Die Frage, ob Leistungsunterschiede im Bereich der Mathematik bedenklich sind, lässt sich pauschal nicht beantworten. In jedem Fach existieren Unterschiede in Motivation und Begabung und insbesondere letzteres ist absolut natürlich. Gerade in den Fächern der Naturwissenschaft und Technik (also unter anderem auch Mathematik) fällt jedoch auf, dass das Leistungsgefälle zunimmt. Sobald eine Klasse aus sehr unterschiedlich starken SUS besteht, ist es äußerst schwer, den Unterricht den Bedürfnissen aller anzupassen. In Mathematik scheint dies aber nahezu immer der Fall zu sein. Ich persönlich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass sogar in Abiturjahrgängen der Mathematikleistungskurse von guten Gymnasien oder auch an der Universität in Mathe-Studiengängen häufig extreme Leistungsunterschiede bestehen. Die Leistungsunterschiede an sich sind also nicht bedenklich, ihre Ausmaße (die sich meiner Ansicht nach immer steigern) jedoch schon. Hier gilt es generell Ursachenforschung zu betreiben. Es wird andauernd erwähnt, man würde das erlernte Wissen in Zukunft nicht brauchen. Dies gibt einem selbst einen Grund, nichts können zu wollen. Dies ist aber nicht der Punkt der Mathematik. Es geht nicht nur darum, sich mit Themen zu befassen, mit denen man später konfrontiert wird, sondern Zusammenhänge zu erkennen und Strukturen zu verstehen. Jedoch wird die Mathematik und insbesondere ihr Unterricht nicht so aufgefasst, weshalb die Lernbereitschaft sinkt und sich möglichst wenige damit auseinandersetzen wollen. Damit werden die SUS in diesem Unterricht häufig dahingehend unterteilt, ob sie von sich aus eher logisch denken und damit sogar durchgehend durch ihr Verständnis der Materie besser werden oder ob sie es zu Beginn nicht gleich verstehen und keine Motivation haben, es sich anzueignen.
Da der Unterricht in der Mathematik sich vor allem an Büchern orientiert und seinen strikten Mustern häufig folgt, werden die meisten SUS falsch unterrichtet. Wer schon einmal Mathe-Nachhilfe gegeben hat, wird die Situation kennen, dass SUS von Beginn an Dinge nie ganz richtig konnten (zum Beispiel das kleine Ein-mal-Eins) und die darauf aufbauende Thematik dann ohnehin nicht verstehen konnten. Auf diese kann innerhalb der Schule kaum ausreichend eingegangen werden. Auf der anderen Seite gibt es nur wenig gute Begabten-Förderung für dieses Fach. Viele sind irgendwann gelangweilt, weil sie nicht gefordert werden oder ihre kreativen Denkprozesse werden durch die vorgegebenen Lösungswege abgewürgt. Für alle ist der klassische Unterricht ein Problem.
Aus diesem Grund ist eine kreative Lehrmethode sehr wichtig. Hierzu zählt natürlich auch das spielerische Element. Viele SUS sind besonders im jüngeren Alter sehr ehrgeizig, wenn es ums „gewinnen“ geht, anstatt gute Noten zu erreichen. Letzteres mag sogar „uncool“ sein. Um jedoch zu „gewinnen“ setzt man sich vielleicht sogar ein wenig damit auseinander, „was man ja eh nie braucht“. Denn diese Ausrede fällt in dem Augenblick weg. Denn man braucht es ja. Eine der erfolgreichsten Methode, die ich beim Nachhilfe geben bemerkt habe, ist es, die SUS dazu bringen, den Besserwisser geben zu wollen. Mein Nachhilfeschüler tut bei Dingen, die ich gerne korrigiere, häufig so, als vergäße er sie, um dann groß damit rauszukommen, dass er es noch weiß. Dass er dadurch unterbewusst diese Sachen sehr gut lernt, fällt ihm vermutlich gar nicht auf. Aber es ist perfekt. Es ist dieser eigene Wille, anderen zu zeigen, wie gut man ist. Genau dies wird beim Spielen angeregt und ist ein großer Faktor, um die Motivation zu steigern.
