Abschlussreflektion
Abschlussreflexion zur Ringvorlesung „Umgang mit Heterogenität in der Schule“
1. Zentrale Erkenntnisse
Die Ringvorlesung hat mir verdeutlicht, dass Heterogenität nicht als Problem, sondern als grundlegende Bedingung schulischen Lernens zu verstehen ist. Besonders zentral finde ich die Erkenntnis, dass Vielfalt im Klassenzimmer immer mehrdimensional gedacht werden muss – Geschlecht, Sprache, soziale Herkunft, individuelle Leistungsvoraussetzungen und persönliche Lebenserfahrungen stehen in einem komplexen Wechselspiel. Ansätze wie der Doing-Gender-Blick (vgl. Herwartz-Emden 2008) oder intersektionale Perspektiven (vgl. Walgenbach & Pfahl 2017) machen deutlich, dass Zuschreibungen im Unterricht nicht nur vorhanden sind, sondern auch aktiv (re-)produziert werden.
Ebenso wichtig erschien mir der Gedanke der inklusiven Didaktik: gemeinsame Lerngegenstände für alle, aber differenzierte Zugänge und Lernwege (vgl. Seitz 2020). So kann Unterricht sowohl an das Vorwissen der Kinder anknüpfen als auch neue Lernanlässe schaffen. Dabei spielt Sprache eine Schlüsselrolle. Inhalte und Sprachbildung sollten nicht getrennt, sondern konsequent miteinander verbunden werden, indem Begriffe eingebettet erschlossen und Gesprächsanlässe im Unterricht gezielt genutzt werden (vgl. Sterner et al. 2014).
Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt lag auf der Leistungsbeurteilung. Besonders eindrücklich fand ich die Auseinandersetzung mit Erwartungseffekten (vgl. Rosenthal & Jacobson 1968). Lehrkräfte prägen mit ihren Zuschreibungen, ob Kinder Zutrauen in ihre Fähigkeiten entwickeln oder Selbstzweifel aufbauen. Für meinen zukünftigen Beruf bedeutet dies, dass ich nicht nur das Ergebnis, sondern auch Lernprozesse und individuelle Fortschritte berücksichtigen möchte.
Schließlich wurde in vielen Sitzungen die Bedeutung von Beziehungsarbeit deutlich. Lehrkräfte tragen durch Empathie, Wertschätzung und Echtheit (vgl. Rogers in Nykl & Motschnig 2006) entscheidend dazu bei, dass Kinder Vertrauen entwickeln, sich zugehörig fühlen und Lernchancen wahrnehmen können.
2. Erfahrungen aus der Praxis
In meinen bisherigen Praktika habe ich erlebt, wie stark sich unterschiedliche Voraussetzungen im Unterricht zeigen. Besonders deutlich wurde das bei neuen Themen im Sachunterricht: Während einige Kinder über erstaunlich differenziertes Vorwissen verfügten, waren anderen grundlegende Begriffe kaum vertraut. Diese Spannweite stellte die Lehrkraft vor große Herausforderungen. Solche Erfahrungen bestätigen mir, wie wichtig es ist, Unterricht adaptiv zu gestalten und das Vorwissen aller Kinder aktiv zu erheben, anstatt es vorauszusetzen.
Auch sprachliche Heterogenität spielt eine große Rolle. Förderangebote habe ich teilweise als ausschließend erlebt, wenn Kinder für Sprachförderung aus dem regulären Unterricht herausgenommen wurden. Dadurch verpassten sie gemeinsame Lerngelegenheiten und fühlten sich oft abgehängt. Weitaus produktiver habe ich offene Settings empfunden, in denen Differenzierungsmaterial bereitstand und Kinder voneinander lernen konnten.
Zudem habe ich beobachtet, dass Geschlechterrollen in der Schule teils unbewusst gefestigt werden – sei es durch Sitzordnungen, Aufgabenverteilungen oder beiläufige Kommentare. Diese alltäglichen Praktiken machen mir bewusst, dass es als Lehrkraft notwendig ist, stereotype Zuschreibungen kritisch zu reflektieren und gezielt alternative Handlungsräume zu eröffnen.
3. Offene Fragen und Ausblick
Für meine zukünftige Tätigkeit bleiben insbesondere zwei Fragen offen:
- Wie lässt sich eine faire, heterogenitätssensible Leistungsbewertung im Alltag praktisch umsetzen, sodass individuelle Anstrengungen und Fortschritte sichtbar werden, ohne dass leistungsfremde Faktoren eine Rolle spielen?
- Wie kann Sprachbildung so selbstverständlich in alle Fächer integriert werden, dass Kinder nicht durch zusätzliche Fördermaßnahmen ausgegrenzt, sondern durch gemeinsame Lernprozesse unterstützt werden?
Abschließend nehme ich mit, dass Unterricht, der Heterogenität ernst nimmt, immer beziehungsorientiert, sprachsensibel und differenziert gestaltet sein muss. Er verlangt von Lehrkräften eine ständige Reflexion der eigenen Erwartungen und Handlungsroutinen. Vielfalt ist nicht nur Herausforderung, sondern zugleich die größte Ressource, die Schule bietet.
Literatur :
- Herwartz-Emden, L. (2008): Interkulturelle und geschlechtergerechte Pädagogik für Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren. Düsseldorf.
- Rosenthal, R., & Jacobson, L. (1968): Pygmalion in the classroom: Teacher expectation and pupils‘ intellectual development. Holt, Rinehart & Winston.
- Seitz, S. (2020): Dimensionen inklusiver Didaktik – Personalität, Sozialität und Komplexität. Zeitschrift für Inklusion, 2.
- Sterner, F.; Skolaude, D.; Ruberg, T.; Rothweiler, M. (2014): Versuch macht klug und gesprächig. Der Sprachbildungsansatz. Hamburg.
- Walgenbach, K., & Pfahl, L. (2017): Intersektionalität in Schule und Bildung. Klinkhardt.
- Nykl, L.; Motschnig, R. (2006): Der Personenzentrierte Ansatz nach Carl R. Rogers. Online verfügbar.