Seminarteil Bremen

3. Tag: 07.05.16

VIERTE PHASE

10.15 – 16.45
Disziplinäre Ausdifferenzierung und transdisziplinärer Moment:

  • Was ergibt der spezifische Blick auf den Gegenstand?
  • Narrationsmodi im literarischen Text
  • Verhältnis Narrationsmodi und eigene Wahrnehmung
  • Autorenschaft
  • Ethnographischer Präsens und Geschichten der Straße
  • Sprachliche Gestaltungsmittel
  • Kartographie
  • Kulturelle Verortung der Straße
  • Geschichtliche Verortung der Straße

 

Inhalt der Sitzung:

Im Zentrum des heutigen Seminartages steht einerseits die disziplinäre Ausdifferenzierung, also der Disziplinen spezifische Blick auf Straße und Straßenkultur. Andererseits nutzen wir die vertretenen Disziplinen dazu, gemeinsam transdisziplinäre Perspektiven zu entwickeln. Als Grundlage hierfür dienen unsere bisherigen, vor allem durch die Empirie gewonnen Erkenntnisse. Versteht man Straße als Raum, sind Vorüberlegungen zum größeren Forschungszusammenhang von „Literatur und Raum“ angebracht, als deren wichtigste theoretische Referenz Michail Bachtins Konzept des „Chronotopos“ dient. Auszüge aus diesem Schlüsseltext sollen in Auszügen gelesen und diskutiert werden. Aus noch einmal einer anderen Perspektive, die sowohl eine Theoretisierung von Praxis als auch die Wahrnehmung fokussiert, sollen diese ersten theoretischen Kenntnisse durch die Auseinandersetzung mit Michel de Certeaus „Kunst des Handelns“ vertieft werden. Wenn wir davon ausgehen, dass Straße und Geschichte/n in komplexer Weise miteinander verbunden sind, kann dieses Verständnis nochmals auf der Basis der Erkenntnisse der neueren kontextorientierten Narrationsforschung vertieft werden.

Genau an der Stelle der komplexen Verbindung von Straße und Geschichte/n deutet Vincent Crapanzano das Dilemma der Ethnographie an. Sie versucht die Komplexität der Straße in einen ethnographischen Text zu „übersetzen“. Der Ethnograph entwickelt dabei, basierend auf seinen Daten und Interpretationen, eine „endgültige Darstellung“ und fertigt dadurch eine „abschließende Lesart“ an. „Es ist sogar möglich, dass die allgemeineren Theorien, die der Ethnologe aus ethnographischen Untersuchungen erzeugt, bloße Spiegelungen und verzerrte, höhenstufige Wiederholungen der vorläufigen Interpretationen sind, auf denen die Darstellung des Datenmaterials gründet“, wie Crapanzano selbst schreibt. Ausgehend von dieser folgenreichen Feststellung werden wir im Seminar der Frage nachgehen, wie sich die Ethnographie in der Forschung über Straße nutzen lässt und wo sie im Hinblick auf die Literaturwissenschaft interessante analytische Anknüpfungspunkte aufweist.


 

Pflichtlektüre:

Bachtin, Michail M. (2008). Chronotopos. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Daraus: Schlußbemerkungen, S. 180-197.

Barthes, Roland (1988). Das semiologische Abenteuer. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Daraus: Semiologie und Stadtplanung, S. 199-209.

Crapanzano, Vincent (2004). Das Dilemma des Hermes: Die verschleierte Unterwanderung der ethnographischen Beschreibung. In: Doris Bachmann-Medick (Hrsg.), Kultur als Text. Tübingen, Basel: UTB. S. 161-193.

Nünning, Ansgar (2013). “Wie Erzählungen Kulturen erzeugen: Prämissen, Konzepte und Perspektiven für eine kulturwissenschaftliche Narratologie”. In: Strohmeier, Alexandra (Hrsg.): Kultur, Wissen, Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung. Bielefeld: transcript. S. 15-53.

 

Bereiten Sie den Text von Roland Barthes bitte anhand folgender Überlegungen und Fragen vor:

  1. Barthes gilt als wichtiger Vertreter von Strukturalismus und Semiotik. Arbeiten Sie für sich noch einmal auf, von welchem Grundverständnis dieser beiden zentralen Wissenschaftsrichtungen ausgegangen werden muss.
  2. Inwiefern zeugt Barthes‘ Formulierung (S. 203)„Vermutlich würden diese Verfahren darin bestehen, den Stadttext in Einzelheiten zu erlegen …“ von einem am Strukturalismus geschulten Denken zeugt?
  3. Welche beiden theoretischen Konzepte sind in Barthes‘ Text zentral? Was bedeuten sie?
  4. Was meint Barthes mit „Semiotik der Stadt“ und „Lesbarkeit der Stadt“?
  5. Überlegen Sie Beispiele für das, was Barthes als „semantischen Inhalt“ (S. 202) eines Viertels nennt.
  6. Barthes spricht von der Stadt als einem Diskurs (S. 202), einer Schrift (S. 206), einer „Sprache oder eines Codes“ der Stadt (S. 208). Wie kann dies verstanden werden?
  7. Abschließend: Welche neuen Erkenntnisse bringt Barthes‘ Aufsatz bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Straße und ihren Repräsentationen?

 

Bereiten Sie den Text von Michail Bachtin bitte anhand folgender Überlegungen und Fragen vor:

  1. Was ist unter „Chronotopos“ zu verstehen?
  2. Bachtin erarbeitet diesen Begriff auf der Basis seiner Lektüren eines weltliterarischen Kanons (vgl. Inhaltsverzeichnis) – Was sagt das über den Geltungsbereich des Chronotopos-Konzepts aus?
  3. Welche Chronotopoi erwähnt er? Machen Sie sich die Raum-Zeitverbindungen, um die es Bachtin geht, an einem von Ihnen gewählten weiteren Beispiel klar.
  4. Sind alle genannten Chronotopoi gleichwertig?
  5. Was ist gemeint, wenn es heißt, ein Chronotopos sein „sujetrelevant“ (S. 182) bzw. „Organisationszentren der grundlegenden Sujetereignisse“ (S. 187) von Romanen bzw. „Sujetereignisse werden im Chronotopos konkretisiert“ (S. 188)?
  6. Wie sieht Bachtin das Verhältnis von „realer Welt“ und „dargestellter Welt“ (S. 191 f.)?
  7. Was macht die Bedeutung des Chronotopos der Straße aus und welche Perspektiven auf literarische Texte (oder Filme) ergeben sich neu?