Zudem bringt die Methode des Spiels weitere Möglichkeiten mit sich, individuell auf die SUS einzugehen. So können Aufgaben/Rätsel angepasst werden oder auch größere Rätsel in Gruppen bearbeitet werden, damit SUS voneinander profitieren.
Hier gilt jedoch dringend zu beachten, dass dies nicht unbedacht eingesetzt werden kann. Lässt man die SUS lediglich mit der Aufgabe des Gewinnens aufeinander los, steigt primär die Motivation derer, die ohnehin besser sind und es sinkt die jener, die keine Chance bei einem Wettbewerb untereinander haben. Dies hätte natürlich genau den falschen Effekt und muss bei der Planung eines mathematischen Spiels immer beachtet werden.
Im Idealfall sind die Spiele so aufgebaut, dass verschiedene Ideen oder Ansätze gebraucht werden, damit jeder erst einmal etwas einwerfen kann. Jeder kann sich beteiligen und keiner fühlt sich innerhalb der Gruppenarbeit nutzlos. Auf Treffen für Hochbegabte in diesem Bereich, wo durch verschiedenen Altersstufen natürlich ebenfalls ein klarer Wissensunterschied existiert, wird dies häufig so gemacht.
In einem Praktikum wäre es für mich sehr wichtig zu erfahren, wie die Leistungsunterschiede auftreten und wie die Lehrkraft damit umgeht. In meiner Schullaufbahn habe ich sowohl Lehrer gehabt, welche die Unterstützung von „besseren“ SUS für „schlechtere“ unterstützten als auch jene, die das nicht gern sahen. Da Mathematik sich vor allem in der Schule viel durch Übung und Wiederholung einprägt, ist es natürlich ein gleichzeitiger Gewinn für die „starken“ SUS, wenn sie etwas erklären. So können natürlich auch mehrere der „schwächeren“ SUS gleichzeitig individuell gefördert werden. Doch wie wird das Ganze strukturiert? Wie ist der Unterricht aufgeteilt (einzelne Aufgaben, Gruppenarbeit, Frontalunterricht)? Wie wird mit Unverständnis umgegangen, wenn die Lehrkraft nicht verstanden wird (wird es noch einmal erklärt, wird ein SUS gebeten, es umzuformulieren oder wird sogar gar keine Rücksicht genommen)? Werden SUS dazu ermutigt, eigene Ansätze zu finden? Wie werden neue Themen erörtert (Direkt ein Lösungsweg vorgegeben, ein Lösungsweg gemeinsam erarbeitet oder denen SUS Zeit geben, sich selbst etwas auszudenken)? Wie wird mit der Langeweile „stärkerer“ SUS umgegangen? (sollen sie anderen helfen? Bekommen sie mehr oder auch komplexere Aufgaben? Kann/Will die Lehrkraft individuell auf die Stärken eingehen und dies fördern?)
Wie bereits erwähnt, sind die Probleme bei der Unterrichtsgestaltung in Mathematik vielschichtig, da der Leistungsstand in der Regel weit auseinander geht. Ein spannender Unterricht für „starke“ und ein einfacher für „schwache“ SUS ist kaum vereinbar. Zeitlich ist es kaum möglich, selbst auf alle SUS genügend einzugehen, während eine Einbindung der „starken“ SUS in die Unterrichtsmethodik die Grüppchenbildung in „stark“ und „schwach“ steigern könnte, wenn es unglücklich läuft. Daher erfordert die Planung des Unterrichts viel Fingerspitzengefühl und eine gute Kenntnis der Klasse. Bewegt man diese zur Zusammenarbeit, kann dies sehr gut gelingen. Ansonsten führt es sehr schnell zu Frust auf beiden Seiten und die Motivation könnte weiter sinken. Insbesondere Methoden oder Spiele, die die SUS trennen und den „schwächeren“ SUS direkte Mängel aufzeigen (wie alle Spielen, bei welchen die Verlierer im Vordergrund stehen) sind hierbei zu vermeiden.
