Ich habe das Interview mit meinem Großonkel mütterlicherseits, Hans-Martin Grotjahn, geführt. Ich hatte mir dabei einige mögliche Fragen überlegt, aber habe im Verlaufe des Gesprächs bei einigen Themen improvisierend nachgehakt.

Hier ist das Interview:

“Wenn man die 68er Bewegung und ie Hippies betrachtet, wie hast du diese Zeit und Bewegungerlebt?“

*SDS-Fürsten: Bezeichnung für Führungsfiguren des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes; *Audi Max: Abkürzung für Auditorium Max

“Wie hast du, im Zusammenhang der Bewegung, die Bildung der APO und Personen wie Rudi Dutschke erlebt?“

*APO: Außerparlamentarische Opposition

“1967 wurde ja der Student Benno Ohnesorg ermordet und 1968 gab es ja einen Anschlag auf Rudi Dutschke. Diese Ereignisse haben die Bewegung sehr polarisiert. Wie hast du diese Ereignisse erlebt?“

*Rudi Dutschke: Mitglied des SDS und Wortführer der Studentenbewegung; *sakrosankt: unantastbar; *El Alamein: zentraler Schauplatz im Nordafrika Krieg im 2.Weltkrieg

“Im Bezug auf “Onkel Jochen“ und seine Nazi Vergangenheit gab es in der Bewegung die Befürchtung, dass durch die “alte Garde“ die Demokratie in Gefahr geraten könnte und dass sich erneut eine Diktatur etablieren könnte. Hast du das auch gesehen?“

 

“Gab es ein Verbundenheitsgefühl ins Internationale? Haben Themen wie der Vietnam-Krieg in Deutschland und für dich eine Bedeutung gehabt?“

*Schah: persisches Wort für Herrscher &  (ehemalige) Bezeichnung des persischen Staatsoberhaupts; *Ho Chi Minh: Revolutionär, der große Anteile an der Unabhängigkeit Vietnams trägt und während des Vietnam Kriegs Präsident war

“Die grausamen Bilder aus Vietnam sind um die Welt gegangen. War das ein Faktor für einen verstärkten Anti-Amerikanismus?“

*Adelheid: Halbschwester von Hans-Martin

“Im Zusammenhang der Bewegung hat sich oft ein “Anti-Gedanke“ gegen vieles entwickelt. Wie hat man den Protest gegen vieles auf andere Arten und Weisen ausgelebt?“

 

“Heißt das, dass dein Vater mehr Akzeptanz hatte im Vergleich zu anderen Vätern?“

 

“Gab es vielleicht, z.B. in Freundeskreisen, andere Situationen, wo du mitbekommen hast, dass welche rausgeschmissen wurden?“

*Vikar:in ein Praktikum übernommener Theologe mit Universitätsausbildung; *Auschwitzprozess 1963: einer von drei Prozessen über die NS-Verbrechen durch die deutsche Justiz

“Wie hat sich das Gefühl der Bewegung verlaufen?“

*Radikalenerlass: 1972 erlassen wurden jahrelang Bewerber:innen und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes auf Verfassungstreue überprüft

“Denkst du das liegt daran, dass es sich extern wie auch intern politisch stabilisiert hat?“

*Willy Brandt: SPD Politiker und Bundeskanzler von 1969 bis 1974; *Helmut Schmidt: SPD Politiker und Bundeskanzler von 1974 bis 1982

“Hat die Bewegung für heute noch eine Vorbildfunktion?“

 

“Wie haben sich im Rahmen der Bewegung Lebensweisen verändert, wenn sich junge Menschen offeneren Lebensarten geöffnet haben?“

 

“Ich weiß, dass bei dir Musik nicht so ein großes Thema war, aber Musik hat ja in dieser Zeit eine große Rolle eingenommen. Wie hast du das erlebt?“

*bei dem angesprochenen Plattencover handelt es sich um das Album “Sticky Fingers“ von den Rolling Stones; *Friedemann: Neffe von Hans-Martin (ebenfalls Musiker)

“War Musik ein Identifikationsmerkmal der Bewegung und hat so ein Plattencover (Sticky Fingers – the Rolling Stones) als Provokation funktioniert?“

