- Wie begründen die Autor*innen dass sie nicht ´Differenz´ sondern ´Praktiken der Differenzierung` untersuchen wollen? Können Sie hier auch Bezüge zur Einführungsvorlesung über „Heterogenität“ herstellen?
Bei den ´Praktiken der Differenzierung` geht es nicht um die vorherigen Unterschiede der Schüler*in, sondern vielmehr um die Betrachtung der Entwicklung der Unterschiede durch eigene oder fremdeinwirkende Faktoren innerhalb des Unterrichts. Die Begrifflichkeit ´Differenz´ lässt sich als „Unterschied“ übersetzen. Die Autor*innen lehnen die Begrifflichkeit der ´Differnez´ ab, da sie eine individuelle, voreingenommene Haltung, eine Klassifizierung, sowohl das Zuschreiben zwischen Objekten oder Subjekten aus einem Beobachterstandpunkt, suggeriert. Die ´Differenz´ ist eine von Individuen projizierte Annahme und somit nicht gültig bei einer leistungsbezogenen Betrachtung . Die ´Praktiken der Differenzierung` hingegen, beschränken sich lediglich auf sozial hergestellte Situationen. Jede/r Schüler*in oder Lehrer*in entwickelt ihre eigene soziale Praktik, in der das Handeln des Individuums zum Ausdruck gebracht wird. Die verschiedenen Praktiken eröffnen durch ihre Variabilität, einen Kosmos der Unterscheidung zwischen legitimen und nicht-legitimen Praktiken, die die „Norm“ revidieren oder dieser entsprechen. Die Autor*innen gehen schlussendlich von ´Praktiken der Differenzierung` aus, da die sozialen Praktiken im Hinblick auf die „Normalität“, filtern, welche Praktiken aus- oder in das Raster fallen. Die sozialen Praktiken verdeutlichen, dass eine „Normalität“ als Ausgangspunkt dient. Wer bestimmt diese „Normalität“, beziehungsweise was ist überhaupt „normal“? Wenn man von Heterogenität in der Schule spricht, kann man genauso fragen, was ist die „Norm“, welche den/die eine/n Schüler*in von dem/r Anderen unterscheidet und die Schüler innerhalb der sozialen Praktiken beispielsweise als leistungsstark oder leistungsschwach betitelt? Wichtig ist, dass sich die konstruierte „Norm“ immer im stetigen Wandel befindet und die „Norm“ bei der Betrachtung der Heterogenität in der Schule die Forderung eines individualisierten Unterrichts, zum Gegenspieler hat.
- Die Studie befasst sich mit individualisiertem Unterricht in der Sekundarschule und analysiert Kommunikationsprozesse zwischen Schüler*innen in der Gruppenarbeit im Projektunterricht. Inwiefern spiegelt sich in diesen Prozessen die „soziale Konstruktion von Leistungen“ wieder? Anders gefragt: Wie stellen die Schüler*innen leistungsbezogene Differenz her?
In der Gruppe P und Q bestimmt eine klare Gruppenverteilung das Arbeitsklima. In der Vierergruppe P distanzieren sich die zwei Mädchen klar gegenüber der zwei Jungen aus ihrer Arbeitsgruppe. Die Arbeitsaufteilung überwiegt deutlich bei den zwei Mädchen, wobei sich gerade eines der Mädchen durch ihr engagiertes bearbeiten der Aufgabe in den Vordergrund hebt und als Leitperson der Gruppe P fungiert. Bei der Verteilung der Aufgaben kommt es zu Differenzen, wobei die zwei Mädchen den zwei Jungen die Aufgaben basierend auf der Antipathie ihnen gegenüber, zuschreiben. Konträr zu dieser Beziehung, herrscht zwischen den beiden Mädchen eine Freundschaftsbeziehung, die die Aufgabenunterteilung und das Arbeitsklima beeinflusst. Die Reaktionen der Jungen auf die Arbeitsverteilungen sind unterschiedlich. Auf der einen Seite, eine auf der verschlossene Körperhaltung des Jungen resultierende abwesende Reaktion und auf der anderen Seite, die abwehrenden Haltung des anderen Jungens, da er nicht die zugeteilte Textpassage bearbeiten möchte.
