von Nelli Mehlmann und Angelika Bikner-Ahsbahs
Ausgangslage und Projektziele
Empirische Untersuchungen der letzten Jahrzehnte verdeutlichen, dass angehende Lehrkräfte die universitäre Lehramtsausbildung kritisch beurteilen. Dabei scheint insbesondere der Umfang von fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Anteilen im Studium im Zentrum der Kritik zu stehen. So befragten Speck, Schubarth und Seidel in einer repräsentativen Studie Referendarinnen und Referendare in Brandenburg zur universitären Lehramtsausbildung und fanden heraus, dass der überwiegende Teil der Stichprobe die fachwissenschaftlichen Anteile im Studium als zu hoch empfand, während der Umfang an fachdidaktischen, pädagogischen und psychologischen Elementen als zu niedrig eingestuft wurde (vgl. Speck/Schubarth/Seidel 2007). Ähnliche Resultate ergab eine Studie von Bungartz und Wynands, die Referendarinnen und Referendare für das Fach Mathematik retrospektiv zu ihrem Studium interviewten (vgl. Bungartz/Wynands 1999). Die Mehrheit der Befragten gab an, die fachinhaltlichen Anforderungen als zu hoch zu empfinden und wünschte sich verstärkt Veranstaltungen, die gezielt auf die zukünftige Lehrtätigkeit vorbereiten. Betrachtet man verschiedene Untersuchungen zur Studienzufriedenheit von Lehramtsstudierenden, lassen sich diese Beobachtungen bestätigen: So untersuchten z. B. Mischau und Blunck Studierende des Lehramts für das Fach Mathematik und fanden heraus, dass die Hälfte der Teilnehmenden bereits über einen Wechsel oder Abbruch des Studiums nachgedacht habe (vgl. Mischau/Blunck 2006). Als Grund hierfür wurde neben den hohen Leistungsanforderungen eine zu geringe Berufsorientierung aufgeführt – so wünschten sich die Studierenden insgesamt mehr Veranstaltungen, die über die reine Vermittlung von Fachwissen hinausgehen und speziell auf die Unterrichtspraxis vorbereiten. Eine empirische Untersuchung von Lück, der Lehramtsstudierende für das Fach Religion untersuchte, zeichnet ein ähnliches Bild (vgl. Lück 2012). Obwohl die Befragten angaben, mit dem Theologiestudium insgesamt zufrieden zu sein, fühlte sich der überwiegende Teil nicht genügend auf die Berufspraxis vorbereitet und wünschte sich mehr Veranstaltungen, die eine stärkere Berufsfeldorientierung aufweisen.
Die oben dargestellten Untersuchungen verdeutlichen, dass Studierende besonders fachwissenschaftlichen Veranstaltungen in ihrem Studium mit Skepsis zu begegnen scheinen. Da diese hinsichtlich des Inhalts und Abstraktionsniveaus häufig sehr anspruchsvoll sind und im Gegensatz zu fachdidaktischen Veranstaltungen seltener einen direkten Bezug zu schulischen Inhalten aufweisen, wird ihre Relevanz für die spätere Unterrichtspraxis nicht immer erkannt (vgl. Hefendehl-Hebeker 2013). Dies wird in der Mathematik seit Beginn des 20ten Jahrhunderts unter dem Begriff der „Doppelten Diskontinuität“ diskutiert, die auf zwei Brüche hinweist: Von der Schule zur Universität sowie am Ende des Studiums von der Universität in die Unterrichtspraxis. Da sich der Charakter der Mathematik in Bezug auf Inhalte, Ziele und Argumentation im Übergang von der Schule zur Hochschule verändert, fällt es vielen Studierenden schwer, Verbindungen zwischen der Schul- und Hochschulmathematik zu erkennen und später dann für den eigenen Unterricht fruchtbar zu machen (vgl. Bauer/Partheil 2009). Dieser zweifache Bruch, der sich für viele Studierende aus dem Kontrast zwischen Schul- und Hochschulmathematik ergibt, führe Bauer und Partheil zufolge dazu, dass Fachwissenschaft und Fachdidaktik als zwei voneinander scharf getrennte Studienanateile wahrgenommen werden: So werde die Fachdidaktik als der Studienteil betrachtet, der sich mit der Vermittlung von Schulmathematik befasst und aufgrund des Unterrichtsbezugs von Studierenden üblicherweise sehr begrüßt wird. Die Fachwissenschaft hingegen werde primär mit der Hochschulmathematik in Verbindung gebracht – diese empfinden zwar viele Studierende als relevant zum Bestehen des Studiums, sehen sie allerdings als weniger bedeutsam für den Lehrberuf an. Obwohl die „Doppelte Diskontinuität“ hauptsächlich aus der Mathematik bekannt ist, wird vermutet, dass sie in unterschiedlicher Ausprägung auch in anderen Fächern existiert (ebd.).
Wird in fachwissenschaftlichen Anteilen nur eine geringe Relevanz für die spätere Berufstätigkeit gesehen, entstehen bei vielen Studierenden Sinnfragen, die dazu führen können, dass fachwissenschaftliche Inhalte mit weniger Motivation bearbeitet werden und Studierende nur eine unzureichende fachwissenschaftliche Wissensbasis aufbauen (vgl. Leufer/Prediger 2006; Bauer/Partheil 2009). Eine umfassende fachdidaktische und fachwissenschaftliche Ausbildung ist allerdings unverzichtbar, um als Lehrkraft erfolgreich unterrichten zu können: So wurde zum Beispiel in der „COACTIV-Studie“, die die professionelle Handlungskompetenz von Mathematiklehrkräften empirisch untersuchte, festgestellt, dass fachdidaktisches Wissen ein Prädikator für eine kognitiv aktivierende Unterrichtsgestaltung ist, die sich wiederum als besonders förderlich für schulisches Lernen herausgestellt hat. Schülerinnen und Schüler, deren Lehrkraft über ein umfangreiches fachdidaktisches Wissen verfügte, erzielten im Vergleich zu anderen Lernenden einen stärkeren Leistungszuwachs (vgl. Kunter/Klusmann/Baumert 2009). Dabei scheint das Fachwissen eine wichtige Grundlage für die Ausbildung eines fachdidaktischen Handlungsrepertoires darzustellen – so verdeutlichen Studien, dass etwa Mathematiklehrkräfte mit einem begrenzten Fachverständnis häufig ein limitiertes fachdidaktisches Erklärungsrepertoire aufweisen (vgl. Baumert/Kunter 2006; Kleickmann et al. 2013). Es kann also festgehalten werden, dass solides Wissen sowohl im fachdidaktischen als auch im fachlichen Bereich einen wichtigen Bestandteil der professionellen Handlungskompetenz von Lehrkräften darstellt und somit im Lehramtsstudium umfassend gefördert werden sollte.
Verschiedenen Beobachtungen zufolge scheinen allerdings selbst Studierende mit sehr guten fachwissenschaftlichen Leistungen Schwierigkeiten zu haben, das erworbene Fachwissen eigenständig für fachdidaktisches Handeln nutzbar zu machen (vgl. Prediger 2013). Barzel et al. sprechen vor diesem Hintergrund von sogenanntem trägen Wissen, das nur unvollständig oder gar nicht auf praktische Problemsituationen transferiert werden kann (vgl. Barzel et al. 2016; Gruber/Mandl/Renkl 1999). Eine mögliche Ursache für dieses Problem könnte die als fragmentiert erlebte Trennung von fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Veranstaltungen in der Hochschullehre sein; denn lernpsychologischen Ansätzen zufolge ist der Aufbau von Wissen stets an die Erwerbssituation geknüpft und lässt sich von alleine nur schwer auf andere Kontexte übertragen (vgl. Hagenauer 2008). Um fachliches Wissen dementsprechend für fachdidaktisches Handeln zu aktivieren, sind gezielte Brückenschläge zwischen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Veranstaltungen notwendig, die einen Transfer anregen (vgl. Prediger 2013).
