundert sich, warum die Gruppe nicht effizient arbeitet: Sind die anderen vielleicht doch nicht so gut in ihrem Job, wie sie dachte? Oder gibt es einen anderen Grund?

Wenn Teams nicht funktionieren wollen

Mit dem Vorsatz der Sache auf den Grund zu gehen, fängt Emma an, nach Gründen für die fehlende Beteiligung ihrer Gruppenmitglieder zu recherchieren. Dabei stößt sie auf die Erkenntnis, dass das Verhältnis von Gruppenleistungen und individuellen Leistungen stark von der Art der Aufgabe abhängig ist. Tatsächlich stellt dies eine grundlegende Frage der Sozialpsychologie dar. Kommt es zu Abweichungen zwischen dem Gruppenpotenzial und der Gruppenleistung, ist dies auf Motivationsgewinne und -verluste zurückzuführen. Dabei gehen Motivationsverluste mit einer verringerten Anstrengung und Leistungserbringung der Gruppenmitglieder einher. Im weiteren Verlauf ihrer Recherche stößt sie auf die Theorie des Ringelmann-Effektes. Hierbei handelt es sich um eine unveröffentlichte Studie aus dem Jahr 1913, in der Ringelmann erste Hinweise auf einen Produktivitätsverlust in Gruppen fand. In seiner Studie ließ er acht Männer an einem Seil ziehen und erkannte, dass diese lediglich 50% der erwarteten Zugkraft erreichten. So konnte er feststellen, dass die durchschnittliche Leistung der einzelnen Gruppenmitglieder mit zunehmender Gruppengröße abnahm. Jedoch konnte nachträglich nicht bewiesen werden, ob es sich bei seinen Ergebnissen wirklich um Motivationsverluste der Gruppenmitglieder oder um eine fehlerhafte Koordinierung der Gruppe handelte. Mit dem Ergebnis noch nicht ganz zufrieden recherchiert Emma weiter und stößt schließlich auf den Begriff des Sozialen Faulenzens. Dieser entstand im Rahmen einer Studie von Latané et al. (1979), in der die Forschenden die Ergebnisse Ringelmanns nachstellen und mögliche Koordinierungsverluste ausschließen wollten. Im Zuge dessen führten Latané und seine Kolleg:innen zwei Experimente durch, in denen die Teilnehmenden alleine und in Gruppen jubeln und klatschen sollten. Mittels dessen konnten sie beweisen, dass der von der Gruppe erzeugte Lärm proportional zur Gruppengröße abnahm. Durch den Einsatz von Pseudogruppen konnte ergänzend zum Ringelmanneffekt ebenfalls bewiesen werden, dass der Prozessverlust nicht allein durch Koordinationsverluste hervorgerufen wird. Die Theorie des sozialen Faulenzens besagt also, dass Gruppenmitglieder dazu neigen sich weniger anzustrengen, wenn der individuelle Beitrag zur Gruppenleistung nicht identifizierbar ist. Dies ist vor allem bei additiven Aufgaben, wie dem Brainstorming in Emmas Projektgruppe, der Fall. Dabei handelt es sich um Aufgaben, in denen die Gruppenleistung aus der Summe der individuellen Leistungen hervorgeht.

