I.
Die Schule in Form der heutigen Institution geht zurück auf das bürgerliche 18. Jahrhundert in dem auch Humboldt sein Bildungsideal vertrat. Mit der durchbürgerlichung der Gesellschaft, die zum Einsetzen der allgemeinen Schulpflicht mit der Weimarer Verfassung führte, wurde diese Schule dann auch ein Ort der Massenerziehung. Um Jahr für Jahr die eine Vielzahl von Schülern weiterzubilden entwickelte sich der Modus des Frontalunterrichtes. Seine Logik spiegelt auch den egalitären Anspruch der damaligen Gesellschaftsform wieder: Die Schüler sitzen strikt aufgereiht im Klassenraum immer dem Lehrer zugewandt. Ein hohes Maß an Disziplinierung wird von den Schülern abverlangt um aus Ihnen die Subjekte zu bilden, die die Gesellschaft verlangt. zwischen den homogenisierten Schülern und dem Lehrer besteht ein deutliches Machtgefälle. Der Lehrer hat den zentralisierten Klassenvorsitz und initiiert von dort aus die Aufgaben, die er an die Schüler stellt. Diese reagieren auf diese durch das schulspezifische Handzeichen ‚Melden‘ und der Lehrer delegiert dann die Verantwortung, die Aufgabe zu lösen an einen bestimmten Schüler. Auch hier zeigt sich wieder das egalitäre Prinzip, dass nämlich eine Aufgabe an alle Schüler gestellt wird.
Heute, nach fast einem Jahrhundert der Schulpflicht, sind eine menge Menschen, insbesondere natürlich Pädagogen, davon überzeugt, dass dieses Modell das Frontalunterrichtes überholt sei; das Gegenangebot: „Individualisierter Unterricht“. Sein Ziel ist es die vormalig starren Strukturen aufzulösen. Das vormalige Zentrum, welches der Lehrer gebildet hat, wird hier verworfen und in diesem Zuge wird auch die Sitzordnung einem, von der Lehrkraft erdachten, ’sinnvollen‘ Prinzip geordnet. Das bedeutet meist, dass Gruppentische gebildet werden, an denen die Schüler ihren heterogenen Bedürfnissen nach, die der Lehrer erspüren muss, geordnet werden. Damit werden auch die Räume im Klassenraum geöffnet und meistens dürfen die Schüler sich im Klassenraum frei bewegen. Aufgaben werden hier nicht gleich gestellt, sondern die offene Struktur soll es möglich machen, dass auch diese individuell an die unterschiedlichen Anforderungen der Schüler angepasst werden im Zuge der allgemeinen Flexibilisierung wird dann oft auch die Lernzeiten flexibilisiert, indem die Schüler eigenverantwortlich diese festlegen sollen. Das Resultat ist eine heterogene Klassengemeinschaft und lässt sich gut mit der Auflösung des dreigliedrigen Schulsystems verstehen. Dieses ist nun nämlich nicht mehr vorhanden, womit die Unterschiede sich in den Klassen selber deutlicher widerspiegeln.
II.
Meiner Meinung nach bin ich sicher ob dieser Weg der ‚Individualisierung‘ der richtige ist und ich denke es gibt keine Argumente, dass dieser Weg der objektiv bessere ist. Beide Modelle haben Vorteile, aber auch deutliche Schwächen. Der „Individualisierte Unterricht“ (IU) macht es möglich, deutlich spezifischer auf die Schwächen einiger Schüler einzugehen. Wenn Schüler im Frontalunterricht das Gefühl erhalten, sie seien abgehängt von dem dortigen Leistungsniveau, ist dies fatal. In dem Falle wäre es deutlich hilfreicher für die Schüler an diesem IU teilzunehmen.
Andererseits ist durch den IU das Distance-Verhältnis zwischen dem Lehrer und dem Schüler deutlich gestörter; der Lehrer als Autoritätsperson wird stetig mehr zum Betreuer auf Augenhöhe. Des Weiteren ist eine überzogene Disziplinierung natürlich verhängnisvoll, aber ich fürchte durch ein allzu flexibles Konzept kann die Unterrichtsatmosphäre könnte deutlich unruhiger werden. Ich denke, dass könnte auch deutlich kontraproduktiv für die leistungsschwächeren Schülern sein, denn einfacher ist wohl eher der feste Rahmen, als in einem losen Verbund zurecht zu kommen. Die größte Gefahr besteht, denke ich, darin, dass indem man sich der Heterogenität der Schüler zu sehr anpasst, diese dann auch in Stein meißelt: Ein schlechter Schüler, der immer einfachere Aufgaben bearbeitet, wird es auch schwerlich zu einem besseren Niveau schaffen.
III.
Beobachte, wie über die verschiedenen Jahrgangsstufen unterschiedliche Grade „individualisierten Unterrichts“ stattfinden. Ist trotz dieses Unterrichtsformates eine Homogenisierung festzustellen, die ja das unbedingte Ziel der Lehrkraft sein sollte?
Lieber Kevin,
dein Beitrag war sehr spannend und informativ für mich zu lesen. Insbesondere deinen historischen Rückblick am Anfang fand gut gewählt, um zu verdeutlichen, wie sich die verschiedenen Formen von Schulunterricht mit der Zeit gewandelt haben. Als Kontrast dazu stellst du das Konzept des individualisierten Unterrichts vor. Interessant finde ich auch, dass du sagst, dass das Resultat dieses Konzepts eine heterogene Klassengemeinschaft sei und dass sich dadurch und durch die Auflösung des dreigliedrigen Schulsystems, sich die Unterschiede in den Klassen selber deutlicher widerspiegeln würden.
Die 2. Frage reflektierst du kritisch und beleuchtest sie von beiden Seiten, also die positiven wie auch negativen Aspekte, die deiner Meinung nach der individualisierte Unterricht hat. Du sagst in dieser Diskussion, dass das „Distance-Verhältnis“ zwischen SuS und Lehrerin bzw. Lehrer gestört sei durch den individualisierten Unterricht. Ich denke, dass man dies eventuell nicht allgemein so sagen kann, da das Nähe-Distanz-Verhältnis natürlich im Zuge des individualisierten Unterrichts neu ausgehandelt werden muss, dass dieses Aushandeln aber trotzdem zu einem positiven Resultat führen kann. Somit denke ich, dass der IU nicht zu einem „gestörten“ Nähe-Distanz-Verhältnis führen muss. Interessant finde ich auch, dass du sagst, dass deiner Meinung nach der IU für leistungsschwächere SuS kontraproduktiv sein könne. Ich kann dein Argument nachvollziehen, dass feste Regeln möglicherweise es leichter machen, dem Unterricht zu folgen als ein „loser Verbund“, wie du es beschreibst. Allerdings denke ich, dass der IU gerade für leistungsschwächere SuS sehr hilfreich sein kann, da individuell auf sie eingegangen werden kann, wie du es selbst auch sagst.
Vielen Dank für deinen informativen und interessanten Beitrag!