Autorinnen: Lena Wende, Fenna Walter
Insektenschutz und Umweltbildung
Die traditionelle Trennung zwischen Natur und Kultur sowie zwischen Mensch und Umwelt wird bereits seit über 20 Jahren in den Diskussionen der Geographie kritisch hinterfragt (Falcon 2023, 23). Die sogenannten posthuman geographies Debatten befassen sich mit Ko-Existenzen und Interaktionen zwischen Menschen und dem sogenannten more-than-human, also Beziehungen, die über das Menschliche hinausgehen (Steele et al 2019, 411). Koexistenzen beziehen sich hierbei auf das gleichzeitige Vorhandensein und Zusammenleben von Menschen und anderen Spezies in einem gemeinsamen Lebensraum, Interaktionen beschreiben die direkten und dynamischen Austauschprozesse zwischen ihnen. Dieses Verständnis basiert auf einer post-anthropozentrischen Perspektive, die die Bedeutung von Nicht-Menschen und ihre Aktivitäten innerhalb der Stadtlandschaft anerkennt und den Gedanken einer Artenhirarchie ablehnt (ebd.). Demnach wird in der aktuellen more-than-human Forschung analysiert, inwiefern die “empathetic and careful more-than-human city” bereits praktiziert wird (ebd.). Hierbei werden Fragen der Fürsorge (engl. Care) für more-than-human aufgeworfen. Laut der Autorin Joan Tronto wird unter Care alles verstanden, “that we do to maintain, continue and repair our world so that we can live in it as well as possible” (Puig de la Bellacasa 2017, 3). Diese Care-Ethik ermutigt dazu, die Bedürfnisse aller Lebewesen in der Stadt zu berücksichtigen und eine sensiblere Beziehung miteinander zu führen (Steele et al. 2019, 411). Bei der untersuchten Care-Praktik dieses Blogbeitrags handelt es sich um die Verbindung aus der Fürsorge für den Insektenschutz und der Umweltbildung. Der rund 800 m² große BUND Insektenschaugarten am Weserwehr in Bremen dient hierbei als exemplarischer Untersuchungsgegenstand, welcher diese beiden Care-Praktiken um more-than-human vereint. Die empirische Untersuchung stützt sich hierbei auf eine teilnehmende Beobachtung eines Rundganges im Insektenschaugarten und auf ein Interview mit dem Projektverantwortlichen des BUND Landesverbandes Bremen.
Der Insektenschaugarten kombiniert die genannten Praktiken, indem der Garten als solches die Materialität des Insektenschutzes widerspiegelt und zudem Hobbygärtner:innen inspiriert, ihre Gärten insektenfreundlicher zu gestalten. Der Schaugarten bietet durch angebotene Rundgänge Einblicke in die Strukturen, Konzepte und Pflanzen des insektenfreundlichen Gärtnerns, da dieser durch verschieden angelegte Habitate als Rückzugsort für Insekten und Wildbienen dient. Gleichzeitig können sich Besucher:innen durch das Nutzen des physischen Gartens und der vor Ort aufgestellten Informationsschilder autark weiterbilden. Übergeordnetes Ziel ist es, den Garten zu einem Erlebnis- und Lernort zu entwickeln, an dem “Leute mehr darüber lernen, wie man eigentlich Insekten schützen kann und was realistische Maßnahmen dafür sind” (Interview BUND).
