Sabine Thöle war, unter dem Künstlernamen Sabine Karasch, viele Jahre als Theaterregisseurin tätig. Von der Pandemie war sie aber als Theaterlehrerin, nicht als Regisseurin betroffen, weil sie 2013 ihre letzte Inszenierung hatte. Das war die letzte Regie, die sie führte. Ihre Arbeit war insofern von der Pandemie betroffen, als dass sie zu diesem Zeitpunkt Theater an Schulen unterrichtete. Als Theaterlehrerin konnte sie ein Dreivierteljahr lediglich über Zoom und nicht in Präsenz unterrichten. In Schulen gab es konkrete Regeln wie Theater unterrichtet werden kann.

 

Im langen Lockdown fand kein Präsenzunterricht statt. Sie verknüpfte szenisches Spielen mit szenischem Schreiben. Per Zoom wurden in einer „Textwerkstatt“ gemeinsam Konzepte entwickelt. Das erste Projekt war ein digitales „Bilderbuch-Märchentheater“.

Im zweiten Lockdown entwickelten die Schüler*innen ein digitales Hörspiel zum ersten Teil von „Faust“, wobei sie Szenen selbst schrieben. Als der Theaterunterricht wieder in Präsenz stattfand, gab es unterschiedliche Abstufungen. Sie unterrichtete jeweils die Hälfte der Schüler*innen in rotierendem Rhytmus. Außerdem musste eine Maske getragen und auf Sicherheitsabstände geachtet werden, wobei im Chor und Theater nicht nur anderthalb, sondern zweieinhalb Meter die Regel waren.

 

Theaterschüler*innen haben verschieden auf die digitalen Konzepte in der Corona-Zeit reagiert. Die einen sahen es als Herausforderung, die anderen fanden es „saudoof“ und wieder andere waren ganz leidenschaftslos. Da ist jeder Schüler und jede Schülerin anders.

 

Auch wenn sie selbst während der Pandemie nicht als Regisseurin tätig war, konnte Sabine Thöle uns einiges zur Situation von Theatern und Mitwirkenden berichten.

Die Situation wurde von unterschiedlichen Theatern verschieden gehandhabt. Es gab Theater, die eine Art Pause einlegten, in der bestehende Stücke „warmgehalten“ wurden. Dabei wird die Vorstellung bei einer Probe von einem Regisseur gesamtkritisch bewertet. Die Intention ist die Aufführung des Stücks „frisch zu halten“ und das Erarbeitete und die Rolleninterpretation in Erinnerung zu rufen. Wenn das Stück länger nicht gespielt wurde, werden einzelne Szenen zusätzlich geprobt. Es wird in derselben Dauer eines 6-8 monatigen Lockdowns nicht gespielt und wenn nicht bekannt ist wann der Lockdown endet, muss immer damit gerechnet werden, dass die Vorstellungen kurzfristig wieder einsetzen. Viele Theater mussten die Stücke frisch halten, um spielen zu können. Dieses Fortsetzen der Arbeit ist unter anderem so wichtig, weil viele dieser Theater staatlich subventioniert sind. Ihre Aufgabe ist es ihre kulturelle Arbeit fortzusetzen.

Andererseits gibt es Theater, die zu digitalen Formaten übergingen. Diese digitalen Formate waren zum Beispiel Livestreams oder die Aufzeichnung von Vorstellungen, die ohne Publikum gespielt wurden. Je nach unterschiedlicher Theaterform, ob privat oder subventioniert, Musiktheater oder Sprechtheater, je nach Vision der Intendant*innen wurden Vorstellungen individuell umgesetzt.

 

Thöle betont, dass die Pandemie für freischaffende Künstler*innen nicht nur eine finanzielle Belastung, sondern ein Desaster war. Künstler*innen wurden von einem Tag auf den anderen mit der Situation konfrontiert. Auch sie war betroffen. Sabine Thöle hatte viele künstlerische Lehraufträge, die nicht mehr erfüllt werden konnten. Lehraufträge funktionieren so, dass die reinen Unterrichtsstunden bezahlt werden. Es herrschte eine allgemeine Ungewissheit darüber woher und ob Gelder beantragt werden können. Teilweise haben Menschen sich Töpfe zur Altersversorgung oder Renten auszahlen lassen. Viele stießen an den Rand ihrer Existenz.

 

Es ist naheliegend, dass eine derartige Situation auch am Theater, im Ensemble zu Spannungen geführt haben könnte.

Eine psychisch belastende Situation wirkt immer auf ein Ensemble, eine Mitarbeiterschaft im Allgemeinen, so Thöle. Es besteht bei den Künstler*innen eine konkrete Arbeitssituation, Schauspieler*innen sind auch in Gewerkschaften strukturiert und es besteht eine Arbeitsstruktur in der es darum geht, dass man Dienstleister*in ist und dafür Geld bekommt. Wenn ich für meine Dienstleistung kein Geld bekomme, ist es belastend und ein Konfliktpotenzial entsteht.

