RV14: Strukturelle und individuelle Formen der Ausgrenzung und Abwertung

Die Vorlesung hat mir geholfen, meine eigenen schulischen Erfahrungen aus einer fachlichen und theoretischen Perspektive besser zu verstehen und einzuordnen. Besonders die Themen Mobbing, relationale Gewalt, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und antisemitische Diskriminierung wurden durch die Inhalte der Sitzung neu für mich greifbar.

Ich selbst habe in meiner Schulzeit – insbesondere ab der 5. Klasse am Gymnasium – wiederholt verbalen und relationalen Ausschluss erlebt. In Pausen und bei Gruppenarbeiten wurde ich regelmäßig ausgegrenzt, verspottet und gezielt verletzt. Was ich früher nur als „gemein“ empfunden habe, kann ich heute als relationale Aggression (z. B. Ausschluss, Ablehnung in Gruppen und auch bei Projektarbeiten „oh ne nicht der“) und verbalen Missbrauch (Beleidigungen, Witze auf meine Kosten) beschreiben. Das Mobbing richtete sich dabei nicht gegen meine soziale Herkunft, da ich aus einer Akademikerfamilie komme, sondern hatte oftmals antisemitische Züge, zwar bin ich nicht religiös, jedoch hatte ich mich immer sehr offen als Jude präsentiert. Beispiele aus dem Alltag waren unter anderem Hitlergrüße im Sportunterricht beim „Marschieren“ (bei diesem Marschieren ist dann „versehentlich“ oft der rechte Arm hoch in die Luft gezielt worden“, Hakenkreuze auf Papier oder in Heften, die gezielt mir gezeigt wurden, sowie „Witze“ wie: „Wenn du stirbst, lässt du dann Goldmünzen fallen wie in Minecraft?“ oder schlicht: „Scheiß Jude“. Die Vorlesung zeigte mir, dass diese Aussagen und Taten nicht nur entstanden, da ich mit provokanten und pubertierenden Jungs zusammen auf die Schule ging, sondern dass diese auch ein Ausdruck verankerter gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (vgl. Heitmeyer) auch gegenüber anderen ethnischen Gruppen in meiner Schule (z.B. People of Color, Muslimen) oder verbunden mit Formen des Klassismus. Besonders aufschlussreich war für mich die Reflexion über die Reaktion von Lehrkräften in solchen Situationen. Rückblickend wurde auf die Vorfälle selten angemessen reagiert. Häufig wurde vermittelt, dass man sich „ja nicht mögen müsse“, solange man sich „in Ruhe lässt“. Diese Haltung stellte Neutralität über Haltung und verfehlte damit die Verantwortung der Schule, Schutzräume zu bieten. Anstatt aktiv zu intervenieren oder antisemitische Aussagen als diskriminierend zu benennen, wurden die Probleme individualisiert oder bagatellisiert. Ähnlich auch wie bei Problemen der Chancengerechtigkeit und des Klassismus in der Schule und allgemeinen Gesellschaft. Die Vorstellung, Konflikte seien rein persönliche „Unstimmigkeiten“, verkennt die strukturelle Dimension von Mobbing und Ausgrenzung. Auch kann ich die Einschätzung teilen, dass Lehrkräfte nur in wenigen Fällen tatsächlich eingreifen, 35 Prozent aller Fälle, scheint mir durchaus realistisch. (Vgl. Fereidooni 2015, S.4) Aus eigener Erfahrung kann ich teilen, dass dies bei Beschwerde oft dazu führen, dass meine Erfahrungen verharmlost wurde oder dass ich oft die Schuld auf andere schieben würde. Somit die reaktiv aggressiv begründete Mobbing-Verhalten des Mobbers übernommen wurde, um sich nicht mit diesem strukturellen Problem in diesem Moment auseinanderzusetzen müssen.

Die Vorlesung hat mir verdeutlicht, dass Lehrkräfte nicht neutral bleiben dürfen, wenn Diskriminierung sichtbar wird. Eine pädagogische Haltung, die soziale Ausgrenzung erkennt, klar benennt und bearbeitet, ist unerlässlich, vor allem war mir nicht bewusst wie relevant Fortbildungen im Kampf gegen Mobbing sein können (Vgl. Wachs, Schubarth 2021).

 

Aus den Erkenntnissen der Vorlesung leite ich als angehende Lehrkraft mehrere Handlungserfordernisse ab. Erstens Diskriminierung zu erkennen und benennen, denn vor allem im Bereich des Mobbings kann das Lehrer:innenhandeln aus eigener Erfahrung essenziell sein. Ich sehe es als meine Aufgabe, entsprechende Vorfälle klar als Diskriminierung zu benennen, Betroffene zu unterstützen und präventiv zu arbeiten. Außerdem ist es für Lehrer:innen meiner Meinung nach wichtig sensibel zu beobachten, wie die sozial-schulischen Dynamiken außerhalb des Unterrichts sind. Denn besonders in informellen Settings wie Pausen kann unbemerkt Mobbing passieren, vor allem außerhalb der Sicht der Lehrkräfte. Somit ist oft eine Intervention durch bloße Uninformiertheit nicht möglich. Außerdem halte ich die Aufarbeitung von Diskriminierung im Unterricht wichtig. Jedoch können inhaltorientierte Unterrichtsstunde aus meiner Erfahrung eher ineffektiv sein. Ich halte es deswegen für essenziell, dass solche Themen auch oft aus einer Perspektive von Betroffenen erzählt wird, wie zum Beispiel bei „Meet a Jew“ oder „meet2respectund“ und nicht unbedingt ausschließlich aus der Perspektive von betroffenen Mitsschüler:innen, da dies für viele Betroffene sehr unangenehm sein kann und oft nicht gewünscht wird. Neben der Prävention leite ich aber auch die Notwendigkeit von Safe Spaces ab, in denen Schüler*innen sich sicher vor Diskriminierung fühlen können. Schlussendlich ist für eine tatsächliche Bekämpfung von Mobbing, Klassismus und anderen Diskriminierungsformen eine Zusammenarbeit mit Kolleg*innen und Fachkräften und allen Schulen notwendig um langfristig gerechte Form von Schulen zu fördern und Diskriminierung als strukturelles Problem zu bekämpfen.

 

Literaturverzeichnis

Fereidooni, Karim (2015). Diskriminierungserfahrungen von Schüler_innen mit Migrationshintergrund – Ursachen, Auswirkungen und pädagogische Konsequenzen. In Karim Fereidooni & Aladin El-Mafaalani (Hrsg.), Rassismuskritik und Widerstandsformen (S. 3–25). Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-08949-0_1

Heitmeyer, Wilhelm (2002). Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Die theoretische Konzeption und empirische Ergebnisse aus zwölf Jahren Forschung. Suhrkamp.

Wachs, Seth; Schubarth, Wilfried (2021). Mobbing und Cybermobbing an Schulen: Erkennen – vorbeugen – intervenieren (2. Aufl.). Beltz Juventa.

Zentralrat der Juden in Deutschland. (o. J.). Meet a Jew. Aufrufbar unter: https://www.meetajew.de/ (Zuletzt aufgerufen am: 09.07.25)

Meet2respect. (o. J.). Im Gespräch gegen Vorurteile. Aufrufbar unter: https://meet2respect.de/ (Zuletzt aufgerufen am: 09.07.25)

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