Stolz

Du sitzt allein in dem feuchten, unterirdischen Verlies. Die Luft ist erfüllt von dem Gestank nach Fäkalien und Moder. Im schwachen Fackellicht, dass durch die Ritzen in der schweren Holztür vor dir scheint, erkennst du kaum die Hand vor Augen. Draußen auf dem Gang ist das vielstimmige Wehklagen der vielen anderen hier gefangenen Seelen zu hören. Dies alles erträgst du nun bereits eine Weile, aber bisher hat dich nichts dazu bewegen können, deine Meinung in irgendeiner Weise zu ändern.

„Los du bist dran!“ ruft eine harte Stimme von draußen und deine Tür wird aufgestoßen. Es kommen zwei schemenhafte Männer herein, packen dich an den Armen und zerren dich aus deinem Verlies. Du wirst durch flackerndes Licht schlecht beleuchtete, niedrige Gänge gebracht, über alte ausgetretene Steintreppen und durch schwere, alte Holztüren bis du schließlich durch ein Tor in einen Hof gebracht wirst.

Die Sonne scheint erbarmungslos herab und blendet deine Augen. Du brauchst eine Weile, bis du das Farbenspiel weggeblinzelt hat und erkennst, was sich vor dir in der Mitte des Innenhofs auftürmt – ein gewaltiges Podest umringt von vielen Hundert Menschen. Auf dem Podest ist eine Konstruktion aus groben Holzbalken angebracht und daran baumelt ein einzelner Stick – dein Strick.

Die starken Hände zerren dich den Weg entlang, aber du weißt, deine Meinung steht fest und wird sich nicht ändern. Mit erhobenem Haupt lässt du dich die Treppe zum Podest hinauf begleiten. Dann steht vor dir ein kleiner Mann in feine Kleidung gehüllt und fragt dich, ob du hier und jetzt widerrufen willst, aber du bist dir keiner Schuld bewusst und lächelst ihn nur verächtlich an. Der schüttelt traurig den Kopf und murmelt noch etwas, als du in die Mitte des Podestes geführt wirst. Dort fühlst du das kratzen des Hanfknoten, der um deinen Hals gelegt wird. Dein Blick schweift noch einmal über die Menge, alle Augen sind auf dich gerichtet und viele schauen mitleidig zu dir hinauf. Du aber bist dir sicher, dass du richtig liegst, daher schaust du stur geradeaus.

Der kleine Mann beginnt die Anklage zu verlesen oder besser, was sie dafür halten, du glaubst du weißt es besser. Alles was sie dir vorwerfen ist nicht richtig, du bist der Meinung, dass alles ganz anders ist. Was passiert gerade? Einen kurzen Moment warst du für einen Augenblick von Zweifel ergriffen, aber das ist schon wieder vergangen. Die Verlesung ist beendet und du hörst nur noch die Worte: „Geh mit Gott!“ Der Henker mit einer Kapuze greift mit beiden Händen nach einem groben Hebel und schaut noch einmal zu dem kleinen Mann hinüber, der nur einmal kurz nickt, wobei er ein „stehe Gott uns bei“ vor sich hin murmelt.

Plötzlich siehst du es vor dir, hast du wirklich die richtige Entscheidung getroffen? War das alles so wie du es wolltest? Einen Augenblick später verlierst du den Boden unter den Füßen und das letzte was du spürst ist wie sich der Strick spannt, dann nur noch Dunkelheit.

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