Hilfe zur Selbsthilfe: Das Peer-Lern- und Prüfungscoaching der Studierwerkstatt

von Jörg Riedel

Mit dem Lern- und Prüfungscoaching gibt es ein weiteres unterstützendes Angebot für Studierende an der Universität Bremen. Drei studentische Coaches bieten seit Juli ratsuchenden Studierenden online ihre Hilfe an. Themen der Coachings sind neben der belastenden Situation des Zuhause-Arbeitens, Motivationsprobleme, Anpassungsschwierigkeiten an die Lernkultur und Reflexion der eigenen Lernstrategie. Das Coaching wird gut angenommen. Für die hilfesuchenden Studierenden bietet das Coaching eine niedrigschwellige Unterstützung. Für die studentischen Coaches bietet ihre Tätigkeit eine Gelegenheit, Wissen und Erfahrung in der interpersonalen Kommunikation zu sammeln.

Die Lern- und Prüfungscoaches der Studierwerkstatt als Ergänzung zu den bestehenden Coaching-Formaten

Das Motto der zweiten Phase von ForstA lautet Heterogenität als Potenzial. Für die Studierwerkstatt als fachübergreifende Einrichtung zur Förderung studentischen Lernens bedeutet dies vor allem, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit studentischer Lernbiographien in den Blick zu nehmen. Im Rahmen der Projektförderung wurde dabei das Peer-Learning Format der studentischen Coaches weiterentwickelt, ergänzend zu den bereits etablierten Tutor*innen. (Riedel, 2018) Eine zentrale Aufgabe der Coaches ist es dabei, ihre Mitstudierenden bei ihren selbst organisierten Lernprozessen zu begleiten. Dabei arbeitet die Studierwerkstatt in der Vorbereitung und Begleitung der Coaches auf ihre Tätigkeit mit den Fachbereichen und dort angesiedelten Schreibwerkstätten sowie Lehrpersonen zusammen (Kremer et al 2019). Für den Kontext des Coachings bildeten sich die Schwerpunkte wissenschaftliches Schreiben, Präsentieren und Poster gestalten sowie das fachbezogene Lernen (FB 6, Rechtwissenschaften) heraus. Zusätzlich zu diesen Formaten entstand aus einem Seminar der Studierwerkstatt zum Thema Coaching Mitte des Sommersemesters die Idee, ein offenes fächer- und themenübergreifendes Onlineangebot eines Lern- und Prüfungscoaching zu entwickeln. Ein wesentlicher Ausgangspunkt dafür liegt in den Herausforderungen, denen die Studierenden seit dem Sommersemester 2020 gegenüberstehen. Der Stopp der Präsenzlehre führte dazu, dass gemeinschaftliches Lernen sowie die Begegnung vor, während und nach einer Lehrveranstaltung im Sommersemester gar nicht und zumindest im kommenden Wintersemester nur eingeschränkt möglich sind. Eine Untersuchung der Universität Wien zu den Bedingungen des Home-Learning bei Studierenden zeigt, dass sich dadurch das subjektive Wohlbefinden bei einem Drittel der Befragten verschlechterte. Fast die Hälfte der Studierenden vermissten die sozialen Kontakte und den Austausch auf dem Campus. (Universität Wien 2020) Dieser Befund ist vermutlich auch auf die Situation der Studierenden an der Universität Bremen während der fehlenden Präsenzlehre übertragbar. Zumindest gaben Teilnehmende in Veranstaltungen der Studierwerkstatt ähnliche Rückmeldungen zu ihrem Lernalltag.

Zum Hintergrund des zusätzlichen Angebots

Das bei der Studierwerkstatt verortete Lernund Prüfungscoaching von Studierenden für Studierende soll die bestehenden Angebote an der Universität zur Unterstützung und Begleitung erweitern. Das fachunabhängige Coaching richtet den Fokus noch mehr auf das individuelle Arbeits- und Lernverhalten der Studierenden jenseits der Gewohnheiten der Fachkultur. Die fachneutrale Perspektive der Coaches ermöglicht es, für die Coachees neue und vielleicht auch ungewohnte Wege bei der Organisation ihres Studienalltags auszuprobieren. Auch soll der Abstand zum Fach vermeiden, dass das Coaching überwiegend zu inhaltlichen Fragen der Studienorganisation oder formalen Themen, wie z. B. der Gestaltung einer Hausarbeit in Anspruch genommen wird. Denn das Wesen des Coachings ist verfehlt, dient es in erster Linie dazu, Arbeitsinformation sowie Arbeitstipps weiterzugeben. Eines der grundsätzlichen Merkmale von Coaching ist „die Förderung der Selbstreflexion und -wahrnehmung sowie die selbstgesteuerte Erweiterung bzw. Verbesserung der Möglichkeiten“ (Deutscher Bundesverband Coaching e.V., zit nach Rauen 2005:26) der Coachees.

