Autor: Luca

  • Abschlussreflexion

    1.Einleitung

    Die Auseinandersetzung mit Heterogenität gehört heute zu den zentralen Herausforderungen schulischer Bildung. Gesellschaftliche Vielfalt prägt längst den Alltag in Klassenzimmern, sei es durch sprachliche, kulturelle, sozioökonomische oder leistungsbezogene Unterschiede. In diesem Spannungsfeld bewegt sich schulisches Handeln immer zwischen Anspruch und Realität: Während inklusive, chancengerechte Bildung politisch und normativ gefordert wird, zeigen sich im Schulalltag oft strukturelle Hürden und begrenzte Ressourcen.

    Die Ringvorlesung „Umgang mit Heterogenität in der Schule“ bot in diesem Zusammenhang einen umfassenden Überblick über theoretische Grundlagen, pädagogische Konzepte, fachdidaktische Perspektiven und empirische Forschungsergebnisse zum Thema. Besonders eindrücklich war für mich, wie systematisch Heterogenität in Schule nicht nur wahrgenommen, sondern auch hergestellt wird, etwa durch Leistungsbewertungen, Sprache oder Schulstruktur.

    Zu Beginn der Veranstaltung war mein Interesse vor allem auf konkrete Handlungsstrategien gerichtet: Wie kann ich als angehende Lehrkraft mit Unterschiedlichkeit konstruktiv umgehen? Im Laufe der Vorlesung hat sich mein Fokus erweitert. Heute sehe ich deutlich stärker die Bedeutung struktureller Rahmenbedingungen, institutioneller Routinen und der eigenen professionellen Haltung. In dieser Reflexion möchte ich zentrale theoretische Erkenntnisse aus der Ringvorlesung benennen, ihre Relevanz für meine Fächer diskutieren und auf Basis meiner bisherigen Praxiserfahrungen kritisch beleuchten, welche Formen des Umgangs mit Heterogenität im Schulalltag tatsächlich wirksam oder eben auch problematisch sind.

    2.Zentrale theoretische Erkenntnisse aus der Ringvorlesung

    2.1Heterogenität als soziale Konstruktion und die Rolle von Schule

    Ein zentrales theoretisches Konzept, das mir aus der Ringvorlesung besonders in Erinnerung geblieben ist, ist die Auffassung von Heterogenität als soziale Konstruktion. Dieser Perspektivwechsel, weg von einer vermeintlich „objektiven“ Verschiedenheit hin zu einer gesellschaftlich und institutionell hergestellten Differenz, hat mein Verständnis schulischer Praxis nachhaltig beeinflusst. Wie Gomolla (2009, S. 22) beschreibt, entstehen Kategorien wie „leistungsschwach“, „förderbedürftig“ oder „sprachlich defizitär“ nicht allein aus diagnostischen Verfahren, sondern häufig auch aus schulischen Routinen, Normalitätserwartungen und normierenden Blicken. Das bedeutet: Heterogenität wird nicht nur beobachtet, sondern durch Zuschreibungen auch aktiv produziert.

    Besonders aufschlussreich war in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit der sogenannten „Homogenisierungstendenz“ des Schulsystems. Trotz politischer Bekenntnisse zur Inklusion oder individuellen Förderung zeigen sich im Schulalltag vielfach Praktiken, die auf Vereinheitlichung abzielen, etwa durch standardisierte Leistungsanforderungen, normierte Sprachverwendung oder Vergleichsmaßstäbe, die sich am „Durchschnittsschüler“ orientieren. Dadurch wird schulische Diversität oft nicht als pädagogische Ressource, sondern als „Problem“ betrachtet, das es zu kompensieren gilt.

    In meinen beiden studierten Fächern – Deutsch und Sachunterricht, hat diese Erkenntnis weitreichende Konsequenzen. Im Deutschunterricht zeigt sich die Tendenz zur Homogenisierung etwa in der Orientierung an „bildungsnaher“ Lesesozialisation: Wer schon zu Hause mit Kinderliteratur, Erzählmustern und Sprachbildern vertraut ist, hat deutlich bessere Startbedingungen. Eine reflexive Deutschdidaktik muss sich deshalb der Frage stellen, wie literarisches Lernen auch für Kinder anschlussfähig wird, die mit anderen sprachlich-kulturellen Ressourcen in die Schule kommen, etwa durch mehrsprachige Angebote, alternative Textsorten oder Erzählformate (vgl. Fürstenau, 2011, S.44).

    Auch im Sachunterricht zeigt sich, dass nicht das Vorwissen an sich problematisch ist, sondern die Bewertung desselben. Während Erfahrungen aus bildungsnahen Kontexten (z. B. Museumsbesuche, Fachbegriffe) als „relevant“ gelten, werden andere lebensweltliche Bezüge häufig übersehen oder abgewertet. Eine didaktisch wertschätzende Haltung bedeutet hier, Wissen nicht von seiner Nähe zur Schulsprache abhängig zu machen, sondern im Sinne einer Vielperspektivität (vgl. GDSU, 2013, S.36) unterschiedliche Deutungsmuster und Erklärungsweisen ernst zu nehmen.

    Diese Perspektive auf Heterogenität als konstruiertes Phänomen fordert von Lehrkräften eine kritische Selbstreflexion: Wo spreche ich Kindern Fähigkeiten ab, weil sie nicht in mein schulisches Raster passen? Wo setze ich implizit Normalitätsstandards, die bestimmte Gruppen systematisch benachteiligen? Die Ringvorlesung hat mir geholfen, solche Fragen bewusster in meine eigene Praxis zu integrieren.

    2.2Sprachliche Bildung als Querschnittsaufgabe

    Sprache ist weit mehr als ein Kommunikationsmittel, sie ist der Schlüssel zu Bildung, Teilhabe und fachlichem Lernen. Besonders eindrücklich fand ich den Hinweis darauf, dass Sprache in der Schule nicht nur vermittelt, sondern auch verlangt wird, oft, ohne dass dies explizit gemacht wird (vgl. Gogolin, 1994, S.56). Der schulische Sprachgebrauch, insbesondere die sogenannte Bildungssprache, stellt für viele Kinder eine Hürde dar, insbesondere für jene mit mehrsprachigem Hintergrund oder aus bildungsbenachteiligten Familien. Die Förderung sprachlicher Kompetenzen muss daher als fächerübergreifende Aufgabe verstanden werden (vgl. Fürstenau, 2011, S.44).

    In der Vorlesung wurde deutlich: Sprachbildung darf nicht nur im Deutschunterricht stattfinden, sondern muss in allen Fächern mitgedacht werden, auch und gerade in solchen, die auf den ersten Blick wenig sprachlich erscheinen, wie Mathematik oder Sachunterricht. Dies entspricht auch dem Konzept der „durchgängigen Sprachbildung“, das davon ausgeht, dass alle Lehrkräfte auch Sprachförderkräfte sind.

    Für meine beiden Fächer bedeutet das konkret Folgendes:
    Im Deutschunterricht liegt der Fokus traditionell auf dem Erwerb sprachlicher Kompetenzen. Doch auch hier ist es entscheidend, zwischen Alltags- und Bildungssprache zu unterscheiden. Besonders beim Schreiben von Texten oder dem Interpretieren literarischer Werke zeigt sich, dass viele Kinder zwar über ein hohes mündliches Ausdrucksvermögen verfügen, aber Schwierigkeiten haben, formalisierte Sprachmuster zu erkennen oder anzuwenden. Hier helfen sprachsensible Methoden wie Scaffolding, Wortspeicher oder das gezielte Einführen von Satzstrukturen.