Die oben dargestellte Problematik wurde in den vergangenen Jahren von verschiedenen Projekten adressiert, in denen fachwissenschaftliche und fachdidaktische Studienanteile in unterschiedlichem Umfang und mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung miteinander verzahnt wurden (vgl. Bauer/Partheil 2009; Beutelspacher et al. 2011; Prediger 2013; Freudenberg et al. 2014). Erfahrungsberichte und Evaluationen dieser Projekte zeigen, dass sich die Verzahnung dabei positiv auf die Studierenden auszuwirken scheint: So konnten bei den angehenden Lehrkräften nicht nur deutliche Motivationssteigerungen beobachtet, sondern auch zum Teil bessere Prüfungsleistungen festgestellt werden. Ebenso äußerten viele Studierende, durch die Verzahnung eine Verbindung zwischen fachwissenschaftlichen Inhalten und der Unterrichtstätigkeit zu erkennen.
Anlage des Projektes „Spotlights Lehre“
An dieser Ausgangslage setzt das Teilprojekt 4 „Spotlights Lehre“ an: Um einen Beitrag zur Stärkung der professionellen Handlungskompetenz angehender Lehrkräfte zu leisten, sollen in der Hochschullehre systematisch fachwissenschaftliche und fachdidaktische Elemente miteinander verzahnt werden. Durch diese Verzahnung soll nicht nur der Fragmentierung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik im Lehramtsstudium entgegengewirkt, sondern Studierenden sollen auch die Bedeutung fachwissenschaftlicher Veranstaltungen für die spätere Lehrtätigkeit verdeutlicht und Bezüge zwischen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Wissenselementen erfahrbar gemacht werden. Umgesetzt wird dies in zwei Modellprojekten und zwei Kleinprojekten aus unterschiedlichen Fachbereichen, die mit innovativen Verzahnungskonzepten an einem universitätsinternen Wettbewerb teilnahmen und von einem externen Expertenausschuss zur Förderung vorgeschlagen wurden (s. Abb. 1).
Im Rahmen der Projektlaufzeit erproben die geförderten Projekte in mehreren Zyklen ihre Lehrkonzepte und entwickeln diese kontinuierlich weiter. Dabei gehen die beiden Modellprojekte nach dem „Design-Based-Research“ Ansatz vor, d. h. sie entwickeln systematisch in drei Zyklen ihre Lehrkonzepte mit dem Ziel, fachwissenschaftliches und fachdidaktisches Wissen bei den Studierenden, mit Bezug auf deren Handlungsfähigkeit, zu vernetzen und zugleich theoretische Einsichten in die zielbezogene Lehr-Lern-Gestaltung zu gewinnen. Nach jedem Zyklus wird die Umsetzung dieser Lehrkonzepte beforscht. Daraus entstehen Einsichten für die Weiterentwicklung der Lehrkonzepte und zugleich ein besseres theoretisches Verständnis davon, wie sich Fachwissenschaft und Fachdidaktik im praxisnahen Handeln von Studierenden zeigen und in welcher Weise diese sich vernetzen lassen. Angestrebt werden schließlich eine dauerhafte Implementierung der Konzepte im Hochschulcurriculum sowie die Gewinnung von Strategien zur Übertragung auf andere lehrerbildende Fächer.
Reflexion als Weg und Ziel, Vernetzungswissen verfügbar zu machen
Gemeinsamer Ansatz zur Entwicklung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik vernetzender Handlungskompetenz ist das Zusammenbringen beider Inhaltsbereiche in der Lehre im Hinblick auf die Anbahnung einer „reflective practice“ bei den Studierenden. Dies geschieht in den beiden Modellprojekten etwa in praxisnahen Lehrerfahrungen. Reflexionsaktivitäten über diese Lehrerfahrungen haben zwei Funktionen: Sie haben das Ziel, den Studierenden Wissen um diese Vernetzung und deren Relevanz bewusst, und deshalb verfügbar zu machen, und sie sind zugleich der methodische Zugang zur Evaluation der Lehrbestandteile in den drei Zyklen. Zugleich wird die Frage gestellt, in welcher Weise die Anlage der Lehrkonzepte zur Identitätsbildung in den Fächern und den Fachdidaktiken beitragen.
Aus der Professionsforschung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung ist bekannt, dass Reflexion einen großen Einfluss auf Lern- und Professionalisierungsprozesse von Lehrkräften hat (vgl. Wyss 2013). Die Bedeutung von Reflexion für die berufliche Entwicklung wurde insbesondere durch Schön bekannt, der unterschiedliche hochqualifizierte Berufsgruppen im Hinblick auf deren Professionalität untersuchte (vgl. Schön 1983). In seinen Studien stellte er fest, dass in deren Berufspraxis komplexe und unerwartete Situationen auftraten, die sich nicht immer durch das Anwenden bereits bekannter Handlungsmuster bewältigen ließen. Um mit solchen unsicheren Situationen angemessen umgehen zu können und aus den Erfahrungen für die Zukunft Wissen zu generieren, bedarf es seiner Ansicht nach der Reflexion: Dadurch, dass die Situationen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden, können Erkenntnisse gewonnen und der Situation angepasste Handlungsoptionen gewählt werden. Vor diesem Hintergrund kann Reflexion als eine wichtige Voraussetzung betrachtet werden, um das eigene Handeln und dessen zugrunde liegende Wissensbestandteile in beruflichen Kontexten bewusst zu machen, auf diese Weise zu verbessern und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Dies gilt wegen der hohen Komplexität und der geringen Beherrschbarkeit des Unterrichtsgeschehens im Fachunterricht insbesondere auch für Lehrkräfte, die verschiedene Aufgaben häufig zeitgleich bewältigen und situativ Entscheidungen treffen müssen (vgl. Herzog 1995). Solche Situationen können nicht einfach durch Routinen oder Automatismen bewältigt werden, sondern erfordern ein intelligentes, dem Problem angepasstes Handeln, das durch Reflexion ermöglicht werden soll.
In den Projekten von „Spotlights Lehre“ soll eine solche reflexive Handlungskompetenz bei Lehramtsstudierenden unterschiedlicher Fachrichtungen angebahnt werden. Wie und mit welchen Zielen dies geschieht, soll in den anschließenden Abschnitten vorgestellt werden.
Modellprojekt 1: „Varieties of English in Foreign Language Teacher Education”
Stefanie Hehner, Marcus Callies
Projektziele und Lehrkonzept
Trotz der enormen Variationsbreite des Englischen als globaler „Lingua Franca“ entlang sozialer, funktionaler und regionaler Dimensionen, orientiert sich der traditionelle Englischunterricht immer noch nahezu ausschließlich an den beiden großen Standardvarietäten, dem britischen und amerikanischen Englisch. Eine puristische Orientierung an spezifischen nationalen muttersprachlichen und kulturellen Standards erscheint aufgrund der enormen globalen Expansion und vielfältigen sprachlichen und sozio-kulturellen Einflüsse auf das Englische als Weltsprache allerdings als unrealistische, gar wirklichkeitsferne Zielsetzung, und spiegelt die sprachliche Realität nicht wieder. Daraus ergibt sich ein inhaltliches Desiderat für die universitäre Ausbildung von Englischlehrkräften:
- Wie kann die Varietätenvielfalt der englischen Sprache im Englischunterricht angemessen behandelt werden?
