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Einer backt, einer braut

…und alle Köche gemeinsam lassen den Brei bis weit über die Ungenießbarkeit hinaus verbrennen. So einfach, althergebracht und allgemeingültig. Der gute Volksmund ist ein Sprachrohr dessen übertragener Informationsgehalt über Generationen durch sehr viele feine Siebe lief. An dieser Stelle eventuell etwas Paradox: viele Köpfe erdachten (über die Zeit) eine Weisheit dahingehend, dass zu viele Köpfe zwangsweise dem unnützen Chaos anheim zu fallen drohen (nicht-raum-zeit-gleich sind Menschen ja weitgehend harmlos). Aus Fehlern lernen wir. Aber wir merken sie uns nicht. Wir erinnern uns erlebter Erfolge. Und wir üben durch Wiederholung die Prozeduren ein, welche diese hervorrufen. Daher das Wissen darum, dass zu viele beigetragene Meinungen (Köche) einem geplanten Projekt (Brei) eher hinderlich im Wege stehen; den Erfolg versagen können. Kontraproduktivität durch verwässerte Zielsetzung. Ergo: Halte die Entscheidungsebene klein!

In diesem Land, der Bundesrepublik (solltest du im Urlaub sein), vertreten sechhundertzweiundzwanzig Frauen und Männer (2010; bundestag.de) die Belange von einundachtzigmillionenachthundertundzweitausendunddreihundert Bürgerinnen und Bürgern (2009; destatis.de). Interessant. Sicher beidseitig beängstigend. Demokratisch??  Ist hier ja grad nicht die Frage. Effektiv? Trifft’s da schon eher. Pro: es mag seine Zeit dauern, doch Entscheidungen werden getroffen. Kontra: es wird nicht der eigentliche Wille des Volkes [wer soll das auch sein?] vertreten; „dessen Wille“ wird aus den Ergebnissen der abgegebenen Wählerstimmen gleich einem Kaffesatz herausgelesen oder eher abgeleitet/extrapoliert. Dennoch zeigt sich das System als recht effektiv und stabilitätsfördernd. Mir ist warm. Satt bin ich auch. Weihnachten war ich fürchterlich betrunken. Also kurz gesagt haben wir alle mehr, als wir bräuchten. Uns geht’s doch gut. Egal wer, wo, welche Entscheidungen für uns trifft.

Wäre das ebenso der Fall wenn wir alle zu gleichen Teilen an der Entscheidungsfindung beteiligt wären? ‚tüüüürliiich. Wir träfen uns……sagen wir…..eines Mittwochs(!) und weil wir alle ja so bescheiden sind und vor lauter Friede-Freude-Eierkuchen-Mentalität schier platzen mögen, stimmen wir auch alle sofort einem, von wem auch immer gemachten, Vorschlag zu und ergeben uns einander in inniger körperlich-seelischer Wohlschätzung füreinander. Ja, klar. Es sollte jedem klar sein, dass es zwischen Menschen und ihren Positionen/Meinungen immer Diskrepanzen gab/gibt/geben wird. Jene verhindern nicht nur, dass Entscheidungen zeitnah und bedarfsgerecht gefällt werden können, sondern sie beeinflussen auch ganz allgemein unser Wissen. Sie sorgen dafür, dass Informationen durch interessengeleitete Weitergabe – manchmal auch schlicht durch Unwissenheit – an Wahrheitsgehalt verlieren.