    Im Sachunterricht wiederum ist der sprachliche Anspruch oft unterschätzt – obwohl hier zahlreiche Fachbegriffe, Beschreibungen von Beobachtungen und komplexe Darstellungsformen (z. B. Diagramme, Modelle) eine Rolle spielen. Kinder müssen lernen, nicht nur mit Gegenständen zu hantieren, sondern auch zu benennen, zu vergleichen und zu begründen. Sprachliche Hilfen sind dabei unverzichtbar. Die Erkenntnis, dass Sprache auch Denken organisiert, hat mir geholfen, sprachliche Anforderungen bewusster zu reflektieren, nicht als Nebenschauplatz, sondern als integralen Bestandteil fachlichen Lernens.

    Besonders relevant war für mich die Einsicht, dass sprachliche Förderung auch etwas mit Haltung zu tun hat: Wer Kindern sprachlich nichts zutraut, traut ihnen auch inhaltlich wenig zu. Umgekehrt kann die gezielte Arbeit an Sprache dazu beitragen, fachliche Inhalte zugänglicher zu machen und Bildungschancen gerechter zu verteilen.

    2.3Inklusive Leistungsbewertung

    Die Diskussion um leistungsbezogene Heterogenität hat mir verdeutlicht, dass Leistungsbewertung kein rein technischer Akt ist, sondern immer auch Ausdruck einer bestimmten pädagogischen Haltung. Besonders eindrucksvoll war für mich der Hinweis darauf, dass schulische Bewertungen nicht nur individuelle Leistungen widerspiegeln, sondern auch soziale Positionierungen stabilisieren können (Budde, 2019, S.11-15). Wer etwa sprachlich nicht so sicher ist oder aus einem bildungsfernen Elternhaus stammt, hat oft auch geringere Chancen, positiv bewertet zu werden, selbst bei vergleichbarem fachlichen Können.

    In der Theorie unterscheidet Wenning (2007) drei Bewertungsmaßstäbe: die Sozialnorm, die Kriterialnorm und die Individualnorm. Besonders die Individualnorm, also die Bewertung individueller Lernfortschritte, erscheint mir im inklusiven Kontext zentral, wird aber im Schulalltag nach wie vor zu selten systematisch umgesetzt. Stattdessen dominiert die Orientierung an einem klasseninternen Leistungsdurchschnitt, was zwangsläufig zu struktureller Benachteiligung jener führt, die mit weniger Startvoraussetzungen ins System kommen.

    Diese Erkenntnis knüpft für mich direkt an eigene Erfahrungen aus dem Praktikum an. Dort erlebte ich eine Lehrkraft, die versuchte, über Portfolios und Lerntagebücher individuelle Entwicklungsschritte sichtbar zu machen, was besonders bei leistungsschwächeren Schüler*innen zu mehr Motivation und Stolz auf das eigene Lernen führte. Gleichzeitig war sie im Rahmen der offiziellen Notengebung dazu gezwungen, die Leistungen am Klassenmaßstab zu messen, auch wenn das im Widerspruch zu ihrer pädagogischen Intention stand. Dieser Zielkonflikt zwischen individueller Förderung und institutionellen Bewertungsanforderungen erscheint mir in der schulischen Praxis besonders herausfordernd.

    Für meine Fächer bedeutet das: Im Deutschunterricht könnten alternative Formen wie Schreibentwicklungsportfolios oder mündliche Reflexionsgespräche eine größere Rolle spielen, um individuelle Fortschritte sichtbar zu machen, auch jenseits von Grammatiktests oder Diktatnoten. Im Sachunterricht bietet sich projektorientiertes Arbeiten an, das Raum für differenzierte Leistungserfassung eröffnet, etwa durch Beobachtungsbögen, Lerndokumentationen oder Schülerpräsentationen. Damit Leistungsbewertung im inklusiven Sinn funktioniert, braucht es aber mehr als Methoden: Es braucht eine grundlegende Bereitschaft, Lernen über Leistung zu stellen, und Noten nicht als Endpunkt, sondern als pädagogisches Werkzeug zu verstehen.

    3. Erkenntnisse zur Beziehungsarbeit im Schulalltag

    Neben inhaltlichen und didaktischen Aspekten hat mich in der Ringvorlesung besonders die Bedeutung von Beziehungsarbeit im schulischen Kontext beschäftigt. Schnell wurde deutlich: Bildung ist nicht nur ein kognitiver, sondern immer auch ein sozialer Prozess. Lehrkräfte sind nicht nur Wissensvermittelnde, sondern vor allem auch Beziehungspersonen. Diese Erkenntnis klingt einfach, ist aber für die Praxis von großer Tragweite, insbesondere in heterogenen Lerngruppen.

    Prengel (2003) beschreibt in ihrem Konzept der „Pädagogik der Vielfalt“ Beziehung als zentralen Gelingensfaktor für inklusives Lernen. Sie fordert einen „respektvollen Umgang mit Differenz“ und eine symmetrische Responsivität, die die Individualität von Schüler*innen ernst nimmt, ohne sie auf ihre Differenz zu reduzieren. In diesem Sinne ist Beziehungsarbeit nicht beliebig, sondern professionell gestaltet: Sie setzt Vertrauen, Kontinuität und eine hohe reflexive Kompetenz voraus. Besonders in von Ausgrenzung bedrohten Schülergruppen – etwa bei Kindern mit Lernschwierigkeiten, mit Fluchterfahrung oder aus armutsbetroffenen Familien, ist eine tragfähige Beziehung zur Lehrkraft häufig entscheidend für schulische Teilhabe.

    In meinen eigenen Praktika konnte ich sowohl gelungene als auch weniger gelungene Beispiele beobachten. Besonders positiv in Erinnerung geblieben ist mir eine Klassenlehrerin, die jedem Kind beim morgendlichen Ankommen kurz persönlich begegnete, sei es durch ein Gespräch, eine Geste oder ein Blick. Gerade ruhigere oder unsichere Kinder schienen davon enorm zu profitieren. Sie trauten sich mehr, beteiligten sich häufiger und suchten aktiv Rückmeldung. Gleichzeitig zeigte sich aber auch, wie leicht Beziehung unabsichtlich selektiv wird: Schüler*innen, die als besonders leistungsstark oder kommunikativ wahrgenommen wurden, bekamen mehr Aufmerksamkeit, während andere im Hintergrund blieben. Hier hat mich die Vorlesung für die unbewussten Dynamiken von Anerkennung und Ausschluss sensibilisiert.

    Diese Erkenntnisse möchte ich besonders in meine zukünftige Arbeit mitnehmen: Beziehung ist kein „weiches Thema“, sondern die Grundlage dafür, dass Lernen überhaupt stattfinden kann. Gerade in heterogenen Klassen entscheidet sich viel auf der Beziehungsebene – ob Schüler*innen sich gesehen fühlen, ob sie sich Fehler zutrauen, ob sie Vertrauen entwickeln. Professionelle Beziehungsarbeit bedeutet für mich: Kinder ernst nehmen, ohne sie zu etikettieren, und aufmerksam dafür zu bleiben, wer mitgemeint ist und wer vielleicht übersehen wird.

