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Fokussierung des Vorlesungsthemas – Aspekte zum Spannungsfeld von Inszenierung und Zuschreibung in Bezug auf Gender(-pädagogik) in der Schule; theoriegeleitete Reflexion
Die Debatte eines geschlechtsspezifischen Unterrichts und der Konstruktion von Gender durch Inszenierung und Zuschreibung, lässt sich bis ins letzte Drittel des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen. Die Machtbalance fällt so aus, dass Frauen als stigmatisierte Gruppe keinen Zugang zur stigmatisierenden Gruppe der Männer haben. J.G. Herders Aussage, dass das Frauenzimmer ohne Zweifel nicht in die Hörsäle und Studierstuben gehöre, verdeutlicht die ungleichen Bildungschancen. Eine positive Wendung in der Bildungspolitik, bringt der Diskurs zur Koedukation in Deutschland von 1900-1960. Der gemeinsame Unterricht soll für Bildungsgerechtigkeit sorgen und positive Lerneffekte für beide Geschlechter haben. Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass die männliche Schule ungeeignet für Mädchen wäre und der Unterricht in homogenen Gruppen durch die Vermeidung von sexueller Überreizung für bessere Ergebnisse sorge. In den 1960er Jahren wird, aufgrund von Fachkräftemangel, schlussendlich die erhoffte Koedukation eingeführt und die Debatte um Geschlechterrollen im Schulalltag modernisiert.
Verschiedene Thesen zur Geschlechterdynamik charakterisieren „typische“ Verhaltensweisen der Geschlechter und dienen als Anlaufpunkt für Verbesserungsvorschläge und Handlungsmotive. So wird Schülern eine gewisse Sozialinkompetenz zugeschrieben. Lehrer*Innen beschreiben Schüler als im Unterricht störend und problematisch, ihr weibliches Pendant hingegen als ruhiger, disziplinierter und aufmerksamer. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Jungs sich als männlich inszenieren möchten. Das soziale Konstrukt von männlich und weiblich unterstützt hierbei die Bildung kontraproduktiver Stereotype. Eine Befragung von SuS des Grundschulbereichs hat gezeigt, dass Frauen oftmals als intelligent und Männer als stark einschätzt werden. Zudem soll das Streben nach guten Noten nicht männlich sein. Solche Stereotype werden in Kombination mit einem Gruppenzwang für Schüler problematisch, welche folglich psychische und psychosomatische Krankheiten wesentlich öfter ausbilden als Schülerinnen.
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Reflexion bisheriger Praxiserfahrungen aus der eigenen Schulzeit und ersten Praktika zum schulischen „Genderplay“, möglichst unter Bezugnahme auf mindestens ein anderes Heterogenitätsfeld der Ringvorlesung, wie Sprache, soziokultureller Background, Leistung o.ä..
Ich selbst habe ein Gymnasium in Sachsen-Anhalt besucht, welches mit einer Ausnahme das koedukative System verfolgt. Der Sportunterricht fand in der Jahrgangsstufe 8-10 in getrennten Gruppen statt. Diese geschlechtsspezifische Trennung ist besonders im Hinblick auf die Argumentation von 1960 interessant. Vermutlich hat die Schule eine sexuelle Überreizung der pubertierenden SuS befürchtet. Was mich persönlich in dem Alter nicht sonderlich gestört hat, fühlt sich rückblickend wie unnatürliches und veraltetes System an. Bei einer solchen Trennung sollte es niemanden überraschen, wenn die Stereotypisierung gefördert und die Gleichberechtigung im schulischen Alltag eingeschränkt wird.
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Formulieren Sie eine Beobachtungsaufgabe für kommende Praktika zum Thema „gendersensible Pädagogik“, möglichst unter Bezugnahme auf mindestens ein anderes Heterogenitätsfeld der Ringvorlesung, wie Sprache, soziokultureller Background, Leistung o.ä..
Ein Spannungsfeld, auf welches ich besonders achten möchte, ist die Inszenierung und Zuschreibung von SuS mit einem Migrationshintergrund. Eines meiner Präkonzepte ist, dass ein ungleiches Verhältnis zwischen Mann und Frau bei Geflüchteten aus Ländern wie Afghanistan oder Pakistan besteht. Laut dem Koran wird Männern und Frauen zwar gleichermaßen befohlen sich weiterzubilden, die Praxis sieht aber oftmals anders aus. Oft schreibt die Tradition zum Beispiel vor, dass Mädchen nur von Frauen unterrichtet werden dürfen. Auch die schulische Ausbildung der Mädchen allgemein fällt nicht so intensiv wie bei den Jungen aus. Daher ist es interessant zu beobachten welche Präkonzepte und Stereotype die geflüchteten SuS mit in den Unterricht bringen und wie diese sich mit der Zeit verändern.
Lieber Michel,
Dein Beitrag sticht als gut durchdacht und eloquent heraus. Die von dir erläuterte Bildungsgeschichte ist die Grundlage der theoriegeleiteten Reflexion und spricht das Thema der potentiellen „sexuellen Überreizung“ an. Dieses Konzept sorgte lange Zeit für eine Trennung der zwei Geschlechter unter anderem in der Bildung. Schade eigentlich, dass der Grund für die Änderung Fachkräftemangel war, aber schön, dass die Koedukation eingeführt wurde und der Diskurs darum modernisiert wurde.
