Treue

Posted in Die Feder on Dezember 15th, 2011 by

Du hattest einen langen Tag im Büro, einen wirklich langen Tag. Endlich kannst du das Gebäude verlassen und dich auf den Heimweg machen. In Gedanken bist du schon längst bei deiner Familie. Was sie wohl gerade tun? Noch einen letzten stummen Gruß an den Pförtner, dann bist du auch schon zur Tür hinaus und betrittst den Parkplatz. Noch ein paar Schritte und du sitzt in deinem Wagen. Dann nur noch eine halbe Stunde, vielleicht auch weniger um diese Zeit, und du bist zu Hause. Wieso musste ausgerechnet heute das Meeting so lange dauern, dass du danach deine reguläre Arbeit nicht rechtzeitig fertig bekommen konntest? Vielleicht tust du einfach zu viel für deine Firma. Du solltest viel mehr Zeit mit deiner Frau und deinen Kindern verbringen. Es ist ja auch bald wieder Wochenende, mal sehen, was ihr zusammen unternehmen könnt. Du hast deinen Wagen fast erreicht, besonders viele Autos stehen um diese Zeit nicht mehr auf dem Parkplatz. Da tritt plötzlich ein Mann im Anzug auf dich zu.

Du weißt nicht, woher er so plötzlich aufgetaucht ist. Aber was dich wirklich wundert ist, du kennst ihn. Ja du erkennst ihn. Wirklich sicher bist du dir nicht, aber dieses Gesicht würdest du nie vergessen. Der Mann steht vor dir und beginnt, noch bevor du irgendwas sagen kannst, seinen rechten Hemdärmel aufzuknöpfen und seinen Unterarm zu entblößen. Du wunderst dich ziemlich. Wieso macht dieser Kerl das und vor allem, woher kennst du ihn? Du bist dir einfach nicht sicher. Dann streckt er dir seinen Unterarm entgegen und du entdeckst es – nein anders, du weißt bereits, dass es da ist, noch bevor du es sieht, aber woher – das Mal! Er trägt es, genau da wo er es tragen sollte. Dir ist sofort bewusst, was er von dir will. Ja du wirst es tun, es erlaubt keine wie auch immer anders geartete Entscheidung. Der Mann reicht dir – immer noch wortlos – eine Visitenkarte von einem kleinen Hotel in der Nähe der Stadt, krempelt seinen Ärmel wieder runter und verlässt dich mit einem kurzen Nicken. Du steigst in deinen Wagen, fährst heim und weißt genau, was du zu tun hast.

Als du zu Hause ankommst, fährst du deinen Wagen in die Garage – ein letztes Mal – und schließt deine Frau und deine Kinder in deine Arme – ein letztes Mal. Du setzt dich mit deiner Familie an den Esstisch, wo sie extra heute auf dich gewartet haben und isst mit ihnen gemeinsam zu Abend – ein letztes Mal. Danach bringst du deine Kinder ins Bett und gibst ihnen einen gute Nachtkuss – ein letztes Mal. Während sich deine Frau sich im Bad fertig macht, packst du ein paar Sachen zusammen, die du brauchen wirst. Anschließend lügst du deine Frau eine letztes mal an, dass du nur noch rasch ein paar Kleinigkeiten im Wohnzimmer erledigen willst. Du gibst ihr einen letzten Kuss und verlässt das Haus – ein letztes Mal. Mit deinem Wagen geht es dann aus der Stadt hinaus und du denkst ein letztes Mal an deine Familie, die du zurück gelassen hast. Aber dann sind deine Gedanken voll auf die Zukunft gerichtet. Du weißt, was von dir verlangt wird und du wirst es erfüllen. Du wirst den Schwur nicht brechen, den du vor einer Ewigkeit abgelegt hast und nichts und niemand wird dich daran hindern. Es ist egal, wohin dich diese Zukunft führen wird, aber du wirst von deinem Weg nicht weichen!

Der Sturm

Posted in Die Feder on Dezember 2nd, 2011 by

Du stehst ganz allein auf dem Deich der einsamen Hallig und lässt deinen Blick im Licht der untergehenden Sonne über das Meer schweifen. Am Horizont siehst du eine dunkle Wolkenfront bedrohlich auf die Küste zu kommen. Die Luft ist so erfüllt von Salz, dass es sich auf deiner Haut absetzt und du es regelrecht riechen kannst. Deine Zunge schmeckt das Salz auf deinen Lippen. Deine Ohren hören die Wellen gleichmäßig gegen das Ufer branden.

Der Wind frischt etwas auf und weht die salzige Luft weiter landeinwärts. Die schwarze Wand am Horizont kommt immer näher auf dich zu. Das Meer ist aufgewühlt und die Wellen werden mit zunehmendem Wind immer stärker, wie sie immer und immer wieder gegen den Deich branden, auf dem du noch immer ausharrst. Das Wasser steigt immer höher und mit jeder erneuten Brandungswelle kommt das Wasser der Deichkuppe und damit dir selbst immer näher. Schon trifft eine besonders große Welle den Deich und das Wasser spritzt dir ins Gesicht. Du spürst das salzige Wasser deine Haut hinunter laufen und trotzdem schaust du dir immer noch wie gebannt das Schauspiel vor dir an. Immer lauter branden die Wellen gegen das Ufer.