    4. Reflexion eigener Praxiserfahrungen im Licht der Vorlesungsinhalte

    4.1Gelungene Beispiele

    Rückblickend auf meine bisherigen Praxiserfahrungen ist mir besonders deutlich geworden, wie wirkungsvoll ein bewusster, wertschätzender Umgang mit Heterogenität im Schulalltag sein kann, wenn er konzeptionell verankert und von einer inklusiven Haltung getragen ist. Ein Beispiel, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist, stammt aus einem Praktikum an einer Grundschule mit hoher sprachlicher und kultureller Vielfalt. Die Klassenlehrerin arbeitete systematisch mit sprachsensiblen Methoden: Sie nutzte Wortspeicher an der Tafel, führte Satzanfänge ein und ließ die Kinder häufig in Partnerarbeit Begriffe mündlich üben, bevor sie schriftlich arbeiten sollten. So wurden sprachliche Barrieren nicht als Defizit behandelt, sondern als gemeinsame Lernherausforderung.

    Diese Praxis lässt sich gut mit dem Konzept der durchgängigen Sprachbildung verbinden, das u. a. von Fürstenau (2011) beschrieben wird. Sprache wurde hier nicht als Fachthema des Deutschunterrichts begriffen, sondern als Lernvoraussetzung in allen Fächern. Die Lehrkraft ermöglichte dadurch eine Teilhabe an fachlichen Inhalten, auch für Kinder, die sich schriftlich zunächst noch unsicher ausdrückten.

    Ein weiteres positives Beispiel betrifft die Leistungsbewertung. In einer dritten Klasse wurde im Rahmen eines Projekts zur „gesunden Ernährung“ auf verschiedene Präsentationsformate gesetzt: Einige Kinder gestalteten Plakate, andere führten kleine Experimente vor, wieder andere trugen Texte vor oder bastelten ein Modell. Bewertet wurden nicht nur die Ergebnisse, sondern auch der individuelle Lernprozess, dokumentiert in einem Lerntagebuch. Diese Form der individualisierten Leistungsbewertung entsprach dem, was Wenning (2007) als Individualnorm bezeichnet: Die Bewertung wurde an der persönlichen Entwicklung und am individuellen Fortschritt orientiert, nicht am Vergleich mit der Klassennorm.

    Aus Sicht der inklusiven Pädagogik war dies ein gelungenes Beispiel für adaptive Unterrichtsgestaltung. Lernwege wurden geöffnet, Wahlmöglichkeiten zugelassen und die Vielfalt der Lerngruppen produktiv genutzt. Diese Erfahrungen haben mir gezeigt: Differenzierung muss nicht immer eine organisatorische Zusatzbelastung bedeuten – sie kann auch Ausdruck einer grundsätzlichen pädagogischen Haltung sein, die auf Vielfalt vorbereitet ist.

    Was diese Beispiele verbindet, ist die Haltung der Lehrkräfte: Sie nahmen Heterogenität nicht nur hin, sondern gestalteten Unterricht von Anfang an so, dass möglichst viele Kinder sich angesprochen und einbezogen fühlten. Für mich sind solche Ansätze wegweisend für ein inklusives Schulverständnis, das nicht „ausgleicht“, sondern ermöglicht.

    4.2Weniger gelungene Beispiele

    Neben gelungenen Ansätzen habe ich im Verlauf meiner Praktika auch zahlreiche Situationen erlebt, in denen der Umgang mit Heterogenität im Schulalltag nicht ausreichend berücksichtigt wurde, teils aus strukturellen, teils aus haltungsbezogenen Gründen. Besonders deutlich wurde dies im Bereich der Leistungsbewertung. In einer vierten Klasse wurden regelmäßig Diktate geschrieben, deren Bewertung sich ausschließlich an der Zahl der Fehler orientierte. Kinder mit Deutsch als Zweitsprache schnitten hier durchweg schlechter ab, obwohl sie sich sprachlich verbessert hatten und in anderen Bereichen sehr engagiert waren. Der Bewertungsmaßstab orientierte sich ausschließlich an einer Sozialnorm, ohne sprachliche Voraussetzungen oder individuelle Lernverläufe zu berücksichtigen (vgl. Wenning, 2007, S. 369). Eine reflexive, inklusive Leistungsbewertung, wie sie z. B. Budde (2019) fordert, war hier nicht erkennbar. Die Folge war eine spürbare Demotivation bei einigen Kindern, deren tatsächliche Fortschritte unsichtbar blieben.

    Ein weiteres Beispiel betrifft den Umgang mit sprachlicher Vielfalt. In einer Unterrichtseinheit zum Thema „Wasser“ im Sachunterricht wurden ausschließlich deutschsprachige Arbeitsblätter eingesetzt, die fachsprachlich recht anspruchsvoll waren. Zwar wurde der Text gemeinsam gelesen, jedoch ohne begleitende Visualisierungen oder Worterklärungen. Ein Kind mit geringen Deutschkenntnissen wirkte während der gesamten Stunde verunsichert, beteiligte sich nicht und wurde schließlich von der Lehrkraft mit der Bemerkung „Lies dir das einfach noch mal in Ruhe durch“ allein gelassen. Hier fehlten aus meiner Sicht grundlegende Elemente einer sprachsensiblen Fachdidaktik (vgl. Leisen, 2010, S. 26–29), die gerade im Sachunterricht elementar ist. Die Fachsprache blieb unzugänglich. und damit auch der Inhalt.

    Beide Beispiele zeigen, dass schulischer Umgang mit Heterogenität nicht allein von der Haltung einzelner Lehrkräfte abhängt, sondern auch strukturell verankert sein muss. Es braucht Verfahren, Materialien und Schulkonzepte, die Vielfalt antizipieren, nicht erst, wenn sie „auffällt“. Die Ringvorlesung hat mir geholfen, solche Situationen systematischer zu analysieren und nicht als „Einzelfälle“ abzutun. Konzepte wie adaptive Unterrichtsgestaltung (Weinert, 1997, S.50-52) oder reflexive Koedukation (Faulstich-Wieland, 2019, S.89) bieten hier hilfreiche theoretische Bezugspunkte, um sowohl strukturelle Barrieren als auch pädagogisches Handeln differenzierter zu hinterfragen.

    Zudem wurde mir bewusst, wie leicht pädagogische Maßnahmen, selbst gut gemeinte, zur Reproduktion von Ungleichheiten führen können, wenn sie nicht kontextsensibel gestaltet sind. Die Einsicht, dass Schule auch Teil des Problems sein kann, war unbequem, aber notwendig.

    5. Offene Fragen und Ausblick

    5.1Wunsch nach vertiefter Auseinandersetzung

    Eine Fragestellung, die ich im weiteren Verlauf meines Studiums unbedingt vertiefen möchte, betrifft die Rolle institutioneller Diskriminierung und rassistischer Strukturen im schulischen Alltag. Zwar wurde diese Thematik in der Ringvorlesung angerissen, etwa im Zusammenhang mit sprachlicher Homogenisierung, Selektionsmechanismen und der Konstruktion von „Förderbedarfen“ ,, jedoch wünsche ich mir eine umfassendere Auseinandersetzung mit rassismuskritischen und postmigrantischen Perspektiven auf Schule und Unterricht.

