Integration – Wertewelten in einer vielfältigen Gesellschaft Eine Uni-Bremen Blogs Website

3. Mai 2018

Was ist eigentlich „Integration“? Definition aus der Perspektive eines Einwanderungslandes

Integration ist ein gebräuchlicher, heute auch häufiger missverstandener, Begriff, der die Einbeziehung eines Individuums oder einer Gruppe in eine bestehende Gruppe meint. Die Bedeutung des Begriffes verändert sich in Nuancen mit dem gesellschaftlichen Zustand, der beschrieben wird. 2005 hat Deutschland politisch anerkannt, ein Einwanderungsland zu sein. Gerade in Ballungsräumen ist der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund heute  so groß, dass deutlich wird, das viele z. T. sehr unterschiedliche kulturelle Identitäten z. T. sehr unterschiedliche Ideen von gesellschaftlichem Leben haben. Integration heißt also nicht mehr, wenige Menschen ordnen sich in ein bestehendes kulturelles System ein, sondern viele Menschen entwickeln vor dem Hintergrund und auf Basis der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung eine neue gemeinsame Gesellschaft.

Die Missverständnisse beginnen, wenn dieser Prozess nicht von Anfang an als gegenseitig verstanden wird. Jemand, der nicht dazu gehören will, kann nicht integriert werden, und wenn eine Gruppe andere ablehnt, ist Integration auch kaum möglich. Jemand wird nicht integriert und kann sich auch nicht selbständig integrieren, Integration findet immer beidseitig statt.

Berry hat dies (zur Hälfte) in seinem Akkulturationsmodell erklärt: Migranten müssen zwei Fragen mit „Ja“ beantworten, damit von Integration gesprochen werden kann. Die erste Frage ist: „Möchtest Du Kontakt mit der Aufnahmegesellschaft?“. Die zweite Frage lautet: „Möchtest Du Deine eigene Kultur bewahren?“. In Erweiterung dieses ursprünglichen Modells ist heute klar, dass auch die Aufnahmegesellschaft beide Fragen bejahen muss.

Dabei bedeutet echte kulturelle gesellschaftliche Integration, dass ausgehandelt wird, welche kulturellen Eigenheiten in der integrierten Gesellschaft gemeinsam lebbar sind. Ehrenmorde und Zwangsheiraten gehören offensichtlich nicht dazu, die eigene Religion z. B. schon.

In unser heutigen globalisierten, kulturell vielfältigen Gesellschaft leben Menschen mit den unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen zusammen. Manche haben sich assimiliert (was in manchen politischen Parolen gerne mal mit „integriert“ verwechselt wird), manche haben sich separiert. Das erste macht die Gesellschaft evtl. kulturell ärmer, das zweite ist in einer vielfältigen integrierten Gesellschaft nicht sinnvoll, sondern kontraproduktiv bzw. des-integrierend. Integration bedeutet heute nicht mehr, die Frage zu stellen, wer wie worein integriert, sondern die Frage zu stellen:

Was ist das Ziel von Integration, wie sieht unsere gemeinsame Vision einer integrierten Gesellschaft aus?

Die eigentliche Frage ist also  -salopp formuliert: Wohin integrieren wir?

Zurzeit arbeiten viele deutsche Städte an Zukunftsvisionen, in Bremen ist das „Bremen 2035“. Die Frage nach der Vision, nach dem Ziel von Integration ist dabei immer eine Frage nach gemeinsamen Werten. Und diese Frage muss jedes Integrationskonzept beantworten können. Dabei helfen politische Parolen (die leidige „Leitkultur“) nicht weiter, weil nie konkret vorstellbar wird, was das für bayrischstämmige Politiker eigentlich bedeutet.

Als Basis für konkrete Ziele der Integration können nur das Grundgesetz und die Menschenrechte dienen. Integrationskonzepte – die als Vision auch konkret vorstellbare gesellschaftliche Zustände beschreiben, dürfen nicht auf die Ausformulierung der wesentlichen Gedanken der Verfassung und der Menschenrechte verzichten.

Mai 2018             Dr. Ulf Over, Sozial- und Interkultureller Psychologe, Bremen

Zitation dieses Artikels: Over, U. (2018). Was ist eigentlich „Integration“? Definition aus der Perspektive eines Einwanderungslandes. Onlinedokument: https://blogs.uni-bremen.de/integration/   [Abruf: …]

Keine Kommentare »

No comments yet.

RSS feed for comments on this post. TrackBack URL

Leave a comment

Powered by WordPress

Zur Werkzeugleiste springen