„Othering“ – Eine begegnungspädagogische Gefahr

Othering“ bezeichnet die Differenzierung einer eigenen Gruppe von anderen Gruppen und findet auch in der Schule statt. Die Abgrenzung der anderen Gruppen zeigt eine vermeintliche Verschiedenheit zwischen den Gruppen auf und führt dazu, dass SchülerInnen ausgeschlossen werden. Außerdem führt das Abgrenzen der anderen zu einer Aufwertung der eigenen Gruppe.

Aus eigener Erfahrung kann ich trivialste Beispiele nennen, wo solche Probleme didaktisch unterstützt werden.
Beispiel 1: Sportunterricht. Es steht Fußball auf dem Programm. Zuerst werden Teamcaptains ernannt, die sich ihre Mannschaften abwechselt zusammenwählen können. Selbstverständlich bleiben hier die SchülerInnen bis zum Schluss sitzen, die z.B. unsportlich sind, nicht gemocht werden oder keine Freunde haben. (1) Im Spiel werden dann wahrlich Gruppen gebildet: Die, die Fußball in ihrer Freizeit im Verein spielen und die, die des Fußballs nicht mächtig sind. Und so verläuft das Spiel auf dem Feld nur innerhalb der Gruppe, die tatsächlich Fußball spielen kann. Die anderen SchülerInnen werden schließlich so vom Spiel ausgeschlossen, dass der Ball höchstens mal aus Versehen in ihre Nähe kommt. (2)
In diesem Beispiel gibt es mindestens zwei Situationen, in denen der/die LehrerIn anders hätte handeln können, um einer solchen Gruppenbildung entgegenzuwirken. Problem (1) würde gelöst werden, indem der/die LehrerIn die Gruppen im Vorfeld gerecht einteilt. Schließlich sollte der/die LehrerIn die sportlichen Fähigkeiten der einzelnen SchülerInnen sehr gut einschätzen können. Das nächste Problem (2) lässt sich vermeiden, indem man die SchülerInnen in kleinere Mannschaften einteilt, sodass jeder zwangsläufig am Spiel teilnehmen muss. So kann man ganz gut ein Turnier veranstalten mit ungefähr gleichstarken Teams.

Beispiel 2: Religionsunterricht fand zumindest an meiner ehemaligen Schule so statt, dass Christen Religionsunterricht im herkömmlichen Sinne hatten und SchülerInnen, die anderen Religionen angehörten, getrennt unterrichtet wurden. Jenes Fach nannte sich „Werte und Normen“ und wurde auch von den SchülerInnen besucht, die keine Lust auf Religionsunterricht hatten oder gar Atheisten waren. Somit wurden die christlichen SchülerInnen zu einer Gruppe, die sich von den Anderen unterschied. Da man nicht zusammen unterrichtet wurde, tauschte man sich nie darüber aus, wie die anderen Religionen tatsächlich „ausgelebt“ werden und wie jene SchülerInnen und ihre Familien es tun. Somit wurden diese SchülerInnen in den Köpfen der Schüler als repräsentativ für die jeweilige Religion gehalten und sobald man etwas Neues über eine Religion im Unterricht lernte, verband man es mit den jeweiligen SchülerInnen – auch Negatives.
Lösen kann man ein solches Problem indem man erstmal den herkömmlichen christlichen und „gottgewandten“ Religionsunterricht vergisst. Der Religionsunterricht von Morgen sollte nämlich so aussehen, dass SchülerInnen unterschiedlicher Religionen und auch SchülerInnen ohne Religion gemeinsam unterrichtet werden und ein Dialog zwischen allen Beteiligten stattfindet. Die SchülerInnen sollten die Möglichkeit bekommen sich darüber auszutauschen, wie sie welche Religionen wahrnehmen und wie unterschiedliche SchülerInnen sie erleben. Der wichtigste Punkt im Hinblick auf den „neuen Religionsunterricht“ ist jedoch, dass den SchülerInnen gezeigt wird, wie man sich kritisch mit Religionen auseinandersetzt – auch mit der eigenen. Durch einen umstrukturierten Religionsunterricht würde das „Othering“ in Bezug auf Religionsgruppen vermieden und gleichzeitig ein vielseitigerer Einblick in die unterschiedlichen Glaubensrichtungen ermöglicht werden.

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Eine Antwort zu „Othering“ – Eine begegnungspädagogische Gefahr

  1. Hannah sagt:

    Hallo Nicole,

    Ich finde du hast hier zwei sehr passende Beispiele gewählt, die das Problem des Othering sehr gut darstellen. Die beiden Beispiele sind sehr realitätsnah, auch ich habe diese Probleme in meiner eigenen Schulzeit, sowie während Praktika erlebt.
    Die zweite Lösung, die du beim Beispiel Sportunterricht vorschlägst, finde ich sehr gut!
    Die erste würde ich allerdings noch erweitern. Ein ständiges Einteilen der Gruppen durch die Lehrkraft nimmt den SchülerInnen das Recht ihren Sportunterricht aktiv mitzugestalten und mitzubestimmen. Ich denke es ist wichtiger das Problem der klassischen Gruppenwahl anzusprechen und mit den Schülerinnen gemeinsam zu überlegen, wie dieses Problem gelöst werden kann.

    Deine Idee zum „neuen Religionsunterricht“ finde ich sehr gut. Zu meiner Schulzeit wurden wir sogar noch zwischen evangelisch und katholisch aufgeteilt.

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