Abschlussreflexion
1. Zentrale Erkenntnisse
Im Rahmen der Ringvorlesung habe ich insbesondere zwei zentrale theoretische Erkenntnisse mitgenommen, die ich für mein pädagogisches Handeln, insbesondere im Kontext der Pflegebildung, als besonders relevant erachte und im Folgenden näher erläutere.
Erkenntnis 1: Bedeutung von Vorwissen und Intelligenz im Lernprozess
Vorwissen gilt nach Ceci & Liker (1986: 255ff.) und Schneider & Bjorklund (1992: 461ff.) als einer der stärksten Prädiktoren für schulischen Lernerfolg. Auch Intelligenz spielt eine Rolle, jedoch ist ihr Einfluss oft überschätzt, während der Beitrag des Vorwissens unterschätzt wird. Gerade im beruflichen Kontext wie der Pflegebildung, wo Lerninhalte oft stark an Erfahrungen anknüpfen, ist die Aktivierung von Vorwissen zentral (Gruber & Stamouli 2020: 39ff.). In der Pflegebildung bedeutet dies, dass Unterrichtseinheiten so konzipiert werden sollten, dass sie differenziert auf das Vorwissen der Auszubildenden eingehen. Dies kann durch den Einsatz von Erfahrungsberichten aus der Praxis oder durch kontextualisierte Fallbeispiele geschehen, die bereits gemachte Praxiserfahrungen einbinden. Die Anerkennung des Vorwissens signalisiert den Lernenden Wertschätzung und stärkt ihre Selbstwirksamkeit. Dies schafft Vertrauen und verbessert die Beziehung zwischen Lehrkraft und Lernenden (Gruber & Stamouli 2020: 98).
Schneider, W., Bjorklund, D. F. (1992): Expertise, aptitude, and strategic remembering. Child Development, 63
Ceci, S. J., Liker, J. K. (1986): A day at the races: A study of IQ, expertise, and cognitive complexity. Journal of Experimental Psychology: General, 115
Gruber, H., Stamouli, E. (2020): Intelligenz und Vorwissen. In: In E. Wild & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie. Heidelberg: Springer.
Erkenntnis 2: Spannungsfeld von Heterogenität und Homogenisierung in der Schule
Ausbildungsklassen der Pflege sind durch eine hohe Heterogenität gekennzeichnet, in Bezug auf Sprache, kognitive Fähigkeiten, soziale Herkunft oder Geschlecht. Die heterogene Zusammensetzung der Schüler*innenschaft stellt in diesem Rahmen eine zentrale Herausforderung dar, insbesondere dann, wenn divergierende Ausgangsbedingungen die chancengleiche Teilhabe an Bildungsprozessen erschweren. (Budde 2018: o. S.). Das Streben nach Homogenisierung durch Aussonderung (z. B. von Schüler*innen mit Förderbedarf) ist demnach auch problematisch, da es zur Reproduktion von Ungleichheit beiträgt (Hoffman-Lun 2016: 24ff.). In der Pflegebildung sollten Unterrichtskonzepte die Vielfalt der Lernenden anerkennen. Dies kann durch den Einsatz vielfältiger Methoden (z. B. Gruppenarbeit, Lernstationen) und Materialien sowie durch adaptive Lernangebote erfolgen (Hoffman-Lun 2016: 49f.)
Hofmann-Lun, I. (2016). Schülerinnen und Schüler in inklusiven Ganztagsschulen. Ergebnisbericht. München: DJI.
Budde, Jürgen (2018): Heterogenität in Schule und Unterricht Verfügbar unter: https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/266110/heterogenitaet-in-schule-und-unterricht [Letzter Zugriff: 08.07.2025]
2. Eigene Erfahrungen
Heterogenität ist im schulischen Alltag allgegenwärtig, sei es in Bezug auf Leistungsfähigkeit, sprachliche und kulturelle Hintergründe, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder individuelle Förderbedarfe. Die Vorlesungsreihe hat mir geholfen, diese Vielfalt nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Ressource und strukturelles Merkmal von Schule zu begreifen.
In meiner eigenen Ausbildungszeit war der Umgang mit Heterogenität oft defizitorientiert. Häufig wurde Frontalunterricht praktiziert, der sich an einem vermeintlich „durchschnittlichen“ Lernenden orientierte. Schwächere Schüler*innen wurden schnell abgehängt, während leistungsstärkere unterfordert blieben (z.B. Deutschunterricht). Ein besonders prägender Aspekt war der Umgang mit Mehrsprachigkeit und sprachlichen Barrieren. In vielen Fällen wurde die Mehrsprachigkeit von Schüler*innen nicht als Ressource wahrgenommen, sondern eher als Defizit. Lernende, deren Deutschkenntnisse nicht dem schulischen Standard entsprachen, wurden häufig als „nicht leistungsfähig“ eingeordnet, unabhängig von ihren tatsächlichen fachlichen Kompetenzen.
Die Vorlesung hat mir jedoch Perspektiven und Konzepte an die Hand gegeben, die mir helfen, Schule als inklusiven, differenzsensiblen und diversitätsoffenen Raum mitzugestalten. Besonders die Vorlesung zur Mehrsprachigkeit hat mir ermöglicht, eigene Beobachtungen differenzierter zu verstehen und zu bewerten. Sie stärkt mein Bewusstsein dafür, wie eng sprachliche Teilhabe mit pädagogischer Gerechtigkeit verknüpft ist.
3. Weiterer Informationsbedarf
Im Verlauf der Ringvorlesung im Modul UMHET habe ich viele wichtige theoretische Impulse zum Umgang mit Heterogenität im schulischen Kontext erhalten. Themen wie Mehrsprachigkeit, Aussonderung von Schüler*innen mit Förderbedarf oder zur Bedeutung von Geschlechtlichkeit und Sexualität sind unbestritten relevant und eröffnen wichtige Perspektiven auf Vielfalt und Bildungsungleichheit.
Allerdings habe ich mir im Verlauf der Vorlesung häufiger gewünscht, dass die Bezüge zur beruflichen Bildung, insbesondere zur Pflegebildung, stärker und konkreter hergestellt werden. Auch wenn viele Erkenntnisse prinzipiell übertragbar sind, bleiben die Besonderheiten der Pflegebildung oft aus. Die Lernenden in diesem Feld bringen häufig heterogene Bildungsbiografien, vielfältige sprachliche und kulturelle Hintergründe sowie unterschiedliche praktische Erfahrungen mit. Gleichzeitig ist die Pflegeausbildung geprägt von einem engen Theorie-Praxis-Bezug, von starkem Zeitdruck, hoher emotionaler Belastung und einer besonderen Nähe zu existenziellen Themen wie Krankheit, Alter, Sterben und Tod. Da sind Fallbeispiele wie „Gymnasium trotz nicht ausreichenden Deutschkenntnissen?“ eher weniger für Ausbildungsberufe geeignet.
