Mehrsprachigkeit und Deutschunterricht
9. Mai 2018
Eine der wohl größten Hürden für einen frisch eingewanderten Menschen, ist der Erwerb der dortigen Sprache. Doch auch das Schulsystem steht vor einer großen Aufgabe; der des Seiteneinstiegs. Darunter fallen Kinder mit geringen oder gar keinen Deutschkenntnissen, deren Schullaufbahn in einem anderen Land begonnen hat und eventuell Lücken aufweist. Solche Kinder benötigen eine besondere Förderung um die neue Sprache effektiv zu lernen.
Das Land Bremen setzt bei der Bewältigung dieser Aufgabe auf das teilintegrative Modell; dies bedeutet, dass die Seiteneinsteiger erst in Vorkursen alphabetisiert werden und die elementaren Strukturen der neuen Sprache erhalten. Nach Abschluss des einjährigen Vorkurses, der unbenotet ausfällt, werden die Kinder in den regulären Unterricht übernommen.
Ich selbst habe keine Erfahrungen mit Seiteneinsteigern gemacht, da es in meiner Schullaufbahn wenig Neuzugänge gab und diese allesamt bereits Teil des deutschen Schulsystems waren. Allerdings erhalte ich regelmäßig Informationen von meiner Mutter, die selbst Lehrerin an einer Gesamtschule ist und dort einen DaZ-Kurs leitet. So beschrieb sie mir, dass der Aufwand, sowohl von der Lehrkraft als auch von den Schülern deutlich größer sei als in einer konventionellen Klasse. Es muss sehr viel mehr auf die individuellen SuS eingegangen werden, weswegen Binnendifferenzierung der Schlüssel zum Erfolg ist. So gibt es in diesem Kurs ein 12-jähriges Mädchen, welches kein halbes Jahr in Deutschland lebt und in ihrem Herkunftsland eine mangelhafte Bildung erhielt. Nur mit größter Mühe gelingt es ihr dem Unterricht zu folgen und frisch Erlerntes wird schnell wieder vergessen. Die Lehrerin muss ihr den Großteil ihrer Aufmerksamkeit schenken, damit sie nicht komplett zurückgelassen wird. Doch solche Kinder sind die Ausnahme. Laut meiner Mutter lernt der Großteil des Kurses schnell und ist besonders engagiert die deutsche Sprache zu erlernen. Obwohl die SuS aus sehr verschiedenen Ländern kommen und unterschiedliche kognitive Fähigkeiten besitzen, zeigen sie sehr ähnliche Lernerfolge. Gesonderte Aufgaben gibt es nur für die oben erwähnten schwächeren SuS. Dies ist allerdings nicht die Regel; einer ihrer Kollegen unterrichtet einen anderen DaZ-Kurs, der so ziemlich das Gegenteil zu ihrem darstellt. Dieser Kollege bietet seinen SuS meistens unterschiedlich anspruchsvolle Aufgaben an und muss in einem noch stärkeren Umfang auf die jeweiligen Bedürfnisse eingehen.
Neben dem Vorkurs unterrichtet meine Mutter auch einige reguläre Klassen, in die SuS aus den Vorkursen dazugekommen sind. Ihre Erfahrungen mit diesen SuS sind äußerst gemischt. So gibt es einige Kinder, die schnell zum Niveau der Regelklasse aufgeschlossen haben und keine individuelle Behandlung benötigen. Oftmals stellte sich heraus, dass diese Kinder in ihrem Herkunftsland eine angemessene Bildung erhielten und ein relativ stabiles soziales Umfeld besitzen. Auf der anderen Seite existieren auch zahlreiche Gegenbeispiele. Gerade SuS mit großen Lücken in ihrer Schullaufbahn, haben enorme Schwierigkeiten Texte zu lesen. Dabei kann von Verstehen des Gelesenen keine Rede sein. Der Vorkurs wird von meiner Mutter als notwendig und hilfreich erachtet, reicht allerdings noch längst nicht aus. Die Erfahrungen decken sich weitestgehend mit den empirischen Daten. Die Seiteneinsteiger können innerhalb eines Jahres signifikante Verbesserungen verzeichnen, liegen aber auch im Folgejahr unter den Regelschülern. Bei den höheren Klassen sieht man jedoch, dass dieser Unterschied immer kleiner wird.