    Mich beschäftigt dabei insbesondere die Frage: Wie genau wirken sich institutionelle Routinen, Bewertungsverfahren und schulische Erwartungen auf die Benachteiligung bestimmter Schülerinnengruppen aus, etwa von Kindern mit Migrationsgeschichte, mehrfacher Marginalisierung oder bestimmten Namen?* Studien wie die von Gomolla und Radtke (2009) zeigen, dass Diskriminierung nicht immer in offen ablehnender Haltung, sondern häufig in scheinbar „neutralen“ Verfahren steckt, etwa bei der Schulformempfehlung, der Leistungsbewertung oder der Zusammensetzung von Lerngruppen. Diese Prozesse verlaufen oft unbewusst und wirken gerade deshalb so wirkmächtig.

    Auch im Praxisalltag habe ich erste Erfahrungen gemacht, die mich für diese Problematik sensibilisiert haben. In einer Unterrichtsstunde, in der es um Berufe ging, wurde der Beitrag eines Schülers mit sichtbar muslimischem Hintergrund mit der Bemerkung kommentiert, er könne „ja auch Handwerker werden, wenn das mit dem Lesen nicht so klappt“. Obwohl der Kommentar vermutlich nicht abwertend gemeint war, machte er die Verbindung zwischen Herkunft und Bildungsambitionen deutlich, ein Beispiel für subtil wirkende Zuschreibungen, die das Selbstbild von Kindern langfristig prägen können.

    Ich wünsche mir im weiteren Studium die Gelegenheit, rassismuskritische Ansätze systematischer kennenzulernen, auch über die Perspektive der Intersektionalität hinaus. Wichtig erscheint mir, dass zukünftige Lehrkräfte lernen, sich mit ihrer eigenen Positionierung im System auseinanderzusetzen. Denn wie Mecheril (2018) betont: Rassismus beginnt nicht erst beim offenen Ausschluss, sondern schon bei der Frage, wer als „normal“ gilt, und wer nicht.

    5.2Weiterentwicklung von Sprachförderkonzepten im Fachunterricht

    Ein weiterer Aspekt, zu dem ich mir eine vertiefte Auseinandersetzung im weiteren Studium wünsche, betrifft die Rolle sprachlicher Bildung im Fachunterricht, insbesondere in Bezug auf Kinder mit Deutsch als Zweitsprache. Die Ringvorlesung hat deutlich gemacht, dass Sprache nicht nur Lernvoraussetzung, sondern auch Lerngegenstand ist, und dass Fachlernen immer auch sprachliches Lernen bedeutet (vgl. Leisen, 2010, S. 26–29). Gleichzeitig blieb für mich offen, wie diese Einsicht konkret und systematisch im Schulalltag umgesetzt werden kann, ohne dass daraus eine zusätzliche Belastung für Lernende und Lehrende entsteht.

    In meinen Praktika habe ich wiederholt erlebt, dass Kinder fachlich durchaus interessiert und kompetent waren, aber durch sprachlich anspruchsvolle Aufgabenstellungen ausgebremst wurden. Begriffe wie „recherchieren“, „beobachten“, „Hypothese“ oder „auswerten“ stellen für viele Kinder eine doppelte Herausforderung dar: Sie müssen einerseits das Konzept verstehen, andererseits die Sprache dafür erwerben. Die Lehrkräfte reagierten oft mit Vereinfachung, was kurzfristig hilfreich sein kann, langfristig aber den Zugang zur Bildungssprache erschwert (vgl. Gogolin, 2009, S. 64).

    Mich beschäftigt deshalb die Frage: Wie lässt sich sprachliche Förderung im Fachunterricht so gestalten, dass sie sprachliche Teilhabe ermöglicht, ohne die kognitiven Anforderungen des Faches zu senken? Welche Methoden, Materialien und Unterstützungsformen sind hier besonders wirksam? Und wie kann es gelingen, dass sich alle Lehrkräfte, nicht nur Deutschlehrkräfte, für Sprache als Querschnittsaufgabe verantwortlich fühlen?

    Ein lohnender Schwerpunkt wäre für mich auch die Untersuchung sogenannter „Scaffolding“-Verfahren, also das sprachliche Unterstützen von Denkprozessen durch sprachliche Gerüste und gestufte Hilfen. Hier sehe ich ein großes Potenzial für die Verbindung von sprachlicher Förderung und fachlichem Lernen, etwa im Sachunterricht oder in Mathematik.

    Die Ringvorlesung hat mich dafür sensibilisiert, dass sprachliche Heterogenität ein zentrales Gerechtigkeitsthema ist, und dass Bildungssprache der Schlüssel zu schulischem Erfolg ist. Gleichzeitig wurde mir bewusst, wie komplex die Umsetzung dieser Einsicht in den Unterrichtsalltag ist. Für meine weitere Ausbildung wünsche ich mir deshalb praxisnahe Konzepte, um diese Herausforderung professionell zu meistern.

    5.3Was habe ich vermisst?

    Ein Themenfeld, das in der Ringvorlesung aus meiner Sicht zu wenig behandelt wurde, ist der Zusammenhang zwischen emotionaler Entwicklung, psychischer Gesundheit und schulischer Heterogenität. Gerade vor dem Hintergrund wachsender gesellschaftlicher Belastungen, steigendem Leistungsdruck sowie familiärer und sozialer Herausforderungen erscheinen mir diese Aspekte für die pädagogische Praxis hoch relevant.

    In der Schule begegnen uns zunehmend Kinder, die mit emotionalen Unsicherheiten, Ängsten, Konzentrationsproblemen oder Verhaltensauffälligkeiten reagieren, oft in Folge traumatischer Erfahrungen, schwieriger familiärer Verhältnisse oder chronischer Überforderung. Diese Formen emotionaler Heterogenität sind im Unterricht nicht immer leicht zu erkennen und geraten im Fokus auf Leistung oder Sprache oft in den Hintergrund. Dabei beeinflussen sie maßgeblich die Lernfähigkeit und das soziale Miteinander.

    Mich hätte interessiert, wie Lehrkräfte diesen Herausforderungen professionell begegnen können, ohne Kinder zu pathologisieren oder sich alleinverantwortlich zu fühlen. In der Praxis habe ich erlebt, wie stark das Klassenklima leidet, wenn einzelne Kinder regelmäßig ausbrechen oder sich komplett zurückziehen, und wie schnell die Situation eskaliert, wenn keine geeigneten Unterstützungsstrukturen vorhanden sind. Gleichzeitig habe ich auch sehr positive Erfahrungen mit Schulen gemacht, die gezielt auf Beziehungsarbeit, soziales Lernen und emotionale Stabilisierung gesetzt haben, etwa durch klare Strukturen, systematische Gesprächsanlässe oder unterstützende Teamarbeit mit Schulsozialarbeit.

    Ein vertiefender Blick auf pädagogisch-psychologische Konzepte wie das Modell der Grundbedürfnisse nach Deci & Ryan (1993) oder entwicklungspsychologische Perspektiven auf Bindung, Selbstwirksamkeit und Resilienz wäre hier hilfreich gewesen. Auch die Frage, wie emotionale Belastungen in intersektionalen Zusammenhängen entstehen, etwa im Zusammenspiel von Armut, Migrationsgeschichte, Behinderung und schulischem Leistungsdruck, scheint mir zentral.

    Für meine weitere Professionalisierung als Lehrkraft wünsche ich mir daher eine stärkere Verknüpfung von Heterogenitätsdiskursen mit Fragen der seelischen Gesundheit, emotionalen Sicherheit und präventiven Schulentwicklung. Nur wenn Kinder sich emotional sicher fühlen, können sie kognitiv wachsen und sozial eingebunden lernen.

