1.Wie begründen die Autor*innen dass sie nicht ´Differenz´ sondern ´Praktiken der Differenzierung` untersuchen wollen? Können Sie hier auch Bezüge zur Einführungsvorlesung über „Heterogenität“ herstellen?
Die AutorInnen verwenden hier bewusst nicht den Begriff der „Differenz“, sondern sprechen von „Praktiken der Differenzierung“, da es ihnen bei ihrer Untersuchung weniger um Unterschiede von SchülerInnen geht, wenn sie in die Schule eintreten. Es geht ihnen also nicht um bloße, bei Schulbeginn bereits vorliegende Differenzen wie Sprache, Entwicklung oder Migrationshintergrund. Vielmehr gehen sie der Frage nach, wie durch die Schule eine Differenzierung von SchülerInnen erfolgt, die SchülerInnen also gleichsam zu unterschiedlichen „gemacht werden“.(Rose/Gerkmann 2015, 192) Anderseits liegt der Fokus der Untersuchung darauf, wie SchülerInnen durch eigenes Verhalten sich zu „unterschiedlichen“ machen. (Rose/Gerkmann 2015, a.a.O.) Es geht also nicht um die Untersuchung exogener Faktoren von Unterschiedlichkeit, sondern um Prozesse, die sich innerhalb von Schule vollziehen und in concreto im Unterricht durch Aktives Handeln Differenzierung hervorbringen.
In Bezug auf die Einführungsvorlesung können mit Blick auf den Umgang mit dem Begriff „Heterogenität“ Parallelen festgestellt werden. So wie der Begriff Heterogenität einem Konstruktionscharakter in der Weise unterliegt, als dass im Diskurs von Normen beziehungsweise einer scheinbar existierenden Homogenität ausgegangen wird, so werden in der Schule Differenzierungen ebenfalls konstruiert. Dies schlägt sich, wie die Untersuchung gezeigt hat, insbesondere in den unterschiedlichen Leistungsniveaus (aktives oder passives Agieren von SchülerInnen innerhalb der Gruppenarbeit) nieder. Per se ist eine Unterschiedlichkeit also nicht einfach da, sondern wird von Schule beziehungsweise SchülerInnen selbst hergestellt, konstruiert.
2. Die Studie befasst sich mit individualisiertem Unterricht in der Sekundarschule und analysiert Kommunikationsprozesse zwischen Schüler*innen in der Gruppenarbeit im Projektunterricht. Inwiefern spiegelt sich in diesen Prozessen die „soziale Konstruktion von Leistungen“ wieder? Anders gefragt: Wie stellen die Schüler*innen leistungsbezogene Differenz her?
Bei der Betrachtung der Studie fällt auf, dass SchülerInnen intuitiv leistungsbezogene Differenzen herstellen. Dies verdeutlichen ihre jeweils unterschiedlichen Herangehensweisen an die jeweilige Gruppenarbeit. Während einige SchülerInnen sich eher zurückhalten oder Desinteresse zeigen, machen sich andere sofort an die Arbeit, indem sie beispielsweise die Aufgabenstellung vorlesen und sich bereits inhaltlich mit den Inhalten der Aufgaben beschäftigen. Einige SchülerInnen zeigen durch ihre Gestik und Mimik ein Verhalten, das sie eher von der Gruppe abgrenzt und nicht am Arbeitsprozess teilhaben lässt. (Abrücken des Stuhls vom Tisch, Zurücklehnen und damit Herstellung von Distanzierung zum Rest der Gruppe) Innerhalb einer Gruppe wird sogar von einer Schülerin zur aktiven Mitarbeit gegenüber einem weniger aktiven Schüler aufgefordert. („wir müssen“, Rose/Gerkmann 2015, 201/202) Insoweit führt das jeweilige individuelle Verhalten durch Teilhabe, zu Spannungen (Aufforderung zur Mitarbeit) und zur Ausgrenzung einzelner SchülerInnen innerhalb der Gruppe.
3. Erläutern Sie, inwiefern sich die von Rose und Gerkmann festgehaltenen Beobachtungen von schultypischen Differenzierungen (nicht nur bezogen auf Leistung) innerhalb von Gruppenarbeiten mit Ihren eigenen Erfahrungen decken. Diskutieren Sie Ihre eigenen Erfahrungen vor dem Hintergrund des Textes!
