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Kinder bringen bereits vor dem Schuleintritt unterschiedliche Zugänge zur Schrift mit. Ein Beispiel dafür ist Saschas „Sonne“-Puzzle (Weinhold 2025, Folie 3). Die Kinder erkennen Buchstaben wie „O“, „N“ oder „S“ und ordnen sie schließlich zum Wort „Sonne“. Schrift wird hier als Spiel und Bedeutungsträger erlebt. Während Sandra das Wortbild erkennt und die Buchstaben in die richtige Reihenfolge bringt, erwartet Anwar ein Bild und versteht zunächst nicht, dass Buchstaben ein Wort meinen können. Auch Jan-Carlos zeigt einen persönlichen Zugang zur Schrift: Er liest Teile seiner diktierten Geschichte über seinen Hund Pascal selbst („Wo ist Pascal“) und erlebt Schrift als Möglichkeit, Persönliches festzuhalten (Weinhold 2025, Folie 4).

Der Begriff der elementaren Schriftkultur beschreibt die ersten Begegnungen von Kindern mit Schrift, bei denen Schrift subjektiv bedeutsam, funktional und in soziale Kontexte eingebettet ist (Weinhold 2025, Folie 12). Kinder erfahren Schrift zum Beispiel durch das Erkennen von Straßenschildern oder das Beobachten von Einkaufszetteln im Alltag. Die elementare Schriftkultur unterscheidet sich von der Kulturtechnik, die auf den Erwerb von Fertigkeiten, Regeln und das systematische Durchschauen des Schriftsystems abzielt (Weinhold 2025, Folien 14–15). Zugänge zur elementaren Schriftkultur können durch diktierendes Schreiben (Kinder erzählen, Erwachsene schreiben auf), durch regelmäßiges Vorlesen und Erzählen oder durch das Verfassen eigener Texte zu Bilderbuch- oder Medienfiguren geschaffen werden (Weinhold 2025, Folien 19–20).

Die IGLU-Studie 2022 zeigt eine zunehmende Leistungsheterogenität im Lesen. Ein Grund dafür ist, dass viele Kinder keinen persönlich bedeutsamen Zugang zur Schrift finden, weil ihnen dieser Zugang im Elternhaus oder sozialen Umfeld fehlt (Schüler 2021: 16; Weinhold 2025, Folie 18). Der schulische Unterricht schafft es bislang nicht ausreichend, diese Lücke zu schließen. Der Leseunterricht müsste daher stärker die Bedeutung und den Sinn von Schrift in den Mittelpunkt stellen, etwa durch mehr Vorlesen, eigene Geschichten der Kinder oder alltagsnahe, differenzierte Angebote, die an die Lebenswelt der Kinder anknüpfen (Weinhold 2025, Folie 27).

Quellen:
Weinhold, S. (2025): Ringvorlesung Umgang mit Heterogenität in der Schule. Elementare Schriftkultur.
Schüler, L. (2021): Elementare Schriftkultur in heterogenen Lernkontexten. Zugänge zu Schrift und Schriftlichkeit. Seelze: Klett/Kallmeyer.
Dehn, M. / Hüttis-Graff, P. (2000): Zeit für die Schrift II. Beobachtung und Diagnose. Berlin.

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