    6.Fazit

    Die Ringvorlesung „Umgang mit Heterogenität in der Schule“ hat mir nicht nur ein differenziertes Verständnis über die verschiedenen Dimensionen schulischer Vielfalt vermittelt, sondern auch meine eigene pädagogische Haltung nachhaltig geschärft. Besonders eindrücklich war für mich die Erkenntnis, dass Heterogenität nicht nur gegeben, sondern auch hergestellt wird, durch Routinen, Strukturen und Erwartungen im schulischen Alltag.

    Die intensive Auseinandersetzung mit theoretischen Konzepten wie der inklusiven Didaktik, intersektionalen Perspektiven und adaptiven Unterrichtsmodellen hat mir deutlich gemacht, wie zentral eine reflektierte und professionell gesteuerte Praxis für Bildungsgerechtigkeit ist. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass pädagogisches Handeln stets eingebettet ist in größere institutionelle und gesellschaftliche Zusammenhänge, die es kritisch zu hinterfragen gilt.

    Für meine weitere Ausbildung nehme ich nicht nur fachliches Wissen mit, sondern auch viele offene Fragen, vor allem zu den Themen Rassismuskritik, Sprachbildung im Fachunterricht und der Berücksichtigung emotionaler und psychischer Dimensionen schulischer Heterogenität. Diese Fragen verstehe ich nicht als Defizit, sondern als Ausgangspunkt für kontinuierliches Lernen und Professionalisieren.

     7.Literaturverzeichnis

    Allemann-Ghionda, C. (2009). Interkulturelle Bildung und Bildungsgerechtigkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften.

    Autorengruppe Bildungsberichterstattung. (2022). Bildung in Deutschland 2022. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zum Bildungspersonal. W. Bertelsmann Verlag. https://www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsbericht-2022/pdf-dateien-2022/bildungsbericht-2022.pdf

    Budde, J. (2018). Gesellschaft der Vielfalt: Heterogenität in Schule und Unterricht. Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/266110/heterogenitaet-in-schule-und-unterricht/

    Budde, J. (2019). Leistung in der Schule – Zur Relevanz eines umkämpften Begriffs. Zeitschrift für Pädagogik, 65(2), 174–189.

    Deci, E. L., & Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39(2), 223–238.

    Faulstich-Wieland, H. (2019). Reflexive Koedukation – Ein gendersensibler Ansatz für Schule und Unterricht. Zeitschrift für Pädagogik, 65(1), 7–25.

    Florian, L., & Black-Hawkins, K. (2011). Exploring inclusive pedagogy. Cambridge Journal of Education, 41(2), 121–135. https://doi.org/10.1080/0305764X.2011.562409

    Gogolin, I. (2009). Bildungssprache – Ein Schlüssel zur schulischen Bildung. In R. Becker-Mrotzek, S. Böttcher, H. Lengyel, & I. Wintermeyer (Hrsg.), Schriftkultur und Mehrsprachigkeit im Kinder- und Jugendalter (S. 61–72). Fillibach.

    Gomolla, M., & Radtke, F.-O. (2009). Institutionelle Diskriminierung: Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule (2. Aufl.). VS Verlag für Sozialwissenschaften.

    Leisen, J. (2010). Handbuch Sprachförderung im Fachunterricht. Klett.

    Mecheril, P. (2018). Rassismuskritik: Eine Einführung. Beltz Juventa.

    Spangler, G., & Zimmermann, P. (2014). Entwicklung der Bindung: Bedeutung für Schule und Bildung. In H. Reinders (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 189–203). Springer.

    Wenning, N. (2007). Beurteilung schulischer Leistungen im Spiegel pädagogischer Grundpositionen. In H.-E. Tenorth (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Pädagogik (S. 368–371). Beltz.

    Weinert, F. E. (1997). Notwendige Methodenvielfalt. Friedrich Jahresheft, 1997, 50–52.

  • Sprache als Brücke

    Das Förderkonzept „Entdecken und Erzählen“ (Enter) verfolgt eine integrierte Förderung von Sprache und Mathematik im Elementarbereich. Einige zentrale Elemente lassen sich auch für die Grundschule sinnvoll übernehmen – insbesondere unter dem Aspekt sprachsensiblen Unterrichts.

    Übertragbare Elemente des „Enter“-Projekts in den schulischen Kontext

    Besonders wirksam erscheint mir das dialogische Vorlesen, das im Projekt Enter gezielt mit mathematischen Inhalten verknüpft wird. Die strukturierte Erschließung von Bilderbüchern mit mathematischem Potenzial – verbunden mit W-Fragen, Impulsen zur Erklärung und Wiederholung – kann auch in der Grundschule zur Erweiterung von Sprach- und Fachwortschatz beitragen (Bönig & Thöne, 2017). Diese Methode lässt sich etwa auf den Sach- oder Mathematikunterricht übertragen, wenn zum Beispiel bei Themen wie „Gewichte“ oder „Längen“ passende Bilderbücher eingesetzt werden.

    Ein weiteres übertragbares Element ist die gezielte Elternarbeit mit Materialien, die auch zu Hause genutzt werden können. In der Schule könnten solche Formate zum Beispiel durch Mathe-Spiele mit Anleitung für zu Hause oder durch Lesehausaufgaben mit begleitenden Fragen weitergeführt werden – um auch bildungsbenachteiligte Familien stärker einzubeziehen und die sprachliche Bildung über das Klassenzimmer hinaus zu fördern.

    Auch der strukturierte Einsatz von „Erzählkarten“ – wie im Stuhlkreis zur Unterstützung beim freien Sprechen – lässt sich auf Erzählanlässe im Deutschunterricht adaptieren. So kann mündliche Sprache gestärkt und gleichzeitig eine Brücke zur Bildungssprache aufgebaut werden.

    Funktionen der Sprache im Unterricht – konkretisiert am Fach Deutsch

    Sprache erfüllt im Unterricht verschiedene Funktionen, die sich je nach Fach und Zielsetzung unterscheiden. Im Fach Deutsch lassen sich diese Funktionen exemplarisch so differenzieren:

    • Kognitive Funktion: Sprache strukturiert Denken. Beim Formulieren einer eigenen Geschichte müssen Erzählstruktur, zeitliche Abfolge und Figurenkonzepte sprachlich geordnet werden. So wird Denken durch Sprache sichtbar gemacht.

    • Kommunikative Funktion: Sprache dient der Verständigung. Im Literaturunterricht äußern Kinder ihre Deutungen zu Textstellen und reagieren auf Meinungen anderer. Dabei wird Sprache zum sozialen Werkzeug im gemeinsamen Denkprozess.

    • Symbolische Funktion: Sprache steht auch für Identitätsbildung. Wenn Kinder eigene Texte schreiben oder Gedichte interpretieren, nutzen sie Sprache, um eigene Erfahrungen, Gefühle und Sichtweisen auszudrücken. Gerade hier zeigt sich, wie Sprache auch zur persönlichen Aneignung von Welt beiträgt.

    Beobachtungsfragen zur Sprachförderung im Mathematikunterricht (für das nächste Praktikum)

    Um sprachliche Lernprozesse im Mathematikunterricht gezielt zu erfassen und zu fördern, möchte ich im nächsten Praktikum insbesondere auf folgende Aspekte achten:

    • Wie werden mathematische Fachbegriffe eingeführt und gesichert? Werden dabei sprachliche „Gerüste“ (z. B. Wortspeicher, Satzanfänge) bereitgestellt, wie es das Scaffolding-Modell empfiehlt (Leuders & Prediger, 2016)?