Der Umgang mit sozialen Faulenzer:innen

Damit Emma in zukünftigen Projekten besser mit der Problematik des Sozialen Faulenzens umgehen kann, orientiert sie sich an den Ergebnissen einer Studie von Gabelica et. al. (2022). Obwohl die Stichprobe aus 200 Studierenden besteht, ist sich Emma sicher, dass die Ergebnisse auch auf ihr Team übertragbar sind. Nach der Sichtung der Studie berichtet Emma ihren Kolleg:innen von einer Auswahl der darin vorgestellten Handlungsempfehlungen, die das Aufkommen von Sozialem Faulenzen reduzieren oder sogar verhindern können. So könne Soziales Faulenzen eingedämmt werden, indem die Teamgröße dahingehend reguliert wird, dass jedes Mitglied des Teams so direkt wie nur möglich seiner erbrachten Leistung zugeordnet werden kann. Umso kleiner ein Team ist, desto leichter kann eine solche Zuordnung erfolgen. Die gemeinsamen Ziele sollten außerdem stets genau definiert sein und jedem Teammitglied bewusst gemacht werden, was sein Beitrag zur Gruppenleistung ist. So, denkt sich Emma, kann Motivation auf einem möglichst hohen Niveau gefördert werden.
In der Studie wird für Emma erkennbar, dass Soziales Faulenzen in keinem Team gleichmäßig erfolgt. Auch die sozialen Beziehungen sowie weitere Faktoren haben einen schwer messbaren Einfluss auf diese Art von Motivationsverlust. Eine der zentralen Studienerkenntnisse ist, dass Soziales Faulenzen nicht, wie lange in der Literatur angenommen, ein statisches Konstrukt ist. Vielmehr entwickelt es sich dynamisch in Gruppen und Teams und kann während Projekt- und Gruppenarbeiten verschiedenste Ausprägungen annehmen. Die Gruppenmitglieder können dadurch in unterschiedlichen Phasen ungleichmäßig stark (negativ) beeinflusst werden. Beispielsweise kann zu Beginn einer Aufgabe oder eines Projektes Soziales Faulenzen noch nicht vorkommen, bei der weiteren Bearbeitung aber unterschiedlich stark und lang bei einzelnen Teammitgliedern auftreten. Besonders aufschlussreich ist für Emma, dass Soziales Faulenzen in Teams, die ein hohes Maß an Teamlernen aufweisen, niedriger ausgeprägt auftritt als in Teams, in denen die Fähigkeit und Bereitschaft dazu weniger besteht. Teamlernen wird in der Studie definiert als die gemeinsame Weiterentwicklung der Funktionsweise des Teams und die Art, wie neues Wissen erlangt und Aufgaben bewältigt werden. Teams, die eine hohe Identifikation mit der zu bearbeitenden Aufgabe sowie dem Sinn des Teams besitzen, weisen daher eine niedrigere Tendenz zum sozialen Faulenzen auf.
Emma lässt ihre Recherche zum Sozialen Faulenzen noch einmal Revue passieren. Ihr wird deutlich, dass Gruppenarbeiten keine Selbstläufer sind, für die es ein allgemeines Erfolgsrezept gibt. Es reicht eben nicht aus, mehrere Personen mit einer gemeinsamen Aufgabe zu beauftragen und auf ein gutes Gruppenergebnis zu hoffen. Vielmehr sind Aspekte wie Teamrollen, eine konkrete Aufgabenstellung, die Teamgröße sowie eine gemeinsame Zieldefinition notwendig, um eine motivierte Zusammenarbeit zu gewährleisten.

 

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Literatur 

Schulz-Hardt, S. & Brodbeck, F. C. (2007). Gruppenleistung und Führung. In K. Jonas, W. Stroebe & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (5. Aufl. S. 443–486). Springer. 

Gabelica, C., De Maeyer, S., & Schippers, M. C. (2022). Taking a free ride: How team learning affects social loafing. Journal of Educational Psychology, 114(4), 716–733.  

Latané, B., Williams, K. & Harkins, S. (1979). Many hands make light the work: The causes and consequences of social loafing. Journal of Personality and Social Psychology, 37, 822–832. 

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Think Crisis – Think Female?! Vorurteile in der Wahrnehmung von Führungsverhalten

▶︎ von Julia Bücker, Annabell Busjaeger und Gesa Meinardus

Stellen wir uns zwei Führungskräfte vor. Die eine Führungskraft heißt Sarah, die andere Christian. Eine der beiden Personen ist selbstbewusst und durchsetzungsfähig. Die andere mitfühlend und hilfsbereit. Welche der Eigenschaften würden Sie instinktiv welcher Person zuordnen? Und welche der beschriebenen Attribute würden Sie in einer Krisensituation bevorzugen?
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Sie ohne langes Nachdenken Sarah als mitfühlend und Christian als durchsetzungsstark eingeschätzt haben. Dies haben wir klassischen Rollenerwartungen und Stereotypen zu verdanken, die auch heute noch eine große Rolle im beruflichen Kontext spielen und auch in Krisensituationen einen Einfluss auf die Wahrnehmung von Führungsverhalten haben. 