- Wie können angehende Englischlehrkräfte in der universitären Ausbildung darauf vorbereitet werden?
Hierzu wird im Modellprojekt ein innovatives Lehrkonzept entwickelt, evaluiert und verstetigt. Konzeptuell geschieht dies durch die Verzahnung sprachwissenschaftlicher Inhalte, fremdsprachendidaktischer Reflexion und Aufbereitung sowie die Erprobung von Unterrichtsdesigns in der Unterrichtspraxis. Die Vernetzung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik wird im Teilprojekt 4 als eine Facette des Reflective Practitioner verstanden.
Theoretischer Bezugsrahmen zum Leitbild des Gesamtprojektes
Nach dem projektspezifischen Leitbild ist ein Reflective Practitioner in der Lage, eine Situation auf unterschiedliche Anforderungen und Rahmenbedingungen hin zu analysieren und durch Prozesse der Reflexion Handlungsalternativen zu entwickeln. Wie in der Beschreibung des Leitbilds aufgeführt, sollen hierbei Theorie- und Praxiswissen durch Reflexion aufeinander bezogen werden. Diese Integration von Theorie und Praxis wird im Teilprojekt „Spotlights Lehre“ übertragen auf die Vernetzung von Fachdidaktik, Fachwissenschaft und Schulpraxis, wobei Fachdidaktik und Fachwissenschaft verschiedene Bereiche theoretischen Wissens darstellen, die ihrerseits ebenfalls aufeinander bezogen werden sollen. Die Vernetzung soll durch Reflexionsprozesse unterstützt werden, welche ein vermittelndes Element zwischen Wissen, Können und Erfahrung darstellen (vgl. Artmann et al. 2013).
Die Schwierigkeit einer konkreten operationalisierbaren Beschreibung bzw. Modellierung von Reflexion zeigt sich in den vorhandenen Modellen, die zwar oft von einem ähnlichen allgemeinen Reflexionsbegriff ausgehen, diesen jedoch in unterschiedliche Aspekte unterteilen. Einigkeit scheint darüber zu bestehen, dass Reflektieren das Betrachten eines Sachverhalts aus verschiedenen Perspektiven beinhaltet. Konzepte unterscheiden sich z. B. in ihrer Sicht auf den Prozess, den Inhalt, die Voraussetzungen sowie die Ergebnisse von Reflexion und ziehen entsprechend verschiedene Empfehlungen für die Lehrerbildung nach sich (vgl. Calderhead 1998). Außerdem bleiben Vorschläge zur Förderung von Reflexion oft allgemein und beinhalten keine konkreten Vorschläge zur Umsetzung (vgl. Korthagen 1992).
Die bekannteste und meist zitierte Unterscheidung von Schön zwischen „reflection-on-action“ und „reflection-in-action“ soll hier nur am Rande erwähnt werden, da in unserem Kontext „reflection-on-action“, also Reflexion über die Handlung mit einem gewissen Abstand, im Fokus steht (siehe auch die Kritik am Konzept „reflection-in-action“ im Leitbild) (vgl. Schön 1983). Darüber hinaus spielt eine weitere Komponente eine zentrale Rolle, nämlich Reflexion über eigene Erfahrungen, zunächst unabhängig von der Handlung. Relevant für unser Projekt sind auch Ebenen der Reflexion, die eine hierarchische Abstufung der Reflexionstiefe festlegen. Hatton und Smith unterscheiden bspw. beschreibende, dialogische und kritische Reflexion (vgl. Hatton/Smith 1995). „Beschreibende Reflexion“ beinhaltet den oberflächlichen Versuch, das eigene Handeln zu begründen, anhand eigener Einschätzung oder Literatur. „Dialogische Reflexionen“ werden verstanden als Dialog mit sich selbst, in welchem die Gründe für das Handeln erforscht werden. „Kritische Reflexion“ nimmt zusätzlich historische, soziale und politische Kontexte in den Blick. Die Schwierigkeit im Umgang mit abstrakten Modellen der Reflexion liegt darin, dass sie für die tatsächliche Anwendung erst wieder mit Inhalt gefüllt werden müssen, da Reflexion erst am Gegenstand konkret wird.
Im Teilprojekt 4 kommen zwei grundsätzlich unterschiedliche Reflexionsbegriffe zum Tragen, die entsprechend unterschiedlich definiert werden sollen.
a) Reflexion als Werkzeug
„Reflection is viewed as a process of becoming aware of one´s context, of the influence of societal and ideological constraints on previously taken-for-granted practices and gaining control over the direction of these influences” (Habermas 1974 zitiert in Calderhead 1989, S. 44).
Reflexion wird als Werkzeug verstanden, durch welches die Integration von Theorie und Praxis (Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Unterrichtspraxis) anhand einer spezifischen Thematik in der Veranstaltung gefördert werden soll. Sie wird hier von außen durch explizites Infrage stellen von Überzeugungen angestoßen (bspw. durch Fragestellungen der Lehrenden sowie Konfrontation mit verschiedenen Standpunkten in der Literatur) und ist an konkrete Inhalte geknüpft. Reflexion zielgerichtet anzuleiten ist notwendig, da im Seminareine komplexe fachwissenschaftliche Thematik an der Schnittstelle von englischer Sprachwissenschaft und Englischunterricht, deren besondere Relevanz für den Englischunterricht im Großen und Ganzen bisher nicht wahrgenommen oder vermittelt wird, an die Studierenden herangetragen werden soll. Es geht vordergründig um den Lernprozess der Studierenden selbst in eher indirekter Anlehnung an den Reflective Practitioner, der in der Lage sein soll, Theorie- und Praxiswissen aufeinander zu beziehen.
Als weiteres wichtiges Element in unserem konkreten Kontext spielt persönliche Involviertheit eine große Rolle. Diese ist in der Thematik veranlagt, da Variation in der englischen Sprache durch die Studierenden auf eigene Erlebnisse und Erfahrungen zurück bezogen werden kann und hierdurch eine persönliche Relevanz erhält. Diese persönlichen Anknüpfungspunkte ermöglichen es, motivierende und authentische Reflexionsanlässe zu schaffen.
b) Reflexion über die Handlung
Reflexion „(…) besteht in der Fähigkeit, über eine vergangene pädagogische Situation nachzudenken, von allen Seiten zu beleuchten und zu diskutieren, um sie besser zu verstehen und bewusst aus ihr zu lernen“ (Zimmermann/Welzel 2008 zitiert in Abels 2011, S. 54).
Die eigene Unterrichtshandlung soll auf verschiedenen Ebenen reflektiert und hinterfragt werden. Hierfür kann es förderlich sein, sich mit anderen auszutauschen.
Für beide Arten der Reflexion gilt: Transparenz und explizite Benennung der Erwartungen und Ziele kann sich stark auf die Produkte auswirken. Hier muss sich die Frage gestellt werden, ob es das Ziel ist, die unbeeinflusste Reflexion von Studierenden zu erforschen, oder ob das Etablieren einer reflexiven Praxis, sowie Reflexion als Werkzeug zum Schaffen von Bewusstsein für verschiedene Problematiken im Vordergrund steht, und diese Ziele durch Explizitheit gefördert werden können. Eine Praxis der Reflexion beinhaltet in jedem Fall auch die Bereitschaft zu reflektieren. Angestrebt wird ein zyklischer Verlauf, in dem durch Reflexion eine Stärkung der fachlichen Identität erreicht und das Selbstverständnis als Fachexpertin und Fachexperte gefördert werden soll. Wir erwarten, dass sich diese Prozesse wiederum positiv auf die Bereitschaft zur Reflexion auswirken.