*Fritz Teufel: deutscher Autor, Teilnehmer der Studentenbewegung und Mitbegründer der Kommune 1; *Kommune 1: 1967 in West-Berlin gegründete Wohngemeinschaft, welche aus der Studentenbewegung entstand und den Gegenentwurf zum konservativen Familienleben darstellen sollte; *Andreas Baader: Führungsmitglied der deutschen Terrororganisation RAF; *RAF: die Rote Armee Fraktion war eine linksextremistische Terrororganisation; *Heidelberger Patientenkollektiv: besser bekannt als Sozialistisches Patientenkollektiv; *Euthanasie: bedeutet Sterbehilfe, allerdings wurde der Begriff in NS-Zeit verwendet um die Ermordung von kranken und behinderten Menschen zu beschreiben

“Bei Andreas Baader würde ich gerne nachhaken. Hast du noch Erinnerungen von seinem Besuch?“

 

“Wenn man aus der Bewegung kommt und das politische Bewusstsein aus ihr mitgenommen hat, wie wurden dann diese radikalen Bewegungen, wie die RAF, welche sich aus der 68er Bewegung gespalten hatten, wahrgenommen?“

*Hans-Martin Schleyer: war ehemaliger Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), welcher 1977 von der RAF entführt und ermordet wurde

“Denkst du dann, dass die RAF dem Ansehen der 68er Bewegung geschadet hat, da sie ja das gleiche wollten, aber radikaler vorgegangen sind?“

 

 

schriftliche Zusammenfassung des Interviews

Hans-Martin Grotjahn kommt eher aus dem ländlichen Bereich und wurde, wie er sagt, von seinen Eltern zu einem zurückhaltendem Menschen erzogen, der nicht immer auftrumphen wolle. Er erzählt, dass er zu Beginn dem Staat nahe sei und nie diesen oder später zu Beginn seines Studiums die Professoren hinterfragt oder kritisiert hätte. Er erzählt, dass er vor seiner Zeit in der 68er Bewegung, ein CDU naher Konservativer gewesen sei. Dies ist zurückzuführen auf seinen Vater, welche Pastor war und welchen er als konservativen Rechten bezeichnet.

Zu Hause wurde er politisch mit einigen Dingen konfrontiert. So erzählt er, dass ein Onkel (“Onkel Jochen“) knallharter Nazi gewesen wäre, was er zunächst zwar nicht realisierte, aber ihm dann auffiel, da dieser immer Urlaub mit seinen ehemalige Kameraden (ohne Familie) in Ägypten bei El-Alamein (zentraler Punkt des Nordafrika Krieges im 2.Weltkrieg) machen würde. Außerdem beschreibt er wie ein ehemaligr preußischer General für 10 Jahren bei ihm und seiner Familie lebte, wodurch er Preußen ganz anders kennengelernt habe. Insgesamt bezeichnet er in diesem Zusammenhng seinen Vater als seh geschickt, wie er seinem Sohn indirekt politisiert habe und dass er seinen Vater im Nachhinein als sehr politisch erkenne. Doch direkt politisch aufmerksam wurde er erst als 1963 die Auschwitz Prozessen (1963-1965) begannen.

Hans erzählt, dass er den Kriegsdienst verweigerte, was sein Vater zwar nicht gefiel, was er aber dennoch im Interesse seines Sohnes unterstützte.  

Hans-Martin Grotjahn ging auf eine Klosterschule und machte dort 1966 Abitur. Er erinnert sich, dass diese Schule streg katholisch konservativ gewesen sei und Gedanken von Demokratie und Mitbestimmung nicht aufgetaucht wäre. Er berichtet, dass sich in der Schule nicht mit der NS-Zeit auseinandergesetzt worden sei, sondern nur mit Bismarck und einigen wenigen “moderneren Themen“ wie Atomkraft. 

Es bleibt zu erkennen, dass Hans-Martin ein Interesse an Geschichte hegt, da er berichtet, dass er die Nazi Vergangenheit seines Onkels oder auch die Prägung seines Vaters aus Kaiserszeiten as spannend betrachtete und auch noch betrachtet.

