RV01: Umgang mit Heterogenität in der Schule
1)
Ein wichtiger Punkt ist, dass Heterogenität, also die Vielfalt unter Schüler:innen (z.B. Sprache, Herkunft, Fähigkeiten), nicht einfach ,,da ist“, sondern von der Gesellschaft gemacht wird. Das heißt: Wir entscheiden, was ,,normal“ ist und was ,,anders“ oder ,,besonders“ ist. Das nennt man soziale Konstruktion (vgl. Gomolla, 2009:22). In der Schule heißt das zum Beispiel: Wenn ein Kind kein Deutsch spricht, wird es oft nicht als bereichernd gesehen, sondern ,,Problemfall“. Gleichzeitig versucht die Schule oft, alle gleich zu behandeln, um es einfacher zu machen. Das nennt man Homogenisierung. Dazu gehören Dinge wie: Schüler:innen werden nach Leistung sortiert, oder es gibt extra Klassen für bestimmte Gruppen. Dies wird Komplexitätsreduktion genannt. Das heißt die Schule will mit weniger Unterschieden leichter arbeiten (vgl. Luhmann, 1975: 36).
2)
In meinem Praktikum in der Grundschule habe ich viele Situationen erlebt, in denen das Spannungsfeld zwischen Heterogenität und Homogenität deutlich wurde. Ein Beispiel war ein Kind mit türkischer Herkunft, das zu Hause hauptsächlich ihre eigene Sprache sprach. Sie war sehr motiviert, aber die Lehrkraft gab ihr oft nur sehr einfache Aufgaben, mit der Begründung, dass ihr Deutsch nicht „gut genug“ sei. Obwohl sie Inhalte verstand, wurde sie wegen ihrer Sprache unterschätzt. Hier zeigt sich, wie Unterschiede als ,,Defizit“ gesehen werden und wie die Schule manchmal versucht, durch Vereinfachung eine scheinbare Gleichheit herzustellen. Das passt zu dem, was Gomolla als soziale Konstruktion beschreibt (vgl. Gomolla, 2009:22).
Ein ähnliches Erlebnis hatte ich auch in einer anderen Klasse. In der Klasse gab es einen Jungen mir ADHS. Er war oft unruhig, stand auf und sprach dazwischen. Statt gemeinsam mir ihm nach Lösungen zu suchen, wurde er regelmäßig aus dem Klassenraum genommen, um ,,in Ruhe“ mit mir zu arbeiten. Die Lehrkraft wollte damit mehr Ruhe für anderen Kinder schaffen, also eine gewisse Homogenität im verhalten. Doch der Junge war dadurch vom sozialen Lernen ausgeschlossen und wollte immer nur mit mir alleine arbeiten, was langfristig eher schadet als nützt.
3)
Beobachten Sie eine Schulklasse im Unterricht über mehreren Stunden hinweg. Achten Sie dabei auf Situationen, in denen Heterogenität, also Unterschiede zwischen Schüler:innen (Sprache, Kultur, Leistungen, verhalten etc.) sichtbar wird der nicht beachtet wird.
Dabei sollte man darauf achten:
- Wie wird mit diesen Differenzen umgegangen? (werden sie als Ressource genutzt oder als Problem behandelt)
- Werden Strategien zur Homogenisierung vorgenommen?
Quellen:
. Gomolla, M. (2009): Heterogenität als soziale Konstruktion.
Luhmann, N. (1975): ,,Komplexitätsreduktion“ als gesellschaftliches Ordnungsprinzip.
Am 13. April 2025 um 17:57 Uhr
1. Der Beitrag erläutert überzeugend, dass Heterogenität im schulischen Kontext keine objektive Gegebenheit ist, sondern durch vorherrschende gesellschaftliche Prozesse/Abläufe sozial konstruiert wird (vgl. Gomolla, 2009). Ergänzend lässt sich auch Luhmanns aufkommendes Konzept der Komplexitätsreduktion, in diesem Zusammenhang, als relevant anführen: Um mit der Vielfalt innerhalb von Schulklassen umzugehen, greift das System Schule häufig auf vereinfachende Strukturen zurück, wie z. B. Leistungsgruppierung oder standardisierte Fördermaßnahmen (vgl. Luhmann, 1975, S. 36). Diese Maßnahmen schaffen zwar kurzfristig eine Ordnung, übersehen jedoch das individuelle Potenzial der Lernenden. Es wird also eine Differenzierung der verschiedensten Kinder übersehen oder auch bewusst missachtet. Alternative Konzepte, wie individualisierte Lernangebote oder adaptive Unterrichtsformen, könnten hier als pädagogisch wertvolle Ergänzungen diskutiert werden.
2. Während meines Praktikums in einer zweiten Klasse fiel mir ein Mädchen auf, das zu Hause als Erstsprache arabisch sprach, also eine DaZ-Schülerin war. In Bezug zu meinem Großfach Deutsch, in dem ich auch Sprachdidaktik als Modul habe, ist folgender Fall ein Paradebeispiel dafür, wie pädagogische Akteuer*innen nicht handeln sollten. Die Schülerin war im Unterricht sehr aufmerksam, stets um ihr bestes bemüht und konnte viele Aufgaben gut bewältigen. Die Lehrkraft jedoch gab ihr meist einfachere Arbeitsblätter, da sie sich auf Deutsch eher zurückhaltend äußerte. Hier wurde, wie im Beitrag beschrieben, ein sprachlicher Unterschied als „Problem“ behandelt, obwohl eigentlich eine Chance darin liegen könnte. Eine gute Alternative wäre es, der Schülerin die Wahl zu lassen, welches Arbeitsblatt sie sich selber zutrauen würde.
3. Die Ausführungen im Beitrag stehen in engem Zusammenhang mit den Inhalten der bisherigen Vorlesung. Besonders Gomollas Ansatz, dass Heterogenität immer im Verhältnis zu sozialen Normen wahrgenommen wird, macht deutlich, wie stark schulische Praxis an institutionelle Maßstäbe gebunden ist (vgl. Gomolla, 2009, S. 22). Was als „heterogen“ gilt, hängt davon ab, welche Einheitlichkeit als Maßstab gesetzt wird, z. B. in Bezug auf Sprache, Verhalten oder Leistung. Diese Perspektive ist zentral für das Modulthema „Umgang mit Heterogenität in der Schule“ und fordert dazu auf, schulische Normen auch kritisch in Hinblick dessen zu hinterfragen.
Quellen:
Gomolla, M. (2009). Heterogenität als soziale Konstruktion. In I. Dirim, B. Mecheril & P. Schneider (Hrsg.), Differenz und Heterogenität in der Erziehungswissenschaft (S. 21–38). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Luhmann, N. (1975). Komplexität und Demokratie. In: N. Luhmann (Hrsg.), Soziologische Aufklärung 2 (S. 30–45). Opladen: Westdeutscher Verlag
Am 15. April 2025 um 12:32 Uhr
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