Entwicklungs- und Implementierungsbeispiele
Curriculare Verankerung
Um langfristig eine echte curriculare Verzahnung von sprachwissenschaftlichen und fremdsprachendidaktischen Inhalten im M.Ed. Englisch zu erreichen, wird das Lehrkonzept, das im Wintersemester 2016/17 im Kontext eines sprachwissenschaftlichen Seminars durchgeführt wurde, folgendermaßen curricular verankert werden: Die Lehrveranstaltung „Key Topics in Linguistics for Teachers of English: Varieties of English in the foreign language classroom“ aus dem fachwissenschaftlichen Modul „LING“ (zwei Semesterwochenstunden (SWS), drei Credit Points (CP)) aus dem dritten Semester wird ins erste Semester vorgezogen und im fachdidaktischen Modul „FD-3 Transfermodul“ inhaltlich und strukturell gekoppelt an die Lehrveranstaltung „Handlungskompetenzen“ (zwei SWS, drei CP), die von einer Lehrkraft aus der Fachdidaktik unterrichtet wird. Die curriculare Verortung im gleichen Semester ermöglicht den inhaltlichen Transfer zwischen beiden Lehrveranstaltungen; dadurch wird eine größere inhaltliche Breite und Tiefe sowie eine bessere Verschränkung fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Inhalte möglich, insbesondere mit Bezug auf Bewertungs- und Reflexionskompetenzen. Weiterhin wird dem Projektcharakter des innovativen Lehrkonzeptes und dem studentischen „workload“ (im fachwissenschaftlichen Modul werden bisher lediglich drei CP erworben) durch höhere Verpunktung Rechnung getragen. Durch das Angebot und die inhaltliche Abstimmung von zwei Lehrveranstaltungen werden zudem die Verortung und der Aufwand von Lehrdeputat in beiden Bereichen gewährleistet.
Reflexionsaktivitäten
Über das Seminar hinweg soll Reflexion auf unterschiedliche Art und Weise und an unterschiedlichen Gegenständen stattfinden, um insgesamt die Vernetzung von Theorie und Praxis zu fördern. Es wird der Frage nachgegangen, ob und wie sich Reflexion über die Verzahnung von Fachwissenschaft und Didaktik in verbalisierter Form, d. h. in schriftlichen und mündlichen Äußerungen der Studierenden, erkennen lässt. Die Reflexionsprozesse angehender Englischlehrkräfte werden im Projekt auf zwei Ebenen gefördert und erfasst:
a) Reflexion über eigene sprachliche Einstellungen und Erfahrungen,
b) Reflexion über erste praktische Unterrichtserfahrungen zum Themenkomplex.
Instrumente und Ergebnisse im Hinblick auf die Förderung einer reflexiven Haltung
Die Förderung und Erfassung von Reflexion erfolgt im Projekt mit Hilfe eines Portfolios, das als Prüfungsleistung im Rahmen der Lehrveranstaltung(-en) erstellt wird.
Erste Seminarphase
a) Schreiben einer ca. einseitigen Sprachlernbiographie
Die Reflexion über eigene (Sprachlern-)Erfahrungen vor dem Hintergrund der Vielfalt der Sprachverwendung des Englischen ist ein erster Schritt hin zur Schaffung eines Bewusstseins für die Variationsbreite des Englischen in der Welt. Zukünftige Lehrkräfte werden sich hierbei ihrer eigenen Varietät des Englischen bewusst und reflektieren darüber. Fragen sind u. a. „Describe your own encounters with the English language in Germany and abroad. What kind of / variety of English do you speak yourself? Include thoughts about dialects / varieties of English you have been in contact with, and their intelligibility. What are your attitudes towards teaching English as a foreign language?”. Die Aufgabenstellung ist hierbei zunächst sehr offen formuliert. Aufgrund der unterschiedlichen Aspekte, die die Studierenden beim Erstellen der Sprachlernbiographien behandelten, stellt sich die Frage, inwiefern Leitfragen die Vergleichbarkeit und den Erkenntnisgewinn sowie die Breite der Reflexion bei den Studierenden positiv beeinflussen könnten. Hierdurch könnte die Reflexion einerseits auf erwünschte Themen gelenkt werden, andererseits entsteht die Gefahr, dass die vorgegebenen Themen im Sinne einer „defensiven“ Reflexion (Häcker 2005, S. 169) abgearbeitet werden.
b) Bearbeiten eines Fragebogens zur sprachlichen Identität (in Planung)
Früh im Seminar bearbeiten die Studierenden einen strukturierten Fragebogen mit gezielten Fragen zu ihren sprachlichen Einstellungen, deren Beantwortung in der Gesamtschau eine sprachliche Identität abbilden soll.
Zweite Seminarphase
a) Planung der Unterrichtsstunden/Projektberichte
Bereits in der Planung und Umsetzung der Unterrichtsstunden sind deutliche Unterschiede in den Hinweisen auf Vernetzung zu beobachten. Manche der Studierenden heben den linguistischen Aspekt gezielt hervor und geben der Stunde einen Projektcharakter, während andere sehr darauf achten, die linguistischen Inhalte mit den aktuellen Inhalten des Unterrichts zu verknüpfen. Dies deutet auf eine unterschiedliche Stärke der Vernetzung hin. In der Planung der Unterrichtsstunden müssen die Studierenden fachwissenschaftliche Überlegungen mit fachdidaktischem Handeln verbinden. Hierbei treten verschiedene Schwierigkeiten auf, die zu einem Anlass für reflektierendes Denken werden können.
b) Reflexion über die durchgeführte(-n) Unterrichtsstunde(-n) als Teil des Projektberichtes
Als Teil des Projektberichtes (der u. a. einen vollständigen Unterrichtsentwurf beinhaltet) erstellen die Studierenden eine schriftliche Reflexion über Handlungsabläufe während der Unterrichtsstunde(-n). Hierzu wurde von Studierenden zurückgemeldet, dass unklar war, ob über die Unterrichtshandlung selbst oder über die Implementierung des Themas in den Unterricht allgemein und die Einflüsse des Seminars reflektiert werden soll. Dies soll im nächsten Durchlauf genauer festgelegt und kommuniziert werden. Im Ergebnis wurde von den meisten über die konkreten Abläufe der Stunde reflektiert und dies zumeist auf beschreibender Ebene. Vorstellbar wäre für die Zukunft auch eine gemeinsame, eher dialogische Reflexion mehrerer Studierender, da hierdurch evtl. ein tiefergehender Reflexionsgrad erreicht werden kann.
c) Feedbackgespräch/Interview bei Rückgabe des Projektberichtes und erneutes Bearbeiten des Fragebogens zur sprachlichen Identität
Nach Bewertung der Projektberichte durch die Lehrenden werden die Studierenden zu einem Feedbackgespräch eingeladen, in dem eine Rückmeldung zum Bericht sowie erweitertes fachliches Feedback zur Unterrichtspraxis gegeben wird. Im folgenden Gespräch werden Fragen zur Evaluierung des innovativen Lehr- und Lernkonzeptes gestellt. Zudem bearbeiten die Studierenden erneut den (ggf. angepassten) strukturierten Fragebogen mit Fragen zu ihren sprachlichen Einstellungen. Das Instrument soll dazu dienen, ggf. Entwicklungen in der sprachlichen Identität bzw. in den sprachlichen Einstellungen zu erfassen.