Nach seinem Abitur ging Hans-Martin nach Hamburg für 1 Jahr, um Jura zu studieren.

Ihm sagte das Studium in Hamburg nicht zu, weshalb er nach Göttingen wechselte. Er erzählt, dass in dieser Zeit für ihn die Hippie Zeit begonnen habe. Er sagt zwar, dass ihm die “Woodstock-Generation“ eher egal gewesen wäre, aber sagt, dass er auch seine ersten Joints geraucht habe, auf Festivals gegangen sei und die Beatles gehört habe. Außerdem wurde er dann hier mit der Studentenbewegung/der 68er Bewegung konfrontiert. Er berichtet, dass er total beeindruckt gewesen sei von den Studenten, welche Professoren und die Regierung kritisierten und eine große Kenntnis von Politik hatten. Allerdings sagt er, dass ihn das auch sehr eingeschüchtert habe, da er mi einer geringen politischen Bildung nach Göttingen kam und zu naiv gewesen sei. Er bezeichnet sich selbst zu diesem Zeitpunkt als “politischer Laie“. Insgesamt sieht er die Bewegung als Attraktiv. Er berichtet von der Zeit der Notstandgesetze und den Diskussionen darum. Dabei berichtet er von einem “Happening“ in Göttingen, bei welchem ein Schauspieler engagiert wurde, welcher sich als Professor ausgab und eine Lesung über Bienen und ihr Einfliegen in junge Birken hielt. Er sagt, dass dies eine “totale Verarsche“ gewesen sei, da man damit zeigen wollte, dass es absurd gewesen sei, dass man, während in Bonn über die Gesetze diskutiert wurde, an der Universität nicht mit den Professoren darüber diskutieren dürfe.

Des weiteren berichtet er, dass er, nach dem Anschlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke, ebenfalls nach Berlin zum protestieren gegangen sei und dass er erst jetzt realisierte was der Staat alles zu verbergen habe. Außerdem bekundet er, dass er Sympathien zu ähnlichen Bewegungen in Italien, Frankreich und den USA hatte und dass er wie so viele andere einen Anti-Amerikanismus entwickelte, welcher durch den Vietnam Krieg befeuert wurde.

Über die politische Komponente hinaus erzählt Hans-Martin, dass auch er die Lebensweisen und Arten der Bewegung angenommen habe. So erzählt, dass er sich wünschte auch, wie die Hippies, so frei sein könne eine (Hols-)Kette zu tragen, was zu diesem Zeitpunkt bei Männern noch verachten gewesen sei. Dazu kommt, dass auch er wie viele andere den Protest zu seinen Eltern bringen und diese provozieren wollte. Er berichtet, wie er vor seinem Vater, welcher Zigarre rauchte, einen Joint ausgepackt habe und ihm sagte, dass er das nun sowas rauchen werde. Dieser Provokationsversuch schlug allerdings fehl, da sein Vater nur entgegnete “Ja wenn du es nötig hast“.

Hans-Martin erzählte mir ebenfalls, dass er, wenn ach zögerlich, begann wie viele Bücher zu stehlen oder bei Karstadt zu klauen. Er erläutert, dass viele seiner Bekannten ebenfalls diese Aktionen mitgemacht hätten und dass einige von diesen auch durchaus einen radikaleren Weg, wie den Weg der RAF, gegangen wären. 

Hans-Martin denkt, dass die Bewegung sich dann allerdings verlief, da sie nicht mehr, wie er sagt, “up to date“ war. Er behauptet dass die Folgegenerationen der jungen Menschen und Studenten mehr am schnellen Geld verdienen interessiert gewesen wären und dass sie sich auf dem Grundgesetz ausgeruht hätten. Er fügt hinzu, dass man ja erkennen könne, dass in den Folgejahren nach der 68er Bewegung bis heute ein Rechtsruck aufgetan habe.

Die 68er Bewegung war für ihn sehr attraktiv und hat ihn, wie er behauptet, “politisiert“. Er erzählt, dass er nach der Bewegung links gewählt habe und dass im allgemeinen die Bewegung in Deutschland für ein Verständnis für links gesorgt habe.