Wie können wir uns in Zeiten globaler Krise selbstermächtigen?

von Reina Nuria Schmidt-Häuer

 

Wie können wir uns in Zeiten globaler Krise selbst ermächtigen und Gefühlen der Hilflosigkeit und Ohnmacht entgegenwirken?

Zweifelsfrei sahen sich Staaten immer wieder Krisenzeiten ausgesetzt, Umweltkatastrophen, polarisierender, menschenverachtender Politik oder grausamen Kriegen, und dennoch steht die Gesellschaft heute vor neuen Herausforderungen – tragische Nachrichten finden kein Ende und werden auf  verschiedensten Nachrichtenportalen und Kanälen in Dauerschleife verbreitet. Der technische Fortschritt digitaler Medien und deren globale Vernetzung sind immens, die Mitteilungen zu filtern, wird immer schwieriger. Beinahe in Echtzeit können wir Kriege in der Ukraine und oder in Nahost verfolgen, die Wahlkämpfe verschiedenster Länder. Jeden Tag, pausenlos erreichbar, setzen wir uns ebensolchen Eilmeldungen aus dem Nichts aus und werden permanent über die Geschehnisse in der Welt informiert.

Während wir besonders empfänglich für die schlechten Nachrichten sind, und diese in ihrer Anzahl überwiegend scheinen, wirken die Guten häufig zu komplex und unterlegen. Dieser Effekt auch „NegativerBias“ (Landeszentrale für politische Bildung NRW) genannt, führt   oftmals  zu   Überforderung.1

Laut   einer   Studie  des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen bestünde ein Zusammenhang in der Qualität der Bezugsquelle und der Zunahme von negativen Nachrichten in der Wahrnehmung der Proband:innen. So zeichne sich ein deutlich geringerer Anstieg etwa von Kriminalität (unabhängig von tatsächlichen Zahlen) nach der Entnahme der Informationen aus seriöseren Medien ab.2

Im kulturwissenschaftlichen Studium werden in großen Teilen auch beunruhigende Themen untersucht und konsequenterweise natürlich erwartet, über das Weltgeschehen im Bilde zu bleiben. Auch haben viele der Erst-Semester-Seminare zum Einstieg als Überblick etwaige Problematiken angerissen, ohne Lösungsansätze vorschlagen zu können (zeitbedingt) oder viel Raum für deren Auseinandersetzung oder Diskussionen zu bieten, nicht selten bleibt hiernach zusätzlich eher ein belastendes Gefühl. Wie aber können wir weiter informiert bleiben, ohne von der Infofülle und Negativität der breiten Medienlandschaft überflutet zu werden und unsere Hoffnung und Heiterkeit beibehalten? Und wie können wir Mitteilungen filtern, uns in Zeiten globaler Krisen selbstermächtigen, Gefühlen der Hilflosigkeit und Ohnmacht entgegenwirken?“ In Gesprächen mit Kommiliton:innen, befreundeten Personen, Eltern, Bekannten und höheren Semestern habe ich einige für mich neue Herangehensweisen und Ideen sammeln können, die ich nun im Anschluss näher ausführen möchte.

Zuallererst einmal differenzierten sich die verschiedenen Wege in der Beschaffung von Nachrichten der unterschiedlichen Generationen heraus. Viele bezögen Ihre Nachrichten neben der Zeitung vor allem aus dem Fernsehen und Radio, die an Tageszeiten gebunden und nicht permanente Begleiter im Alltag seien. Das deckt sich auch mit der GIM Mediengewichtungsstudie aus dem Jahr 2022, die einen deutlichen Unterschied zu den jüngeren Generationen mit dem Internet als Hauptquelle (70 % vs. 17%) verzeichnet und Fernsehen, Radio und Zeitungen als zweit und drittrangig einstuft.3

Daraus ergab sich ein erster Ansatz: Ob Nachrichten sich gezielter und kontrollierter aufnehmen lassen, zu gewollten oder gar festen Zeiten und „Plopp-Nachrichten“  verhindert würden. „Breakingnews“ reißen nicht selten aus dem Alltagsgeschehen heraus, wenn sie willkürlich, unerwartet auf dem Handydisplay erscheinen. Schlechte Nachrichten könnten bewusster einkalkuliert und sich anders darauf eingestelltwerden.

Häufig kam auch das Argument „weniger global, mehr lokal“ Nachrichten zu verfolgen. Kriegerische Auseinandersetzungen hat es immer gegeben und auch die aktuellen Entwicklungen und der derzeitige Rechtsruck vieler Ländern sind besorgniserregend. Das digitale Zeitalter ermöglicht es uns heute, international über alles informiert zu werden. Natürlich ist es wichtig, über globale Geschehnisse auf aktuellem Kenntnisstand zu bleiben, und dennoch reicht unsere Handlungsfähigkeit nicht bis ins Unendliche und demonstriert uns an etlichen Stellen unsere Machtlosigkeit.