Neben Fragen zur Einschätzung des Seminarkonzeptes thematisieren die Gespräche das Selbstverständnis der Studierenden in ihren Rollen als Sprecherin bzw. Sprecher und Lehrkraft des Englischen. Veränderungen in der Selbstwahrnehmung, in Ansprüchen an den eigenen Unterricht, sowie die eigene Lernerfahrung im Seminar wurden erfragt. Obwohl die Interviews noch nicht systematisch ausgewertet wurden, wird deutlich, dass die verschiedenen Teile des Seminars von den Studierenden als hilfreich für die Vernetzung wahrgenommen werden. Studierende bestätigen bspw. die Anregung zur Reflexion durch das Schreiben ihrer Sprachlernbiographie. Außerdem wird das Zusammentreffen von theoretischen Modellen mit direkter Umsetzung für die Schule, ergänzt durch die Reflexion über eigene Einstellungen, mehrfach als einflussreich für künftige Haltungen zum Unterrichten der Thematik bestätigt.
Weitere Informationen unter: https://blogs.uni-bremen.de/varieties/
Modellprojekt 2: „Spotlight-Y“ (Mathematik)
Erik Hanke, Ingolf Schäfer
Ausgangslage
Das Projekt „Spotlight-Y“ hat zum Ziel, Fachveranstaltungen des Mathematiklehramtsstudiums durch enge Zusammenarbeit von Forschenden und Lehrenden der Fachwissenschaft und Fachdidaktik zu innovieren. Das Projekt versteht sich dabei als Vermittler in der sogenannten „Doppelten Diskontinuität“ der Ausbildungsstruktur von Lehramtsstudiengängen für Mathematik an Gymnasien und Oberschulen. Damit ist der von Studierenden empfundene doppelte Bruch gemeint, den die Organisation und die Inhalte des Mathematiklehramtsstudiums mit sich bringen. Bereits in seinen Vorlesungen 1907/08 hat der Mathematiker Klein auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht (vgl. Klein 1967). Zum einen vollzieht sich ein Wandel der mathematischen Kultur von schulischer Mathematik, die in der Regel auf Intuition und Anschauung basiert. Zum anderen ist ein Wandel in Richtung eines Vorlesungsbetriebes erkennbar, der durch formale Strenge in der Argumentation gekennzeichnet und mit der Erwartung verbunden ist, sich fachliche Inhalte in hohem Tempo auf wissenschaftlichem Niveau selbstständig aneignen zu können. Es müssen Inhalte in den Fachvorlesungen erarbeitet werden, die vielen Studierenden zunächst fern der Schulrealität erscheinen und die für den Beruf der Mathematiklehrkraft zunächst als unwichtig empfunden werden (vgl. Hefendehl-Hebeker 2013). Der zweite Bruch besteht schließlich im Übergang von der Universität zurück in die Schule: Studienabsolventinnen und -absolventen hinterfragen den Sinn der in der Universität vermittelten Inhalte für ihr (zukünftiges) Unterrichtshandeln.
In quantitativen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Bewertung von Unterrichtssituationen und mathematisches Fachwissen bzw. deren Einordnung durch Lernende sowie eine Kombination von fachlichem und fachdidaktischen Wissen miteinander korrelieren (vgl. Blömeke et al. 2014; Krauss et al. 2008). Ebenso fördere ein ausgeprägtes Fachverständnis über die Epistemologie mathematischen Wissens unterrichtsleitende Kompetenz (vgl. Prediger/Hefendehl-Hebeker 2016).
Im Projekt „Spotlight-Y“ wird ein Lehrkonzept für die Veranstaltungen zur Fachwissenschaft in der Mathematiklehramtsausbildung an der Universität entwickelt, das Fachwissenschaft und Fachdidaktik miteinander verzahnt. Dadurch soll die vielfach wahrgenommene Trennung der beiden Bereiche überbrückt werden. Eine explizit mit dem Fachwissen vernetzte Fachdidaktik, so unsere Annahme, ist auch geeignet, dem Eindruck vorzubeugen, Fachdidaktik sei entweder reine Methodenlehre oder aber stoffdidaktische Ausarbeitung der Schulmathematik. Zukünftige Mathematiklehrkräfte sollen erkennen, dass fachwissenschaftliches und fachdidaktisches Wissen nicht getrennt nebeneinander liegen müssen, sondern für Planungs- und Unterrichtshandeln fruchtbar zusammengebracht werden können. Dies soll durch das Erstellen von Lernumgebungen am Ende von Fachwissenschaftsvorlesungen gelingen, in denen phänomenexplorierende Aufgaben von den Studierenden konzipiert und an einem Tag für experimentelle Mathematik für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II („XMaSII“) erprobt werden. Auf Seiten der Studierenden soll mithin eine reflexiv-vernetzende Handlungskompetenz aufgebaut werden, wodurch im Sinne zukünftiger Reflective Practitioner die zweite Diskontinuität abgemildert und Anforderungen des Lehrberufs in das Studium integriert werden können. Insbesondere wird auf diese Weise auch dem Phänomen begegnet, dass fachlich hervorragende Studienleistungen nicht garantieren, dass die angehenden Lehrkräfte schülerorientierten und didaktisch reichhaltigen Unterricht gestalten können (vgl. Prediger 2013). Auf Seiten der Mathematikdidaktik steht die Frage nach Gelingensbedingungen für die Verzahnung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik im Raum, wie auch für die Entwicklung von mathematikbezogener Identität für das Schulfach bzw. die Fachwissenschaft. In der Literatur wird dazu bereits unterschieden zwischen Lehrkräften bzw. Lehramtsstudierenden, die sich als fachliche, didaktische bzw. pädagogische Personen der Expertise oder als eine Kombinationen davon verstehen (vgl. Brovelli et al. 2011).
Projektdesign
„Spotlight-Y“ ist ein dreijähriges „Design-Based-Research-Projekt“ zur Entwicklung und Umsetzung eines Lehrkonzeptes für einzelne Pflichtmodule der Fachwissenschaft (s. Abb. 2). In den ersten beiden Jahren setzt „Spotlight-Y“ an der Veranstaltung zur Funktionentheorie an, im dritten Jahr ist eine Übertragung auf die Stochastik vorgesehen. Aktuell befindet sich das Projekt am Ende des ersten Projektjahres.
Die Konzeption von „Spotlight-Y“ hat das Ziel, bei Studierenden nicht nur eine Verzahnung zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik anzubahnen, sondern auch die Relevanz dieser Verzahnung für kompetentes Unterrichtshandeln bewusst zu machen. Mit der Entwicklung von drei Lehrkomponenten soll dieses Ziel erreicht werden: Mit der Entwicklung
- eines Lehrkonzepts für Pflichtmodule der Mathematikausbildung für angehende Lehrkräfte für das Lehramt an Gymnasien/Oberschulen,
- einer Konzeption von Projektarbeit für die Gestaltung phänomenorientierter Lernumgebungen für Mathematikkurse der gymnasialen Oberstufe sowie
- einer Konzeption eines Tages für experimentelle Mathematik für Schülerinnen und Schüler der Qualifikationsphase.
