Fassen Sie die im Text dargestellten unterschiedlichen Positionen in Bezug auf die Religionsausübung zusammen. (Option 2: Können Frauen Rabbinerinnen sein?)
Der Text „Pro&Contra – Als orthodoxe Frau ins Rabbinat?“ stellt die Aussagen zweier Frauen gegenüber. Auf der einen Seite steht Meesh Hammer-Kossoy, eine Frau, die seit 20 Jahren eine religiöse Führungspersönlichkeit ist und sich seit kurzem auch Rabbinerin nennen kann. Auf der anderen Seite steht Julia Konnik, die Mutter von fünf Kinder ist und ihren Mann, einem Rabbiner, den sie als Rebbetzin, also der Rabbinergattin in der Gemeinde unterstützt.
Meesh Hammer-Kossoy beschreibt, dass es in ihrer Gemeinde ein halachisches, aus Männern und Frauen bestehendes Komitee gibt. Im Juni 2015 wurde sie zur Rabbinerin ordiniert. Dieser Titel mache für sie keinen großen Unterschied, jedoch vermute sie, dass andere Menschen sie mit mehr Autorität wahrnehmen. Sie führt auf, dass es Frauen leichter fällt mit Rabbinerin über gewisse Themen zu sprechen, wie z.B. neben der Sexualität und der „taharat mischpacha“, also der Familienreinheit, auch Fragen zur Erziehung, Partnerschaftsbeziehung und den Schabbatregeln. Des Weiteren erklärt sie, dass trotz ihres Vollzeitjobs ihre drei Kinder oberste Priorität hätten und männliche Rabbiner genauso darauf achten sollten, wie häufig sie Abende im Büro oder zu Hause verbringen würden. Dass das Oberrabbinat in Israel die Ordination von Frauen ignoriert, ist für sei kein Problem („Ich kann damit leben“), jedoch ist sie auch der Meinung, dass heutzutage alle Macht vom Volke ausgeht, also steht sie jedem zur Verfügung, der sie als Rabbinerin möchte. Meesh Hammer-Kossoy ist der Meinung, dass „die Zeit (..) reif dafür“ ist und weibliche Rabbiner eine unschätzbare Bereicherung für die Zukunft des jüdischen Volkes darstellen.
Julia Konnik spricht im ersten Satz direkt ihren Respekt gegenüber weiblichen Rabbinern aus. Sie selbst hatte beinahe mit dem Gedanken gespielt Rabbinerin zu werden, jedoch führt sie an, dass in einigen Familien berühmter jüdischer Persönlichkeiten (z.B. Abraham Geiger) die Familiengeschichte, die „Legacy“, also das Vermächtnis verloren gehe. Die Kinder benannten sich um und die zweite Generation konvertiert meist zum Christentum oder gründete gar keine Familie. Zudem berichtet sie über amerikanische Juden, die ihr von einer Tochter einer Rabbinerin erzählten, die nach Mea Schearim flüchtete. Des Weiteren erzählt sie von ihrem Mann, dessen Job als Rabbiner „anspruchsvoll und anstrengend“ sei. Sie könne sich nur schwer vorstellen, dass eine Frau die langen Gottesdienste, den Religionsunterricht der Kinder und Erwachsenen und die anderen Tätigkeiten des Rabbiners, neben der Versorgung der Familie ausführe. Ihrer Meinung nach sei es die Aufgabe der Frau die Familie mit rein weiblicher Kraft, der „Bina“ aufzubauen, was die Möglichkeit gebe ein harmonisches Zuhause zu erschaffen, bei dem die Kinder mit Freude ihre „Legacy“ antreten und die Beziehung zum Mann Jahr für Jahr fester werde. Sie führt zudem auf, dass laut der Bindungstheorie (von Bowlby&Ainsworth) eine Frau mindestens die ersten 1,5 Lebensjahre eine enge Beziehung zum Kind aufbauen und emotional, sowie körperlich voll da sein sollte. Im letzten Absatz erwähnt sie, dass sie keine Kritik an berufstätigen Frauen ausübe, sondern selbst an einer E-Learning School unterrichte und koordiniere.
