Auch wenn Männer und Frauen eigentlich gleichberechtigt sein sollten, sehen sich Mütter und Väter jedoch unterschiedlichen Stereotypen ausgesetzt. Doch worauf basieren diese unterschiedlichen Annahmen und die Ungleichbehandlung zu Lasten von Müttern im Arbeitsalltag? Das Stereotype Content Model von Fiske et al. (2002) liefert dafür einen Erklärungsansatz.
Karriere und Kinder – (k)ein Widerspruch?
Mütter sind Superheld:innen, oder? Sie wissen immer, wohin man den eigenen Impfpass verlegt hat und sind wahre Organisationstalente. Das Bild der fürsorglichen und unerschrockenen Löwenmutter ist sicherlich den meisten ein Begriff. Berufstätige Mütter meistern zusätzlich den Spagat zwischen Beruf und Familie. Dennoch kommt immer wieder die Frage auf, ob sie wirklich Kindererziehung und Beruf parallel bewältigen können. Dementsprechend ergibt sich in den Köpfen vieler der hartnäckige Widerspruch warmherzige Mutter versus kaltherzige Karrierefrau. Unter Umständen können solche Stereotype zu sozialer Ausgrenzung führen und diskriminierende Folgen haben. Aber woher kommen diese Einstellungen und das daraus resultierende Verhalten Müttern gegenüber im Arbeitskontext? Hierzu lohnt es sich das sozialpsychologische Stereotype Content Model (SCM) von Fiske, Cuddy, Glick und Xu (2002) heranzuziehen. Das Modell erklärt, dass Individuen soziale Gruppen anhand der zwei Dimensionen Wärme und Kompetenz einschätzen. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch geschlechtsspezifische Stereotype auf den beiden Dimensionen abbilden.
Das Stereotype Content Model als Erklärungsansatz
Das SCM von Fiske et al. aus dem Jahre 2002 bietet einen theoretischen Rahmen für die Erklärung und Einordnung von unterschiedlichen Stereotypen. Im Gegensatz zu der herkömmlichen Annahme, dass Stereotype tendenziell negativ behaftet sind, geht das SCM von einem vielschichtigen Bild aus und betrachtet Gruppen differenziert. So können verschiedene stereotype Gruppen anhand von zwei Dimensionen unterschieden werden: Wärme und Kompetenz. Haben Sie sich schon mal die Frage gestellt, ob die fremde Person oder Gruppe Ihnen gegenüber gute oder schlechte Absichten hat? Menschen wollen erst einmal die Intention des Gegenübers in Erfahrung bringen. Die wahrgenommene Wärme hängt nämlich von der wahrgenommenen Konkurrenz ab, die von der Person bzw. Gruppe ausgeht. Oder haben Sie sich gefragt, ob Ihr Gegenüber die Kompetenz hat, um ihre Ziele auch zu erreichen? Über die Kompetenzdimension wird abgebildet, ob die andere Person überhaupt dazu fähig ist, die Intention auszuüben. Die Bewertung der Kompetenz stützt sich auf den wahrgenommenen Status der Person bzw. Gruppe. Gruppen werden also anhand dessen bewertet, inwiefern sie Einfluss auf einen selbst oder die eigene Gruppe ausüben können. Zwar stellen wir uns im Alltag vermutlich nicht aktiv diese Fragen, wenn wir Gruppen bewerten. Dennoch beruht der Inhalt von Stereotypen nach dem SCM auf diesen beiden Aspekten. Aus den zwei Dimensionen und der jeweils hohen beziehungsweise niedrigen Ausprägung lassen sich vier verschiedene Kombinationen von Stereotypgruppen ableiten. Jedem Stereotyp bringen wir verschiedene Emotionen entgegen. Gruppen, denen wir uns zugehörig fühlen, schreiben wir oftmals eine hohe Wärme sowie eine hohe Kompetenz zu. Die Gruppen lösen dabei das Gefühl der Bewunderung in uns aus. Es gibt aber auch Gruppen, denen wir weder Wärme noch Kompetenz zuschreiben; wir schreiben Ihnen weder zu fähig zu sein noch finden wir diese Gruppen nett. Solchen Gruppen wird eher Verachten entgegengebracht. Zudem gibt es zwei Stereotypgruppen, die auf der einen Dimension als hoch und auf der anderen als niedrig eingestuft werden. Manche Gruppen werden wahrgenommen, als ob sie weder die Intention noch das Vermögen hätten, einem selbst oder der eigenen Gruppe zu schaden. Solche Gruppen werden als warm, aber nicht als kompetent wahrgenommen. Dadurch bringen Personen diesen Gruppen eher Mitleid entgegen. Im Gegensatz dazu können wir Gruppen auch als kompetent, aber nicht als warm empfinden. Diesen Gruppen bringen wir eher Neid entgegen.
Berufstätige Eltern im Stereotype Content Model
Eine Folgestudie von Cuddy, Fiske und Glick (2004), die auf dem SCM aufbaut, untersucht die Einordnung von berufstätigen Müttern auf den Dimensionen des SCM und vergleicht diese mit den von berufstätigen Vätern. Dabei wurden vier verschiedene Gruppen untersucht, in der jeweils das Geschlecht (weiblich, männlich) und Elternschaft (Kind, kein Kind) kombiniert wurden. Die Teilnehmer:innen wurden gebeten Profile fiktiver Berater:innen durchzulesen und hinsichtlich Wärme, Kompetenz sowie beruflicher Wertschätzung oder Diskriminierung (Einstellung, Beförderung, Weiterbildung) zu bewerten. Die Teilnehmer:innen sahen ein Profil, bei dem entweder eine männliche oder weibliche beratende Person (Dan oder Kate) mit identischer Berufserfahrung und der aktuellen Tätigkeit beschrieben wurde. Außerdem wurde lediglich beim Vorliegen einer Elternschaft der Satz eingefügt, dass der:die Berater:in und seine:ihre Partner:in vor kurzem ihr erstes Baby bekommen haben. So gelang es den Autor:innen eine sehr niederschwellige, aber aussagekräftige Unterscheidung zu schaffen. An der Studie nahmen insgesamt 122 Studierende der Princeton Universität teil (72 Frauen, 50 Männer, zwei Drittel weiß).