Unfähig zu gehen und dieses Ereignis einfach so geschehen zu lassen. Die dunklen Wolken kommen immer näher an die Küste. Dann spürst du, wie ein leichter Nieselregen einsetzt. Der Wind wird stärker und treibt dir die Regentropfen ins Gesicht. Du fühlst wie der Luftzug an deiner Kleidung zerrt. Der Regen wird heftiger und wandelt sich von einem leichten Nieselregen zusehends in ein Gewitter und schon siehst du die ersten Blitze in der ferne die Wolkenfront erhellen. Der anfangs noch so leichte Windzug verwandelt sich ebenfalls in einen ausgewachsenen Sturm und du hast immer mehr Mühe dich auf den Beinen zu halten.

Schon schlägt dir eine besonders hohe Brandungswelle entgegen und durchnässt deine Kleidung, die noch nicht vom strömenden Regen durchgeweicht war. Jetzt ist es Zeit, die schwarze Wolkenfront hat die Küste fast erreicht. Immer mehr Blitze zucken durch die Nacht. Du weißt nicht wie lange du dort schon so stehst, aber viel länger kannst du da nicht bleiben. Der Sturm pfeift an dir vorbei und zerrt an deiner durchnässten Kleidung. Überall hat sich Salz abgesetzt und du drohst jederzeit vom Deich herunter geweht zu werden.

Du begibst dich in dein kleines Haus direkt hinter dem Deich. Die Fenster hast du bereits vernagelt und auch sonst hast du alles menschenmögliche getan das kleine Häuschen auf den drohenden Sturm vor zu bereiten. Du hast allerdings nicht gedacht, dass es so schlimm werden könnte. Nachdem du die Tür verriegelt hast bleibt dir nichts anderes übrig, als zu beten oder zu hoffen. Wobei ist das nicht eigentlich dasselbe? Du sitzt dort voller Ungewissheit und kannst nichts tun, als auf das Unvermeidliche zu warten.

Stolz

Posted in Die Feder on Dezember 1st, 2011 by

Du sitzt allein in dem feuchten, unterirdischen Verlies. Die Luft ist erfüllt von dem Gestank nach Fäkalien und Moder. Im schwachen Fackellicht, dass durch die Ritzen in der schweren Holztür vor dir scheint, erkennst du kaum die Hand vor Augen. Draußen auf dem Gang ist das vielstimmige Wehklagen der vielen anderen hier gefangenen Seelen zu hören. Dies alles erträgst du nun bereits eine Weile, aber bisher hat dich nichts dazu bewegen können, deine Meinung in irgendeiner Weise zu ändern.

„Los du bist dran!“ ruft eine harte Stimme von draußen und deine Tür wird aufgestoßen. Es kommen zwei schemenhafte Männer herein, packen dich an den Armen und zerren dich aus deinem Verlies. Du wirst durch flackerndes Licht schlecht beleuchtete, niedrige Gänge gebracht, über alte ausgetretene Steintreppen und durch schwere, alte Holztüren bis du schließlich durch ein Tor in einen Hof gebracht wirst.

Die Sonne scheint erbarmungslos herab und blendet deine Augen. Du brauchst eine Weile, bis du das Farbenspiel weggeblinzelt hat und erkennst, was sich vor dir in der Mitte des Innenhofs auftürmt – ein gewaltiges Podest umringt von vielen Hundert Menschen. Auf dem Podest ist eine Konstruktion aus groben Holzbalken angebracht und daran baumelt ein einzelner Stick – dein Strick.

Die starken Hände zerren dich den Weg entlang, aber du weißt, deine Meinung steht fest und wird sich nicht ändern. Mit erhobenem Haupt lässt du dich die Treppe zum Podest hinauf begleiten. Dann steht vor dir ein kleiner Mann in feine Kleidung gehüllt und fragt dich, ob du hier und jetzt widerrufen willst, aber du bist dir keiner Schuld bewusst und lächelst ihn nur verächtlich an. Der schüttelt traurig den Kopf und murmelt noch etwas, als du in die Mitte des Podestes geführt wirst. Dort fühlst du das kratzen des Hanfknoten, der um deinen Hals gelegt wird. Dein Blick schweift noch einmal über die Menge, alle Augen sind auf dich gerichtet und viele schauen mitleidig zu dir hinauf. Du aber bist dir sicher, dass du richtig liegst, daher schaust du stur geradeaus.

Der kleine Mann beginnt die Anklage zu verlesen oder besser, was sie dafür halten, du glaubst du weißt es besser. Alles was sie dir vorwerfen ist nicht richtig, du bist der Meinung, dass alles ganz anders ist. Was passiert gerade? Einen kurzen Moment warst du für einen Augenblick von Zweifel ergriffen, aber das ist schon wieder vergangen. Die Verlesung ist beendet und du hörst nur noch die Worte: „Geh mit Gott!“ Der Henker mit einer Kapuze greift mit beiden Händen nach einem groben Hebel und schaut noch einmal zu dem kleinen Mann hinüber, der nur einmal kurz nickt, wobei er ein „stehe Gott uns bei“ vor sich hin murmelt.

Plötzlich siehst du es vor dir, hast du wirklich die richtige Entscheidung getroffen? War das alles so wie du es wolltest? Einen Augenblick später verlierst du den Boden unter den Füßen und das letzte was du spürst ist wie sich der Strick spannt, dann nur noch Dunkelheit.

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