In der aktuellen Zeit sind Krisen so präsent in unserem Leben, wie wir es vermutlich nie für möglich gehalten hätten. Die andauernde Corona-Pandemie, der Ausbruch des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, die Energiekrise oder auch die Auswirkungen der hohen Inflation stellen nicht nur uns als Individuum, sondern auch Unternehmen und ihre Führungskräfte vor große Herausforderungen. Die Reaktionen, zum Beispiel auf die aufkommende Corona-Pandemie im Jahr 2019 und ihre darauffolgenden Auswirkungen, waren dabei auf persönlicher, gesellschaftlicher und unternehmerischer Ebene sehr unterschiedlich. Entscheidungen zur Arbeit im Home-Office, Anordnung von Kurzarbeit oder auch die Frage um die Kinderbetreuung mussten geklärt werden. Welche Reaktion hätten Sie sich von ihrer Führungskraft gewünscht, als plötzlich die Pandemie den (Arbeits-)Alltag komplett veränderte? Eher mitfühlend und verständnisvoll oder ein striktes, kontrolliertes Vorgehen zum schnellen Durchsetzen von Maßnahmen? Eine Frage, mit der sich auch Eichenauer und Kolleg:innen im Rahmen ihrer Forschung beschäftigt und dabei einen besonderen Fokus auf das geschlechterspezifische Führungsverhalten gelegt haben.

Wieso weibliche Führungskräfte es schwer haben oder: Die Rollen-Kongruenz-Theorie

Beide beschriebenen Führungsreaktionen und Verhaltensweisen auf die Corona-Pandemie haben sicher ihre Vor- und Nachteile, werden in akuten Krisensituationen jedoch unterschiedlich von Mitarbeitenden wahrgenommen. Nach der Rollen-Kongruenz-Theorie von Eagly und Karau (2002) können zwei grobe Richtungen von Führungsverhalten identifiziert werden, welche auf den Erwartungen an die sozialen Geschlechterrollen beruhen. Man kann hierbei zwischen dem gemeinschaftlichen und dem agenturischen Führungsstil unterscheiden. Der gemeinschaftliche Führungsstil umfasst dabei Eigenschaften, welche typischerweise eher Frauen zugeordnet werden. Dies sind beispielsweise liebevolle, hilfsbereite oder auch mitfühlende Aspekte. Die agenturischen Eigenschaften sind hingegen eher durchsetzungsstarke, kontrollierende und selbstbewusste Tendenzen, welche eher dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden. Von Führungskräften werden im Allgemeinen eher agenturische Eigenschaften erwartet, da diese als Grundlage für ihre beruflichen Anforderungen gesehen werden. Dies führt zu Vorurteilen gegenüber weiblichen Führungskräften. Aufgrund typischerweise zugeordneter Eigenschaften werden Frauen als weniger geeignet für Führungspositionen angesehen oder bei der Verwendung agenturischer Verhaltensweisen in der Regel negativer beurteilt als männliche Führungskräfte. 

Gemeinschaftlicher Führungsstil rocks oder: Führungspräferenzen von Arbeitnehmenden in Krisen

