Ich habe mit einer Grundschullehrerin einer eher ländlichen Schule gesprochen. In ihrer Klasse sind derzeit 25 SchülerInnen, davon drei mit Türkisch als Muttersprache. Ein Junge ist in Deutschland aufgewachsen, die anderen beiden Kinder sind erst später hierhergezogen. Auf meine Frage, welche positiven Einflüsse dies hätte antwortete sie, dass die Kinder etwas über andere Kulturen lernen können und merken, dass es auch noch andere Sprachen und Wege gibt, zu kommunizieren. So mussten sie mit dem Mädchen am Anfang sehr viel mit Gesten kommunizieren, da diese bei Schuleintritt erst ein Jahr in Deutschland war. Dies habe aber super funktioniert. Zudem hat die Lehrerin entschieden, im Morgenkreis auf Deutsch, Türkisch und Englisch zu begrüßen, so erfahren die Kinder früh schon verschiedene Sprachen und legen Hemmungen ab.
Ein negativer Effekt wäre aber, dass sich die drei türkischsprachigen Kinder am Anfang oft auf Türkisch unterhielten und somit von dem Rest der Klasse abgeschottet waren. Das ist nicht nur für die drei Kinder negativ, sondern auch für die gesamte Klasse. Andere Kinder haben oft den Eindruck gehabt, man würde über sie reden. Nach einiger Beobachtung hat die Lehrerin dann am Anfang des zweiten Schuljahres entscheiden, das Türkischsprechen nur noch nach Unterrichtsschluss oder in besonderen Situationen zu erlauben. Zu diesem Zeitpunkt war das Sprachlevel aller drei Kinder gut genug, um sich auch auf Deutsch untereinander zu verständigen. Um diese Veränderung einzuführen, wurde über die Situationen gesprochen und auch darüber, dass es respektvoller sei, eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Es wurde aber auch deutlich gemacht, dass das Türkische stets eine Bereicherung für den Unterricht sein soll und es den Kindern bei Ideen diesbezüglich jederzeit erlaubt sei, diese auch zu äußern. Ein Fall wäre zum Beispiel bei bestimmten Themen der Klasse ein Wort auf Türkisch beizubringen.
Ich persönlich finde, dass die Lehrerin sehr gut reagiert hat und die Ressourcen ihrer SchülerInnen toll nutzt. Der Klasse wird früh ein Sprachgefühl vermittelt und es wird auch offen über Respekt gesprochen. Zudem weiß ich aus eigener Erfahrung, dass eine Sprache viel schneller und leichter zu lernen ist, wenn man zu dem Lernzeitpunkt (in diesem Fall: in der Schule) die Muttersprache ausblendet, sie also nicht spricht. Nur so kann sich das Gehirn komplett auf die neue Sprache einlassen und den Kindern ist es irgendwann möglich, ihre Gedanken zwischen den Sprachen hin und her zu wechseln. Es ist wichtig, dass die Kinder wissen wie wichtig ihre Muttersprache ist und bleibt, auch wenn in der Schule Deutschsprechen von ihnen verlangt wird.
Das ist eine echt interessante Weise, diese schwierige Situation zu lösen. Ich kann mir vorstellen, dass die Lehrerin tief in sich gehen musste, bevor sie dieses „Türkisch-Verbot“ tatsächlich ausgesprochen hat. Immerhin begab sie sich (aus meiner Sicht) gleichzeitig in Gefahr, dass ihre Entscheidung unter Umständen als Diskriminierung dargestellt würde; ein wirklich mutiger und meiner Meinung nach richtiger Schritt.
Auch wenn es den drei türkisch-sprechenden Kindern wohl erst wie eine Strafe oder Bürde erschien, plötzlich ihre eigene Muttersprache nicht mehr sprechen zu dürfen, war es vom pädagogischen Standpunkt ein unumgänglicher Schritt. Gerade in einer derart frühen Phase der (schulischen) Bildung ist es sehr wichtig, von Vornherein die Sprache, in der nunmal primär unterrichtet wird, zu lernen; das geht am besten durch regelmäßiges Anwenden. Obendrein baute dieses „Verbot“ Brücken zu den muttersprachlichdeutsch-sprechenden Kindern auf, da man sich nun nicht mehr ausgegrenzt fühlen brauchte.
Ich bin ehrlich neugierig, wie die Eltern der drei Kinder dieses Verbot aufgenommen haben? Gerade mit immer weiter wachsender Vielfalt ist der Vorwurf der Diskriminierung nur eine „Armeslänge“ entfernt.
Eine Sache fällt mir noch ein: Einerseits begrüßte die Lehrerin die Klasse in drei Sprachen, andererseits verbot sie die Nutzung von Türkisch im Unterricht. Ist das nicht irgendwie kontrovers?