Samiras Entscheidung: Gruppenzugehörigkeit vor Interesse?
Dass Samira sich trotz ihres Interesses für die Nistkasten-Reparatur für das Mandala-Projekt entscheidet, lässt sich im Licht der Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan (1993) gut nachvollziehen. Nach diesem Modell werden Motivation und Handlungsbereitschaft wesentlich von drei psychologischen Grundbedürfnissen beeinflusst: Kompetenzerleben, Autonomie und soziale Eingebundenheit. Samiras Wahl deutet darauf hin, dass ihr Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit stärker wiegt als das nach Autonomie oder Kompetenz. Indem sie sich dem Verhalten der Mehrheit – hier: der anderen Mädchen – anschließt, sichert sie sich Zugehörigkeit zur Peergroup. Dieses Verhalten steht exemplarisch für geschlechtstypische Erwartungshaltungen und verdeutlicht zugleich die Relevanz gendersensibler Pädagogik im Sachunterricht (vgl. von Maltzahn, 2014, S. 115; Faulstich-Wieland, 2019, S. 15). Es braucht Angebote, die Mädchen (und Jungen) ermöglichen, ihr technisches Interesse frei von sozialen Zuschreibungen zu entfalten.
Alltagssprache oder Bildungssprache? Eine Frage der Gerechtigkeit
Die Frage, ob Fachbegriffe im Sachunterricht vermieden werden sollten, stellt ein zentrales Dilemma dar: Einerseits sollen Inhalte sprachlich zugänglich sein, andererseits dürfen Schüler*innen nicht dauerhaft vom Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen ausgeschlossen werden. Die Forschung zeigt deutlich: Der gezielte, kontextgebundene Einsatz von Fachsprache – unterstützt durch sprachdidaktische Maßnahmen – ist nicht nur möglich, sondern notwendig. Bildungssprache eröffnet den Zugang zu fachlichem Wissen und ist Voraussetzung für schulischen und gesellschaftlichen Erfolg (vgl. Quehl & Trapp, 2020, S. 17; Tajmel, 2017, S. 98 f.). Gerade naturwissenschaftliche Inhalte können durch sprachsensiblen Unterricht zur Förderung von Bildungssprache genutzt werden – z. B. durch strukturierte Sprechhilfen, visuelle Unterstützung oder das Arbeiten mit realen Objekten. Eine bewusste Balance aus sprachlicher Vereinfachung und gezielter Einführung von Fachbegriffen ist daher der pädagogisch sinnvollste Weg.
Bildungsgerechtigkeit durch außerschulische Lernorte? Erste Ideen für eine Bachelorarbeit
Ein vielversprechender Ansatz für eine Bachelorarbeit könnte der Zusammenhang zwischen Bildungsgerechtigkeit und der Nutzung außerschulischer Lernorte im Sachunterricht sein. Studien wie TIMSS 2019 zeigen, dass sozioökonomisch benachteiligte Kinder signifikant schlechtere Leistungen im naturwissenschaftlichen Bereich erzielen – nicht zuletzt, weil ihnen außerschulische Anregungssituationen wie Museumsbesuche, Naturerfahrungen oder technikbezogene Freizeitangebote oft fehlen (vgl. Stubbe et al., 2020, S. 285). Der Sachunterricht kann hier kompensatorisch wirken, wenn er gezielt außerschulische Lernorte einbindet und so Erfahrungsräume schafft, die das kulturelle Kapital aller Kinder erweitern. Eine mögliche forschungsleitende Fragestellung könnte lauten: Inwiefern können systematisch eingesetzte außerschulische Lernorte im Sachunterricht zur Reduktion von Bildungsungleichheiten beitragen – und wie müssen sie didaktisch gestaltet sein, damit sie heterogene Lerngruppen wirksam erreichen?
Literatur
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Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und die Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39(2), 223–238.
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Faulstich-Wieland, H. (2019). Reflexive Koedukation – Ein gendersensibler Ansatz für Schule und Unterricht. Zeitschrift für Pädagogik, 65(1), 7–25.
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Maltzahn, K. von (2014). Mädchen und Naturwissenschaften. Zur Entwicklung von Interessen nach der Grundschule. Weinheim & Basel: Beltz Juventa.
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Quehl, T. & Trapp, U. (2020). Sprachbildung im Sachunterricht der Grundschule. Mit dem Scaffolding-Konzept unterwegs zur Bildungssprache. Münster: Waxmann.
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Stubbe, T. C., Krieg, M., Beese, C., & Jusufi, D. (2020). Soziale Disparitäten in mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen. In: Schwippert, K. et al. (Hrsg.), TIMSS 2019. Münster: Waxmann, S. 263–290.
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Tajmel, T. (2017). Naturwissenschaftliche Bildung in der Migrationsgesellschaft. Grundzüge einer reflexiven Physikdidaktik und kritisch-sprachbewussten Praxis. Wiesbaden: Springer VS.
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