    • Wie gehen Lehrkräfte mit Mehrsprachigkeit und unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen im Mathematikunterricht um – z. B. bei der Bearbeitung von Textaufgaben oder bei der Erklärung von Strategien im Gespräch?

    Diese Fragen sollen helfen, Sprache nicht als Nebenschauplatz, sondern als integralen Bestandteil fachlichen Lernens zu verstehen. Die Erkenntnis aus der Vorlesung ist eindeutig: Sprachkompetenz ist kein „Zusatz“, sondern Grundvoraussetzung für mathematisches Verständnis – besonders in heterogenen Lerngruppen (Bönig et al., 2017).

    Literatur

    • Bönig, D. & Thöne, B. (2017). Integrierte Förderung von Mathematik und Sprache in Kita und Familie. In: Schuler, S., Streit, C. & Wipmann, G. (Hrsg.): Perspektiven mathematischer Bildung im Übergang vom Kindergarten zur Grundschule. Wiesbaden: Springer, S. 27–40.

    • Bönig, D., Hering, J., London, M., Nührenbörger, M. & Thöne, B. (2017). Erzähl mal Mathe! Mathematiklernen im Kindergartenalltag und am Schulanfang. Seelze: Klett Kallmeyer.

    • Leuders, T. & Prediger, S. (2016). Flexibel differenzieren und fokussiert fördern im Mathematikunterricht. Berlin: Cornelsen Scriptor.

  • Intelligenz und Vorwissen – Zwei Schlüssel zum Lernerfolg?

    Die Frage, was erfolgreiches Lernen ausmacht, begleitet mich schon seit Beginn meines Studiums. Besonders spannend finde ich in diesem Zusammenhang das Zusammenspiel von Intelligenz und Vorwissen – zwei Dimensionen, die laut aktueller Forschung maßgeblich zum Lernerfolg beitragen, aber unterschiedlich wirken. Die Vorlesung hat deutlich gemacht: Vorwissen ist mindestens genauso wichtig wie Intelligenz – wenn nicht sogar bedeutsamer (Gruber & Stamouli, 2020). Das überrascht auf den ersten Blick, weil Intelligenz oft als feste, unveränderbare Größe wahrgenommen wird, während Vorwissen als „Nebenprodukt“ schulischer Erfahrungen gilt.

    Tatsächlich zeigt die Studie von Schneider, Körkel und Weinert (1989), dass domänenspezifisches Wissen sogar intelligentes Denken übertrumpfen kann – zumindest dann, wenn es darum geht, neue Informationen zu verarbeiten und einzuordnen. Kinder mit hohem spezifischen Wissen (in diesem Fall über Fußball) schnitten bei einer Textverstehensaufgabe besser ab als intelligenzstärkere Kinder ohne entsprechendes Vorwissen. Das bedeutet: Lernen ist nicht allein eine Frage der „kognitiven Ausstattung“, sondern stark davon abhängig, was Lernende schon mitbringen – an Begriffen, Erfahrungen und Verknüpfungen.

    Auch im Praktikum habe ich diesen Zusammenhang mehrfach beobachtet. In einer Sachunterrichtseinheit zum Thema „Tiere im Winter“ zeigte sich, dass Kinder mit Vorwissen aus Hobbys (z. B. Tierpflege, Waldkindergarten) deutlich sicherer argumentierten als andere. Gleichzeitig fiel mir auf, dass manche Kinder auf den ersten Blick „still“ oder „unaufmerksam“ wirkten, in Wahrheit aber einfach keinen Zugang zum Thema fanden, weil ihnen sprachliche oder inhaltliche Anknüpfungspunkte fehlten. Das hat mir gezeigt, wie schnell man dazu neigt, Leistungsfähigkeit mit Lautstärke oder Beteiligung zu verwechseln – und wie wichtig es ist, Vorwissen aktiv zu erheben.

    Ich erinnere mich auch an eine Situation, in der ich selbst falsch eingeschätzt habe, was meine Lerngruppe wusste. Ich startete eine Stunde zur Stromerzeugung mit der Frage: „Was braucht man, damit ein Stromkreis funktioniert?“ – und erhielt nur fragende Gesichter. Erst nach einem gemeinsamen Einstieg mit echten Materialien kamen Antworten. Rückblickend hätte ich anders anfangen sollen – zum Beispiel mit einer einfachen Diagnoseaufgabe oder einem Erklärvideo. Das zeigt: Auch wir Lehrkräfte lernen – am besten durch eigene Fehler.

    Ein besonders interessanter Befund aus der Vorlesung war für mich der sogenannte „Expertise-Umkehr-Effekt“ (Gruber & Stamouli, 2009): Didaktische Hilfen sind bei wenig Vorwissen sehr hilfreich – bei viel Vorwissen aber eher störend. Das stellt hohe Anforderungen an Unterrichtsgestaltung, denn es bedeutet, dass Differenzierung nicht nur „mehr oder weniger Hilfe“ heißt, sondern dass wir auch bewusst loslassen müssen. Für mein nächstes Praktikum ergibt sich daraus die Frage: Wie gelingt ein Unterricht, der allen Schülerinnen gerecht wird – ohne zu überfordern oder zu unterfordern?* Eine mögliche Antwort liegt für mich in offenen Aufgaben mit optionalen Hilfestellungen, differenzierten Materialien und einer klaren Diagnose zu Beginn.

    In der Vorlesung wurden zwei Modelle zur Anpassung an Lernvoraussetzungen vorgestellt. Aus meiner Schulpraxis kenne ich Beispiele zu allen Reaktionsformen nach Weinert (1997):

    • Passiv: Alle Kinder bekommen das gleiche Arbeitsblatt – egal, was sie schon können.

    • Substitutiv: Kinder mit Förderbedarf werden aus dem Unterricht herausgenommen, um „angepasst“ zu arbeiten.

    • Aktiv: Während der Gruppenarbeit werden schwächere Kinder durch gezielte Hinweise unterstützt.

    • Proaktiv: Eine Kollegin bereitete differenziertes Material für ein Stationenlernen vor – abgestimmt auf Lernstände, Interessen und Lesefähigkeit.

    Auch das Modell von Leutner (1992) finde ich hilfreich. Besonders die Unterscheidung zwischen Förderung, Kompensation und Präferenz regt zum Nachdenken an: Möchte ich ein Defizit ausgleichen, ein Talent fördern oder Interessen bedienen? Je nach Ziel muss der Unterricht anders gestaltet sein – in Methode, Lernzeit und Zielsetzung.

    Grundsätzlich lässt sich sagen, Intelligenz ist wichtig – aber Vorwissen ist der Schlüssel oder auch: „Der wichtigste Einzelfaktor, der das Lernen beeinflusst, ist das, was der Lernende bereits weiß“ (Ausubel, 1968). Unsere Aufgabe als Lehrkräfte ist es, dieses Wissen zu erkennen – und daraus adaptiven Unterricht zu machen.

    Literatur:

    • Ausubel, D. P. (1968). Educational Psychology: A Cognitive View. New York: Holt, Rinehart and Winston.

    • Gruber, H. & Stamouli, E. (2020). Intelligenz und Vorwissen. In E. Wild & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 25–44). Heidelberg: Springer.

