Menschenrechte und Inklusion

  1. Welche Bedeutung haben Modelle von Behinderungen sowohl für behinderte Menschen und ihre Teilhabe Möglichkeiten allgemein als auch im Kontext Schule?

Modelle im Allgemeinen sollen Realität komplexitätsreduzierend abbilden und stellt Annahmen vereinfacht dar (Waldschmidt in Brehme et al 202, S. 57). Die darin enthaltenen Annahmen und Sichtweisen können jedoch auch handlungsleitend für Versorgung oder Teilhabemöglichkeiten von behinderten Menschen haben und sich auf ihr Selbstwertgefühl auswirken (VL 3, Folie 19).

Deutlicher wird das, wenn man einzelne Modelle von Behinderung genauer betrachtet:

Beim individuellen/ medizinischen Modell wird Behinderung der medizinisch/ psychologisch/ pädagogisch zugrundeliegenden Diagnose gleichgesetzt, der Mensch wird also nicht behindert, sondern „ist“ es, die Behinderung ist also eine Art Schicksal oder Unglück, das einer Person unverschuldet zukommt (Waldschmidt in Brehme et al 2020, S. 60). Im positiven Sinne wirkt sich dieser auf die Teilnahmemöglichkeiten insofern aus, als dass durch die medizinische Diagnose auch konkrete Förderung und Intervention möglich begründbar ist (ebd.). Negativ zu betrachten ist jedoch, dass durch das Modell die individuelle „Abweichung“ von der Norm immer im Fokus steht. Im Kontext Schule würde dies also bedeuten, dass die konkrete Beeinträchtigung eine*r Schüler*in mit Behinderung im Vordergrund steht und nicht die Person selbst. Dies kann zur Ausgrenzung und Stigmatisierung führen da Mitschüler*innen diese Denkweisen im Rahmen ihrer Sozialisation so durch ihr Umfeld erfahren und verinnerlichen. Dies ist jedoch auch auf alle anderen Lebensbereiche übertragbar, wie die Arbeit, Vereine, Universitäten etc.

Das soziale Modell vertritt im Kontrast dazu die Annahme, dass der Begriff Behinderung vom Begriff Beeinträchtigung klar abzugrenzen sei (Waldschmidt in Brehme et al 2020, S. 65). Während Beeinträchtigung die klinisch relevante Auffälligkeit darstellt, ist Behinderung das „Produkt sozialer Organisation“ (Waldschmidt in Brehme et al 2020, S. 65), welches durch die Barrieren entsteht, die eine Teilhabe an der Gesellschaft beeinträchtigen (ebd.). Außerdem wird im sozialen Modell die Ansicht vertreten, dass sich die Umwelt und die Gesellschaft ändern muss, nicht die behinderte Person (ebd.).

Für die Teilhabe bedeutet dies, dass eine andere Erwartungshaltung herrscht. Menschen mit Behinderung „sind“ nicht ihre Behinderung, sondern die Gesellschaft hat dafür zu sorgen, dass Barrieren aufgrund von Einschränkungen abzubauen sind. Hier ist also aktiv das Umfeld gefordert, so auch in der Schule. Lehrer*innen, Mitschüler*innen und Infrastruktur müssen sich verändern, um Teilnahme zu ermöglichen.

  1. Was entgegnen Sie, wenn im Kollegium jemand behauptet, inklusive Beschulung könne ihm/ihr keine/r vorschreiben?

Zuerst ist diese Aussage aus rechtlicher Sicht falsch ist, da auch Deutschland durch die Ratifizierung der UN- Behindertenrechtskonvention zu einer schulischen Inklusion verpflichtet hat (Deutsches Institut für Menschenrechte, Artikel 24 UN-BRK).

