Intelligenz und Vorwissen
Intelligenz und Vorwissen
Intelligenz und Vorwissen gelten als zentrale individuelle Voraussetzungen für schulisches Lernen. Während Intelligenz die Fähigkeit beschreibt, neue Informationen effizient zu verarbeiten und Probleme zu lösen, bezieht sich Vorwissen auf die bereits verfügbaren fachbezogenen Kenntnisse, die in Lernprozesse eingebracht werden können, dessen Bedeutung durch soziale Übereinkunft festgelegt ist. Beide Konstrukte stehen in einem engen Zusammenhang, da Intelligenz langfristig den Erwerb von Wissen fördert, sodass sich im Lernverlauf kumulative Vorteile einstellen können. In unterschiedlichen Zusammenhängen konnte gezeigt werden, dass bereits vorhandenes Wissen eine zentrale Grundlage für das Lernen neuer Inhalte darstellt. Je mehr Verbindungen sich zum bestehenden Wissensbestand herstellen lassen, desto einfacher gelingt es, neue Informationen sinnvoll einzuordnen und dauerhaft zu verankern. (Gruber & Stamouli, 2020, S. 29ff.)
Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Intelligenz, Wissen und Lernen wurden vielfach empirisch untersucht. Besonders prägend sind die Arbeiten von Weinert (1996), der auf Basis langjähriger Forschung ein Modell entwickelte, das die enge Verknüpfung zwischen Intelligenz, Wissensaufbau und Denkentwicklung verdeutlicht. Zahlreiche Studien bestätigen die besondere Bedeutung des Vorwissens. So zeigten etwa Ceci und Liker (1986) sowie Schneider und Bjorklund (1992), dass bereichsspezifisches Wissen schulische und berufliche Leistungen besser vorhersagt als Intelligenz allein (Gruber & Stamouli, 2020, S. 36). Die empirische Forschung kommt damit zu dem Schluss, dass Intelligenz vor allem die Geschwindigkeit und Effizienz des Wissenserwerbs beeinflusst, während Vorwissen zunehmend an Bedeutung gewinnt, je weiter der Lernprozess fortgeschritten ist. Die Relevanz beider Faktoren hängt somit auch vom Lernstadium und vom fachlichen Kontext ab.
Literaturquelle: Gruber, H., Stamouli, E. (2020). Intelligenz und Vorwissen. In: In E. Wild & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie. Heidelberg: Springer.
Weinert, F. E. (1996). Wissen und Denken. Über die unterschätzte Bedeutung des Gedächtnisses für das menschliche Denken. In: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. München: Bayerische Akademie der Wissenschaften.
Schneider, W., & Bjorklund, D. F. (1992). Expertise, aptitude, andstrategic remembering. Child Development
Ceci, S. J., & Liker, J. K. (1986). A day at the races: A study of IQ, expertise, and cognitive complexity. Journal of Experimental Psychology: General
Kritische Reflexion und forschungsleitende Fragen im Kontext von Intelligenz und Vorwissen
Empirische Studien zeigen immer wieder, dass Vorwissen ein besonders starker Faktor für den Lernerfolg ist. Das bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler neue Inhalte deutlich besser und nachhaltiger lernen, wenn sie bereits über Vorkenntnisse in diesem Bereich verfügen. Insbesondere stellt sich die Frage, ob und wie Unterricht systematisch an das vorhandene Wissen der Lernenden anknüpft und ob Lehrkräfte in der Lage sind, dieses differenziert zu diagnostizieren und didaktisch zu nutzen. Wenn der Lernerfolg so stark davon abhängt, ob Lernende an vorhandene Wissensstrukturen anknüpfen können, dann müsste guter Unterricht gezielt daran ansetzen.
Eine mögliche (Forschungs-)Frage für das Orientierungspraktikum lautet daher: „Inwiefern wird im Unterricht das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler systematisch erfasst und beim Einstieg in neue Themen berücksichtigt?“ Zur Beantwortung dieser Frage könnten verschiedene Ansätze angewendet werden, wie z.B. Beobachtungen im Unterricht, insbesondere bei thematischen Einführungen. Also wird explizit an Vorwissen angeknüpft? Werden Rückfragen oder Aufgaben gestellt, um dieses zu aktivieren? Des Weiteren könnte die Nutzung der Unterrichtsmaterialien analysiert werden, ob diese zur Wissensaktivierung beitragen wie z.B. durch ein Wiederholungsquiz oder Erfahrungsberichte. (Helmke 2015 S. 11)
Literaturquelle: Helmke, A. (2015). Zusammenfassung – Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Verfügbar unter: https://www.academia.edu/92421048/Helmke_Unterrichtsqualit%C3%A4t_und_Lehrerprofessionalit%C3%A4t_2012_ [Letzter Zugriff: 28.05.2025]
Praxisbeispiele: Reaktionsformen (Weinert, 1997)
Passiv: In einer Theorieeinheit zur Wundversorgung erklärt die Lehrkraft den Ablauf für alle auf gleiche Weise, ohne auf vorhandene Praxiserfahrung oder Verständnisschwierigkeiten einzelner Schüler:innen einzugehen
Substitutiv: Alle Schüler:innen müssen einen standardisierten Pflegeprozess dokumentieren, unabhängig davon, ob sie bereits Erfahrung mit Pflegedokumentation in der Praxis gesammelt haben oder nicht.
Aktiv: Während einer praktischen Übung zur Mobilisation erkennt die Lehrkraft, dass einzelne Schüler:innen unsicher im Umgang mit Hilfsmitteln sind, und gibt ihnen zusätzlich individuelle Anleitung und Übungszeit.
Proaktiv: Bei der Vorbereitung eines Unterrichts zur Medikamentengabe erstellt die Lehrkraft Materialien in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden (z. B. Basisinfos, Fallbeispiele, Medikationspläne zur Analyse), um sowohl Anfänger:innen als auch Fortgeschrittene gezielt zu fördern.
Praxisbeispiele: Adaptionsmöglichkeiten (Leutner, 1992):
Förderung: Ein Schüler, der Schwierigkeiten mit der Kommunikation mit dementen Bewohner:innen hat, erhält gezielte Übungen im Simulationsraum sowie Videofeedback zur Gesprächsführung.
Kompensation: Eine Auszubildende mit Prüfungsangst erhält in Absprache mit der Praxisanleitung zusätzliche Zeit für die Durchführung einer Pflegeaufgabe (z. B. subkutane Injektion), um Sicherheit zu gewinnen.
Präferenz: Während eines Projekts zur Gesundheitsförderung können Schüler:innen zwischen verschiedenen Themen wählen (z. B. Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung) und ihre Präsentationsform (Plakat, Video, Vortrag) frei wählen.