Für Studierende ist es hilfreich ihren Studienalltag zu reflektieren, gemeinsam mit Personen, denen die individuelle Situation nahe, vertraut und gut nachvollziehbar ist. Dafür bietet es sich an, dass erfahrene Studierende die Rolle der Coaches einnehmen. Die Studienerfahrung soll allerdings nicht dazu führen, dass die Coaches eine Mentorenfunktion übernehmen. Vielmehr geht es darum, dass die Coaches die angesprochenen Themen der Coachees besser in den Kontext des Studiums einordnen können. Denn neben persönlichen und fachlichen Kompetenzen sind es auch „Feldkompetenzen“ (Rauen 2005:292), die Coaches auszeichnen. Der Austausch auf Augenhöhe zwischen Gleichgestellten soll zudem eine Gesprächsatmosphäre schaffen, die Coachees von ihrer Sorge befreit, als Person oder in ihrer Leistung beurteilt zu werden. Auf diese Weise sollen sich vor allem Studierende angesprochen fühlen, die sich bislang schwer damit tun, offizielle Unterstützungsangebote der Universität wahrzunehmen. Zu diesem Personenkreis gehören auch Studierende mit nichtdeutscher Muttersprache. Insofern findet das Coaching auch auf Englisch statt.

Abbildung 1: Coaching – Wege erkennen durch Zuhören und Nachfragen.

Das Angebot startete im Sommersemester mit drei Coaches auf der Basis einer studentischen Mitarbeit, gefördert durch das ForstA-Projekt. Die besonderen Bedingungen der ungeplanten reinen Online-Lehre ermöglichten es, dass für die Tätigkeit der Coaches kurzfristig Projektgelder freigegeben wurden. Ziel war es, Studierenden möglichst rasch eine weitere Unterstützung anzubieten, um mit den Herausforderungen eines unfreiwilligen Fernstudiums besser zurecht zu kommen.

Inhaltliches Fundament des Lern- und Prüfungscoachings

Der Kern der Vorbereitung der studentischen Coaches bildete das zweitägige Seminar Coaching – eine Einführung aus dem Programm der Studierwerkstatt. Elemente dieses Seminars sind auch Bestandteil der separaten Vorbereitung der Studierwerkstatt für Schreib-, Präsentations-, und Postercoaches. Neben einem kurzen Überblick über Definition, Herkunft und Funktionsweise von Coaching (vgl. Fischer-Epe 2002) lernen die Studierenden in diesem Seminar vor allem die Grundlagen des lösungsorientierten Coachings (vgl. Middendorf 2018), die Elemente des aktiven Zuhörens (vgl. Wiesbach, Sonne-Neubach 2013) sowie entsprechende Fragetechniken (vgl. Materialien Studierwerkstatt Uni Bremen) kennen. Auch ein Einblick in die Methode des Focusing (vgl Gendlin 1998) ist Bestandteil der Vorbereitung. Die Studierenden erfahren, wie sie Coachinggespräche strukturieren und führen hierzu praktische Übungen durch.

Unterstützende Hinweise und Übungen rund um die Gestaltung des universitären Lernalltags erhielten die studentischen Coaches als „Training-on-the-job“. Das Coachingangebot kam kurzfristig zustande und es war auch vorab nicht klar, ob und mit welchen Themen die Studierenden auf die Coaches zukommen. Deshalb erhielten die Coaches entsprechendes Wissen im Austausch mit der Studierwerkstatt während ihrer Tätigkeit. Basis dafür waren Hilfestellungen zur Bewältigung in Lernund Prüfungszeiten (vgl.Hafner, Kronenberger 2015) und die Materialien zum Download (Materialien Studierwerkstatt Uni Bremen) sowie die Erklärvideos der Studierwerkstatt, die laufend ergänzt werden (vgl. Erklärvideos Studierwerkstatt). Für die Zukunft ist geplant, im Seminarprogramm der Studierwerkstatt ein eigenes zweitägiges Seminar anzubieten mit
Übungen zu den Lern- und Arbeitsphasen im Studium. Damit soll die Vorbereitung als Lern- und Prüfungscoach auch der schon existierenden Ausbildung als Schreibcoach adäquat zur Seite stehen.

