Mai 30 2019

Englischunterricht zwischen Selektion und Inklusion

Posted at 12:34 under Allgemein

Da ich als ehemalige Waldorfschülerin nie den Bruch zwischen dem Grundschulunterricht und jenem an weiterführenden Schulen erlebt habe, fällt es mir etwas schwer, meinen anfänglichen Englischunterricht vom weiterführenden Englischunterricht zu unterscheiden, da der eine nahtlos in den anderen überging.

Meine Schulklasse hatte ab dem ersten Schuljahr Englischunterricht, der noch sehr spielerisch gestaltet wurde und somit die funktionalen Aspekte, also das erste „Antasten“ an die Sprache in den Vordergrund stellte. Es wurde vor allem mit gemeinsamem Gesang und Aufsagen von Reimen gearbeitet, um den Klang und das „Sprachgefühl“ des Englischen kennen zu lernen. Oft wurde dies mit spielerischen und rhythmischen Elementen verbunden.

Ich erinnere mich, dass wir mit dem Buch „Polar Bear, Polar Bear, what do you hear?“ die ersten Tiernamen kennen lernten und dies gleich mit dem dazugehörigen Geräusch verknüpfen konnten.

Wie schon erwähnt fand der Einstieg in die Grammatik des Englischen als langsam aufbauender Anschluss an die funktionalen Aspekte statt. Ich würde sagen, dies fing langsam ab dem fünften Schuljahr an und steigerte sich dann immer mehr.

In meiner Erfahrung zeichnen sich gute SprachlehrerInnen meist durch ihre hohe Fehlertoleranz aus. Wer seine SchülerInnen ermutigt, zu sprechen und Fehler zu machen, legt die beste Basis für einen möglichst freien und selbstsicheren Umgang mit der jeweiligen Sprache. Ich erinnere mich auch, dass mein Interesse für die Sprache immer stark durch persönliche Erfahrungen der Lehrkraft, welche mit der Sprache zusammenhingen, gesteigert wurde. Mein erster Englischlehrer kam aus Australien und die ganze Klasse lauschte stets gespannt, wenn er – auf Deutsch sowie auf Englisch – von all den besonderen Tieren, die es dort gab, berichtete.

Um auf das Thema von Inklusion und den Umgang mit Heterogenität zurückzukommen, möchte ich beispielhaft das Verhalten eines Schülers in einer 4. Klasse – nennen wir ihn Felix – beleuchten.

Felix wurde bereits kurz nach seinem fünften Geburtstag eingeschult, da die Eltern – welche gerade aus Großbritannien nach Deutschland gezogen waren – ihr Kind zu früh angemeldet hatten, ohne zu wissen, dass man diese Anmeldung nicht zurückziehen kann. Felix war mit dem Ganzen von Anfang an stark überfordert, wie mir seine Klassenlehrerin erzählte. Dies ist absolut verständlich, wenn man bedenkt, dass er zum Zeitpunkt seiner Einschulung erst ein paar Monate im fremden Deutschland war. Während der ersten zwei Schuljahre sprach er kaum ein Wort und verweigerte die Teilnahme am Unterricht gänzlich.

Als ich Felix in meinem Praktikum kennen lernte, hatte er sich zwar in die Klassengemeinschaft eingefunden und verstand sich gut mit vielen von seinen MitschülerInnen, aber im Unterricht konnte er sich nie lange Konzentrieren und auch Wortmeldungen kamen kaum vor – alles andere war spannender als das, was der Lehrer/die Lehrerin erzählte. Dabei war Felix ein unglaublich schlaues Kind, was ich bemerkte, als ich in Einzelarbeitszeiten mit ihm zusammenarbeitete. Nicht nur die gestellten Aufgaben konnte er schnell lösen, sondern oft dachte er noch weiter und kam so auf Unterrichtsinhalte, die noch gar nicht behandelt worden waren. Ich fragte mich mehr als einmal, wieso auf das Potenzial von Felix nicht eingegangen wurde, bis ich selbst eine Unterrichtseinheit vor der Klasse hielt/gestaltete. Sein unruhiges, unkonzentriertes Verhalten war so prägnant, dass man froh war, wenn er einfach einmal für einen kurzen Moment still saß. So versuchte auch ich, dass Felix möglich ruhig blieb und man so dem Rest der Klasse ein ruhiges und konzentriertes Arbeiten ermöglichen konnte, ohne dass Felix ständig für eine neue Unruhe sorgte.

In diesem Bezug wären meine Fragen, wie es mir gelingen kann, solche SchülerInnen wie Felix zu fördern, ohne dass die anderen SchülerInnen oder ein ruhiges Klassenklima zerstört werden, als auch, wie ich den Eltern nahebringen kann, dass ihr Kind außerhalb der Schule noch Einzelförderung benötigt bzw. wie ich erkenne, ab wann dies nötig ist.

Literatur: Giesler, Dr. Tim: Ringvorlesung „Umgang mit Heterogenität“ – Englischunterricht zwischen Selektion und Inklusion

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