    • Hasselhorn, M. & Gold, A. (2006). Pädagogische Psychologie. Erfolgreiches Lernen und Lehren. Stuttgart: Kohlhammer.

    • Schneider, W., Körkel, J. & Weinert, F. E. (1989). Domain-specific knowledge and memory performance. Journal of Educational Psychology, 81(3), 306–312.

    • Weinert, F. E. (1997). Notwendige Methodenvielfalt. In: Friedrich Jahresheft, 50–52. Seelze: Friedrich Verlag.

    • Leutner, D. (1992). Adaptive Lehrsysteme. Instruktionspsychologische Grundlagen und experimentelle Analysen. Weinheim: Beltz.

  • Heterogenität im Sachunterricht

    Samiras Entscheidung: Gruppenzugehörigkeit vor Interesse?

    Dass Samira sich trotz ihres Interesses für die Nistkasten-Reparatur für das Mandala-Projekt entscheidet, lässt sich im Licht der Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan (1993) gut nachvollziehen. Nach diesem Modell werden Motivation und Handlungsbereitschaft wesentlich von drei psychologischen Grundbedürfnissen beeinflusst: Kompetenzerleben, Autonomie und soziale Eingebundenheit. Samiras Wahl deutet darauf hin, dass ihr Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit stärker wiegt als das nach Autonomie oder Kompetenz. Indem sie sich dem Verhalten der Mehrheit – hier: der anderen Mädchen – anschließt, sichert sie sich Zugehörigkeit zur Peergroup. Dieses Verhalten steht exemplarisch für geschlechtstypische Erwartungshaltungen und verdeutlicht zugleich die Relevanz gendersensibler Pädagogik im Sachunterricht (vgl. von Maltzahn, 2014, S. 115; Faulstich-Wieland, 2019, S. 15). Es braucht Angebote, die Mädchen (und Jungen) ermöglichen, ihr technisches Interesse frei von sozialen Zuschreibungen zu entfalten.

    Alltagssprache oder Bildungssprache? Eine Frage der Gerechtigkeit

    Die Frage, ob Fachbegriffe im Sachunterricht vermieden werden sollten, stellt ein zentrales Dilemma dar: Einerseits sollen Inhalte sprachlich zugänglich sein, andererseits dürfen Schüler*innen nicht dauerhaft vom Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen ausgeschlossen werden. Die Forschung zeigt deutlich: Der gezielte, kontextgebundene Einsatz von Fachsprache – unterstützt durch sprachdidaktische Maßnahmen – ist nicht nur möglich, sondern notwendig. Bildungssprache eröffnet den Zugang zu fachlichem Wissen und ist Voraussetzung für schulischen und gesellschaftlichen Erfolg (vgl. Quehl & Trapp, 2020, S. 17; Tajmel, 2017, S. 98 f.). Gerade naturwissenschaftliche Inhalte können durch sprachsensiblen Unterricht zur Förderung von Bildungssprache genutzt werden – z. B. durch strukturierte Sprechhilfen, visuelle Unterstützung oder das Arbeiten mit realen Objekten. Eine bewusste Balance aus sprachlicher Vereinfachung und gezielter Einführung von Fachbegriffen ist daher der pädagogisch sinnvollste Weg.

    Bildungsgerechtigkeit durch außerschulische Lernorte? Erste Ideen für eine Bachelorarbeit

    Ein vielversprechender Ansatz für eine Bachelorarbeit könnte der Zusammenhang zwischen Bildungsgerechtigkeit und der Nutzung außerschulischer Lernorte im Sachunterricht sein. Studien wie TIMSS 2019 zeigen, dass sozioökonomisch benachteiligte Kinder signifikant schlechtere Leistungen im naturwissenschaftlichen Bereich erzielen – nicht zuletzt, weil ihnen außerschulische Anregungssituationen wie Museumsbesuche, Naturerfahrungen oder technikbezogene Freizeitangebote oft fehlen (vgl. Stubbe et al., 2020, S. 285). Der Sachunterricht kann hier kompensatorisch wirken, wenn er gezielt außerschulische Lernorte einbindet und so Erfahrungsräume schafft, die das kulturelle Kapital aller Kinder erweitern. Eine mögliche forschungsleitende Fragestellung könnte lauten: Inwiefern können systematisch eingesetzte außerschulische Lernorte im Sachunterricht zur Reduktion von Bildungsungleichheiten beitragen – und wie müssen sie didaktisch gestaltet sein, damit sie heterogene Lerngruppen wirksam erreichen?

    Literatur

    • Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und die Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39(2), 223–238.

    • Faulstich-Wieland, H. (2019). Reflexive Koedukation – Ein gendersensibler Ansatz für Schule und Unterricht. Zeitschrift für Pädagogik, 65(1), 7–25.

    • Maltzahn, K. von (2014). Mädchen und Naturwissenschaften. Zur Entwicklung von Interessen nach der Grundschule. Weinheim & Basel: Beltz Juventa.

    • Quehl, T. & Trapp, U. (2020). Sprachbildung im Sachunterricht der Grundschule. Mit dem Scaffolding-Konzept unterwegs zur Bildungssprache. Münster: Waxmann.

    • Stubbe, T. C., Krieg, M., Beese, C., & Jusufi, D. (2020). Soziale Disparitäten in mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen. In: Schwippert, K. et al. (Hrsg.), TIMSS 2019. Münster: Waxmann, S. 263–290.

    • Tajmel, T. (2017). Naturwissenschaftliche Bildung in der Migrationsgesellschaft. Grundzüge einer reflexiven Physikdidaktik und kritisch-sprachbewussten Praxis. Wiesbaden: Springer VS.

  • Gender in der Schule 28.04.2025

    Die Auseinandersetzung mit Geschlecht im schulischen Kontext ist geprägt von einem Spannungsfeld zwischen Inszenierung und Zuschreibung. Die theoretischen Ansätze der Ringvorlesung verdeutlichen, dass Geschlecht in der Schule nicht einfach gegeben ist, sondern sowohl performativ hergestellt („doing gender“) als auch institutionell zugeschrieben wird (vgl. Draxler 1988; Faulstich-Wieland 2019). Gender zeigt sich damit als soziale Konstruktion, die auf familiären, gesellschaftlichen und schulischen Diskursen beruht – mit weitreichenden Folgen für pädagogisches Handeln und Bildungsgerechtigkeit.

    Auf der einen Seite erleben Kinder und Jugendliche sich selbst als aktiv Handelnde, die Geschlecht inszenieren – etwa durch Kleidung, Hobbys oder Sprechverhalten. Auf der anderen Seite werden ihnen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben: Mädchen gelten als „ruhig, diszipliniert und angepasst“, Jungen hingegen als „leistungsunwillig, laut oder cool“ (vgl. Stalmann 1991; Schnack & Neutzling 1990). Solche Zuschreibungen finden nicht nur im Alltagsdiskurs statt, sondern werden auch im schulischen Raum durch Lehrer*innenhandeln, Unterrichtsmaterialien oder Leistungsbewertungen stabilisiert oder infrage gestellt (vgl. Faulstich-Wieland 1995; Flaake 1990). Besonders problematisch ist, wenn diese Zuschreibungen naturalisiert werden und so pädagogisches Handeln beeinflussen – etwa durch selektive Aufmerksamkeitsverteilung (Gildemeister 2009) oder stereotype Rollenerwartungen.