Anders sieht es nach den Studienergebnissen von Eichenauer et al. (2021) in Krisensituationen aus. Mit zwei verschiedenen Ansätzen untersuchten die Autor:innen präferierte Führungstendenzen im Kontext der Corona-Pandemie. Als ersten Ansatz nutzten die Forschenden reale Arbeitssituationen. Der zweite Ansatz beruhte auf fiktiven Arbeitsszenarien. Bei der Auswertung zeigte sich deutlich, dass aus Sicht der Mitarbeitenden der gemeinschaftliche Führungsstil in Krisen gefragt ist. Mitarbeitende wünschen sich aufgrund der sowieso bereits starken Belastungen der Krisensituation einen persönlichen und hilfsbereiten Umgang. Führungskräfte mit diesem Führungsstil werden in Krisen als kompetenter und sympathischer beurteilt als Führungskräfte, welche eher agenturische Tendenzen vorweisen. Es werden somit in Krisensituationen Eigenschaften gefordert, welche eher mit Frauen und nicht, im klassischen Sinne, mit einer männlichen Führungskraft assoziiert werden. Dies gilt für beide durchgeführten Studien: in realen und fiktiven Szenarien.

Interessanterweise hat das Geschlecht dabei keinen Einfluss auf den festgestellten Zusammenhang des gewünschten Führungsstils und Krisensituationen. Sowohl Frauen als auch Männer werden in Krisensituationen besser beurteilt, wenn sie gemeinschaftliche Führungstendenzen aufweisen – das Geschlecht macht dabei keinen Unterschied. 

Ein langer Weg bis zur Gleichbehandlung oder: Wahrnehmung von agenturischem Führungsverhalten bei Frauen

Ein anderes Bild zeigt sich hingegen bei der Beurteilung zwischen Männern und Frauen bezogen auf den agenturischen Führungsstil. Hier konnten die Forschenden im Rahmen der Studie Unterschiede in der Wahrnehmung von männlichem und weiblichem Führungsverhalten feststellen. Bei einer männlichen Führungskraft erhöhen agenturische Führungstendenzen die Beliebtheit. Ist die Führungskraft jedoch weiblich, verringert sich die Beliebtheit, wenn sie agenturisch handelt. Agenturisches Handeln zeigt dementsprechend einen positiven Zusammenhang mit der Beliebtheit von männlichen Führungskräften auf, Frauen hingegen werden für dasselbe Führungsverhalten negativer beurteilt als Männer. Wie kommt es zu dieser ungleichen Bewertung von männlichem und weiblichem Führungsverhalten in der Praxis? 

Die Begründung hierfür findet sich in der Rollen-Kongruenz-Theorie. Von Frauen wird, basierend auf den sozialen Geschlechterrollen, klassischerweise ein gemeinschaftlich geprägter Führungsstil erwartet, der mit liebevollen und mitfühlenden Eigenschaften verbunden ist. Der agenturische Führungsstil wird hingegen mit Attributen wie Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit dem männlichen Rollenbild zugeordnet. Verhält sich eine weibliche Führungskraft nun entgegen den stereotypischen Rollenerwartungen und weist agenturische Tendenzen auf, kommt es zu Backlash-Effekten. Sie wird als unsympathischer wahrgenommen, da sie die stereotypischen Erwartungen an weibliche Führungskräfte verletzt. Die agenturischen Eigenschaften passen nicht in das klassische Bild einer Frau und führen zu einer negativen Beurteilung.  

Hervorzuheben ist, dass lediglich die Wahrnehmung und Beurteilung des männlichen und weiblichen Führungsverhaltens in der Krise Abweichungen ergeben hat. Unterschiede im tatsächlichen Führungsverhalten von Männern und Frauen in Krisensituationen konnten im Rahmen der Studie nicht festgestellt werden.  

Gute Führung hat kein Geschlecht oder: Was wir aus den Ergebnissen lernen können

Für aktuelle und zukünftige Krisen sind die Erkenntnisse der Studie somit wichtige Ansatzpunkte. Männliche und weibliche Führungskräfte können und sollten bewusst ihre gemeinschaftlichen Eigenschaften verstärken, um den Mitarbeitenden in Krisensituation ein besseres Gefühl und Sicherheit zu vermitteln. Darüber hinaus müssen sich Alle bewusstwerden, dass das Potential von Führungskräften durch Geschlechterrollen geprägte Stereotypen nicht verzerrt bewertet werden darf. Krisenrelevante Kompetenzen können sowohl Sarah als auch Christian besitzen und erwerben.
Die notwendige Veränderung beginnt mit dem Bewusstwerden der Problematik von Vorurteilen, damit Sarah und Christian unabhängig von ihrem Geschlecht für ihre Führungskompetenzen wertgeschätzt werden.