Durchführung der Coachings und erste Ergebnisse

Die drei Coaches starteten ihre Tätigkeit im Rahmen einer Online-Veranstaltung der SuUB („Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“ vom 17.7.2020). Das Coaching als Angebot von 30-minütigen Online-Gesprächen war hier Bestandteil des Rahmenprogramms neben einer Schreibberatung und weiteren unterstützenden Hinweisen, wie Literaturrecherche und Literaturverwaltung. Während der ersten geführten Gespräche verdeutlichte sich schnell die Bandbreite der Themen: Studierende kamen mit Fragen zum zielgerichteten Lernen über den Umgang mit Konzentrationsschwierigkeiten bis hin zur Thematisierung von Angstzuständen auf die Coaches zu. Bei letzterem Thema zeigte sich auch sofort die Grenze des Coachings. Hierfür, sowie für die Bearbeitung anderer bedrohlicher Gefühlslagen ist die psychosoziale Beratung an der Universität zuständig, auf die der Coach auch verwies.

Auch wenn das Peer-Coaching in dieser konkreten Situation nicht der richtige Lösungsweg gewesen wäre, zeigt es doch, wie wichtig es auch im Hinblick eines niederschwelligen Hilfsangebots ist. Denn immerhin hatte sich die nach Unterstützung suchende Person im ersten Schritt an den studentischen Coach gewandt. Insofern sind die Peer-Coaches auch wichtige Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, wenn es darum geht, die Studierenden auf weiterführende unterstützende Angebote hinzuweisen und ggf. Vorgehensweisen zu besprechen.

Im Anschluss an die Veranstaltung der SuUB kam es zu Fortsetzungsgesprächen und aufgrund der Ankündigung bei StudIP und der Werbung auf den sozialen Medien der Universität Bremen nahmen weitere Studierende mit den Coaches Kontakt auf. Dies ist über den Webauftritt der Studierwerkstatt möglich (Lerncoaching Studierwerkstatt). Die drei Coaches teilen sich derzeit die Anfragen, lassen sich kurz das Anliegen schriftlich geben und vereinbaren online Gesprächstermine. Auch das Coaching in Kleingruppen ist möglich, wurde aber bislang noch nicht nachgefragt.

Seit dem Auftakt Mitte Juli nahmen bis Ende August zehn Studierende das Coaching in Anspruch, sowohl in einmaligen Gesprächen als auch mit Fortsetzungsterminen. Gründe für das Aufsuchen des Coachings waren neben den erwähnten Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten auch die Bedingungen des isolierten Lernens zuhause, z. B. in Form von Einsamkeitsgefühlen und fehlender Motivation. Auch meldeten sich ausländische Studierende aufgrund von Anpassungsschwierigkeiten an die hiesige (Lern-)Kultur. Allen Gesprächen liegt der grobe Ablauf eines Coachingtreffens zugrunde: Die Coaches klären zusammen mit den Coachees jeweilige Anliegen, legen gemeinsam das Ziel fest und entwickeln mit den Coachees deren Lösungsweg. Dabei können themenbezogene Übungen den Coachees helfen, erste Erfolge auf dem Weg zu erzielen. Oder die Coachees probieren neue Handlungsformen für sich aus und reflektieren die Erfahrungen zusammen mit den Coaches beim Folgetreffen. Grundlage jedes Gesprächs ist die Eigenverantwortung der Coachees für die Klärung ihrer Themen.

Das Online-Format funktioniert erstaunlich gut. Zwar kommt es hin und wieder zu technischen Problemen aufgrund schlechter Internetverbindung oder Ausrüstungsschwierigkeiten. Dennoch bietet gerade das Videogespräch eine flexible und aufwandsarme Möglichkeit für die Studierenden auf die Coaches zuzugehen. Möglich ist während eines hybriden Semesters auch die direkte Begegnung auf dem Campus.

Erstes Resümee und Ausblick

Die anfängliche Sorge der Coaches, für die Themen der Coachees nur unzureichend vorbereitet zu sein, relativierte sich insofern, dass den Hilfesuchenden allein das Gespräch über ihre Anliegen schon eine Menge brachte. Dabei eine Person als aufmerksam zuhörendes und nachfragendes Gegenüber zu haben, war ein Gewinn.

Das Feedback einer Person mit Studienerfahrung war genauso eine Hilfe zur Selbsthilfe, wie eine Übung zum Ausprobieren, sei es zum Schreiben oder zum Zeitmanagement. Für die Studierenden an der Universität Bremen ist damit eine weitere Möglichkeit entstanden, sich im selbstorganisierten Lernen zu reflektieren und zu stärken. Insofern werden die Studierenden schon bei ihrem Uni-Start über das Angebot informiert.

