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Wahrnehmungs-Spaziergang

Spazieren gehen als (einzige) Möglichkeit der sozialen Interaktion zu Zeiten eines Lockdowns

17.03. Wahrnehmungsspaziergang – Gedanken und Ideen im Voraus 

Der Spaziergang ist für viele Menschen zu einer der häufigsten oder vielleicht auch abwechslungsreichsten Tätigkeiten während der Zeit im Lockdown geworden. Auch bei mir ist es so – Sei es ein Spaziergang ganz alleine, nur mit meinen Gedanken oder mit Musik oder einem Podcast in den Ohren oder gemeinsam mit anderen Menschen. Besonders Menschen die ich derzeit nur mit Abstand treffen kann, treffe ich regelmäßig auf einen Spaziergang. Mittlerweile haben wir seit Beginn der Pandemie, jede Jahreszeit mindestens einmal durchlebt. Derzeit genieße ich es beim Spazieren gehen die Sonne im Gesicht zu spüren und das Gefühl zu haben, dass alle Menschen ein wenig glücklicher durch den Frühlingsanfang sind. Aber auch die das stundenlange Gehen im ersten Schnee diesen Winter, mit einem Thermo Becher mit heißem Tee und den kurzen Pausen, um gemeinsam einen Schneemensch zu bauen oder Schneeengel zu machen, waren für mich Momente die ein bisschen von der Schwere dieser Zeit genommen haben. 

Ich erinnere mich gerne daran, wie ich Ende September mit einer Freundin, zu der ich Jahre lang kein Kontakt hatte, bestimmt drei Stunden lang im Regen durchs Viertel und an der Weser entlang gelaufen bin. Auch wenn ich kein Mensch bin der schlechtes Wetter scheut, kann ich mit Sicherheit sagen, dass ich noch nie so viele “Schlecht-Wetter-Spaziergänge” gemacht habe, wie seit März 2020. 

Rückblickend, sind ein Großteil der schönen Erinnerungen oder kleinen Abenteuer, die ich seit dem Anfang des ersten Lockdowns erlebt habe, aus Spaziergängen mit anderen Menschen entstanden – Sofern ich meine WG als meinen Haushalt ein wenig außer Acht lasse. Aus der Erkenntnis, dass der Spaziergang eine große Rolle für das Aufrechterhalten von sozialen Kontakten während der Corona Pandemie spielt, ist die Idee entstanden sich damit ein wenig mehr zu befassen. Dies soll mit Hilfe eines Wahrnehmungsspaziergang geschehen. Auch wenn dieser voraussichtlich alleine stattfinden wird, kann ich mir dennoch vorstellen, dass es auf der einen Seite möglich sein wird wahrzunehmen, wie andere Menschen wirken. Vielleicht kann ich erkennen, ob sich Menschen gerade auf einen Spaziergang als Form der sozialen Interaktion treffen. Womöglich ergibt sich sogar die Möglichkeit sich mit Menschen über das Thema zu unterhalten? Und auf der anderen Seite möchte ich beobachten, wie das Spazieren unter diesen Umständen auf mich selber wirkt. Ist das Spazierengehen ein ausreichender Ausgleich zum ursprünglichen “Unterwegs-Sein”, wie um zum Beispiel Menschen zu treffen. 

03.04. Wahrnehmungsspaziergang – Gedanken währenddessen

Ich habe mich während meines Wahrnehmungsspaziergangs immer mal wieder auf eine Bank oder ähnliches gesetzt und mir die Zeit genommen ein paar Gedanken aufzuschreiben. Zunächst hatte ich die Idee ein Aufnahmegerät mitzunehmen, um die Gedanken sofort festzuhalten. Jedoch hatte ich die Befürchtung, dass so ein gerät in der Hand meinen Fokus in dem Moment ein wenig verschieben könnte, somit entschied ich mich für die Methode mit dem Notizbuch – Ich bin eh ein Mensch der seine Gedanken sehr gerne aufschreibt. Während meines Spaziergangs habe ich ein paar Bilder gemacht, welche ich in diesen Beitrag einbauen werde, um einen ganz kleinen Eindruck der Wahrnehmung meiner Augen zu teilen. Im Nachhinein fällt mir auf, dass auf den Bildern gar keine Menschen zu sehen sind, was vielleicht thematisch nicht ganz so gut passt.

Schon seit einigen Tagen warte ich auf gutes Wetter. In der Hoffnung dann mehr Menschen draußen sehen und begegnen zu können. Heute morgen war es sehr sonnig. Jetzt, wo ich Zeit habe und mich auf den Weg mit dem Fahrrad zum Bürgerpark gemacht habe, nicht mehr. Der Himmel sieht aus als würde es gleich regnen. Die Wolken scheinen immer dunkler zu werden. Dennoch laufen ein paar Menschen durch den Bürgerpark. Ich schließe mein Fahrrad bei den Fahrradständern neben dem einen alten Bunker ab und fange an zu laufen. 

Die Menschen die ich sehe sind mal zu zweit, mal allein. Mehr Menschen auf einmal sehe ich nicht, es sei denn es sind Kinder dabei. Auf einer Wiese spielen zwei Menschen so eine Art Tennis. Sie sehen aus wie Vater und Tochter. 

Ich nehme dieses Gewisse Gefühl in der Luft wahr. Dieses Gefühl oder diese Stimmung kurz bevor es regnet. Es wird alles irgendwie dunkler und die Vögel die zuvor noch sehr laut gewesen sind, werden ein wenig leiser. Durch die Blätter der großen Bäume rauscht der Wind. Zwei Menschen mit je einem Hund unterhalten sich. Sind Hunde vielleicht ein Weg zur sozialen Interaktion in so einer Zeit des “Social Distancing”. Das Gespräch dreht sich erst um die Hunde, dann scheint es sich zu öffnen und persönlicher zu werden. Dann sind die Menschen auch schon außer Hörweite. Ich frage mich, ob sich die Menschen kennen. Vielleicht treffen sie sich regelmäßig zufällig beim Hundespaziergang. So ist es zumindest, wenn ich mit dem Hund meiner Mutter oder meiner Mitbewohnerin Spazieren gehe. Du triffst irgendwie immer dieselben Menschen mit Hunden und hast als Hundebesitzer*Innen irgendwie immer so einen gewissen Draht zu einander. Ich frage mich schon seit meiner Kinder, wieso es so ein Ding ist, dass sich Hundebesitzer*Innen untereinander immer “Hallo” sagen, aber andere Menschen nicht begrüßt werden.

Auf einer Wiese an der ich vorbei gehe sind drei weiblich gelesene Menschen mit fünf Kindern. Auch Kinder sind derzeit irgendwie eine Möglichkeit soziale Kontakte zu pflegen oder? Ich habe das Gefühl bei Kindern werden häufig Ausnahmen gemacht, weil soziale Kontakte für Kinder in der Entwicklung so unglaublich wichtig sind. Profitieren davon nicht auch die Eltern?

Mir begegnen auch relativ viele Menschen die alleine Spazieren gehen. Ich wüsste gerne, ob die Menschen dies auch vor der Corona-Pandemie gemacht hätten. Frage jedoch keinen Menschen, weil eigentlich alle Kopfhörer tragen. Seit beginn des ersten Lockdowns gehe ich so viel mehr Spazieren. Eigentlich schon fast täglich. Auch so gut wie immer mit Kopfhörern, so fern ich alleine bin. Sehr gerne mit Musik. Irgendwie fühlt es sich gut an im Takt der Musik zu laufen. Musik beeinflusst sehr stark wie ich mich fühle. Aber jetzt gerade merke ich, dass mich Musik in den Ohren ziemlich von der Welt um mich herum abschneidet. Ich bin dann so in meiner eigenen “Bubble”. Wenn es mal keine Musik ist, höre ich Podcasts beim Spazieren. Warum gehe ich so selten ohne Kopfhörer spazieren? Die Geräusche um mich herum machen schon einen bedeutenden Unterschied in meiner Wahrnehmung. Sei es das Zwitschern der Vögel, die Autos auf einer Straße in der Ferne, das Lachen der Kinder auf der Wiese, die Gesprächsfetzen von Menschen die an mir vorbei gehen, das Rauschen des Windes in den Bäumen, das Quietschen eines vorbeifahrendes Fahrrads. 