Diese Entwicklung wird zyklisch auf Basis einer „Design-Based-Research-Methodologie“ strukturiert (vgl. Bikner-Ahsbahs 2017). Dies bedeutet, dass das Design der drei Komponenten in den ersten beiden Projektjahren konstruiert, analysiert, erprobt und evaluiert wird, um es im jeweils darauffolgenden Jahr rekonstruiert und verbessert neu einsetzen zu können. Im Vordergrund steht dabei, zu verstehen, wie Vernetzung zwischen Fach und Fachdidaktik unter den gegebenen Rahmenbedingungen entsteht und welche Bedingungen dies unterstützen. Als abschließendes Produkt wird ein Transferpaket produziert, das die gewonnenen Ergebnisse der Lehrentwicklung in aufbereiteter und für eine Übertragung auf andere Veranstaltungen in der Mathematiklehrerausbildung verfügbar gemachter Form enthält.
Im Wintersemester 2016/17 wurde die Veranstaltung „Funktionentheorie“ für den Masterstudiengang Lehramt an Gymnasien und Oberschulen und die Bachelorstudiengänge „Technomathematik“ und Vollfach „Mathematik“, gemäß dem „Y-Modell“ gestaltet (s. Abb. 3). In der Mathematikveranstaltung zur Funktionentheorie wird Analysis mit den komplexen Zahlen betrieben. Dabei werden in Vorlesungen zur reellen Analysis eingeführte zentrale Inhalte (etwa aus der Differential- und Integralrechnung) auf einen erweiterten Komplexitätsgrad gehoben. Da die Themenfelder „Differentialrechnung“ und „Integralrechnung“ bundesweit zum Pflichtkanon des Mathematikunterrichtes in der Oberstufe gehören, eignet sich die Funktionentheorie hervorragend, um Schulmathematik von einem höheren Standpunkt aus zu betreiben. Zwei Semesterdrittel lang studieren Vollfach- und Lehramtsstudierende gleichzeitig in Vorlesung und Übung, bis eine Trennung in fachspezifische Zweige einsetzt: Die Vollfachstudierenden erwerben vertiefendes Wissen zu spezielleren Themen der Funktionentheorie und die Lehramtsstudierenden identifizieren in Projektgruppen Inhalte aus der Funktionentheorie, die sie für Schülerinnen und Schüler in Lernumgebungen mit dynamischer Geometriesoftware greifbar machen (s. Abb. 4). Am Ende setzen die Studierenden ihre Lernumgebungen am „XMaSII-Tag“ mit Bremer Oberstufenkursen ein. Der fachdidaktische Beitrag wird durch das parallel zur Vorlesung „Funktionentheorie“ stattfindende Modul „Stoffdidaktisch denken lernen“ eingebracht, in dem Konzepte, Strategien und Theorien zur Aufgabenkonstruktion als zentrales Thema behandelt werden.
Reflexion als Element professioneller Handlungskompetenz
Reflexive Handlungskompetenz der Studierenden anzubahnen, ist ein wesentliches Ziel des „Y-Zweiges“ für die Lehramtskandidatinnen und -kandidaten. Diese Kompetenz wird hier als Persönlichkeitsmerkmal und Entwicklungsaufgabe begriffen. Handlungen umfassen dabei das eigene Handeln beim fachlichen Lernen, der Identifikation von Phänomenen der komplexen Analysis für Oberstufenkurse, der Verknüpfung von fachlichem und fachdidaktischem Theoriewissen, der Konstruktion von Lernumgebungen und Arbeitsmaterialien, Planungsaktivitäten für die Umsetzung am „XMaSII-Tag“ sowie das eigentliche quasi-unterrichtliche Handeln mit Kleingruppen von Lernenden. Reflexion ist der mentale Prozess, um Erfahrungen, Einsichten und Wissen zu strukturieren und geschieht bei „Spotlight-Y“ auf Mikroebene in Phasen der Quasipraxis (vgl. Korthagen/Wubbels 1995; Wyss 2008). Reflektieren wird hier verstanden als epistemische Praxis der quasi-habituellen Rekonstruktion einzelner Handlungssituationen, die in unterschiedlichen Phasen des „Y-Zweiges“ auftreten (vgl. Knorr-Cetina 2001). Haben Handlungen stattgefunden, kann im Anschluss reflektiert werden („reflection-on-action“), um Handlungsalternativen zu eruieren, Ziele sowie Erwartungen und Überzeugungen zu klären und zu hinterfragen. Dabei fließen theoretisches Wissen sowie durch Erfahrung gewonnenes Zusatzwissen ein. „Reflection-in-action“ professionell agierender Lehrkräfte ist dabei das Ideal, das in quasi-experimenteller Simulation der Anleitung von Lernprozessen von Schülerinnen und Schülern angebahnt wird. Indem konkrete Aspekte der Umsetzung von Lernumgebungen antizipiert und durchgespielt werden, setzt eine Reflexion vor der eigentlichen Umsetzungshandlung bereits im Planungs- und Vorbereitungsprozess ein („reflection-pre-action“ bzw. „preflection“) (vgl. Bikner-Ahsbahs 2017). Metareflexion der Studierenden über die Gelingensbedingungen der Verzahnung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik stellen ebenfalls ein wichtiges Hilfsmittel für die Weiterentwicklung des Lehrveranstaltungsdesigns dar.
Als Teil ihrer Prüfungsleistung erstellen die Studierenden nach Abschluss des Quasi-Unterrichtes zum Semesterende eine schriftliche Dokumentation, die auch angeleitete Abschlussreflexionen beinhaltet (vgl. Leonhardt et al. 2010). Dies wird im „Y-Zweig“ angebahnt, indem eine „preflection“ geschrieben werden soll. Darin beschreiben die Studierenden das von den Schülerinnen und Schülern zu erkundende Phänomen, denkbare Handlungs- und Erkenntnismöglichkeiten, den erwarteten Ablauf bei der Umsetzung sowie einfließende Fachinhalte und mögliche Schwierigkeiten. Im unmittelbaren Anschluss an die Durchführung der Gruppenarbeit mit den Oberstufenkursen am „XMaSII-Tag“ werden die Studierenden gebeten Ad-hoc-Notizen anzufertigen, in denen sie den Ablauf der tatsächlichen Durchführung, der ausgeübten Tätigkeiten und Auffälligkeiten festhalten. Dies ist als Erinnerungsstütze für die abschließende schriftliche Arbeit gedacht, zugleich aber können Elemente vorkommen, die über reine Deskription hinausgehen und valider Ausdruck von Reflexion jenseits rein defensiven Reflektierens sind (vgl. Häcker 2017). Auf diese Weise nähert man sich einer selbst veranlassten Reflexion über die Handlung („reflection-on-action“), die sonst empirisch kaum zugänglich ist.
Der abschließende Projektbericht integriert die oben beschriebenen Bestandteile und beinhaltet insbesondere eine Stellungnahme zu Elementen der Funktionentheorie, die die Beziehung der Studierenden zum Unterrichtsfach, wie zur Fachwissenschaft Mathematik, beeinflusst haben könnte. Leitfadengestützte Interviews mit vier Paaren von Studierenden ergänzen das vorhandene Datenmaterial.
Erste Ergebnisse
Momentan werden die Daten des ersten Durchganges noch im Detail ausgewertet, aber es lassen sich schon jetzt einige Ergebnisse festhalten.
Die Studierenden erstellten ihre Lernumgebungen engagiert und die Rückmeldungen der beteiligten Schulkurse zu dem Besuch an der Universität waren sehr positiv. Bei einigen Studierendengruppen zeigten sich im Verlauf der Erstellung ihrer Lernumgebung Probleme im fachlichen Verständnis, die sonst vermutlich nicht bewusst geworden wären. Insofern kann das Erstellen der Lernumgebungen helfen, den Aufbau fachlichen Wissens zu vertiefen. Dies zeigte sich auch in den Interviews im folgenden Semester: die fachlichen Inhalte, die die Basis der entwickelten Lernumgebungen waren, sind gerade diejenigen Inhalte, die den Studierenden auch Monate später noch geläufig sind.