Und damit zum nächsten Versuch: sich mehr noch mit regionalen Problemen auseinanderzusetzen und hier konkret gegen vorzugehen. Etwas auf lokaler Ebene bewirken zu wollen, erweist sich schnell als ebenso wichtig und effektiver, es muss nicht immer das große Ganze in Betracht gezogen werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Nicht vom Negativen, vom Positiven aus zu gehen. Vergessen wird häufig, welche Fortschritte unsere Gesellschaft schon gemacht hat und sie fortwährend tut. So haben sich in der Wissenschaft neue Bereiche etabliert wie in den 1990-2000er Jahren die Geschlechterforschung oder Bewegungen des 21. Jahrhunderts4, die infolge lautstarker Forderungen, durch gesetzliche Verankerung in der Verfassung, der Natur selbst Recht zusprachen so etwa 2008 in Equador oder Bolivien 2010.5

Im Austausch mit gleichaltrigen Freund:innen, Anfang und Mitte zwanzig, rückt vor allem politischer Aktivismus in den Fokus. Indem Raum für Handlungsfähigkeit geschaffen wird, bewirkt er ein selbstermächtigendes Gefühl. Gruppenarbeit bietet außerdem die Möglichkeit gegenseitig Frust aufzufangen und untereinander das Positive beizubehalten, wie dies etwa bei der Bewegung für „Fridays For Future“ zu beobachten war.6  Er vernetzt Menschen gleicher Meinung, die sich mit den Problemen nicht mehr allein konfrontiert und ausgesetzt sehen und stärkt den sozialen Zusammenhalt.

Eine letzte Methode für die Menschen, denen die kreative Auseinandersetzung mit Dingen hilft, könnte es sein, sich einen künstlerischen Ansatz zu überlegen und die Themen in Projekten zu verarbeiten. Tolle Beispiele zeigen unter anderem Werke von Felix Nussbaum, Valie Export oder Robert Longo.

Auch wenn die gesellschaftlichen Thematiken sich über die Jahre nur wenig verändert haben, stellen uns die Entwicklung digitaler Medien vor neue Schwierigkeiten, Abgrenzung und Umgang mit der negativen Infofülle zu finden. Wie unterschiedlich Ansätze sein können zeigt sich schließlich in den oben benannten Punkten: von der Art der Beschaffung der Nachrichten bis hin zu politischem Aktivismus und der Aufnahme in der Kunst gibt es so zahlreiche Möglichkeiten.

 

1 Vgl. (o.V.), 2025, Die Infofülle managen, Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfale.

2 Windzio, Michael, Simonson, Julia, Pfeiffer Christian, Kleemann, Matthias; 2007; Kriminalitätswahrnehmung und Punktivität in der Bevölkerung – Welche Rolle spielen Massenmedien?

3 vgl. (o.V), 2022, Mediengewichtungsstudie 2022-I Relevanz der Medien für die Meinungsbildung in Deutschland.

4 Dr. Heizmann, Daniela, 09.07.2015 Universität Göttingen, Gender Studies, Ihre Geschichte, ihre Gegenwart, ihre Zukunft.

5 Vgl. (O.V.) Private Law Gazette 02/2022, Rechte der Natur im Aufwind, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg.

6  Wächter/Natalia, Steinmann/Nico Maximilian, Eingegangen :1. April 2022, Angenommen 06.09.2023, Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Fridas for future zwischen Hoffnung und Frustration: Politische Selbstwirksamkeit im Verständnis junger Protestierender.

Literatur

Heizmann, Dr. Daniela, 09.07.2015, Universität Göttingen, Gender Studies: Ihre Geschichte, ihre Gegendwart, ihre Zukunft, Abgerufen 05.02.2025, 15:51: https: //www.uni-goettingen.de/de/document/download/575a2942fc0773dd646aaae375d1e005.pdf/Institutionalisierungsprozesse der Gender Studies 2015.pdf

Windzio, Michael, Simonson, Julia, Pfeiffer Christian, Kleemann, Matthias; 2007; Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität in der Bevölkerung – Welche Rolle spielen Massenmedien? Ergebnisse der Befragungen zur Kriminalitätswahrnehmung und Strafstellungeen 2004-2006, Forschungsbericht Nr. 103, S. 22, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, Abgerufen 04.02.2025, 09:56 : https://kfn.de/wp- content/uploads/Forschungsberichte/FB_103.pdf

Wächter/Natalia, Steinmann/Nico Maximilian, Eingegangen :1. April 2022, Angenommen 06.09.2023, Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Fridas for future zwischen Hoffnung und Frustration: Politische Selbstwirksamkeit im Verständnis junger Protestierender, S.12, Abgerufen 06.02.2025, 11:16: S. 12 https://d- nb.info/1318583691/34

(o.V.), Die Infofülle managen, Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen 2025, Abgerufen: 04.02.2025, 10:33; https://www.politische-bildung.nrw/digitale-medien/digitale-demokratiekompetenz/unser- digitales-leben-gestalten/die-info-fuelle-beherrschen

(o.V), 2022, Mediengewichtungsstudie 2022-I Relevanz der Medien für die Meinungsbildung in Deutschland, 21, Abgerufen am 05.02.2025, 15:33: https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/die_medienanstalten/Forschung/Mediengewichtungsstudie/Gewichtungsstudie_2022-I.pdf

(o.V.) Private Law Gazette 02/2022, Rechte der Natur im Aufwind, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg, Abgerufen 04.02.2025, 10:52; https://www.mpipriv.de/1593734/2022-2-rechte-der-natur-im-aufwind

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