Es ist Dienstag, der 11.01.22. 

Es liegen stresserfüllte und isolierte Tage hinter mir. In meiner WG gab es einen Corona-Fall und nachdem ich drei Nächte bei einer Freundin unterkommen konnte, begab ich mich erstmals wieder in die Wohngemeinschaft und isolierte mich soweit es ging, beschränkte meinen räumlichen Aufenthalt auf mein Zimmer. 

Ein Theaterbesuch im Januar war schon länger geplant. Nicht nur im Rahmen des Ethnologie Seminars, sondern auch, um endlich wieder rauszukommen und aufzuatmen nach den Tagen der Selbstisolierung und Hektik. 

Der Theaterbesuch wurde am Abend zuvor geplant. Auch, wenn der Wunsch eine Vorstellung der Inszenierung zu besuchen schon länger bestand. „Die Zauberflöte“— Ein Name, ein Titel, der vielen Menschen ein Begriff ist. Die Melodie einem der Titelsongs spielt sich automatisch in meinem Kopf ab. Über eine WhatsApp Gruppe werden spontan Karten für den nächsten Abend gebucht.

Schon hier zeichnet sich der Einfluss der hohen Infektionszahlen deutlich ab. Es bestehen Sonderregeln bei der Wahl der Sitzplätze, bestimmte Abstände müssen eingehalten werden, sodass die Zahl der verfügbaren Plätze mit dem Infektionsgeschehen noch einmal reduziert wurden. 

Meine Freund*innen und ich haben Glück und ergattern 3 Karten zum ermäßigten Preis.

Es ist Mittwoch, der 12.01.22.

Nach einem frischen Pfefferminztee und Austausch im Theater Café „NOON“ begeben wir uns auf den Weg zum Theater am Goetheplatz. Das Gebäude hat durch die Beleuchtung eine eindrucksvolle Wirkung. Am Eingang wird wie erwartet der Nachweis einer Impfung und das digitale Ticket überprüft. Wir müssen nicht warten, können parallel an mehreren Türen eintreten. Auch die Garderobe ist relativ überschaubar. 

Als wir den Theatersaal betreten, wird uns klar warum: Die meisten Zuschauenden sind bereits an ihren Plätzen, gleichmäßig und zahlenmäßig überschaubar in den Sitzreihen verteilt. Es bleiben zehn Minuten bis Spielbeginn. Es sind junge Menschen wie wir, Senioren und Seniorinnen, Paare, keine Kinder. 

Ein schweifender Blick durch den Saal ist von weiß bestückten Gesichtern dominiert. Jede*r trägt ausnahmslos eine FFP2 Maske. Eine weitere Bedingung für den Besuch der Theatervorstellung.

Kurz vor Beginn der Vorstellung ertönt der Klang, der den Beginn der Vorstellung signalisiert.

Da es sich um ein Musiktheaterstück, eine Oper handelt, betritt der Dirigent des Orchesters den Raum und wird vom Publikum begrüßt. Es ist nicht nur die erste Theateraufführung im Theater seit Beginn der Pandemie für mich, sondern auch die erste Oper, die ich nun persönlich erleben werde. Es ist für mich etwas besonderes, dass Geräusche und Musik live gespielt werden. Die Anzeige, die über der Bühne hängt und den gesungenen Text anzeigt ist ebenfalls eine Überraschung für mich. 

Schnell wird mir klar, dass ich bei diesem Stück Eindrücke erlebe, die nur durch eine Anwesenheit aller Beteiligten möglich ist. Die Kostüme der Vogelfiguren sind detailliert und kreativ mit verschiedenen Stoffen bestückt. Ich sehe den Stoff schwingen und wenn Schauspielende sich bewegen oder interagieren kann ich genau hören wie Materialien sich zueinander verhalten. Ich lege in jedem Moment fest worauf ich meine Aufmerksamkeit setze. 

In einem Moment ist es das Spiel, die Handlung oder der Gesang und im nächsten ist es ein anderes Detail, das vielleicht sogar außerhalb der Bühne liegt.

Rechts vom Orchester ist ein Mann positioniert, der Trommeln bedient. Ich glaube nicht, dass er Teil des Orchesters ist. Er erzeugt durch das Bedienen verschiedener Trommeln und einer Art Kurbel die Geräuschkulisse. Ich kann genau beobachten wie fokussiert er ist und bin begeistert davon wie vielseitig die Mittel sind, die eingesetzt werden, um die Wirkung des Schauspiels und der Musik zu entfachen.

Nach vergeblichem Warten auf eine Pause, entschied ich mich mitten im Stück das WC aufzusuchen. Bevor ich zurück in den Saal konnte, wurde ich aufgehalten. „Das ist Präsenz“ – denke ich.Die Zeit, in der ich den Raum wieder betreten darf wird abgepasst. Es soll der Szenenwechsel abgewartet werden. Säße ich vor einem Bildschirm, hätte es niemanden interessiert wann oder wie ich die Aufführung verfolge.

Den Heimweg treten wir mit ausgelassener Stimmung an, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten. Nachdem ein wir ein Erinnerungsfoto schießen, verlassen wir das Theater am Goetheplatz und begeben uns in Richtung der Haltestelle „Domsheide“, um mit der Straßenbahn nach Hause zu gelangen. Es ist kalt und recht spät. Um 22:00 Uhr fahren die meisten Bahnlinien nur noch halbstündig. Als wir in eine einsteigen wollen, scheint diese selbst spät dran zu sein und schließt direkt vor unserer Nase wieder die Tür. Mein Mantel wird in der schließenden Tür eingeklemmt, wir müssen ihn herausziehen. Fassungslos warten wir in der Kälte auf die nächste Bahn, die uns schließlich nach Hause bringt.

Es war ein gelungener Abend, vor allem das Stück war wirklich einen Besuch wert. In der Corona-Zeit haben sich einige alternative Formen des Theaters vor allem im digitalen Raum entwickelt. Ich denke aber, dass all diese Entwicklungen auch parallel zum Bühnentheater ablaufen werden ohne, dass das Präsenztheater dabei an seiner Relevanz oder Besonderheit verliert. 

Ich konnte es genießen den Schall der Instrumente auch körperlich zu spüren und kontrollieren zu können auf welche vielseitigen Aspekte des darstellenden Spiels ich meine Aufmerksamkeit richte. Ich glaube und hoffe, dass diese Form des Theaters sich zwar immer weiter ausdifferenziert, aber nie verschwinden wird. 

Vorausgesetzt die Pandemie lässt es zu.