Der Insektenschaugarten wird durch das Engagement und die Zusammenarbeit verschiedener Akteur:innen getragen, die sich auf organisatorische, pflegerische und annehmende/private Ebene verteilen. So ist die Umsetzung des Gartens (organisatorische Ebene) das Ergebnis einer Kooperation mehrerer Institutionen. Der BUND Landesverband Bremen ist Initiator der Konzeption des Gartens sowie des Umweltbildungsprogramms und wird von der Regionalgruppe Weser-Ems des Naturgarten e.V. sowie vom Verband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Niedersachsen-Bremen e.V., der besonders am Bau des Gartens beteiligt war, unterstützt (BUND Landesverband Bremen 2024a). Bereits von Beginn an wurden Auszubildende daran beteiligt, den Garten zu errichten, wodurch bereits beim Bau wertvolle praktische Erfahrungen gesammelt wurden. Die ausführende/pflegerische Ebene wird vom ehrenamtlichen Arbeitskreis Insektengarten betrieben. Diese Gruppe setzt sich vor allem aus Rentner:innen und aus einigen Studierenden zusammen, die vor allem regelmäßig Beikräuter entfernen, gießen, Sträucher schneiden, Müll sammeln und Reparaturarbeiten durchführen. Diese Aufgaben werden durch spezifische Gruppen wie die Krautgruppe oder Gießgruppe organisiert, um die Instandhaltung des Gartens zu gewährleisten. Zudem führt ein Mitglied die Rundgänge des Insektengartens durch (ebd., 2024b). Auf der annehmenden Ebene befinden sich Hobbygärtner:innen, die an Veranstaltungen des BUNDs teilnehmen, welche häufig selbst BUND-Mitglied sind. Außerdem umfasst diese Gruppe passive und/oder aktive Besucher:innen des Gartens, welche sich im Insektengarten aufhalten und verschiedene Bildungsangebote autark nutzen.
Die untersuchten Praktiken leisten einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung von Bewusstsein für Naturschutz, indem Menschen animiert werden, die Ideen des Naturgartens in ihren privaten Räumen umzusetzen und innerstädtische Naturerfahrungen zu schaffen. “Ich glaube sogar, dass das Wichtigste, was Umweltbildung machen kann, ist, diesen ersten Schritt zu setzen, dass Menschen Natur erfahren” (Interview BUND). Durch die Förderung der Artenvielfalt und die Gestaltung insektenfreundlicher Gärten wird zudem ein wichtiger Beitrag zum Erhalt der Stadtnatur und der Biodiversität geleistet. Der BUND und der Arbeitskreis betonen, dass „wenn jeder einen kleinen Teil leistet, hat dies eine große Wirkung und Fläche für die StadtNatur“ (Beobachtungsprotokoll). Neben der Wirkmächtigkeit von privaten Naturgärten und Balkonen verweist der BUND jedoch auf die Verantwortung der Stadt zur Schützung der Biodiversität, besonders in Hinsicht der steigenden Flächenversiegelung. Der Insektenschutz ist zwar bereits in den politischen Bestrebungen Schottergärten zu verbieten und Flachdächer zu begrünen eingebettet (Freie Hansestadt Bremen 2023), allerdings vertritt die Stadt “alle möglichen Interessen, die sie unter einen Hut bringen müssen.” (Interview BUND). Dennoch wird von dem Land Bremen, welches Hauptfinanzier des BUND ist, eine Biodiversitätsstrategie erarbeitet, die weitere Natur- und Insektenschutzmaßnahmen implementieren soll (Freie Hansestadt Bremen o.J.). Zudem steht der BUND im Austausch mit dem Umweltbetrieb Bremen, welcher bereits eine Biodiversitätsstrategie entwickelt hat, in der Pflegepraktiken, wie das Liegenlassen von Totholz oder das Erhalten von offenen Sandflächen, zu einer Artenvielfalt beitragen sollen (Umweltbetrieb Bremen o.J.).