Die Dreiergruppe Q ähnelt sich in ihrer Verhaltensweise der Gruppe P. Ein Mädchen übernimmt die Verantwortung der Aufgabe, wobei sich die anderen beiden Mitschüler eher passiv verhalten. Die beiden passiven Mitschüler zeigen durch ihre Körperhaltung kein Interesse an der Aufgabe, sowie nicht an der Mitschülerin, die die Aufgabe versucht zu lösen. Die Arbeitssituation wird lediglich durch den Versuch der Anteilnahme der Anderen durch das arbeitende Mädchen, durchbrochen. In diesen Gruppen spiegelt sich die „soziale Konstruktion von Leistungen“ wider, die sich auf die Teilnahme der Schüler*innen stützt. Leistungsbezogene Differenzen entstehen durch die unterschiedlichen Bearbeitungsformen eines Individuums einer Aufgabe und leiten dazu über, ob ein/e Schüler*in leistungsstark oder leistungsschwach ist. Diese Individuen treffen innerhalb einer Gruppenarbeit aufeinander und zeigen unterschiedliche Verhaltensweisen und physische Faktoren auf. Die Leistung der Schüler*innen stützt sich insgesamt auf verschiedene Faktoren, wie der Körperhaltung, die Aufmerksamkeit, die Rollenverteilung, die Beteiligung, die Sympathie/ Antipathie und auf die räumliche Anordnung. Diese und auch weitere Faktoren repräsentierten den Status eines Schülers, die/der die (Leistungs-)Norm befolgt oder nicht-befolgt und somit als gute/r oder schwache/r Schüler*in gilt. Insgesamt dient die (Leistungs-)Norm als Maßstab der leistungsbezogenen Differenz zwischen Schüler*innen.
- Erläutern Sie, inwiefern sich die von Rose und Gerkmann festgehaltenen Beobachtungen von schultypischen Differenzierungen (nicht nur bezogen auf Leistung) innerhalb von Gruppenarbeiten mit Ihren eigenen Erfahrungen decken. Diskutieren Sie Ihre eigenen Erfahrungen vor dem Hintergrund des Textes!
Ich kann die von Rose und Gerkmann geschilderten Beobachtungen von schultypischen Differenzierungen und den anliegenden Beispielen aus Gruppe P und Q teilen und finde einige Berührungspunkte mit meiner Schulzeit. Die Unterteilung der Schüler*innen in aktive und passive Teilnehmer*innen habe ich größtenteils in der Mittelstufe, vereinzelnd in der Oberstufe, wahrgenommen. Gerade das Bearbeiten von Referaten in einer Gruppe in der Mittelstufe hat die unausgewogene Arbeitsverteilung verdeutlicht, da schlussendlich das Erstellen einer Präsentation oder eines abschließendes Handouts, häufig an einer Person hängenblieb. Auch der Sprechanteil innerhalb eines Referates oder bei der Besprechung einer Aufgabe im Plenum filterte klar die aktiven und passiven Mitschüler*innen heraus. Zugleich hat es einen deutlichen Unterschied gemacht, in welchen Räumen die Gruppenarbeiten abgehalten werden. Durfte man die Aufgaben auf dem Flur erledigen, fiel es auf, dass deutlich mehr Unruhe innerhalb der Gruppe herrschte und das eigentliche Thema der Gruppenarbeit zu alltäglichen Konversationen umsprang. Innerhalb des Klassenraumes, unter der Aufsicht einer Lehrperson kam es häufig auch zu einer „Als-ob-Haltung“, die die Beteiligung eines Schülers nur im Augenschein der Lehrer*in inszenierte. Meiner Meinung nach, wurde das Verhalten der Schüler*innen innerhalb einer Gruppenarbeit in der Oberstufe bewusster und agiler, da man sein eigenes Ziel, das Abitur näher vor Augen hatte und intensiver durch das Erbringen von Leistungen anstrebte.