Hallo lieber Torge,
ich empfinde deinen Beitrag als sehr gut durchdacht, gut strukturiert und für gelungen. Auch wenn dein Beitrag etwas lang geworden ist, finde ich, dass du das Thema sehr interessant übermittelt hast. Ich kann viele Punkte und Argumente deinerseits nachvollziehen und dir nur dabei zustimmen. Ich gebe nämlich selber auch Nachhilfe in Mathe. Meine Schüler sind von der 3.- 8. Klasse. Ich konnte wie du auch im Unterricht beobachten, dass meinen Schülern einfach das Vorwissen gefehlt hatte, wie zum Beispiel das Ein-Mal-Eins. Es ist sehr wichtig, dass man dieses Grundwissen, was der Grundbaustein für die weiteren Jahre ist, gezielt bei jedem einzelnen SuS vertieft. Deine Methode die du bei deinem Schüler verwendet hast finde ich sehr interessant. Ich werde es bei meinem Schüler auch versuchen. Deine Ideen und Fragestellungen fürs Orientierungspraktikum finde ich auch sehr gut und kann mich diesen nur anschließen.
LG
Fatma
Wehrter Torge, vielen Dank für Deinen sehr interessanten Beitrag. Ich stimme Dir in vielem zu, wenn auch teilweise abgewandelt. Zum Beispiel sehe ich eher das Problem in unserem Schulsystem und unserem selbstverschuldetem Leistungsdruck. Ständig nehmen wir den heranwachsenden Menschen ein Stückchen Lebenszeit weg. Es passiert Stückchen für Stückchen – Orientierungsstufen werden abgeschafft, Abiturjahre werden gekürzt, Einführung des Bologna Prozesses, etc. Alles muss schneller gehen und schneller fertig sein, aber bitte auch noch mit besseren Ergebnissen. Ich finde dies erschreckend! Und „Vergleiche“ wie die PISA Studie finde ich absurd und beinahe Menschen verachtend. Gerade in Bezug auf MINT Fächer, und insbesondere Mathematik, denke ich immer an Hochleistungs-Schüler*innen aus dem asiatischen Raum. Immer wenn solch ein Schüler oder solch eine Schülerin interviewt wird, zeigt sich dass die SuS sehr diszipliniert, organisiert und schlau sind; Jedoch bedauerlicherweise dafür auch in der Regel von Morgens bis Abends nur am Lernen sind (dies ist keine Übertreibung, um etwas zu versinnbildlichen!).
Zum anderen, sehe ich es ebenfalls wie Du, dass man gelehrte Mathematik nicht zwingend mit der Anwendung im Alltag begründen muss und dies doch eher auf den ersten Blick von einander unabhängig bestehende „Dinge“ sind. Auf den zweiten Blick jedoch, könnte man bestimmt argumentieren, dass Mathematik ÜBERALL ist. Oder ist vielleicht sogar Alles Mathematik?
Jedenfalls finde ich je nach Jahrgangsstufen eine Vernetzung von Alltag und Mathematikunterricht zwar sinnvoll, jedoch nicht immer umsetzbar. Und dies ist es wohl dann auch was SuS den „Zugang“ zum Mathematikunterricht versperrt. Es nicht verstehen, nicht greifen zu können. Ich halte einen spielerischen Methodik-Ansatz ebenfalls für sinnvoll, allerdings nur in der Grundschule und den ersten Jahren der Sek. I. Denn was für einen Effekt zum Beispiel eine Lernhilfe in Form eines Systemblocks auf SuS hat, hat uns Prof. Dr. Christine Knipping sehr eindrucksvoll letzte Woche gezeigt.