Kompetenzverlust durch Muttersein
Berufstätige Mütter könnten dem SCM entsprechend auf einen von zwei möglichen Stereotypen reduziert werden: die „Nestbauerin“ – warm aber inkompetent, oder die „Karrierefrau“ – kompetent aber kühl. Die Studienergebnisse sind schmerzlich wenig überraschend: Wenn Frauen Mütter werden, tauschen sie einen Teil ihrer wahrgenommenen Kompetenz gegen Wärme ein. Für berufstätige Väter galt dies innerhalb der Studie allerdings nicht. Sie werden im selben Maße als kompetent wahrgenommen wie kinderlose Berufstätige und gewinnen sogar noch an wahrgenommener Wärme dazu – win win für die Papas also. Die Wahrnehmung auf der Wärme-Kompetenz-Skala fällt zu Ungunsten der berufstätigen Mütter aus. Es besteht weniger Interesse daran, Mütter einzustellen, zu befördern oder aus- bzw. weiterzubilden als kinderlose Arbeitnehmer:innen. Aber warum ist das so? Mithilfe des SCM haben wir bereits erfahren, wie Stereotype entstehen und was sie in uns auslösen. Die Theorie geht aber noch weiter und spricht Stereotypen die Vorhersage von Mustern diskriminierender Verhaltensintentionen zu, konkret: von aktiven Angriffen, über passiven sozialen Ausschluss bis hin zu Hilfe oder Kooperation. Wer als stark warm wahrgenommen wird, dem wird eher Hilfe angeboten und wird seltener Opfer aktiver Angriffe. Wer hingegen als stark kompetent wahrgenommen wird, der erntet Anerkennung und vermeidet so die soziale Exklusion. Frauen werden in dem SCM in gemischte Stereotyp-Cluster und eher zwiespältig eingeordnet. Entweder werden sie als kühle Wettbewerberinnen respektiert und beneidet (Karrierefrauen) oder sie werden gemocht aber wenig anerkannt (Hausfrauen). Es erscheint entsprechend der Logik des SCM schier unmöglich, dass Frauen auf beiden Dimensionen hoch eingeschätzt werden. Die Studie von Cuddy et al. (2004) zeigt, dass die Teilnehmenden lieber Beratende befördern, die als kompetent wahrgenommen werden. Der Anstieg an wahrgenommener Wärme bringt berufstätigen Müttern folglich keinen Vorteil im Berufsleben. Wenn Mütter nach der Geburt wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren, haben sie vermutlich an wahrgenommener Kompetenz verloren und werden zudem seltener am Arbeitsplatz gefördert. Dies lässt wiederum die Schlussfolgerung zu, dass die wahrgenommene Wärme als irrelevant zur Beurteilung der Arbeitsleistung angesehen wird. Für berufstätige Väter gilt das nicht. Die Autor:innen gehen davon aus, dass die stärker wahrgenommene Wärme bei Müttern schlichtweg die wahrgenommene Kompetenz überstrahlt.
Aktuelle Benachteiligung von Müttern am Arbeitsplatz
Das klingt alles ziemlich unfair, oder? Die Studie von Cuddy et al. stammt bereits aus dem Jahr 2004 und stützt sich auf ein scheinbar vereinfachtes Stereotypmodell. Trotzdem fühlt sich das Thema Diskriminierung von Müttern am Arbeitsplatz auch heute noch aktuell an. Auch wenn die Entwicklung hin zu mehr Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen stetig voranschreitet, sind viele Einstellungen zu Frauen noch immer geprägt von veralteten Vorurteilen im Job, wie eine Umfrage von 2018 zeigt (Initiative Chefsache, o.D.). Insbesondere berufstätige Mütter spüren die riesigen Hürden, die es zukünftig noch zu bewältigen gilt. Das SCM kann uns dabei helfen, unsere ambivalenten Gefühle zu verstehen und unsere Voreingenommenheit und Vorurteile bewusst abzubauen. Dieses Wissen könnte auch für Organisationen zur Gestaltung von Präventionsmaßnahmen, wie beispielsweise Trainings zur unbewussten Voreingenommenheit, hilfreich sein. Denn so kann sich die Art und Weise, wie wir unsere Mitmenschen einschätzen, nachhaltig verändern.
Die Veränderung beginnt also – wie so oft – im Kopf jedes Einzelnen.
Quellen
Cuddy, A. J. C., Fiske, S. T., & Glick, P. (2004). When professionals become mothers, warmth doesn’t cut the ice. Journal of Social Issues, 60(4), 701-718. https://doi.org/10.1111/j.0022-4537.2004.00381.x
Fiske, S. T., Cuddy, A. J., Glick, P., & Xu, J. (2002). A model of (often mixed) stereotype content: Competence and warmth respectively follow from perceived status and competition. Journal of Personality and Social Psychology, 82(6), 878-902. https://doi.org/10.1037/0022-3514.82.6.878
Initiative Chefsache (o.D). Repräsentative Umfrage: Vorurteile gegen Frauen im Job nehmen zu. https://initiative-chefsache.de/vorurteile-gegen-frauen-im-job-nehmen-zu/
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