Trotz der politischen und finanziellen Unterstützung der Stadt konnten Konflikte und Herausforderungen hinsichtlich der Praktiken identifiziert werden. Die Verteilung von knappen Mitteln sowie das unsichere Budgetmanagement in der Planung stellen Herausforderung für den BUND dar. Es fehlen oft Mittel, um Ideen wie zusätzliche Infotafeln oder Projekte wie „Insekt des Monats“ umzusetzen, weshalb häufig abgewägt werden muss “Was ist gerade wichtig und was nicht?” (Interview BUND). Diese finanziellen Einschränkungen limitieren die Möglichkeiten, die Umweltbildung weiter auszubauen und eine breitere Masse zu erreichen. Dies ist gleichzeitig mit der stetig begleitenden Frage des BUNDs verbunden, wie Menschen außerhalb der “Bubble” erreicht werden können (ebd.). Die Teilnahme an Umweltbildungs-Veranstaltungen ist oft auf BUND-Mitglieder beschränkt. Eine größere Teilnahme könnte erreicht werden, indem Veranstaltungen medial öffentlich angekündigt würden. Dies würde die Reichweite der Bildungsangebote erweitern und mehr Menschen in die Aktivitäten des Insektenschaugartens einbeziehen (Beobachtungsprotokoll). Ein weiterer Konfliktpunkt ist die Ästhetik von Naturgärten, die häufig nicht als ansprechend angesehen werden. Um mehr Besucher:innen zu inspirieren, werden im Insektenschaugarten auch nicht heimische, sondern ästhetisch ansprechende Pflanzen eingesetzt, um Aufmerksamkeit zu erlangen. So wurde während des Rundganges erläutert, dass Brennessel zwar eine wertvolle Pflanze für Insekten sei, dieser jedoch als Unkraut und nicht ansprechend von der Allgemeinheit bewertet wird (Beobachtungsprotokoll).
Die Bedeutung von Care für die Akteur:innen ist vielschichtig und tief in ihrem Engagement verankert. Die Mitglieder des Arbeitskreises treffen sich regelmäßig, um ihre Aufgaben zu besprechen und tauschen sich nach der Gartenarbeit im Paulaner’s bei einer Tasse Kaffee aus. Diese Treffen stärken das Gemeinschaftsgefühl und die sozialen Bindungen unter den Mitgliedern. Die Arbeit im Insektengarten und die der Hobbygärtner:innen ist mit starken emotionalen Erlebnissen verbunden. Ein Beispiel dafür ist die Freude und Zufriedenheit einer Rundgang-Teilnehmerin, wenn nach dem Einpflanzen insektenfreundlicher Gewächse in ihrem Garten Insekten wie der Königsfalter auftauchen. “Es gibt einem Hoffnung, weil es so gut funktioniert” (Beobachtungsprotokoll). Diese positiven Erfahrungen bestärken die Akteur:innen in ihrem Engagement und motivieren sie, weiterzumachen. Viele der Akteur:innen haben ein starkes Interesse am Naturschutz und sehen den Garten als Möglichkeit, zur Erhaltung der Artenvielfalt beizutragen. Andere sind durch den Aspekt der Selbstversorgung motiviert, da sie Obst, Gemüse und Honig aus eigener Imkerei gewinnen möchten. Eine Teilnehmerin beschreibt, wie vor 20 Jahren mit dem Selbstversorgungsgedanken die Gartenarbeit begonnen wurde, sie aber mittlerweile einen Garten gestaltet, der allen Insekten einen Lebensraum bieten soll. Aussagen wie „Es ist total beruhigend, wenn es im Salbei brummt und summt“ und „Es ist gut für die Ernte und gut für uns“ zeigen, dass die Pflege des Naturgartens sowohl einen ökologischen als auch einen emotionalen und praktischen Nutzen hat (Beobachtungsprotokoll). Eine weitere Teilnehmerin merkt an, dass die Arbeit im Garten auch ein wenig egoistisch sei, da sie es “einfach schön” findet (ebd.). Dieses gemeinsame Interesse an Naturschutz schafft eine starke Basis für Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung. Das Interview mit dem BUND warf zudem einen neuen Aspekt auf, der den Interviewten zu diesen Praktiken des Insektenschutzes und der Umweltbildung bewegt: “Ich habe das Gefühl, ich bewege was, ich bin diesen Ängsten [climate anxiety] nicht nur ausgesetzt. Ich kann auch was dafür machen, dass es besser wird.” (Interview BUND). Zudem wird betont, dass die Arbeit und der Austausch mit Menschen, die den Naturschutzgedanken noch nicht verfolgen, als besonders wertvoll angesehen werden. Insgesamt zeigt sich, dass die Sorge um den Insektengarten weit über die praktische Gartenarbeit hinausgeht. Sie umfasst emotionale, soziale und persönliche Erfahrungen, die ihnen sowohl individuelle Erfüllung als auch ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln.