Die von dir erwähnte zugeschriebene Sozialinkompetenz der Schüler und die zugeschriebene weibliche „Ruhe“ bzw. Disziplin kann ich gut nachvollziehen. Du führst es meiner Meinung nach korrekterweise auf das soziale Konstrukt von Geschlecht zurück. Ergänzend würde ich sagen, dass es ein bilaterales Problem ist, nicht nur auf Seiten der Schüler*innen, sondern auch der Lehrer*innen. Das Geschlecht der Lehrperson hat oder hoffentlich hatte womöglich einen Effekt auf die Stärke der Vorurteile gegenüber dem eigenen oder dem anderen Geschlecht.
Dies habe ich selbst in der Schulzeit auch beobachtet. Interessanterweise ist der Sportunterricht in vielen Fällen ein Raum für Vorurteile gewesen. Genauso wie du, hatte ich in einem Jahr (ich glaube 10. Klasse) getrennten Sportunterricht. Die Jungs hatten Volleyball und Basketball; die Mädchen Tanz und Gymnastik. Obwohl ich es merkwürdig fand, hat es mir damals nichts ausgemacht. Meine Freundin jedoch, die mit mir in einem Jahrgang war, fühlte sich sehr diskriminiert aufgrund der geschlechtsspezifischen Stereotypisierung. Natürlich führt dieses, wie du schreibst, „veraltete System“ zu einer Verstärkung von Stereotypen.
Deine Beobachtungsaufgabe finde ich ebenfalls sehr spannend. Ich finde es essentiell, dass du die Unterscheidung zwischen Religion und Tradition machst, denn oft werden diese fälschlicherweise synonym behandelt. Diese veralteten Konzepte wie, dass Mädchen nur von Frauen unterrichtet werden dürfen, führen zu einer immensen Stereotypisierung und brüten Vorurteile. Diese gibt es nicht nur im Islam, sondern unter anderem auch im Christentum. Wenn jedoch die Tradition der einzige ausgelebte Aspekt der Religion ist, sehe ich eine nötige Modernisierung als Wunschdenken an. Ein gesunder Umgang mit Religion sieht anders aus.
Lieber Michel,
von den beiden mir für einen Kommentar vorgeschlagenen Beiträgen hob sich Deiner durch klare Struktur und inhaltliche Aussagekraft ab, da kann ich mich meinem Vorkommentator nur lobend anschließen, auch wenn ich generell keine Wertungen zu fremden Beiträgen verfassen möchte.
Interessant ist, was Du aus Deinem Sportunterricht berichtest, denn wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, so kann ich mich an keiner Stelle an eine spezifische Geschlechtertrennung durch die Lehrenden erinnern. Genau wie Du empfinde ich dies als veraltet und frage mich auch nach der Sinnhaftigkeit in einer Zeit, wo „Übersexualisierung“ von Pubertierenden eher durch frei zugängliche Pornographie im Internet möglich scheint, als durch den Sportunterricht.
Woran ich mich hingegen erinnern kann ist, dass es getrennte Bewertungsrichtlinien für verschiedene Disziplinen im Sportunterricht gab, z.B. dass im Weitwurf die „1“ mit einer geringeren Distanz erreicht werden konnte, wenn die zu bewertende Person weiblich war. Geschlechterneutral betrachtet also eine absolute Ungleichbehandlung, wenn man jegliche biologisch begründeten Unterschiede negiert. Andererseits natürlich fair unter der Annahme, dass männliche Körper andere sportliche Leistungen erzielen als weibliche.
Allerdings bewegt man sich hier meinem Gefühl nach argumentativ schon auf dünnem Eis. Bedeutet diese Unterscheidung nun schon eine Diskrimination der Schülerinnen als „schwach“? Wäre eine Nichtbeachtung von Leistungsunterschieden nicht auch diskriminierend?
Interessant auch, dass es so oft der Sportunterricht ist, der zur Sprache kommt, wenn es um das Thema Gender in der Schule geht. Allerdings auch nicht sehr überraschend, werden in diesem doch einfach die biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern offensichtlich und alleine die Situation der zweigeschlechtlichen Umkleiden sensibilisiert schon vor dem Unterrichtsbeginn eben dafür.
Was jedoch, wenn es ein geschlechterspezifisches Bewertungsraster in der Mathematik gäbe, unter der Annahme, weiblichen Schülerinnen fehle hier etwas im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen? Heutzutage undenkbar – zum Glück, denn eine Begründung wäre hier nicht objektiv zu rechtfertigen. Dennoch war diese ungeschriebene Bewertungsschablone leider immer noch faktisch vorhanden in den Köpfen der ausschließlich männlichen Mathelehrer meiner Schullaufbahn.
Deine Beobachtungsaufgabe finde ich spannend in der differenzierten Betrachtung von Religion und religiösen Traditionen sowie Deiner kritisch formulierten Selbstformulierung. Nach dem Lesen des Beitrages meines Vorkommentators habe ich mir zudem Gedanken darüber gemacht, inwieweit gerade die Ungleichbehandlung von Schülerinnen von uns den Namen nach männlichen Studenten überhaupt wahrgenommen werden kann. Dies werde ich für mich im Praktikum auf jeden Fall betrachten.