Fest angestellte Schauspieler*innen sind über den Betrieb weiter bezahlt worden und viele Betriebe als Theater müssen andere Berufsgruppen wie Regisseur*innen, Bühnenbildner*innen, Kostümbildner*innen etc. engagieren, die ihr Geld ohne Aufführungen dann nicht mehr bekommen. Dadurch entstand ein „Wahnsinns“-Konfliktpotential.

 

Worin aber liegt der wesentliche Erhaltungswert und die Relevanz des Bühnentheaters? Gibt es ein Potenzial, das beispielsweise Alternativen im digitalen Raum nicht besitzen?

 

Es handelt sich hierbei um zwei völlig unterschiedliche Medien. Definiert man was Theater eigentlich ist, lässt es sich als Kommunikationsprozess bezeichnen, als ein Akt der Performativität, mit vielen unterschiedlichen Schauspiel- und Theaterformen. Ein episches Theater unterscheidet sich zum Beispiel vom Volkstheater und das nicht nur in der Wirkung auf das Publikum. Die Antwort auf die Frage lässt sich so nicht pauschalisieren.

Von Seiten der Künstlerin oder des Künstlers sei es immer schöner vor Live-Publikum zu spielen. Letztendlich ist das Besondere ja auch, dass jede Vorstellung eine andere Energie hat, eine Energie zwischen Publikum und Schauspieler*innen. Auch die persönliche Situation des Schauspielers habe Einfluss auf die Wirkung des Spiels. Mal hat Romeo einen guten Tag, mal hat Julia einen schlechten Tag, mal ist es umgekehrt. Und dann gäbe es die wunderbaren Momente, in denen Romeo und Julia beide einen guten Tag haben. Die Vorstellungen, an denen die Funken sprühen. Wenn das Publikum dann auch mitgeht, entstehen die besonderen Momente. Und das sei viel schwieriger über einen Bildschirm zu vermitteln.

Wenn man auf der anderen Seite überlegt was für digitale „Übersetzungen“ möglich wären, kann man ganz anders arbeiten. Die Inszenierung des Stücks ist von den gestalterischen Mitteln abhängig, die einem zur Verfügung stehen und da differenzieren und entfachen sich in beide Richtungen unterschiedliche Möglichkeiten.

Man muss künstlerisch andere, neue Mittel finden, um den Zuschauer, die Zuschauerin an die Hand zu nehmen, um sie zu berühren. Das lässt sich nicht pauschal beantworten.

 

Es gibt also sowohl Besonderheiten des Präsenztheaters als auch Möglichkeiten digitaler Formate. Sabine Thöle glaubt, dass sich Theater auch nur durch solche Innovationen weiterentwickeln kann. Häufig wird jegliche neue Technologie erst einmal als Beschränkung gesehen, sei es das Radio, der Fernseher oder der Computer. Doch das Spannende für Menschen mit Ideen und Visionen ist doch gerade, zu sehen, wie man sich diese Medien zunutze machen kann. An der neunmonatigen Lockdown-Situation hat man sowieso nichts ändern können und sich neuen Situationen anzunehmen, zu sehen, wie man mit ihnen umgeht, ist eben das, was Künstler*innen sowie auch Wissenschaftler*innen ausmacht. Nur so kann man auf neue Ideen kommen und nur so können wir uns als Menschen weiterentwickeln.

Es kommt die Frage auf, ob Sabine Thöle sich eigentlich als „Theaterschaffende“ bezeichnen würde. Sie bejaht, eigentlich ist sie das immer. Würde man ihr morgen eine Inszenierung an einem guten Theater, mit einem guten Stück anbieten, würde sie wahrscheinlich nicht Nein sagen. Momentan gibt es andere intellektuelle Bedürfnisse und Dinge, die sie bewegen, aber sie würde sich weiterhin als Theaterschaffende bezeichnen. Das legt man nicht einfach so ab, meint Thöle.

 

Man könnte sich nun fragen, ob eine erfahrene Regisseurin sich im Theater eigentlich noch zurücklehnen und ein Stück genießen kann, oder ob die eigene Erfahrung hinter den Kulissen das Ganze entzaubert. Sabine Thöle berichtet, dass man hier differenzieren muss. Natürlich sitzt sie immer als Theaterschaffende, mit einer Art Draufsicht in der Vorstellung und kann sich nicht einfach im Stück verlieren. Trotzdem können gewisse Inszenierungen sie noch verzaubern, wobei es darauf ankommt, wie an das Stück herangegangen wird. Es gibt immer wieder Theaterformen oder von Regisseur*innen geschaffene Momente, die sie begeistern und berühren. So ist sie beispielsweise ein großer Fan des Theaterregisseurs Michael Thalheimer, der sie immer faszinierte und inspirierte.

Dennoch ist der Theaterbesuch für Thöle keine Entspannung, keine Freizeit, abschalten kann sie dabei nicht. Wenn sie ins Theater geht, fühlt es sich beruflich an.