Bemerkenswert war, dass die Studierenden die Leistungsfähigkeiten der Schülerinnen- und Schülergruppen in den meisten Fällen eher unterschätzten. In den Planungen drückte sich dies dadurch aus, dass sehr viel mehr Hilfen für vermutete Schwächen als nötig und weniger Vertiefungen für leistungsstarke Lernende vorbereitet waren. Insofern ist das Arbeiten mit leistungsfähigeren Schülerinnen und Schülern im Projekt eine wichtige Erfahrung für die angehenden Lehrkräfte, die über die eigentlichen Projektziele hinausgeht.
Im Wintersemester 2017/18 findet der zweite Durchlauf im Rahmen des Moduls „Funktionentheorie“ statt. Im Sommersemester 2018 wird ein erstes Transferpaket im Modul „Stochastik“ aus dem Bachelorstudium erprobt.
Kleinprojekt 1: „Literaturvermittlung hoch3“. Literaturvermittlung: Eine gemeinsame Aufgabe für Literaturwissenschaft, Literaturdidaktik und Hochschuldidaktik
Helen Cornelius, Meike Hethey, Karen Struve, Elena Tüting
Französische Literaturwissenschaft und -didaktik: Der Bindestrich trennt im akademischen Alltag mehr, als er die Disziplinen verbindet. Das Projekt „Literaturvermittlung hoch3“ verfolgt einen vielversprechenden interdisziplinären Ansatz in der universitären Lehre.
Das Projekt „Literaturvermittlung hoch3“ ist in der Frankoromanistik (FB 10) angesiedelt und verfolgt eine stärkere Verzahnung von Literaturwissenschaft und Fachdidaktik. Das Projekt setzt dabei auf die konsequente Lehre im „Team-Teaching“, bei der jeweils eine Literaturwissenschaftlerin bzw. ein Literaturwissenschaftler und eine Fachdidaktikerin bzw. ein Fachdidaktiker mit den Studierenden und wechselseitig in Dialog treten. Durch diese interdisziplinäre Form der Wissensvermittlung wird das theoretische Bezugswissen der Studierenden, welches für die erfolgreiche Reflexion von Handlung unabdingbar ist, anschaulich und diskursiv über die Grenzen der einzelnen Disziplinen hinaus verknüpft, erweitert und vertieft (vgl. Häcker 2017). Für die Studierenden leistet die kopräsente und wechselseitige Bezugnahme fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Inhalte einen entscheidenden Beitrag zur Förderung ihrer Handlungskompetenz und damit zu ihrer Entwicklung einer „reflective practice“: Sie sind aktiv beteiligt an wissenschaftlichen Perspektivwechseln, theoretischen Positionierungen und Modellierungen, an der Entwicklung von (innovativen) Anwendungsbezügen bis hin zu konkreten praktischen Umsetzungsszenarien. Nur Lehrerinnen und Lehrer, die über ein breites Spektrum an fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Kompetenzen verfügen, sind in der Lage, ihren Unterricht eigenständig, kritisch, kreativ und innovativ zu gestalten.
Im Wintersemester 2016/17 wurde als erster Projektbaustein ein solches interdisziplinäres Seminar durchgeführt. Das Seminar „Literaturrezeption. Von der Rezeptionstheorie zur Literaturdidaktik“, welches vier Semesterwochenstunden umfasste, konnte als fachdidaktisches Mastermodul (FD3) oder als literaturwissenschaftliches Vertiefungsmodul (C2) belegt werden und wurde von Meike Hethey (Fachdidaktik Französisch) und Dr. Karen Struve (Französische Literaturwissenschaft) durchgeführt. Das Seminar wurde im Rahmen der Masterarbeit von Helen Cornelius, die dieses als studentische Hilfskraft wissenschaftlich und hochschuldidaktisch begleitete, ausführlich mithilfe einer Fragebogen- und Interviewstudie evaluiert. Ein Spezifikum des Seminars war neben dem „Forschenden Lernen“ und der interdisziplinären Anlage auch der Praxisbezug, der sich nicht nur auf den Schulkontext, sondern auch auf das literarische Feld erstreckte. So haben die Studierenden für den Blog des Projektes Literaturrezensionen verfasst, diese als Genre reflektiert und im Hinblick auf den schulischen Einsatz diskutiert. Den Abschluss des Seminars bildete eine gemeinsame Exkursion zur Buchmesse in Leipzig, wo das gesamte literarische Feld (u. a. Autorenlesungen, gläserne Übersetzungen, literaturjournalistische Formate, Verlagsdiskussionen etc.) präsent war und erlebt werden konnte.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Studierenden im Seminar verknüpftes fachwissenschaftliches und fachdidaktisches Wissen erworben haben und dies in der Einschätzung von Reflexionskompetenzen, Selbstwirksamkeit und theoretischem Fachwissen als außerordentlich effektiv einschätzten. Die Integration von Wissen aus unterschiedlichen Disziplinen, die für Lehrkräfte essentiell ist und von ihnen im Berufsalltag gefordert wird, bleibt den Studierenden also nicht mehr selbst überlassen (vgl. Bromme 1992; KMK 2004). Der Brückenschlag zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik wird im Seminar vorgeführt, von den Studierenden aktiv mitgestaltet und wechselseitig fruchtbar gemacht: Das erworbene fachwissenschaftliche Wissen wird entschieden erweitert und akzentuiert durch die Ausrichtung auf eine Anwendung im schulischen und außerschulischen Kontext.
Diese anwendungsbezogene Ausrichtung auf Literatur-Vermittlung – sowohl auf hochschuldidaktischer als auch auf inhaltlicher Ebene – ermöglicht ein theoretisch komplexes und gleichzeitig praxisnahes literaturwissenschaftliches Arbeiten. Durch diese Verknüpfung wird den Studierenden die Relevanz von Fachwissen für die Tätigkeit als Lehrkraft explizit verdeutlicht. Gleichzeitig wurden im Seminar fachdidaktische Theorien mit fachwissenschaftlichen Bezügen unmittelbar in Beziehung gesetzt und fundiert, wodurch eine tiefere Reflexion über die kompetente Anwendung möglich ist.
Es hat sich zudem gezeigt, dass das Konzept „Team-Teaching“ in den Augen der Studierenden einen entscheidenden Vorteil gebracht hat, weil der interdisziplinäre Charakter des Seminars auf diese Weise personell repräsentiert wurde, wodurch eine vertiefte Diskussion möglich war.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die interdisziplinäre Lehre im Seminar die Studierenden befähigt hat, die fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Inhalte stärker miteinander in Bezug zu setzen und so einen Beitrag zum Erwerb einer professionellen Handlungskompetenz geleistet hat. Die Erweiterung ihres theoretischen Bezugswissens befähigt sie zudem in erhöhtem Maße, ihre Handlung theoriegeleitet zu reflektieren und leistet somit einen Beitrag zur Entwicklung einer „reflective practice“.