Im Jahr 2010 wurde die erste orthodoxe Rabbinerin im Abraham Geiger Kolleg in Potsdam ordiniert. Ihr Name war Alina Treiger. Heute sind in Rabbinerschulen mehr als die Hälfte der Studierenden weiblich, jedoch arbeitet später nur ein kleiner Teil in einer großen Gemeinde, da weiterhin viele streng orthodoxe Juden sich keine Frau in diesem Amt vorstellen können. (Die Geschichte der Rabbinerinnen – „Schon die Idee einer Frau im Amt!“, unter: https://www.tagesspiegel.de/wissen/die-geschichte-der-rabbinerinnen-schon-die-idee-einer-frau-im-amt/10260586.html, Abruf am: 09.06.2019)
Wenden Sie die drei Grundannahmen des religionswissenschaftlich-kulturwissenschaftlichen Ansatzes (interne Diversität, Religion als beeinflusst von historischen Prozessen, Religion als Teil soziokultureller Strukturen, s. AB 1) auf den Text bzw. die im Text beschriebenen Haltungen und Praktiken an.
Im Judentum bestehen vier Strömungen (Liberal, Konservativ, Orthodox, Haredi) beide Frauen sind orthodoxe Jüdinnen und trotz dieser Gemeinsamkeit vertreten sie im Hinblick auf das weibliche Rabbinat komplett gegenteilige Meinungen. Diese interne Diversität der beiden Frauen liegt höchstwahrscheinlich am meisten ihrer persönlichen Erfahrungen zu Grunde. Beide Frauen sehen sich als Ratgeberin und Lehrerin in ihrer Gemeinde, jedoch erfuhr Julia Konnik negative Erfahrungen im Hinblick auf die Familienentwicklung und „Legacy“ einiger berühmter Juden, die modernere Lebensweisen ergriffen. Es wurde Abraham Geiger aufgeführt, in dessen Kolleg die erste orthodoxe Rabbinerin ordiniert wurde. Seine Kinder nannten sich um und die zweite Generation war schon zum Christentum konvertiert oder gründeten gar keine Familie mehr. Des Weiteren kann der Bericht der Amerikaner, die sie beim Schabbat empfing, in dem die Tochter einer Rabbinerin nach Mea Schearim, also einem Stadtviertel in Jerusalem, in dem hauptsächlich ultraorthodoxe Juden wohnen, flüchtete, sie in ihrer Meinung bestätigt haben. Frau Konnik hat eine traditionelle Sichtweise auf die Rolle der Frau. Ihrer Meinung nach muss die Frau mit einer rein weiblichen Kraft, der „Bina“ die Familie aufbauen, was ein harmonisches Zuhause schaffe und, was für sie ein Kernpunkt ist, die Kinder dabei fördere der „Legacy“, also dem jüdischen Vermächtnis mit Freude entgegen zu treten und nicht durch die Modernisierung ihm fremd zu werden. Meesh Hammer-Kossoy hatte nie diese Erfahrungen gemacht und sieht aufgrund dessen das weibliche Rabbinat ganz anders. Sie sei seit 16 Jahren schon in einer Gemeinde, die ein halachisches, aus Männern und Frauen bestehendes Komitee hat. Zudem sieht sie die Rolle der Frau und des Mannes im Hinblick auf die Erziehung eher gleichgestellt und nicht nur auf die Frau konzentriert. Ihrer Meinung nach gehe die Autorität (bzw. Macht) vom Volke aus, also steht sie jedem zur Verfügung, der sie als Rabbinerin möchte, anstatt sich dem Oberrabbinat zu unterwerfen, dass das weibliche Rabbinat ignoriert. Zudem kann hier die Religion als Teil soziokultureller Struktur erkannt werden. Julia Konnik bleibt den alten und traditionellen Werten treu und sieht sich aufgrund ihrer religiösen Erziehung als „Harmonie-Bringer“ im Zuhause. Die Religion steht genauso im Wandel, wie unsere Gesellschaft an sich. „Religion ist nicht zeitlos“ und somit beeinflussten die Wellen der Frauenbewegung, die Entwicklung des liberalen Judentums in den USA, die sich verändernden Gendervorstellungen und vieles mehr auch das Judentum. Des Weiteren ist sogar im Text von Meesh Hammer-Kossoy ein Wandel erkennbar. Sie berichtet, dass in den späten 80er und frühen 90er Jahren das Talmudstudium für Frauen geöffnet wurde, wohingegen erst in den letzten Jahren (da der Text 2015 erschien also vermutlich 2009-2014) das Studium der Halacha orthodoxen Frauen ermöglicht wurde. Es wird deutlich, dass historische Prozesse Religionen „nicht kalt lassen“.
