
24.01.2025 / Diederichs, Gosch, Sokolov
Du bist nicht du, wenn du gewalttätig-humorvolle Werbung schaust
Wieso Werbungen für manche Süßwaren nicht nur für die Zähne der Kinder schlecht sein können? Die Marken SNICKERS und M&M‘S verwenden in ihren weitverbreiteten Werbungen eine humorvolle Darstellung von Gewalt. Den Kindern gefällt es, den Eltern auch, sie sehen vor lauter Humor die Gewalt nicht mehr. Warum Eltern und vor allem Unternehmen bei diesem unsichtbaren Problem gefragt sind, erfährst du im folgenden Beitrag.
Die Werbekampagne „Du bist nicht du, wenn du hungrig bist“ von SNICKERS hast du bestimmt schon einmal gesehen. In dieser Werbung sind Personen zu sehen, die beispielsweise andere anschreien oder mit Gegenständen bewerfen, wenn sie hungrig sind. Gegen den Hunger und somit die aggressiven Ausbrüche wird ihnen gesagt, dass sie einen SNICKERS essen sollten, um wieder sie selbst zu sein. Wir sehen also in der Werbung, wie eine Person gewalttätig ist, dies jedoch humorvoll dargestellt wird.
Gewalt in Werbung erhöht die Aufmerksamkeit. Sie kann aber auch dazu führen, dass die Zuschauer:innen die Werbung oder das Unternehmen negativ wahrnehmen. Der Trick: Durch den zusätzlichen Einsatz von Humor werden die Zuschauer:innen davon abgelenkt, den Inhalt der Werbung negativ zu bewerten. Doch nicht nur Erwachsene sehen diese gewalttätig(-humorvollen) Werbungen, sondern auch Kinder. Hinzu kommt, dass Kinder laut einer Untersuchung sogar mehr gewalttätigen und gewalttätig-humorvollen Inhalten ausgesetzt sind als Erwachsene. Aber welche Auswirkungen haben gewalttätig-humorvolle Werbungen auf Kinder, und können Eltern diese Auswirkungen beeinflussen? Mit dieser Frage beschäftigten sich die Wissenschaftler:innen Akshaya Vijayalakshmi & Russell N. Laczniak (2024) in verschiedenen Studien mit US-amerikanischen Eltern und Kindern zwischen acht und zwölf Jahren. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen beschreiben wir nun.
Was die Studien zeigen
In der ersten Studie fanden die Autor:innen heraus: Werbespots mit gewalttätigem Inhalt (ohne Humor) können bei Kindern dazu führen, dass sie Umgebungs-Eindrücke stärker erkennen und deuten. Sie nehmen diese als bedrohlich oder feindselig wahr. Auch führen gewalttätige Werbespots vermehrt zu Gefühlen wie Wut oder Feindseligkeit bei diesen. Diese Gefühle werden durch bestimmte Eindrücke ausgelöst und können impulsives Verhalten fördern. Durch gewalttätig-humorvolle Werbespots werden diese aggressiven Gefühle bei Kindern noch mehr gesteigert. Die Autor:innen vermuteten, dass ein aktives Gespräch der Eltern mit ihrem Nachwuchs die aggressiven Reaktionen der Kinder nach dem Ansehen gewalttätig-humorvoller Werbespots verringert. In diesem Gespräch hinterfragen Eltern gemeinsam mit den jungen Zuschauer:innen die Werbeinhalte kritisch und erklären dabei auch die möglichen Auswirkungen der Werbung. Diese Vermutung bestätigte sich jedoch nicht in der ersten Studie, weshalb dies in zwei weiteren Studien genauer untersucht wurde. Das Ergebnis war, dass Eltern die gewalttätig-humorvollen (im Gegensatz zu ausschließlich gewalttätigen) Werbespots weniger wahrscheinlich als gewalttätig empfinden. Deshalb zeigen sie weniger Interesse an einer kritischen Vermittlung der Werbung. Durch das somit fehlende Gespräch kann es nicht zu einer Verringerung der aggressiven Reaktion der Kinder kommen – manchmal steigt sie sogar. Aufgrund dieser Ergebnisse fordern die Autor:innen, dass gewaltverherrlichende Werbung mehr Aufmerksamkeit von Unternehmen, Eltern, Forscher:innen und politischen Entscheidungsträger:innen erlangt.
Warum wirkt die Werbung so?
Wie kamen Vijayalakshmi & Laczniak auf die Idee, dass solche Werbungen mit Aggressionen zusammenhängen könnten? Sie bezogen ihre Annahmen aus dem General Aggression Model (GAM), eine Weiterentwicklung des General Affective Aggression Models (GAAM) von Lindsay & Anderson (2000). Doch was genau ist Aggression überhaupt? Die Frage ist für die Wissenschaft nicht einfach zu beantworten, Vijayalakshmi & Laczniak erklären es so: Der Begriff Aggression umfasst jeden absichtlichen Versuch, Schaden zu verursachen. Zur Unterscheidung: Gewalt ist eine extreme Form der Aggression und verursacht große Schäden, beispielsweise schwere Verletzungen anderer. Eine Person, die in der Werbung aus Wut ein Glas auf den Boden wirft, handelt aggressiv. Eine Person, die in der Werbung aus Wut ein Glas auf eine andere Person wirft, handelt gewalttätig.
