Die Ausgangslage war klar: Nach einem 1:1 im heimischen Weserstadion brauchten die Grünweißen nun ein gutes Ergebnis beim AC Mailand, um die nächste Runde des UEFA-Pokal zu erreichen. Den ersten Dämpfer mussten ich und tausende anderer Werder Fans aber schon vor dem Spiel hinnehmen. Silvio Berlusconi, damaliger Chef Italiens, des italienischen Fernsehens und dem AC Mailand, hat die Rechte an der TV-Übertragung dermaßen hochgeschraubt, dass das deutsche Fernsehen dankend ablehnte. Was also tun? Die Antwort lag auf der Hand – oder um es plakativ auszudrücken, auf dem Ohr. Radio.

Die Senderfrage war schnell geklärt. Etwas anderes als Bremen 1 läuft ja eh nie, so ersparte ich mir wenigstens die ewige Suche nach einer Frequenz, auf der gerade nicht „I gotta Feeling“ von den „Black Eyes Peas“ (wir schreiben das Jahr 2009) läuft. Zurück zum Wesentlichen. Heiko Neugebauer und Henry Vogt heißen die beiden Sportjournalisten, die für Radio Bremen im Dienst sind und an dem denkwürdigen Abend in Mailand waren, um eine Reportage zu bieten, die sie, genau wie ich, ihren Lebtag nicht mehr vergessen werden.

Das Phänomen Public Listening

Es herrschte absolute Stille in 8 m² Küche meines Kumpels. Die Blicke wanderten von der Kaffeemaschine zur Spüle und weiter bis zu den Krümeln auf dem Fliesenboden. Die Hände klammerten sich um die Flasche Bier, während die Finger das Etikett zerpulten. Das Knie wippte vor Nervosität auf und ab. Dreimal schneller als der Sekundentakt der Uhr über der Tür. Einzig die Ohren konzentrierten sich und hingen förmlich an dem kleinem Radio von Casio, um das wir uns versammelt hatten. Public Listening ist eine komplett andere Erfahrung als das gemeinsame Schauen von Fußballübertragungen. Nicht unbedingt besser oder schlechter. Doch bei Weitem intensiver. Das Geschehen wird haargenau beschrieben. Keine Zeitlupe, keine Wiederholungen. Alles spielt sich zwischen dem gesprochenen Wort und der Fantasie jedes einzelnen ab.

Zur Halbzeit lag Werder schon 2:0 hinten, was gleichzeitig bedeutete das die Werderaner ein 2:2 benötigten um das Achtelfinale zu erreichen. Als Claudio Pizarro den Anschlusstreffer und später den gewinnbringenden Ausgleich erzielt brachen alle Dämme. Nicht nur bei Neugebauer und Vogt sondern auch die Kapazität der besagten Küche wurde durch unseren wilden Jubelsturm arg in Schwierigkeiten versetzt.

Für mich ist, vielleicht erst seitdem, Radio hauptsächlich mit Emotion verbunden. Das Geschehen so zu beschreiben, dass der Hörer gefesselt von den Worten ist und im Grunde alles stehen und liegen lässt nur um dem Beitrag zu lauschen. Das macht für mich die Faszination Radio aus. Das oben geschilderte ist nicht nur mein liebster Radiomoment, sondern gleichzeitig auch einer der schönsten Momente, die ich in meiner langen Karriere als Werder- Ach was… Fußball-Fan hatte.

Maximilian Kamp