Ein Konglomerat von Wissen, ein Sammelband, vereinigt (wie der Name schon sagt) in sich Aufsätze, Essays, Beiträge von unterschiedlichen Verfassern. Ein, wie ich finde, guter Sammelband bietet dabei auch gleich Kurzbiographien der – mindestens aber ein paar Informationen zu den – Autoren, Herausgebern und deren aktuellen Forschungsschwerpunkten/Betätigungsfeldern. Dies gibt dem geneigten Leser die Möglichkeit die in einzelnen Texten getroffenen Aussagen auch gedanklich gleich in einen größeren Kontext einzuordnen und den gegebenen Informationsgehalt für eigene Forschungszwecke nutzbar zu machen. Um so mehr zeigt sich hier ein Gewinn, da die personenbezogenen Daten der Autoren eine Einschätzung des Wahrheitsgehaltes der jeweiligen Aussagen erlauben. Der Artikel eines Professors/Dozenten/Wissenschaftlichen Mitarbeiters einer namhaften Einrichtung zitiert sich schon – sagen wir ruhig es wie es ist – gewinnbringender als der Satz eines Horst P. aus A. zum Beispiel. Hans-Ulrich Wehler (Historiker) gibt in einem Essay folgendes zu bedenken: „Selbst im Zeitalter der angeblich unvermeidbaren Teamarbeit hat die Herausforderung offensichtlich nicht an Reiz verloren, im Alleingang solche Synthesen zu versuchen.“ (Wehler 1998: Politik in der Geschichte, 215). Satz und Essay beziehen sich auf das ‚Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands‘ von F.W. Henning. Die Aussage zielt aber auch auf die im Vorfeld erwähnte „anwachsende Reihe“ (Wehler 1998: Politik in der Geschichte, 214) geschichtlicher Gesamtdarstellungen, wie den Werken Nipperdeys, Brachers, Mommsens, u.v.a. Autoren (natürlich sei der von Wehler selbst verfassten ‚Deutschen Gsellschaftsgeschichte‘ an dieser Stelle ebenso Respekt gezollt). Diese Werke gehören in der historischen Forschung zum grundlegenden Standard und machen sich grade auch durch unterschiedliche methodische Herangehensweise und Schwerpunktsetzung bei der komparativen Arbeit sehr nützlich; erlauben sie doch umfassend schnellen Zugang in die Materie. Grundlegendes Wissen, von fachlich befähigten Menschen zusammengetragen. Einzig das Manko der abnehmenden Aktualität ließe sich diesen Werken andichten. Soviel zur gedanklichen Einleitung.

Womit wir bei den Wikis wären. Auch hier mag man die Aktualität als zumindest fragwürdig ansehen. Jeder kann jederzeit Informationen hinzufügen. Keiner weiß um die Aktualität der Infos des anderen (klar hab ich die Zeit jedesmal die archivierten Vorgängerartikel zu checken, nur um sicher zu gehen). Und so wie die vielen Köche mögen die „Autoren“ dann am Informationskessel vorbeilaufen und überzeugt davon sein, der jeweils andere habe bereits umgerührt, da sie ihn just noch an Kochstelle und Kessel herumlungernd wähnten. Konsequenz: es gibt Pizza.

Grob gesagt mag ich mich den Ausführungen Pavel Mayers eigentlich anschließen, der die Lösung des Exkludisten-Inkludisten-Diskurses in der Mitte zu suchen vorschlägt und zu finden hofft. Allerdings sehe ich nicht die Gefahr, die Mayer von Seiten der Exkludisten bezüglich der „Löschwut“ befürchtet. Prinzipiell ist es schon bedenklich, wenn Informationen quasi zensiert werden. Eine Zensur muss aber ja nicht gleich einen Ausschluss bedeuten. Wie in einem vorangegangenen Artikel erwähnt, sind so ziemlich alle uns erreichenden Informationen auf die eine oder andere Art gefiltert. Pressemitteilungen stammen teilweise aus denselben Quellen. Den Blogeinträgen einer beliebigen Privatperson zu folgen garantiert auch keinen Zugang zu „freien“ Informationen. Diese existieren schlicht nicht (Dr. Bretlmanns Socken). Ich kann nicht wissen, durch welche Informationen die Aussagen eines Bloggers geprägt sind, es sei denn sie/er/es verrät es mir. Eventuell lagen mir vor Kenntnisnahme des Blogs bereits die gleichen Daten vor, diese sind nur nochmal durch eine andere Blackbox (Blogger) gelaufen und neu aufbereitet worden. D.h. eine kritische Prüfung von Informationen ist grundsätzlich notwendig. Würden wir alle uns der Aufgabe stellen, die uns verfügbaren Informationsströme täglich ungefiltert bearbeiten zu wollen….naja, das kann sich ja jede/r gern mal selbst ausmalen.

