▶︎ von Julia Bücker, Annabell Busjaeger und Gesa Meinardus

Stellen wir uns zwei Führungskräfte vor. Die eine Führungskraft heißt Sarah, die andere Christian. Eine der beiden Personen ist selbstbewusst und durchsetzungsfähig. Die andere mitfühlend und hilfsbereit. Welche der Eigenschaften würden Sie instinktiv welcher Person zuordnen? Und welche der beschriebenen Attribute würden Sie in einer Krisensituation bevorzugen?
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Sie ohne langes Nachdenken Sarah als mitfühlend und Christian als durchsetzungsstark eingeschätzt haben. Dies haben wir klassischen Rollenerwartungen und Stereotypen zu verdanken, die auch heute noch eine große Rolle im beruflichen Kontext spielen und auch in Krisensituationen einen Einfluss auf die Wahrnehmung von Führungsverhalten haben. 

In der aktuellen Zeit sind Krisen so präsent in unserem Leben, wie wir es vermutlich nie für möglich gehalten hätten. Die andauernde Corona-Pandemie, der Ausbruch des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, die Energiekrise oder auch die Auswirkungen der hohen Inflation stellen nicht nur uns als Individuum, sondern auch Unternehmen und ihre Führungskräfte vor große Herausforderungen. Die Reaktionen, zum Beispiel auf die aufkommende Corona-Pandemie im Jahr 2019 und ihre darauffolgenden Auswirkungen, waren dabei auf persönlicher, gesellschaftlicher und unternehmerischer Ebene sehr unterschiedlich. Entscheidungen zur Arbeit im Home-Office, Anordnung von Kurzarbeit oder auch die Frage um die Kinderbetreuung mussten geklärt werden. Welche Reaktion hätten Sie sich von ihrer Führungskraft gewünscht, als plötzlich die Pandemie den (Arbeits-)Alltag komplett veränderte? Eher mitfühlend und verständnisvoll oder ein striktes, kontrolliertes Vorgehen zum schnellen Durchsetzen von Maßnahmen? Eine Frage, mit der sich auch Eichenauer und Kolleg:innen im Rahmen ihrer Forschung beschäftigt und dabei einen besonderen Fokus auf das geschlechterspezifische Führungsverhalten gelegt haben.

Wieso weibliche Führungskräfte es schwer haben oder: Die Rollen-Kongruenz-Theorie

Beide beschriebenen Führungsreaktionen und Verhaltensweisen auf die Corona-Pandemie haben sicher ihre Vor- und Nachteile, werden in akuten Krisensituationen jedoch unterschiedlich von Mitarbeitenden wahrgenommen. Nach der Rollen-Kongruenz-Theorie von Eagly und Karau (2002) können zwei grobe Richtungen von Führungsverhalten identifiziert werden, welche auf den Erwartungen an die sozialen Geschlechterrollen beruhen. Man kann hierbei zwischen dem gemeinschaftlichen und dem agenturischen Führungsstil unterscheiden. Der gemeinschaftliche Führungsstil umfasst dabei Eigenschaften, welche typischerweise eher Frauen zugeordnet werden. Dies sind beispielsweise liebevolle, hilfsbereite oder auch mitfühlende Aspekte. Die agenturischen Eigenschaften sind hingegen eher durchsetzungsstarke, kontrollierende und selbstbewusste Tendenzen, welche eher dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden. Von Führungskräften werden im Allgemeinen eher agenturische Eigenschaften erwartet, da diese als Grundlage für ihre beruflichen Anforderungen gesehen werden. Dies führt zu Vorurteilen gegenüber weiblichen Führungskräften. Aufgrund typischerweise zugeordneter Eigenschaften werden Frauen als weniger geeignet für Führungspositionen angesehen oder bei der Verwendung agenturischer Verhaltensweisen in der Regel negativer beurteilt als männliche Führungskräfte. 

Gemeinschaftlicher Führungsstil rocks oder: Führungspräferenzen von Arbeitnehmenden in Krisen

Anders sieht es nach den Studienergebnissen von Eichenauer et al. (2021) in Krisensituationen aus. Mit zwei verschiedenen Ansätzen untersuchten die Autor:innen präferierte Führungstendenzen im Kontext der Corona-Pandemie. Als ersten Ansatz nutzten die Forschenden reale Arbeitssituationen. Der zweite Ansatz beruhte auf fiktiven Arbeitsszenarien. Bei der Auswertung zeigte sich deutlich, dass aus Sicht der Mitarbeitenden der gemeinschaftliche Führungsstil in Krisen gefragt ist. Mitarbeitende wünschen sich aufgrund der sowieso bereits starken Belastungen der Krisensituation einen persönlichen und hilfsbereiten Umgang. Führungskräfte mit diesem Führungsstil werden in Krisen als kompetenter und sympathischer beurteilt als Führungskräfte, welche eher agenturische Tendenzen vorweisen. Es werden somit in Krisensituationen Eigenschaften gefordert, welche eher mit Frauen und nicht, im klassischen Sinne, mit einer männlichen Führungskraft assoziiert werden. Dies gilt für beide durchgeführten Studien: in realen und fiktiven Szenarien.

Interessanterweise hat das Geschlecht dabei keinen Einfluss auf den festgestellten Zusammenhang des gewünschten Führungsstils und Krisensituationen. Sowohl Frauen als auch Männer werden in Krisensituationen besser beurteilt, wenn sie gemeinschaftliche Führungstendenzen aufweisen – das Geschlecht macht dabei keinen Unterschied. 

Ein langer Weg bis zur Gleichbehandlung oder: Wahrnehmung von agenturischem Führungsverhalten bei Frauen

Ein anderes Bild zeigt sich hingegen bei der Beurteilung zwischen Männern und Frauen bezogen auf den agenturischen Führungsstil. Hier konnten die Forschenden im Rahmen der Studie Unterschiede in der Wahrnehmung von männlichem und weiblichem Führungsverhalten feststellen. Bei einer männlichen Führungskraft erhöhen agenturische Führungstendenzen die Beliebtheit. Ist die Führungskraft jedoch weiblich, verringert sich die Beliebtheit, wenn sie agenturisch handelt. Agenturisches Handeln zeigt dementsprechend einen positiven Zusammenhang mit der Beliebtheit von männlichen Führungskräften auf, Frauen hingegen werden für dasselbe Führungsverhalten negativer beurteilt als Männer. Wie kommt es zu dieser ungleichen Bewertung von männlichem und weiblichem Führungsverhalten in der Praxis? 

Die Begründung hierfür findet sich in der Rollen-Kongruenz-Theorie. Von Frauen wird, basierend auf den sozialen Geschlechterrollen, klassischerweise ein gemeinschaftlich geprägter Führungsstil erwartet, der mit liebevollen und mitfühlenden Eigenschaften verbunden ist. Der agenturische Führungsstil wird hingegen mit Attributen wie Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit dem männlichen Rollenbild zugeordnet. Verhält sich eine weibliche Führungskraft nun entgegen den stereotypischen Rollenerwartungen und weist agenturische Tendenzen auf, kommt es zu Backlash-Effekten. Sie wird als unsympathischer wahrgenommen, da sie die stereotypischen Erwartungen an weibliche Führungskräfte verletzt. Die agenturischen Eigenschaften passen nicht in das klassische Bild einer Frau und führen zu einer negativen Beurteilung.  

Hervorzuheben ist, dass lediglich die Wahrnehmung und Beurteilung des männlichen und weiblichen Führungsverhaltens in der Krise Abweichungen ergeben hat. Unterschiede im tatsächlichen Führungsverhalten von Männern und Frauen in Krisensituationen konnten im Rahmen der Studie nicht festgestellt werden.  

Gute Führung hat kein Geschlecht oder: Was wir aus den Ergebnissen lernen können

Für aktuelle und zukünftige Krisen sind die Erkenntnisse der Studie somit wichtige Ansatzpunkte. Männliche und weibliche Führungskräfte können und sollten bewusst ihre gemeinschaftlichen Eigenschaften verstärken, um den Mitarbeitenden in Krisensituation ein besseres Gefühl und Sicherheit zu vermitteln. Darüber hinaus müssen sich Alle bewusstwerden, dass das Potential von Führungskräften durch Geschlechterrollen geprägte Stereotypen nicht verzerrt bewertet werden darf. Krisenrelevante Kompetenzen können sowohl Sarah als auch Christian besitzen und erwerben.
Die notwendige Veränderung beginnt mit dem Bewusstwerden der Problematik von Vorurteilen, damit Sarah und Christian unabhängig von ihrem Geschlecht für ihre Führungskompetenzen wertgeschätzt werden.

 

***

Literatur

Eagly, A. H. & Karau, S. J. (2002). Role congruity theory of prejudice toward female leaders.  Psychological review,  109(3), 573-598. 

Eichenauer, C. J., Ryan, A. M., & Alanis, J. M. (2022). Leadership during crisis: an examination of supervisory leadership behavior and gender during COVID-19.  Journal of Leadership & Organizational Studies,  29(2), 190-207. 

Bildquelle

Bild von pexels.com