Schule in Deutschland ist historisch auf Homogenität ausgerichtet, also darauf, dass die Schülerinnen und Schüler eine gemeinsame Sprache, Geschichte teilen und möglichst ohne Unterbrechung durch das System gehen. Migration bringt jedoch Brüche und Vielfalt mit sich, zum Beispiel wenn Kinder mitten im Schuljahr aus einem anderen Land kommen und erst Deutsch lernen müssen. Ich selbst bin aus Ghana nach Deutschland gekommen und musste zuerst die Sprache lernen. Schon damals habe ich gemerkt, wie sehr das Bildungssystem auf sprachliche und kulturelle Einheit eingestellt ist. Alles andere stört scheinbar die Routine. Dabei war es für mich völlig normal, mit einer anderen Schulbiografie anzukommen. Karakaşoğlu und Vogel (2025) betonen, dass genau solche Perspektiven ernst genommen und strukturell mitgedacht werden müssen. Auch die Grafik auf Folie 5 der Präsentation zeigt das deutlich: In manchen Bundesländern hat mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler eine Zuwanderungsgeschichte. Migration ist längst Normalität und sollte als solche in der Schule anerkannt werden.
Fend (2009) beschreibt Schule unter anderem als Ort der Integration (Kohäsionsfunktion) und der gerechten Verteilung von Bildungschancen (Legitimierungsfunktion). In einer Migrationsgesellschaft stoßen beide Funktionen an ihre Grenzen, wenn Vielfalt nicht systematisch mitgedacht wird. Die Kohäsionsfunktion kann nur erfüllt werden, wenn Schule nicht auf kulturelle Einheit, sondern auf Anerkennung von Unterschiedlichkeit setzt, zum Beispiel durch mehrsprachige Materialien und diversitätsbewussten Unterricht. Auch die Legitimierungsfunktion wird infrage gestellt, wenn Lehrkräfte mit Vorannahmen oder unbewussten Erwartungen bewerten. Karakaşoğlu und Vogel (2025) fordern deshalb eine migrationssensible Schul- und Unterrichtsentwicklung, die strukturelle Benachteiligung abbaut und Chancengleichheit tatsächlich ermöglicht.
Das Beispiel auf Folie 24 der Präsentation zeigt, wie schnell Lehrer und Lehrerinnen stereotype Erwartungen an Schülerinnen und Schüler haben können. Eine Schülerin wird immer wieder im Matheunterricht aufgerufen, obwohl sie sich nicht meldet, nur weil sie asiatisch aussieht und der Lehrer denkt, sie müsste es ja wissen. Das ist ein klarer Fall von Kulturalisierung, wie sie auch auf Folie 19 beschrieben wird. Die Reduktion eines Menschen auf vermeintlich kulturelle Merkmale. Daraus entsteht Othering. Die Schülerin wird nicht als Individuum gesehen, sondern als Vertreterin eines Klischees.
Ich habe in meiner eigenen Schulzeit Ähnliches erlebt. Weil ich anfangs der deutschen Sprache nicht mächtig war, wurde mir auch in Fächern wie Mathe weniger zugetraut, obwohl das Fach ja sprachlich gar nicht im Vordergrund steht. Ich hatte oft das Gefühl, dass meine Hautfarbe und Herkunft automatisch mit einem Mangel an Wissen verbunden wurden. Solche Zuschreibungen sind verletzend und sie beeinflussen auch, wie ernst man genommen wird.
Um Othering zu vermeiden, müssen Lehrkräfte lernen, ihre eigenen Bilder zu hinterfragen. Das bedeutet, Schülerinnen und Schüler nicht auf Herkunft, Aussehen oder Akzent zu reduzieren, sondern sie als individuelle Persönlichkeiten wahrzunehmen.
Literaturverzeichnis
Fend, H. (2009): Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Karakaşoğlu, Y. & Vogel, D. (2025): Migration bewegt Schule. Transnationalität als Impuls für Schulentwicklung und Lehrkräftebildung. Stuttgart: Kohlhammer.
Karakaşoğlu, Y. (2025): (Welt-)Gesellschaftliche Veränderungen, Migration und die Reaktion von Schule. Präsentation zur Sitzung am 15.04.2025, Universität Bremen, BAUMHET GO
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