Ich würde außerdem die Frage stellen, warum hier das Verb „vorschreiben“ verwendet wird. Warum muss Inklusion Lehrer*innen vorgeschrieben werden. Vielmehr sollte hier ein vorbestehendes Interesse vorhanden sein, im Sinne der Chancengleichheit allen Schüler*innen einen entsprechenden (inklusiven) Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Hier sollte also die Einstellung der Lehrkraft hinterfragt werden. Wenn die Aussage aufgrund von Unsicherheiten auf dem Gebiet der inklusiven Pädagogik getroffen wurde, so könnte an dieser Stelle auch auf Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten verwiesen werden oder geeignete Methoden und Lehrmaterial zur Verfügung gestellt werden.

  1. Welche Ausgrenzungsmechanismen lassen sich am Beispiel Nenad Mihailovic aufzeigen? Wer hätte anders handeln müssen, um ihm und seinem Recht auf Bildung gerecht zu werden und was hat sein Fall mit Inklusion zu tun?

Am Beispiel Nenad Mihailovic können verschiedene Ausgrenzungsmechanismen erkannt werden.

Einerseits wird er aufgrund seiner Herkunft durch Rassismus aufgrund seiner Roma-Abstammung ausgegrenzt.

Fatal ist außerdem die Betrachtungsweise seiner mangelnden Deutschkenntnisse als kognitive Behinderung.

In seinem Fall hätte an vielen Stellen anders gehandelt werden müssen, um ihm sein Recht auf Bildung zu ermöglichen.

Zuerst hätte der/die durchführende Diagnostiker*in des IQ-Tests wissen müssen, dass es zu einer massiven Verfälschung der Ergebnisse kommt, wenn die Fragen aufgrund einer Sprachbarriere nicht verstanden werden können.

Im Anschluss hätte jeder Lehrkraft in jeder Jahrgangsstufe auffallen müssen, dass es sich nicht um eine Lernbehinderung, sondern um ein Sprachproblem handelt.

Hier kann wieder das medizinische Modell herangezogen werden, um den Vorfall zu erklären. Nenad wurde seiner Diagnose gleichgesetzt. Sie und deren Therapie standen so sehr im Fokus, dass dem Menschen hinter der Diagnose kein Interesse mehr geschenkt wurde. Schulz beschreibt dies als „Subjektivationsmuster“, in dem alle Schüler*innen „gemäß einer typisierenden Zuschreibung als unterschiedlich (un-)fähig markiert und klassifiziert“ werden (Schulz in Konz/Schröter 2022, 117).

Aufgrund dessen ist vermutlich nie jemand auf die Idee gekommen, andere Gründe in Erwägung zu ziehen.

Im Sinne der Inklusion hätte aber genau dies versucht werden müssen, den Mensch in seiner Gesamtheit sehen und Möglichkeiten zu schaffen, die Bildung zu ermöglichen. Dies wäre z.B. mit zusätzlicher Sprachförderung möglich gewesen, sodass einer Regelbeschulung nichts im Weg gestanden hätte.

Literatur:

Deutsches Institut für Menschenrechte (o.J.): Artikel 24 UN-BRK.

Online Verfügbar unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsschutz/datenbanken/datenbank-fuer-menschenrechte-und-behinderung/detail/artikel-24-un-brk (letzter Aufruf 28.4.23)

Schulz, Miklas (2022): Die Entdeckung pädagogischer Individualität. Normalisierung und Ver-Anderung als Mechanismen differenzpädagogischen Denkens am Beispiel der Intersektion von Dis/ability und Migration, in: Konz, Britta / Schröter, Anne (Hrsg.), DisAbility in der Migrationsgesellschaft Betrachtungen an der Intersektion von Behinderung, Kultur und Religion in Bildungskontexten, Klinkhardt, S. 111-124

Waldschmidt, Anne (2020): Jenseits der Modelle, in: Brehme, David; Fuchs, Petra; Köbsell, Swantje; Wesselmann, Carla (Hg.): Disability Studies im deutschsprachigen raum. Zwischen Emanzipation und Vereinnahmung, Beltz, S. 56-73.


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