 

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Literatur

Eagly, A. H. & Karau, S. J. (2002). Role congruity theory of prejudice toward female leaders.  Psychological review,  109(3), 573-598. 

Eichenauer, C. J., Ryan, A. M., & Alanis, J. M. (2022). Leadership during crisis: an examination of supervisory leadership behavior and gender during COVID-19.  Journal of Leadership & Organizational Studies,  29(2), 190-207. 

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Das Bienenkönigin-Phänomen oder warum Frauen sich gegenseitig ausstechen

▶︎ von Lisbeth Jürgensen, Jana Krüger und Julia Lanver 

Männer dominierte Führungsetagen plus Frauenquoten ist gleich Problem gelöst? So einfach ist es nicht. Was für Wirkungsmechanismen hinter eingefahrenen Führungsstereotypen stehen können, darüber gibt dieser Beitrag Aufschluss.

Immer noch ist in Deutschland nur jede dritte Führungskraft weiblich. Dass es aktuell immer noch zu wenig Frauen in Führungspositionen gibt, ist also Fakt und wird schon seit Jahren heiß diskutiert. Die Gründe, warum wir diese Situation ändern müssen, sind klar. Alleine der Fachkräftemangel und die Vorteile, die diverse Teams mit sich bringen, sind wohl Argument genug, wenn Unternehmen der immer anspruchsvoller werdenden Arbeitswelt von morgen gerecht werden wollen.

Um die Situation zu ändern, gibt es verschiedene Maßnahmen. Für Unternehmen sind diese mittlerweile entweder gesetzlich vorgeschrieben oder werden freiwillig eingeführt. Beispielsweise gibt es die gesetzliche Frauenquote oder Förderprogramme, die speziell für Frauen konzipiert sind und sie dazu motivieren sollen, sich in Führungspositionen zu begeben.

In vielen Diskussionen werden dabei Männer als die Schuldigen betitelt. Ihnen wird vorgehalten, sich zu wenig auf Frauen einzulassen. Ihnen keine Chance zu geben, sich in Führungspositionen zu beweisen. In eingefahrenen Strukturen “Vetternwirtschaft” zu betreiben. Und letztlich Männer eher für Führungspositionen in Betracht zu ziehen und sie entsprechend zu fördern. Aber sind Frauen vielleicht nicht doch auch selbst schuld? Nein, natürlich nicht!

Aber es gibt trotzdem einige spannende Wirkungsmechanismen, die zeigen, dass auch andere Herausforderungen in diesem System bestehen.

Stellen wir uns vor, dass es Frau Simon nach vielen Jahren im Unternehmen und mit viel bewiesenen Durchhaltevermögen in den Vorstand geschafft hat. Für sie keine einfache Zeit, denn sie stand unter großem Druck und fühlte sich beobachtet. Außerdem erhielt sie Feedback auf andere Art und Weise als ihre männlichen Vorstandskollegen. Nun hat sie sich jetzt aber für ihr Empfinden gut in ihrer neuen Position eingewöhnt. Es fällt ihr allerdings nun zunehmend schwerer, den Kontakt zu ihren damaligen Kolleg:innen in den unteren Hierarchieebenen zu gestalten. Ihr wird nachgesagt, sie setze sich nicht dafür ein, dass alte Muster gebrochen werden, die es Frauen erschweren, sich weiterzuentwickeln und aufzusteigen. Dabei hatte sie sich das vorher fest vorgenommen. Das scheint gar nicht so unrealistisch, oder? Aber woran liegt das und wie problematisch ist dieses Phänomen tatsächlich?