Die Beobachtungen der Untersuchung von Rose und Gerkmann decken sich im Wesentlichen mit meinen eigenen Erfahrungen. Das, was im Allgemeinen pauschal als „Gruppendynamik“ bezeichnet wird, lässt sich durchaus im Schulalltag nachvollziehen. Auch ich kenne Gruppenarbeiten, wo auf der einen Seite die SchülerInnen sehr gut miteinander zusammengearbeitet und sich einander ergänzt haben. Auf der anderen Seite gibt es natürlich häufig auch SchülerInnen, die sich so gut wie gar nicht beteiligen, sei es auch Schüchternheit oder mangelndem Interesse. Wiederum andere müssen gleich alle Aufgaben „an sich reißen“ und sich so einbringen, dass anderen SchülerInnen bisweilen kein Raum bleibt. Sofern die Gruppe größer ist, so ist teils auch feststellbar, dass sich aus einer Reihe von SchülerInnen kleine „Untergrüppchen“ bilden, wobei die Zusammenführung der jeweiligen Ergebnisse mehr oder weniger gut gelingt. Schlimmstenfalls kann es zu einer Spaltung der Gruppe kommen, sodass sich dann zwei (oder mehr) Lager gegenüberstehen. Andererseits kann es auch zu Arbeitserleichterungen kommen. Entscheidend ist, jenseits eines logischen und zielgerichteten Arbeitsvorgehens, auch immer die „Chemie“ innerhalb der Gruppe, die die Arbeit erleichtern kann.
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2 Antworten auf „Prof. Dr. Nadine Rose – „Lässt sich ‚Heterogenität‘ im Klassenzimmer beobachten und was sieht man, wenn man so guckt?“ 12. Mai 2020, rv04“
Hallo Tim,
Zunächst möchte ich anmerken, dass dein Beitrag eine gute und nachvollziehbare Struktur aufweist. Man kann deinen Argumenten und Erläuterungen gut folgen und in Bezug auf den Text klare Zusammenhänge erkennen.
Der erste Teil ist meiner Meinung nach sehr gut gelungen. Du begründest hier lapidar warum die Autor*innen den Begriff „Praktiken der Differenzierung“ dem Ausdruck „Differenz“ vorziehen. Du bringst zum Ausdruck, dass es nicht um die Differenzierung der „von Zuhause mitgebrachten“ Eigenschaften geht, welche du hier sehr schön mit den Beispielen Sprache, Entwicklung und Migrationshintergrund untermauerst. Ferner machst du deutlich, dass das schulinterne Aktive Handeln und dessen Differenzierung, also beispielsweise der Schüler untereinander von Bedeutung ist, was mit „Praktiken der Differenzierung“ eben gemeint ist. Insofern hast du meiner Meinung nach alles Wichtige zum Ausdruck gebracht.
In der zweiten Aufgabe in der danach gefragt wurde wie Schüler*innen leistungsbezogene Differenzen herstellen, zeigst du zunächst mehrere in der Analyse beschriebene Verhaltensweisen von Schülern auf. Anschließend ziehst du die Folgerung, dass solche individuelle Verhaltensweisen der Schüler*innen zu Spannungen und Ausgrenzungen einzelner Mitschülern führen können. Da bin ich ganz deiner Meinung. An dieser Stelle hätte man die Interpretation des Verhaltens der Schüler und vor allem deren Auswirkungen auch weiter ausführen können.
Deine Aspekte in der dritten Aufgabe kann ich allesamt sehr gut nachempfinden. Ob die Gruppendynamik stimmt und damit auch der „Erfolg“ der Gruppenarbeit gesichert ist hängt maßgeblich, wie du beschrieben hast, von der „Chemie“ innerhalb der Gruppe ab. Man weiß häufig auch schon bevor die Gruppenarbeit wirklich beginnt, wer die Rolle des „Arbeitenden“ und wer die Rolle des „Zurücklehnenden“ übernehmen wird. Zumindest nach längerem Bestehen des Klassenverbandes. Dies kann meiner Erfahrung nach häufig auf Unlust seitens des „Arbeitenden“ stoßen, wenn dieser „schon wieder die ganze Arbeit übernehmen muss“. In Sachen Bildung von „Untergrüppchen“ kann ich mich dir nur anschließen. Es kann von Vorteil sein die Arbeit aufzuteilen und somit schneller und effektiver zu arbeiten. Wenn jedoch eine der „Untergrüppchen“ nicht zielführend arbeitet, wäre die ganze Gruppenarbeit wieder gestört. Und eigentlich ist es ja nicht der Sinn einer Gruppenarbeit, die Gruppe wiederum zu spalten.
Ich denke da lassen sich auch noch viele weitere Beispiele aus dem Schulalltag finden. Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass ich deinen Beitrag für sehr gelungen halte.
Vielen Dank und liebe Grüße,
Lara
Hallo Lara, vielen Dank für deinen Kommentar und deine Ergänzungen und bis bald.
Liebe Grüße,
Tim