Die begleitende regelmäßige Supervision durch die Studierwerkstatt, verbunden mit dem Aneignen passender Methoden, gab den Coaches mehr Sicherheit. Eine zukünftig etwas ausführlichere Vorbereitung der Coaches ersetzt allerdings keine umfassende Coachingausbildung. Das ist auch nicht das Ziel. Im Peer-Coaching geht es nicht um eine professionelle Coach-Kunden-Beziehung. Vielmehr besteht die Rolle der studentischen Coaches hauptsächlich darin, den studentischen Coachees wertschätzende Gegenüber zu sein, ihnen wohlwollend zuzuhören, den einen und anderen Impuls zu geben, sowie Reflexionsprozesse anzustoßen. Allein diese Angebote verlangen seitens der Coaches eine hohe Kompetenz. Diese besteht allerdings weniger in einem großen Methodenrepertoire, sondern mehr in der Fähigkeit, wahrzunehmen, nachzufragen und Raum zu geben.

Mit den drei Studierenden sind die Rollen der Coaches ausgezeichnet besetzt. Denn als Teilnehmende des Coachingseminars war es ihr erklärtes Ziel, Praxis im Coaching zu sammeln. Darüber hinaus besitzen alle drei neben dem persönlichen Interesse an dieser Gesprächsform Erfahrung in der interpersonalen Zusammenarbeit sowie Unterstützung durch Tätigkeiten vor und während ihres Studiums. Durch den regelmäßigen Austausch mit der Studierwerkstatt erhalten sie weitere Rückenstärkung.

Es wird sich zeigen, wie Studierende weiterhin dieses Angebot wahrnehmen. Hierbei kommt es sicher darauf an, dass Lehrende und Studierende darauf aufmerksam machen. Auch eine kontinuierliche Werbung über die uni-weiten Kommunikationskanäle trägt zur Bekanntheit bei. Bislang wird das Angebot dankend angenommen und das Feedback der gecoachten Studierenden ist durchweg positiv. Auch die Coaches fühlen sich in ihrer Rolle wohl und gewinnen über die Gespräche mehr Sicherheit. Insgesamt profitieren vom Angebot alle Beteiligten: Studentische Coachees haben die Gelegenheit, ihren Studienalltag zu reflektieren, mehr über sich zu erfahren und wertvolle Lern-Impulse zu erhalten. Studentische Coaches erweitern ihre kommunikativen Kompetenzen und sammeln wichtige Erfahrung in der Förderung und lösungsorientierten Begleitung anderer Personen, was in vielen Berufen und Lebensbereichen von hohem Wert ist.

Literatur:
• Deutscher Bundesverband Coaching e.V. (DBVC): Definition Coaching, zit. nach Christopher Rauen (2005): Handbuch Coaching. Göttingen.
• Erklärvideos Studierwerkstatt, https://www.youtube.com/channel/UCKx0XsKikUwZqSWCKhBeC0A?view_as=subscriber, Zugriff am 25.8.2020
• Fischer-Epe, Maren (2002): Coaching: Miteinander Ziele erreichen. Reinbek bei Hamburg.
• Gendlin, Eugene T. (1998): Focusing – Selbsthilfe bei der Lösung persönlicher Probleme. Reinbek bei Hamburg.
• Hafner, Bettina; Kronenberger, Ursula (2015): Entspannt Prüfungen bestehen. Bern.
• Kremer et al. (2019): Akademisches Schreiben an der Universität Bremen: Profilbildung und Synthese des Peer Coachings: https://blogs.uni-bremen.de/resonanz/2019/10/14/akademisches-schreiben_peer-coaching/, Zugriff am 25.08.2020
• Lerncoaching Studierwerkstatt: https://www.uni-bremen.de/studierwerkstatt/lerncoaching, Zugriff am 26.08.2020
• Materialien Studierwerkstatt Uni Bremen https://www.uni-bremen.de/studierwerkstatt/download-materialien, Zugriff am 25.8.2020
• Middendorf , Jörg (2018) Lösungsorientiertes Coaching. Wiesbaden
• Rauen, Christopher (2005): Handbuch Coaching. Göttingen.
• Riedel, Jörg (2018): Coaches und Tutor*innen im Einsatz: Wie die Studierwerkstatt mit Peer Formaten Lernen an der Universität Bremen unterstützt (https://blogs.uni-bremen.de/resonanz/2018/10/15/studierwerkstatt-coaches/#more-2715, Zugriff am 25.8.2020).
• Universität Bremen (2020): https://www.uni-bremen.de/uni-start-portal/unterstuetzung, Zugriff am 28.8.2020
• Universität Wien (2020): Lernen unter COVID-19 Bedingungen: https://lernencovid19.univie.ac.at/ergebnisse/studierende/ Zugriff am 20.8.2020
• Wiesbach, Christian-Reiner; Sonne-Neubacher, Petra (2013): Professionelle Gesprächsführung. München.

Über den Autor:

Jörg Riedel (Studierwerkstatt), Verantwortlich für die Ausbildung der studentischen Coaches im Rahmen von ForstA

Bildnachweise:

Autorenfoto und Abbildung 1: Jörg Riedel

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert