Wie der kulturelle Hintergrund Einfluss auf die Emotionale Intelligenz und die Zusammenarbeit im Team nehmen kann.

▶︎ von Svea Beyer, Silan Bilgili und Sophie Wierzbowski

Sind Ihnen schon einmal Unterschiede zwischen Kulturen aufgefallen, außer Essgewohnheiten oder das Freizeitverhalten, wenn man im Urlaub ist? Tatsächlich existieren tiefgründigere Kulturunterschiede, die das Verhalten von Menschen sowohl privat als auch im Arbeitskontext stark beeinflussen. Wenn man den Hintergrund dieser Unterschiede versteht, kann man mit dem Verhalten besser umgehen, da man erkennt, wo gewisse Verhaltensmuster ihren Ursprung haben.

Globalisierung – eine dynamische und unaufhaltsame Entwicklung, die Grenzen verschwimmen und die Welt schrumpfen lässt. Unternehmen entwickeln sich zu multinationalen Organisationen, Teams werden immer internationaler und das Verständnis von Kulturen spielt eine immer größere Rolle für den Unternehmenserfolg. Unternehmen sind gefordert, kulturelle Unterschiede zu identifizieren und die daraus entstehende Vielfalt zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Dies kann sowohl helfen, Konflikte langfristig zu vermeiden als auch Synergieeffekte zu nutzen, die sich aus der Vielfalt ergeben. Dies ist eng verbunden mit der Emotionalen Intelligenz, die dafür verantwortlich ist, Emotionen richtig wahrzunehmen, um Handlungshintergründe zu erkennen. Die Wechselbeziehung zwischen diesen Themen wird in diesem Blogbeitrag behandelt, wobei sich vorab eine Frage stellt: Welche Eigenschaften einer Kultur haben einen Einfluss auf den Umgang mit Emotionen? Ziel ist es, am Ende des Blogbeitrags eine Antwort auf diese Frage zu finden.

Kann man Kultur eigentlich definieren?

Der niederländische Forscher Geert Hofstede (2001) hat einen Versuch gewagt: Eine Kultur bestehe aus den grundlegenden Normen und Werten einer Gesellschaft, wodurch sich Gesellschaften bzw. Gruppen voneinander unterscheiden lassen. Er erforschte diese Unterschiede und entwickelte daraus ein System mit den fünf folgenden Kulturdimensionen.

 „Kollektivismus“: Individualismus vs. Kollektivismus

Auf der individualistischen Seite sind Bindungen zwischen den Individuen eher oberflächlich, jeder Mensch sorgt für sich und die unmittelbare Familie. Kulturen, bei denen Menschen von Geburt an in Gruppen integriert sind (wie bspw. Großfamilien) und ihnen bedingungslose Loyalität bieten, sind auf der kollektivistischen Seite zu verorten.

Machtdistanz“: Stark vs. Schwach

Sie wird definiert als die Akzeptanz der ungleichen Verteilung von Macht durch Organisationsmitglieder, die weniger Macht besitzen. Daraus folgt, dass sowohl die Gefolgschaft als auch die führenden Personen einer Gesellschaft gleichermaßen für die Machtungleichheit verantwortlich sind.

Unsicherheitsvermeidung“:  Stark vs. Schwach

Diese Dimension beschreibt das Ausmaß, in dem sich die Mitglieder einer Kultur in unstrukturierten, mehrdeutigen Situationen wohl oder unwohl fühlen. Dementsprechend besitzen sie eine schwache oder starke Ausprägung der Unsicherheitsvermeidung.

Maskulinität“: Maskulinität vs. Feminität

Der Pol der gesellschaftlichen Maskulinität wird durch Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen und Wettbewerbsorientierung charakterisiert. Der feminine Pol wird durch Bescheidenheit und Fürsorglichkeit beschrieben.

Langzeitorientierung“: Langzeitorientierung vs. Kurzzeitorientierung

Diese Dimension beschreibt das Ausmaß, in dem Gesellschaften auf kurzfristigen Erfolg oder langfristige Lösungen ausgerichtet sind. Mit dem Pol der Langzeitorientierung verbundene Werte sind Durchhaltevermögen, Bescheidenheit sowie Schamgefühl.

 

Menschen einer Kultur lassen sich zwischen den Extrem-Polen dieser Dimensionen einordnen, wie beispielsweise in dieser Darstellung:

Außerdem ist eine hohe Ausprägung in Richtung eines Pols kein Indikator für eine hohe Ausprägung auf einer anderen Dimension. Dadurch entsteht dann ein Gesamtbild der Kultur, welches je nach Land sehr individuell ist. Beispielsweise können Land A und Land B individualistisch sein. Land A könnte dann eine hohe Machtdistanz haben, während Land B eine niedrige besitzt.

Lass uns auf eine Forschungsreise gehen…

Auch Gunkel et al. fragten sich, ob die Kulturzugehörigkeit und der Umgang mit Emotionen zusammenhängen. Sie nahmen sich 2014 vor, den Einfluss der Kulturdimensionen auf Emotionale Intelligenz  zu untersuchen, die unter anderem in den Bereichen Führung, Zusammenarbeit und organisationale Effektivität bedeutende Vorteile erzeugt.

In diesem Zusammenhang befragten sie 2067 Wirtschaftsstudent:innen aus neun Ländern, die sich unterschiedlichen kulturellen Clustern zuordnen lassen. Die Ergebnisse der Forschung sind sehr interessant: Sie zeigen, dass Kollektivismus, Unsicherheitsvermeidung und Langzeitorientierung die Emotionale Intelligenz positiv beeinflussen.

Kollektivismus

Die Ergebnisse zeigen, dass kollektivistisch orientierte Personen ihre eigenen Emotionen besser verstehen und ausdrücken können. Das liegt daran, dass sie die Fähigkeit besitzen, die Bedeutung einer Situation durch Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Doch nicht nur die eigenen, sondern auch die Emotionen anderer können kollektivistische Kulturen besser bewerten. Individualistischen Menschen fällt es hingegen eher schwer, negative Emotionen wie Traurigkeit zu erkennen. Solche Emotionen werden in einer kollektivistischen Gesellschaft wiederum eher zugunsten der Gruppe unterdrückt, was ein hohes Maß an Emotionsregulation erfordert. Außerdem sind Personen aus kollektivistischen Kulturen vermutlich in der Lage, ihre eigenen Emotionen so zu lenken, dass neben ihnen auch die gesamte Gruppe profitieren kann.

Unsicherheitsvermeidung

In Gesellschaften mit hoher Unsicherheitsvermeidung ist es der Forschung zufolge normal, Emotionen offen zu zeigen, weshalb diese als ausdrucksstarke Kulturen angesehen werden können. Das Verständnis für die eigenen Emotionen und die Regulation dieser stehen für Personen mit einer hohen Unsicherheitsvermeidung im Vordergrund. Neben den eigenen Emotionen beobachten die Menschen die Emotionen anderer genau und interpretieren das Verhalten. Dies trägt zum einen dazu bei, zukünftig die unbeliebten Ungewissheiten zu vermeiden. Zum anderen können Missverständnisse und unangenehme Situationen vermieden werden, indem die Menschen das eigene Verhalten anpassen.

Langzeitorientierung

Langzeitorientierte Personen zeigen Emotionen im Allgemeinen eher nicht so offen wie Personen aus kurzzeitorientierten Kulturen. Das hat aber nicht unbedingt einen Einfluss auf die Wahrnehmung der eigenen Emotionen. Der Grund für dieses Verhalten liegt auf der Hand: In langzeitorientierten Kulturen steht der Aufbau von Beziehungen im Vordergrund. Um potenzielle langfristige Beziehungen nicht zu verletzen, kann es notwendig sein, die eigenen Emotionen zu kontrollieren. Zudem spielt die Beobachtung der Gefühle des Gegenübers und in diesem Zuge auch das Verständnis für das Verhalten eine wichtige Rolle. Langzeitorientierte Personen sind also bereit, die nötige Zeit und Mühe in das Verständnis von Emotionen zu investieren.

An dieser Stelle fragen Sie sich wahrscheinlich: Was ist denn mit den anderen beiden Dimensionen? Gibt es dazu keine Ergebnisse? Jein. Das Ergebnis ist, dass es keinen relevanten Zusammenhang zwischen Emotionaler Intelligenz und den Dimensionen Maskulinität und Machtdistanz gibt, der uns auf der Suche nach der Antwort auf unsere Frage unterstützt.

Um auf die Frage vom Anfang zurückzukommen…

Kollektivismus, Unsicherheitsvermeidung und besonders Langzeitorientierung sind die Ausprägungen der Dimensionen, die den Umgang mit Emotionen positiv beeinflussen. Daraus können wir schließen, dass die Kultur einen Einfluss darauf nimmt, welche Emotionen gezeigt werden und wem diese offenbart werden. Dies hat jedenfalls die Studie bewiesen. Doch wie können Führungskräfte und Teammitglieder sich diese Erkenntnis im Arbeitsalltag zunutze machen? Erwiesenermaßen arbeiten Teams aus emotional intelligenten Beschäftigten besser zusammen und erbringen höhere Leistungen. Deshalb ist es wichtig, sich der Emotionalen Intelligenz von Teammitgliedern und dem Ursprung dieser bewusst zu sein, wodurch sich diese zu einer der wichtigsten Kompetenzen im Arbeitsalltag benennen lässt. Sollte nun der Entwicklungsbedarf der Teammitglieder hinsichtlich ihrer Emotionalen Intelligenz bewertet oder Schulungen bedarfsgerecht gestaltet werden, können mithilfe der kulturellen Länderunterschiede Bereiche ausgewählt werden, auf die sich fokussiert wird. Auch im Hinblick auf einen Arbeitseinsatz im Ausland könnten gezielte Entwicklungsmaßnahmen die Vorbereitung vereinfachen, da diese positive Auswirkungen auf die Emotionale Intelligenz aufweisen. Die Weiterbildung von Führungskräften erhöhen außerdem die Zufriedenheit und Leistung aller Mitarbeitenden im Team, was auf den verstärkten Teamzusammenhalt und die Motivationssteigerung zurückgeführt werden kann. Zusätzlich unterstützen die Erkenntnisse bei der Personalauswahl sowie der Schulung von Führungskräften. Durch die Berücksichtigung der verschiedenen kulturellen Einflüsse auf die Emotionale Intelligenz in diversen Teams kann es der Führungskraft gelingen, die Effizienz durch geeignete Maßnahmen zu steigern. Letztlich zeigen die vielfältigen Einsatzbereiche die Relevanz der Analyse von kulturellen Unterschieden für eine erfolgreiche Teamarbeit.

 

***

Literatur

Gunkel, M., Schlägel, C. & Engle, R. L. (2014). Culture’s influence on emotional intelligence: An empirical study of nine countries. Journal of International Management, 20(2), 256-274. http://dx.doi.org/10.1016/j.intman.2013.10.002

Hofstede, G. (2001). Culture’s Consequences: Comparing Values, Behaviors, Institutions, and Organizations Across Nations (2. Aufl.). Sage Publications.

Bildquelle
Foto von MART PRODUCTION via pexels.com