Kleinprojekt 2: „Dis/ability als Lehr- und Lerngegenstand in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Neue Perspektiven für die Lehramtsausbildung“
Sabine Horn, Natascha Korff, Cordula Nolte
Konzeption des Projektes
Fragen zum Umgang mit Diversität stehen im Mittelpunkt einer zukunftsfähigen Lehreramtsausbildung. Der Geschichtsunterricht bietet wie andere sozial- und geisteswissenschaftliche Fächer die Möglichkeit, durch die inhaltliche Behandlung von entsprechenden Themen die Entwicklung eines diversitätssensiblen und inklusiven Unterrichtes im doppelten Sinn voranzutreiben, nämlich hinsichtlich der Lernumgebung und des Lerngegenstandes (vgl. Beck/Timm 2015). Mit Blick auf dieses Potenzial wird in einem Pilotmodul zu „Dis/ability History“ ein Lehrkonzept in Kooperation von Fachwissenschaft, Fachdidaktik und „Inklusiver Pädagogik“ entwickelt, umgesetzt und evaluiert, das sich erstmals der historischen und gesellschaftlichen Analysekategorie „dis/ability“ im zeitlichen Längsschnitt, in verschiedenen Räumen sowie interkulturell widmet und diesen Gegenstand als Unterrichtsthema für heterogene Lerngruppen aufarbeitet. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass „dis/ability“ sich als eine gleichermaßen auf „Behinderung“ wie „Nichtbehinderung“ zielende Perspektive, für die Erforschung von Gesellschaften und Kulturen als Entitäten eignet.
Das für das Projekt entwickelte Modul bietet ein Modell dafür, wie sich Lehramtsstudierende fachwissenschaftlich fundiert mit Fragen von gesellschaftlicher Relevanz auseinandersetzen können. Zugleich wird für die Lehramtsausbildung und die schulische Praxis ein innovatives Forschungsfeld aufbereitet, zu dessen Etablierung im deutschen Wissenschaftsraum die Universität Bremen mit der „Creative Unit“ „Homo debilis. Dis/ability in der Vormoderne“ einen herausragenden Beitrag leistet. In Zusammenarbeit mit der „Inklusiven Pädagogik“ stehen die Reflexions- und Professionalisierungsprozesse der Studierenden im Kontext des Umgangs mit Diversität, spezifisch im Kontext von „(Nicht-)Behinderung“, im Mittelpunkt der begleitenden Erhebung.
Bezug zum Leitbild des Gesamtprojektes Reflective Practitioner
Das Projekt dient der Entwicklung zum Reflective Practitioner in zwei Feldern: Zum einen sollen Lehramtsstudierende in der späteren Praxis fähig sein, angesichts curricularer Desiderate neue Lerngegenstände anzunehmen. Eine solche Innovation auf der Ebene der ausgewählten Lerngegenstände kann am besten erfolgen, indem Fachwissenschaft und Fachdidaktik sich eng vernetzen, um angehende Lehrerinnen und Lehrer darin zu bestärken, Innovationen im schulischen Rahmen zu initiieren, und um ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie fachwissenschaftliche Erkenntnisse souverän in bestehende (schulinterne) Curricula integrieren können.
Zum anderen nimmt die Lehr- und Lernkonzeption des Moduls für die Entwicklung zum Reflective Practitioner gezielt Anlässe und Entwicklungschancen zur inhaltlichen Reflexion in den Blick, welche die Erarbeitung fachlich-wissenschaftlicher Themen und Kompetenzen der Unterrichtsentwicklung ergänzen bzw. in reflexive Kontexte einbinden. So geht auf inhaltlicher Ebene die Integration neuer kategorialer Zugänge im Geschichtsunterricht bei Studierenden (ebenso wie bei Schülerinnen und Schülern) mit einem „conceptual change“ vorherrschender Geschichtsvorstellungen einher (vgl. Halldén 1998). „Dis/ability“ als historischen kategorialen Gegenstand zu begreifen, könnte somit eine Anreicherungs- und Umstrukturierungsperspektive nach sich ziehen. Der (Unterrichts-)Gegenstand „dis/ability“ eignet sich hervorragend dazu, die Offenheit und das Bewusstsein der Studierenden (und in der Folge der Schülerinnen und Schüler) im alltäglichen Umgang mit Differenz und Diversität zu fördern, indem er die historische Dimension heutiger Lebenspraxen erkennen und reflektieren lässt. Diese Prozesse sollen durch das im Projekt entwickelte Lehrkonzept angeregt sowie in ihrer Entwicklung durch die begleitende Erhebung der Studierendenperspektive genauer in den Blick genommen werden.
Eine Übertragbarkeit auf andere Fächer besteht zum einen im Sinne der (hochschuldidaktischen) Entwicklungen gemeinsamer Module, in die aktuelle fachwissenschaftliche Erkenntnisse ebenso einfließen und zu innovativen unterrichtsbezogenen Themen entwickelt werden. Zudem eröffnet sich inhaltlich mit „dis/ability“ eine Querschnittsdisziplin oder -perspektive, die nicht nur für weitere sozial- und geisteswissenschaftliche Fächer relevant ist, sondern perspektivisch auch an der Universität wie an den Schulen eine Fächerbrücke darstellen könnte.
Erfolgreiche Entwicklungs- und Implementationsbeispiele: Themen, Konzepte, Strategien, Erkenntnisse
Da das Modul erst im Wintersemester 2017/18 durchgeführt wird, befindet es sich noch in der Vorbereitungsphase. Die Vorbereitungen finden auf drei Ebenen statt, wie es der Kooperation von Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Inklusiver Pädagogik entspricht, und sind durch die aktive Beteiligung Studierender gekennzeichnet. Im fachwissenschaftlichen Kontext werden auf der Grundlage von derzeit laufenden Archivrecherchen, die von Studierenden durchgeführt werden, die thematischen Schwerpunkte (u. a. Conterganfall, Down Syndrom, Kriegsbeschädigung, Behindertensport, Bildungspolitik) des interdisziplinär ausgerichteten geschichtswissenschaftlichen Seminars festgelegt. Seitens der Fachdidaktik werden zusammen mit technisch versierten Studierenden, die während des Seminars auch die Funktion von Lehrassistenzen übernehmen, elektronische Vermittlungs- und Publikationsformate (v. a. Erklärvideos) erarbeitet, mit deren Realisierung die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer ihre Prüfungsleistung ablegen werden. In der Inklusiven Pädagogik wird die begleitende Erhebung in Form einer Gruppendiskussion entwickelt.
Weitere Informationen unter: www.homo-debilis.de
Über die Autor_innen:
Teilprojektverantwortliche: Prof. Dr. Angelika Bikner-Ahsbahs (FB 03)
Mitwirkende am Projekt „Spotlights Lehre“: Prof. Dr. Marcus Callies (FB 10), Helen Cornelius (FB 10), Dr. Kurt Falk (FB 03), Heather Haase (FB 10), Erik Hanke (FB 03), Stefanie Hehner (FB 10), Meike Hethey (FB 10), Dr. Sabine Horn (FB 08), Prof. Dr. Marc Keßeböhmer (FB 03), Prof. Dr. Natascha Korff (FB 12), Nelli Mehlmann (FB 10), Prof. Dr. Cordula Nolte (FB 08), Ingolf Schäfer (FB 03), Dr. Karen Struve (FB 10), Elena Tüting (FB 10), PD Dr. Hendrik Vogt (FB 03), Prof. Dr. Maike Vollstedt (FB 03), Leonie Wiemeyer (FB 10)
Bildnachweis:
- Teamfoto: Team Teilprojekt 4; Universität Bremen
- Autorinnenfoto: Angelika Bikner-Ahsbahs (privat)
- Abb. 1-4: Team Teilprojekt 4; Universität Bremen