Im Verlauf der Forschung wurde dem Thema Aggression viel Beachtung geschenkt und die Theorien stetig weiterentwickelt. Beide Modelle haben jedoch gemein, dass nach ihnen Aggression aus einem Zusammenspiel von Gefühlen, Gedanken und körperlicher Erregung entsteht. Dieses Zusammenspiel sieht nicht in jedem Menschen gleich aus – manche sind aggressiver, manche weniger. Die Persönlichkeit des Menschen spielt eine Rolle, auch wenn die Situation die Gleiche ist. Denke an SNICKERS-Werbespots mit hungrigen Menschen, von denen einige beginnen zu fluchen, während andere gelassen bleiben. Dies wird in der Theorie als individuelle Faktoren beschrieben.
Neben individuellen Faktoren wie der Persönlichkeit beeinflussen auch situative Faktoren das Trio Gefühle, Gedanken und Erregung. Situative Faktoren sind Dinge wie körperlicher Schmerz, Frust, aber eben auch mit Gewalt verbundene Bilder. Hier kommen also die humorvollen Werbungen mit gewalttätigem Inhalt ins Spiel. Sie haben eine Wirkung, das heißt: Sie können die mit Gewalt verbundenen kindlichen Gefühle und Gedanken beeinflussen. Warum das wichtig ist? Die Antwort der Theorie ist folgende: Der beschriebene Einfluss wirkt auf die Bewertung von Situationen im Alltag. Gewalt wird normalisiert und immer unkritischer betrachtet. Das wiederum beeinflusst nach der Theorie das Verhalten, das Kinder an den Tag legen. Kinder, die häufiger humorvolle Werbung mit gewalttätigen Elementen sehen, werden schneller aggressiv und wenden eher Gewalt an.
Um den Bogen zu den Folgestudien von Vijayalakshmi & Laczniak zu spannen: Die Gewalt in solchen Werbungen wird nicht von den Eltern erkannt. Es kommt zu keinem Gespräch. Damit ist die Bahn frei für die Werbung, um auf das Verhalten der Kinder zu wirken – wenn auch über Umwege. Klingt problematisch, das ist es auch!
Warum das wichtig ist
Unternehmen profitieren durch humorvolle Gewalt in Werbung. Sie erzeugt virale Reichweite, löst positive Stimmung bei den Zuschauer:innen aus und ist bei Kindern beliebt. Doch stellt sich die Frage: Ist dieser Profit ethisch vertretbar? Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass solche Inhalte Gewalt durch Humor verharmlosen. Aufgrund dieser Verharmlosung bewerten Zuschauer:innen der Werbung das gewalttätige Verhalten der Täter:innen als akzeptabel und empfinden die den Opfern zugefügte Gewalt sogar als unterhaltsam. Das führt dazu, dass aggressives Verhalten bei Kindern gefördert und Gewalt normalisiert wird. Unternehmen sollten sich daher ihrer Verantwortung bewusst sein und darauf achten, dass ihre Werbung weder das Verhalten von Kindern negativ beeinflusst noch Gewalt als akzeptabel darstellt. Doch auch für die Unternehmen kann gewalttätig-humorvolle Werbung unerwünschte Konsequenzen haben: Wenn diese von den Eltern als gewaltsam empfunden wird, kann sich diese Einstellung auf ihre Kinder übertragen, wodurch potenzielle Kund:innen verloren werden können.
Wir sollten insbesondere die Schutzbedürftigsten in unserer Gesellschaft vor dem Einfluss von gewalttätig-humorvoller Werbung bewahren. Kinder verstehen und nehmen die Welt noch anders wahr als Erwachsene. Deshalb sind Kinder besonders empfänglich für die Auswirkungen von gewalttätig-humorvoller Werbung, wie ein erhöhtes Aggressionsverhalten. Darum ist es wichtig, dass Eltern sich darüber informieren, welche negativen Auswirkungen diese Werbung auf ihre Kinder haben kann.
Was Eltern und Unternehmen tun sollten
Selbst die sorgfältigste Kontrolle durch Eltern kann nicht garantieren, dass Kinder nie mit problematischen Werbeinhalten konfrontiert werden. Deswegen sollten Eltern offen mit ihnen über Werbeinhalte reden. So lernen Kinder, mögliche Manipulationen zu erkennen und Informationen kritisch zu hinterfragen. Ein bewusster Umgang mit Medien sollte früh beginnen, damit Kinder als zukünftige Konsument:innen eigenständiges und kritisches Denken entwickeln.
Unternehmen können ihren Beitrag dazu leisten, indem sie gewalthaltige Werbung kennzeichnen. Dies würde dabei helfen, Eltern und Kinder auf sie aufmerksam zu machen. Letztendlich sollten Unternehmen sich fragen, ob sie die Konsequenzen ihrer Werbestrategien verantworten können. Eine gewaltfreie Werbung schützt nicht nur Kinder, sondern stärkt auch das Vertrauen von Konsument:innen in die Marke. Verantwortungsbewusste Werbung ist nicht nur ethisch richtig, sondern auch langfristig profitabel.
Quellen:
Lindsay, J. J., & Anderson, C. A. (2000). From antecedent conditions to violent actions: A general affective aggression model. Personality and Social Psychology Bulletin, 26(5), 533–547. https://doi.org/10.1177/0146167200267002
Vijayalakshmi, A. & Laczniak, R. N. (2024). What Happens When Parents Find Violence Acceptable? A Case of Violent-Humorous Commercials Targeted at Children. Journal Of Advertising, 1–17. https://doi.org/10.1080/00913367.2024.2393079
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