    In meiner eigenen Schulzeit erinnere ich mich an eine Deutschlehrerin, die literarische Themen mit Blick auf „typische Mädchenerfahrungen“ auswählte und männliche Schüler regelmäßig als „lesefaul“ abstempelte. In einem Praktikum an einer inklusiven Oberschule beobachtete ich, wie ein Schüler mit Unterstützungsbedarf im Bereich der emotional-sozialen Entwicklung durch sein „lautstarkes Auftreten“ auffiel – was von Lehrkräften stereotyp als „typisch männlich“ bewertet wurde. Gleichzeitig wurde seine sprachliche Unsicherheit (nichtdeutsche Erstsprache, bildungsferner Hintergrund) kaum berücksichtigt. Dieses Beispiel macht deutlich, wie Gender mit anderen Differenzlinien – etwa Sprache und sozioökonomischer Herkunft – verwoben ist. In der intersektionalen Perspektive (vgl. Walgenbach 2016) zeigen sich hier doppelte Benachteiligungen: Der Schüler wurde aufgrund seines Geschlechts und seiner Herkunft in seiner schulischen Teilhabe limitiert.

    Für mein nächstes Praktikum würde ich folgende Beobachtungsaufgabe formulieren: In welchen Situationen werden im Unterricht geschlechtsspezifische Erwartungen an Schülerinnen sichtbar? Welche Rolle spielen dabei andere Heterogenitätsmerkmale wie Sprache, Inklusion oder soziale Herkunft? Ziel dieser Aufgabe ist es, Geschlecht nicht isoliert zu betrachten, sondern als Teil eines komplexen Geflechts von Differenzkategorien zu analysieren. Gerade im inklusiven Kontext erscheint es zentral, gendersensible Pädagogik intersektional weiterzudenken und Handlungsspielräume jenseits normativer Erwartungen zu eröffnen.

    Gendersensible Pädagogik bedeutet daher nicht, Unterschiede zu ignorieren, sondern sie reflektiert wahrzunehmen – ohne sie vorschnell zu bewerten. Reflexive Koedukation, wie sie Faulstich-Wieland (2019) vorschlägt, bietet hierfür einen Ansatz: Sie fordert Lehrkräfte auf, das eigene Handeln im Hinblick auf geschlechterbezogene Zuschreibungen zu hinterfragen und pädagogisch produktiv mit Vielfalt umzugehen. In einer Schule, die auf Inklusion zielt, muss auch die Kategorie Geschlecht immer wieder neu und differenziert verhandelt werden – nicht zuletzt, um alle Schüler*innen in ihrer Individualität wahrzunehmen und zu stärken.

    Literatur:

    • Draxler, H. (1988). Geschlechtszugehörigkeit als pädagogisches Problem. In: Zeitschrift für Pädagogik 34(1), S. 95–103.

    • Faulstich-Wieland, H. (2019). Reflexive Koedukation – Ein gendersensibler Ansatz für Schule und Unterricht. In: Zeitschrift für Pädagogik 65(1), S. 7–25.

    • Flaake, E. (1990). Mütterlichkeit als Beruf. Zur Beziehungsgestaltung von Lehrerinnen. Weinheim: Juventa.

    • Gildemeister, R. (2009). Doing Gender – zur Konstruktion von Geschlecht in der Schule. In: Zeitschrift für Sozialisationsforschung, 3(2), S. 133–146.

    • Schnack, H. & Neutzling, R. (1990). Der Herr der Dinge friert auf der Sonnenseite des Lebens. Reinbek: Rowohlt.

    • Walgenbach, K. (2016). Intersektionalität als Analyseperspektive für Schule und Bildungsprozesse. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 85(3), S. 211–224.

  • Spannungsfeld Heterogenität und Homogenität in der Schule

    Heterogenität und Homogenität stehen im schulischen Kontext in einem dauerhaften Spannungsverhältnis, das durch die zunehmende gesellschaftliche Vielfalt weiter an Bedeutung gewinnt. Besonders relevant erscheinen mir im Bildungsbereich jene Aspekte, die sich auf soziale Ungleichheit, sprachliche Vielfalt und individuelle Förderbedarfe beziehen. Denn sie fordern pädagogisches Handeln heraus und machen sichtbar, dass Schule ein Ort ist, an dem Verschiedenheit alltäglich und unvermeidbar ist (Budde, 2020, S. 21 f.).

    In meinem Orientierungspraktikum an einer Grundschule in Bremen habe ich erlebt, wie sich insbesondere sprachliche und kulturelle Heterogenität im Unterrichtsgeschehen niederschlägt. Ein Kind mit Fluchthintergrund, das erst wenige Monate in Deutschland war, nahm aktiv am Unterricht teil, hatte jedoch Schwierigkeiten, den Arbeitsanweisungen zu folgen. Die Lehrkraft reagierte sehr sensibel, indem sie visuelle Hilfsmittel einsetzte und das Kind gezielt in Partnerarbeit integrierte. Gleichzeitig zeigte sich, dass solche Maßnahmen nicht automatisch zu einer gleichberechtigten Teilhabe führen, wenn strukturelle Rahmenbedingungen – wie ein fehlendes Sprachförderkonzept – unzureichend sind. Diese Erfahrung verdeutlicht, dass pädagogisches Handeln immer auch im Spannungsfeld von individueller Förderung und strukturellen Grenzen steht (vgl. Kron, 2010, S. 34 f.). Ein weiteres Beispiel aus meiner Schulzeit betrifft den Umgang mit leistungsbezogener Heterogenität. In der gymnasialen Oberstufe wurde zwar formal auf individuelle Leistungsstände Rücksicht genommen, etwa durch Binnendifferenzierung. Doch in der Praxis blieb dies jedoch oft ein Lippenbekenntnis: Lehrkräfte orientierten sich am „mittleren Niveau“ und überforderten leistungsschwächere Schüler*innen, während leistungsstarke wenig gefordert wurden. Diese Form der Pseudohomogenisierung kann zu Exklusionsprozessen führen, obwohl sie scheinbar auf Vereinheitlichung zielt (vgl. Prengel, 2010, S. 47).

    Für mein kommendes Praktikum würde ich folgende Beobachtungsaufgabe formulieren: In welchen Situationen wird im Unterricht auf Unterschiede zwischen Schülerinnen (z. B. in Sprache, Leistung, sozialem Verhalten) eingegangen, und wie werden diese adressiert? Lassen sich dabei tendenziell homogenisierende oder heterogenitätssensible Praktiken erkennen? Ziel dieser Aufgabe ist es, die eigene Wahrnehmung für Differenz und Umgangsformen mit Verschiedenheit zu schärfen und diese mit theoretischen Konzepten abzugleichen.

    Die Auseinandersetzung mit Heterogenität und Homogenität ist keine bloß theoretische Übung, sondern eine zentrale Aufgabe schulischer Bildungspraxis. Sie fordert nicht nur pädagogisches Geschick, sondern auch eine kritische Reflexion struktureller Bedingungen – und den Mut, bestehende Routinen infrage zu stellen.

    Literaturverzeichnis:

    • Budde, J. (2020). Schule und Differenz. Einführung in die Soziologie von Bildung und Ungleichheit. Wiesbaden: Springer VS.

    • Krüger-Potratz, M. (2017). Migration und Bildung: Eine Einführung in das interkulturelle Lernen. Münster: Waxmann.

    • Prengel, A. (2010). Pädagogik der Vielfalt: Bildung in der Demokratie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.