Das Phänomen Queen Bee – es kann nur eine Königin geben

Wenn erfolgreiche Frauen in Führungsebenen entgegen den Erwartungen jüngere Kolleginnen nicht unterstützen, wird von dem Queen Bee Phänomen, beziehungsweise dem Bienenköniginnen Phänomen, gesprochen. Faniko (2015) zeigt, dass Frauen mit höherem Bildungsgrad seltener auferlegte Quoten unterstützen, die Frauen als Ganzes bestärken sollen. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben.

Zum Beispiel:

  • wird die Quote als Bestätigung des Stereotyps – das nicht ausreichend qualifiziert Sein – gesehen. Somit sei sie nicht nützlich, sondern schädlich gegenüber ihren eigentlichen Nutznießer:innen,
  • wird die Quote  abgelehnt aus Gründen der System-Rechtfertigung. Das heißt, es wird versucht, die Erzählung von Gerechtigkeit und einem erkämpften Status aufrechtzuerhalten. Unterstützer:innen von Quoten werden abgewertet.

Das Queen Bee Phänomen greift nun also bei Frauen in Managementpositionen, die unterstützende Maßnahmen als nicht sinnvoll erachten. Sie setzen sich nicht für jüngere Frauen mit ähnlichen Zielen ein. Ihre Position spielt hierbei eine wichtige Rolle: Gerade diese Frauen könnten nun als wichtige Change Agents für aufstrebende weibliche Führungskräfte agieren. Als Change Agents werden Mitarbeitende bezeichnet, die Veränderungen in Unternehmen vorantreiben sollen. Die Managerinnen agieren allerdings häufig nicht als solche. Interessant ist hier die Feststellung, dass auf gleicher Managementebene eben diese Frauen eine Quote wieder eher befürworten würden. Woran liegt das?

Ein häufig angenommener Grund für die fehlende Unterstützung anderer Frauen oder Quoten ist eine erhöhte Konkurrenz unter Managerinnen. Faniko et al. (2017) stellen jedoch fest, dass das Queen Bee Phänomen dies NICHT spiegelt. Außerdem wird oft vermutet, dass Queen Bees sich anders als alle Frauen wahrnehmen. Auch hier kann widersprochen werden, sie nehmen sich nicht anders als ALLE Frauen wahr. Zumindest aber anders als solche auf dem gleichen Karrierepfad wie sie, jedoch an einem früheren Zeitpunkt ihrer Karriere. Die tatsächlichen Hintergründe, wieso es solche Bienenköniginnen gibt und was sich in ihrem Verhalten widerspiegelt, können wir anhand verschiedener theoretischer Modelle erklären.

Justifying the System – was steckt hinter all dem?

Eine Theorie, die Frau Simons Verhalten begründen kann, ist die System Justification Theory. Dieses sozialpsychologische Konzept besagt, dass Menschen eine starke Neigung haben, bereits bestehende soziale Systeme zu rechtfertigen und zu unterstützen. Vorhandene soziale Strukturen werden legitimiert. Es lässt sich also annehmen, dass Frau Simon als weibliche Führungskraft dazu neigt, sich an den bestehenden Machtstrukturen zu orientieren und diese Systeme zu unterstützen. Sie musste, um an ihre Position zu gelangen, Opfer erbringen. Das ist zwar nicht unbedingt fair, sie empfindet es aber als nur gerecht, wenn jüngere Frauen auch diesen Weg gehen müssen, um ihre Position zu verdienen. 

Im Zusammenhang mit dieser Theorie können wir auch die Selbstverifikationstheorie (Abrams & Hogg, 1988) als Erklärungsansatz für Frau Simons Verhalten heranziehen. Hiernach streben Menschen danach, die eigene Identität und Werte zu verifizieren. Frau Simon möchte sich möglicherweise durch ihr Verhalten von anderen Frauen auf dem gleichen Karrierepfad abgrenzen. So kann sie ihre eigene Identität als starke und mächtige Frau betonen, die sie sich systemgeschuldet erkämpfen musste. Das Queen Bee Phänomen tritt, wie bereits gesagt, vorrangig auf, wenn Frauen in männlich dominierten Berufen oder Bereichen tätig sind. Sie distanzieren sich von anderen Frauen und gleichen sich “männlichem Verhalten” an wir benutzen hier bewusst Geschlechterstereotypen, die in diesen Umgebungen als gegeben angesehen werden. Deshalb können wir sagen, dass sich die Queen Bees durch ihr Verhalten so in ihrem Bereich behaupten.