Gerade die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie hart der Alltag von Theaterkünstler*innen sein kann. Dies wirft die Frage auf, was es eigentlich ist, das sowohl Schauspieler*innen als auch Regisseur*innen wie Sabine Thöle immer wieder zurück ans Theater bringt, trotz wiederholter Enttäuschungen, Aufschiebungen und eventueller Spannungen.

Für die Schauspieler*innen kann sie hierbei nicht sprechen, betont Thöle, da es sich um unterschiedliche Berufe mit individuellen Motivationen und Erfahrungen handelt. Ist man an einem Betrieb engagiert, geht es außerdem in erster Linie darum, sein Geld zu verdienen. Es handelt sich auch einfach um einen Beruf, den man nicht zu sehr romantisieren darf. Man hat seine festen Arbeitszeiten und seinen festen Probenplan. Es ist nicht so, als würde man in den Tag hineinleben und darauf warten, dass einen der kreative Blitz trifft. Es gibt feste Aufgaben, die man zu erfüllen hat und dafür wird man bezahlt. Das ist der gänzlich unromantische Sachverhalt.

Was Sabine Thöle als kreativen Menschen immer wieder zum Theater zieht, sind die kreativen Prozesse. Ideen, die sie hat und denen sie Ausdruck verleihen muss. Mal findet dies in schriftlicher Form statt, mal durch die Umsetzung in Bilder und manchmal auch als eine Mischform aus Beidem. Diese kreative Arbeit ist es, die sie antreibt. Auch das wissenschaftlich-schriftliche Arbeiten ist für sie ein kreativer Prozess, den man nicht unterschätzen darf.

 

Auch Annika hat in verschiedenen Theatergruppen bereits Schauspielerfahrung gesammelt und kennt den Glücksmoment nach einer gelungenen Vorstellung gut, wenn auch nicht aus der beruflichen Perspektive.

Sabine Thöle bemerkt, dass die hierbei freigesetzten Endorphine dennoch die gleichen sind wie bei professionellen Produktionen und dass dieser Moment der Anerkennung für Schultheatergruppen, die monatelang an einem Stück gearbeitet haben, eigentlich noch viel besonderer ist als für professionelle Ensembles, die quasi alle sechs Wochen ein Stück „raushauen“. Nicht umsonst schwärmen Schüler*innen teilweise noch ein Leben lang von ihren Theaterproduktionen. Als Theaterlehrerin berichten Thöle häufig Menschen darüber, wie wichtig das Schultheater für sie war und welchen wesentlichen Einfluss es auf ihr Leben genommen hat.

Aber erlebt auch eine Regisseurin den euphorischen Moment nach einer Premiere? Oder blickt man in diesem Fall doch eher mit einem kritischen Blick auf das Stück? Laut Sabine Thöle kommt dies auf unterschiedliche Faktoren an. Sei es die Dynamik während des Probenprozesses, die Umsetzung des eigenen Konzepts oder die Zusammenarbeit innerhalb der Theaterinstitution. So gab es schon einige Premieren, die sie sich als Regisseurin nicht ansehen konnte, weil sie zu nervös war. Andere, bei denen sie einfach nur glücklich war, die Produktion hinter sich gebracht zu haben und einen Schlussstrich ziehen zu können. Wieder andere, bei denen sie von Glücksgefühlen erfüllt war. Allerdings gewöhnt man sich mit der Zeit auch daran. Wenn man über die Jahre hinweg regelmäßig Premieren auf die Bühne bringt, lernt man damit umzugehen und es wird letztendlich zur Profession.

 

Sabine Thöle kennt sowohl die Arbeit mit professionellen Schauspieler*innen als auch mit Schüler*innen und berichtet, dass man die Arbeitsprozesse nicht miteinander vergleichen kann. Schauspieler*innen haben schließlich jahrelang eine Technik gelernt, die weit über das Texte Lernen hinausgeht. Man kann hier also Dinge voraussetzen, an die man Schüler*innen erst einmal ganz langsam heranführen muss. Je mehr man mit Schüler*innen arbeitet, sei es an einer Schauspielschule oder in einer Oberstufe, desto mehr prägt man sie, was die Arbeit mit ihnen natürlich auch verändert. Auch macht es einen Unterschied, ob man zum Beispiel eine Theatergruppe übernimmt, die vorher eine*n gute*n Theaterlehrer*in oder eine*n weniger gute*n Theaterlehrer*in hatte. Letztlich handelt es sich einfach um ein Handwerk.

Zum Ende stellt Sabine Thöle noch einmal klar, dass es unterschiedliche Formen des Theaters gibt und wir im Rahmen des Interviews beinahe ausschließlich über das bürgerliche Theater gesprochen haben, wobei wir in der Tradition Friedrich Schillers und seiner „Schaubühne als eine moralische Anstalt“ stehen. Das Theater hat also auch immer eine Aufgabe als Ort der Aufklärung, politischer Diskussion und demokratischer Prozesse.

Aus diesem Grund ist es besonders wichtig den demokratischen Prozess der Pandemie als künstlerische Herausforderung zu verstehen.

 

Der Inhalt des Beitrages basiert auf Aussagen, die von Sabine Thöle im Interview am 04.03. 2022 getroffen wurden.