Abschließend kann festgehalten werden, dass die Praktiken eng mit übergeordneten Diskursen und politischen Agenden verbunden sind, die sich mit Umweltschutz, Biodiversität und nachhaltiger Stadtentwicklung beschäftigen und den Rahmen des Natur- und Insektenschutzes bilden. Gleichzeitig hat die Empirie gezeigt, wie lokales, ehrenamtliches Engagement eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Verlust der Biodiversität spielen kann und Kleingärten sowie Balkone “nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein [sind], wie es sich manchmal anfühlt.” (Interview BUND). Selbst die Literatur bestätigt die geographische Aufmerksamkeit auf (Gemeinschafts-)Gärten mit dem Potential, ethische Positionen gegenüber more-than-human zu verändern (Pitt 2018, 254). Die an dem Rundgang teilnehmenden Hobbygärtner:innen gaben an, den Naturschutzgedanken, den sie in ihren eigenen Kleingärten bereits praktizieren, aktiv in ihrem Kleingartenverein zu verbreiten (Beobachtungsprotokoll). Dennoch befasst sich die Autorin Hannah Pitt mit der These, dass Naturerfahrungen alleine nicht zwangsläufig zu einer ethischen Fürsorge für more-than-human führen, wie es häufig in der Umweltbildung angenommen wird (vgl. Pitt 2018). Die Sichtweise auf Interaktionen mit der Natur in Kleingärten ist oftmals instrumentalisiert, bei der Pflanzen und Tiere in erster Linie als Ressourcen angesehen werden, die für menschliche Bedürfnisse genutzt werden (ebd., 268). Um dies zu überwinden, ist das Gefühl von emotionaler Verbundenheit erforderlich sowie das Verständnis für die Verflechtungen zwischen den Menschen und more-than-human (ebd., 270). Die teilnehmenden Hobbygärtner:innen durchlebten diese Entwicklung, weshalb diese ihre Gärten nicht mehr nur aus dem Selbstversorgungsgedanken sondern vor allem aus dem Naturschutzgedanken pflegen. Vom BUND wurde die Wirkung der Umweltbildung und Naturerfahrung reflektierend wie folgt zusammengefasst: “Es ist zwar nicht so, dass wenn man Natur kennt, man automatisch Naturschützer:in wird. Aber wenn man Natur nicht kennt, dann kann man auch kein/e Naturschützer:in werden.” (Interview BUND).
Literaturverzeichnis
BUND Landesverband Bremen (2024): Insektenschaugarten am Weserwehr. Lass brummen. (Zuletzt aufgerufen am: 12.08.2024)
BUND Landesverband Bremen (2024a): Von der Idee, über die Planung, bis zum Bau! (Zuletzt aufgerufen am: 23.09.2024)
BUND Landesverband Bremen (2024b): Arbeitskreis Insektengarten (Zuletzt abgerufen am: 27.09.2024)
Falcon, J. (2023). Toward a critical posthuman geography. Cultural Geographies, 30(1), 19-34.
Freie Hansestadt Bremen (2023). Ortsgesetz über die Begrünung von Freiflächen und Flachdachflächen in der Stadtgemeinde Bremen (Begrünungsortsgesetz Bremen). (Zuletzt aufgerufen am: 27.07.2024)
Freie Hansestadt Bremen (o.J.). Erarbeitung einer Biodiversitätsstrategie für das Land Bremen (Zuletzt aufgerufen am: 12.07.2024)
Puig de la Bellacasa, M. (2017). Matters of care: Speculative ethics in more than human worlds. Minneapolis: University of Minnesota Press. [daraus: Introduction: The Disruptive Thought of Care. S. 1-24.]
Pitt, H. (2018). Questioning care cultivated through connecting with more-than-human communities, Social & Cultural Geography, 19:2, 253-274, DOI: 10.1080/14649365.2016.1275753
Steele, W., Wiesel, I., & Maller, C. (2019). More-than-human cities: Where the wild things are. Geoforum, 106, 411-415.
Umweltbetrieb Bremen (o.J). Unsere Biodiversitätsstrategie. (Zuletzt aufgerufen am: 09.08.2024)
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