Was könnten weitere Gründe für das Verhalten der Bienenköniginnen sein? Die Stereotypisierung und der Generalisierungsbias liefern weitere Erklärungsansätze. Stereotypisieren wir, ordnen wir Menschen oder Gruppen von Menschen in bestimmte Kategorien ein und schreiben ihnen bestimmte Eigenschaften zu. Dabei achten wir nicht auf individuelle Unterschiede oder Fakten. So kommt es zu Vorurteilen und Diskriminierung. Stereotypisierungen entstehen, wenn versucht wird, die Komplexität der sozialen Welt zu verstehen und zu verarbeiten, indem wir sie in vereinfachte Kategorien einteilen. Im Zuge dessen können auch die Geschlechter-Stereotypen für Frau Simon bedacht werden. Queen Bees unterstützen nämlich mit ihrem Verhalten bestehende traditionelle Geschlechterstereotypen. Sie wollen sich bewusst von den traditionellen Geschlechterstereotypen für Frauen unterscheiden und von unerfahrenen Frauen auf ihrem Karrierepfad abheben. Damit wird die eigene Kompetenz und Autorität betont. Dies kann aus der Angst rühren, als schwächer oder weniger kompetent angesehen zu werden, wenn sie andere Frauen unterstützen und fördern würden. So kann Frau Simon beispielsweise auch davon ausgehen, dass sie sich von anderen jüngeren Frauen abheben MUSS, um als gleichwertig zu Männern der Führungsebene betrachtet zu werden.

Und das bedeutet jetzt genau?

Am Ende gibt es viele Herausforderungen für Frauen, in höhere Managementpositionen aufzusteigen. Bei näherer Betrachtung einzelner Phänomene wird deutlich, dass häufig strukturelle Probleme verantwortlich sind. Deren Wirkungsweisen müssen wir uns zunächst bewusst werden, bevor wir sie durchbrechen können. In unserem spezifischen Fall sehen wir jetzt, dass Frauen sich, aufgrund gegebener Strukturen, nicht immer nur Honig ums Maul schmieren. Bei Frau Simon zeigt sich sehr genau, dass sich ihr Verhalten durch ihre Erlebnisse begründen lässt. Allerdings sollte das keine notwendige Überlebensstrategie im Habitat der männlichen Führung sein müssen und vielleicht kann auch dieser Artikel seinen Teil dazu beitragen, dass das Queen Bee Phänomen hoffentlich bald der Vergangenheit angehört.

 

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Literatur

Abrams, D., & Hogg, M.A. (1988). Comments on the motivational status of self- esteem in social identity and intergroup discrimination. European Journal of Social Psychology, 18, 317-34.

Statistisches Bundesamt. (2023). Qualität der Arbeit: Frauen in Führungspositionen. DESTATIS. Abgerufen am 9. Januar 2023, von https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/frauen-fuehrungspositionen.html#:~:text=Nur%20jede%20dritte%20F%C3%BChrungskraft%20ist,(%2B0%2C6%20Prozentpunkte).

Faniko, K. (2015). Genre d’accord, mérite d’abord? Une analyse des opinions envers les mesures de discrimination positive [Gender ok, but merit first? An analysis of opinions toward Affirmative Action Plans]. Bern, Switzerland: Peter Lang.

Faniko, K., Ellemers, N., Derks, B., & Lorenzi-Cioldi, F. (2017). Nothing changes, really: Why women who break through the glass ceiling end up reinforcing it. Personality and Social Psychology Bulletin, 43(5), 6

Spencer, S. J., Quinn, D. M., & Steele, C. A. (Hrsg.). (2005). Stereotype threat: Theory, process, and application. In The Handbook of Prejudice, Stereotyping, and Discrimination. Psychology Press.

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