Ich habe mich letztens mit einem blinden Menschen über die Wahrnehmung durch das Gehör unterhalten und war schwer beeindruckt von der Genauigkeit der Orientierung durchs Gehör und der Zuordnung von Geräuschen.

Zurück zum Thema – Spazieren gehen hilft mir in Momenten in denen mir alles zu viel wird und ich zu überschwemmt von Gefühlen oder Gedanken bin. Dies passiert durch Corona ganz gerne immer mal wieder. Wie ist das bei anderen? Sind die Menschen denen ich begegne gerade in Momenten in denen sie sehr überschwemmt sind von ihren Gefühlen? 

Würden sich die Menschen die zu zweit Spazieren gehen im Normalfall auf einen Kaffee in einem Cafe oder zum Mittagessen treffen? Ein Mensch scheint zu telefonieren.

Ich versuche mich daran zu erinnern wie der Bürgerpark vor Beginn der Pandemie aussah. Natürlich sind bei Sonne und gutem Wetter immer viele Menschen hier, aber auch bei so einem Wetter, wie es jetzt gerade ist? 

Mir laufen Menschen die zu dritt spazieren gehen entgegen. Irgendwie wirkt das schon fast verboten auf mich. Was es ja auch wäre, wenn die Menschen aus drei unterschiedlichen Haushalten kommen. Wenn ich jetzt eine Gruppe mit 4+ Menschen sehen würde, würde ich bestimmt einen verurteilenden Gedanken bekommen. Und das obwohl ich gerade gestern noch zu fünft draußen war und es einfach bloß mit meinen Mitbewohner*Innen war. 

Ich merke die ersten Regentropfen in meinem Gesicht. Tatsächlich um einiges später als ich diese eigentlich erwartet hätte. Mir ist ein wenig kalt und ich laufe wieder in Richtung meines Fahrrads. Leider habe ich heute keinen Thermobecher mit Kaffee oder Tee mitgenommen. Ich laufe noch an einem Spielplatz vorbei, welcher mich wieder zurück zu dem Gedanken führt, dass Menschen mit Kindern so eine Art “Entschuldigung” haben, andere Menschen zu treffen. Zwischenzeitlich so zu Beginn des ersten Lockdowns, waren Spielplätze glaube ich geschlossen oder es war verboten diese zu nutzen. Es kommt mir aber so vor als hätte sich diese Regelung nur sehr kurz gehalten. Das Treiben auf dem Spielplatz jetzt gerade sieht schon fast so aus, wie vor der Pandemie. Dem Wetter entsprechend sind es vielleicht sogar mehr Menschen als vorher, die sich jetzt gerade dort aufhalten. 

Ich frage mich, ob sich das Spazieren gehen, auch nach der Pandemie so beibehält. Haben wir jetzt alle erkannt wie schön es ist Spazieren zu gehen oder ist das nur eine Zwischenlösung, die wir alle wieder ganz schnell sein lassen, wenn wir uns auch wieder drinnen treffen können?

Dieser Spaziergang war für mich, wie ein Einstieg in die Forschung (die sich jedoch schon fast dem Ende neigt). Für zukünftige Feldforschung kann ich mir vorstellen von dem Punkt eines Wahrnehmungsspaziergang aus, Menschen die mir begegnen und auffallen näher kennenzulernen und anzusprechen. In Anbetracht der Pandemie haben wir uns entschlossen unser Interview lediglich online zu führen. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass es ein guter nächster Schritt nach einem Wahrnehmungsspaziergang wäre, Menschen direkt anzusprechen.

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