Die Relevanzkritik Mayers bezüglich Wikipedia ist berechtigt und nachvollziehbar. Auch die o.g. Autoren von Schriften monumentalen Ausmaßes müssen selektiv arbeiten. Sie müssen Entscheidungen für oder gegen das Verwenden von Informationen treffen. Aus der fast unendlichen Anzahl von Quellen wählen sie aus. Nach Relevanz. Relevanz gegenüber ihrer eigenen Methode und/oder Fragestellung. Ohne solche Kriterien ist jede Forschungsdarstellung zum kläglichen Scheitern verurteilt.

Da ich persönlich dazu tendiere, lieber Medien zu nutzen, deren Inhalte von versierten Kennern des jeweiligen Fachs stammen, von Autoren, deren Vita nachvollziehbar ist und die mir sagt „Der Mensch mag ja falsch liegen, das aber auf höchstem Niveau“, stelle ich mich in dieser Diskussion entschieden auf die Seite der Exkludisten. Wenn ein Rahmen von Kriterien geschaffen ist, nach dem Informationen ausgewählt und aufgenommen werden, und ein Kreis fachspezifischer Rezensenten über deren Wert und Verarbeitung/Präsentation beschieden hat, kann das Ergebnis sicher auch gehobenem Anspruch gerecht werden. In meiner untrüglich optimistischen Weltsicht halte ich zudem an dem Glauben fest, dass kein gebildeter Mensch seinen Mitmenschen Wissen vorzuenthalten gewillt ist; manipulationistische Bestrebungen akademisch zu besiegen sind(!). Und tatsächlich sähe ich es deshalb lieber, wenn Informationen wissenschaftlichen Anspruchs „gekämmt“ werden, da ich denke, dass sich genug Menschen da draußen finden, denen das „Handwerkszeug“ fehlt, dem „Informationsstruwwelpeter“ unserer Zeit kritisch gewappnet entgegenzutreten. Dann könnte auch die weltweite Verbreitung verifizierbaren Wissens über Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Was_Wikipedia_nicht_ist – Punkt 2), inklusive des Vorteils der Aktualität gegenüber Printmedien tatsächlich möglich sein. Ob sich dies dann allerdings noch unkommerziell verwirklichen lässt, ist eine andere Frage.

Wenn mein persönlicher Wunsch nach tatsächlich akademisch nutzbarem Wissen dem Offenheitsanspruch von Wikipedia im Verlauf seiner fortschreitenden Entwicklung allerdings konträr gegenübersteht, ergibt sich daraus nur die Konsequenz, das Angebot von Wikipedia für die eigene Arbeit nicht heranzuziehen. Ein Grundsatz dem ich persönlich nur zu gerne folge und dem ich auch schon weitgehend nachkomme. Zumindest solange wie die dort bereitgestellten Informationen nicht im exkludistischen Sinne als „gesichert“ angesehen werden können.



One Comment

  1.   Anne wrote:

    Hey Jürgen,
    ein sehr lesenswerter Artikel!
    Ich würde auch nicht aus der Wikipedia zitieren, nutze die Wikipedia aber dennoch ab und zu um einen schnellen Überblick über ein Thema zu bekommen.
    Viele Grüße

    Montag, Januar 3, 2011 at 18:11 | Permalink

One Trackback/Pingback

  1. eSTUDI-E1 | Reflexion on Freitag, Januar 7, 2011 at 20:08

    […] Jürgen: Viele Köche verderben den Brei? […]

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