Beschreiben Sie Ihre eigene Verortung gegenüber dem im Text angelegten Phänomen. Gehen Sie dabei auf die Fragen auf AB 2 ein.
Meine Eltern schickten mich auf eine katholische Grundschule und auch ein katholisches Gymnasium. In der siebten oder achten Klasse war es Teil des Unterrichts in Gruppenarbeiten mit abschließendem Referat verschiedene Religionen zu behandeln. Meiner Gruppe wurde das Judentum zugeordnet. Wir setzten uns mit der jüdischen Geschichte, insbesondere der des zweiten Weltkrieges, der jüdischen Kultur, wie den jüdischen Speisegesetzen, Festen, Medizin u.v.m. auseinander. Um unsere Mitschüler zu begeistern backten wir einen jüdischen Apfelkuchen, der natürlich nach den Kaschrut zubereitet wurde. Es hatte mich damals sehr fasziniert diese Religion, die manchmal gar nicht so anders als das Christentum war, kennen zu lernen. Heutzutage würde ich weiterhin von mir behaupten, dass ich eine Christin bin, die jedoch ihre Religion und auch die religiösen Führungskräfte deutlich kritischer betrachtet und nicht mehr so streng den Regeln folgt, wie es mir beigebracht wurde. Die Religion an sich war immer Teil meines Lebens und auch meines Seins, sodass ich sie mir auch gar nicht „wegdenken“ kann. Meine Eltern erzogen mich zwar religiös sehr traditionell, jedoch aber auch sehr offen für Neues, sodass ich zwei Jahre lang zum Buddhismus konvertierte, weil ich Probleme zu meiner traditionellen Religion entwickelte. Einer Religion anzugehören bedeutet für mich eine andere Weltanschauung zu besitzen,- glaube ich nun an den einen Gott, möchte ich meinen eigenen Geist entfalten bis ich das Nirwana erreiche oder bin ich atheistisch und möchte vielleicht sogar mit diesen Philosophien des Lebens gar nichts zu tun haben? Dies ist jedoch meiner Meinung jedem selbst überlassen, denn ich finde, dass jeder glauben sollen kann, was er möchte. Ich möchte später den Kindern vermitteln jeden so zu akzeptieren, wie er ist. Natürlich kommt es an vielen Stellen zu Meinungsunterschieden und Reibung, jedoch sollte man sich einigen können, dass man sich uneinig ist.
Entwickeln Sie eine schriftliche pädagogische Reflexion zum Umgang mit den folgenden Szenarien:
Im Rahmen von Antisemitismusprävention hat Ihre Schule eine Rabbinerin eingeladen. Ein Schüler (von dem Sie nicht wissen, ob er jüdisch ist oder nicht) sagt, er halte Frauen für diese Position ungeeignet und sei nicht bereit, an diesem Unterrichtsvorhaben teilzunehmen.
Ich denke, dass es in erster Linie wichtig sei ein näheres Gespräch mit dem Schüler einzugehen, um seine Beweggründe für seine Abneigung nachvollziehen zu können. Hierfür ist ein Gespräch unter vier Augen, vielleicht sogar ein Gespräch mit den Eltern notwendig, um die Ursache für seine Position zu finden. Zudem würde ich das Gespräch mit der Rabbinerin suchen, um herauszufinden was sie von der Situation hält, ob sie vielleicht schon mit einer ähnlichen Situation konfrontiert wurde und auch, um sie überhaupt über die Differenz zu informieren, damit sie sich auf unangenehmere Fragen als üblich vorbereiten könnte.
Im Hinblick auf diese Gespräche würde ich vermutlich unterschiedlich und situationsabhängig handeln. Mit meiner aktuellen Einstellung würde ich den Schüler dazu ermuntern, trotz der Differenzen am Unterricht der Antisemitismusprävention teilzunehmen. Ich kann mir vorstellen, dass die Rabbinerin offen für seine Fragen und Probleme mit ihrer Position ist und es vielleicht sogar zu einer Meinungsänderung kommen könnte.
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