RV08 – Schule als gesellschaftliche Institution

1. Welche Rolle spielen Intelligenz und Vorwissen für erfolgreiches Lernen? In welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Wie wurde ihr Einfluss empirisch untersucht? Was bedeuten die Befunde für Schule und Unterricht?

Intelligenz und Vorwissen sind beide ausschlaggebende Faktoren fürs Lernen. Nach Hofstätter ist Intelligenz: „…eine Fähigkeit zur Lösung konkreter und/oder abstrakter Probleme und damit die Bewältigung neuartiger Situationen“ (Hofstätter 1957, zit. nach Ingenkamp 2008). Vorwissen hingegen ist laut Gruber & Stamouli das bereits erworbene Wissen zu einem bestimmten Themenbereich welche die Informationsverarbeitung beeinflusst. (Gruber & Stamouli 2009, S. 39). Diese beiden Faktoren stehen also in einem komplementären Verhältnis zueinander. Während Intelligenz dabei hilft neue Probleme zu lösen und Informationen zu verarbeiten, trägt Vorwissen dazu bei wie schnell diese neuen Inhalte verstanden werden.

Eine empirische Studie dazu gibt es von Schneider, Körkel und Weinert (1989) in der 500 Schüler aus der dritten, fünften und siebten Klasse auf Vorwissen im Fußball und auf allgemeine Intelligenz getestet wurden. Das Ergebnis dazu war: Schüler:innen mit hohem Fußballwissen, aber durchschnittlicher Intelligenz, erinnerten sich besser an die Geschichte als diejenigen mit hoher Intelligenz, aber geringem Vorwissen. Dieser Befund ist einer der Beweise wie wichtig das Vorwissen ist.

Was bedeutet das nun für Schule und Unterricht? Lehrer:innen müssen sich im klaren darüber sein, dass die Schüler verschiedene kognitiven Voraussetzungen mitbringen welche mit adaptiven Lernstrategien aufgegriffen werden müssen. Das heisst nicht die Begabung der Schüler entscheidet über Erfolg, sondern was sie bereits wissen.

2. Welche (Forschungs-)Fragen ergeben sich für mich aus der Vorlesung? Welche Befunde fand ich überraschend oder kritisch?

Besonders überrascht hat mich nichts, was ich jedoch kritisch sehe, ist der Matthäus Effekt welcher besagt: „Wenn Vorwissen (die wichtigste)Voraussetzung fürLernerfolg ist, dann vergrößert (nicht‐differenzierender) Unterricht diese Unterschiede“(z.B. Schwippert, Bos & Lankes, 2003). Denn diese Aussage bedeutet, dass Lehrer welche gleichen Unterricht für alle anbieten, dadurch auch unbewusst einige Schüler benachteiligen können, welche weniger Vorwissen haben.

Für mein Orientierungspraktikum stelle ich mir also die Frage:

Wie können Lehrer das Vorwissen der Schüler erfassen und wie nutzen sie diese Information für die passende Unterrichtsgestaltung?

Dazu könnte ich während meiner Zeit im Praktikum die Lehrkräfte nach ihrer Einschätzung und ihrer Umsetzung befragen, um ein besseres Gespür dafür zu erhalten wie dies in einem richtigen Klassenraum aussieht.

3. Am Ende des Vortrags wurden zwei verschiedene Adaptionsmodelle dargestellt. Finden Sie Praxisbeispiele zu jeder der in den Modellen genannten Reaktionsformen (Weinert, 1997) bzw. Adaptionsmöglichkeiten (Leutner, 1992).

Nach Weinert (1997):

Passiv: Die Lehrkraft erklärt den Unterrichtsstoff der ihm vorliegt, ohne auf Rückfragen oder Meldungen der Schüler:innen einzugehen

Substituiv: Die Klasse wird in zwei Hälften geteilt, eine Hälfte mit mehr Vorwissen eine mit weniger, dadurch wird der Unterricht für beide Gruppen nach ihrem Niveau angeglichen

Aktiv: Die Lehrer:innen passen sich spontan den Schüler:innen im Unterricht an indem sie Fragen aufgreifen und bestimmte Inhalte wiederholen, da ihnen auffällt, dass einige Schüler:innen Probleme mit dem Stoff haben

Proaktiv: Lehrer:innen planen schon vor dem Unterricht differenzierte Arbeitsblätter welche auf die Kompetenzen der verschiedenen Schüler:innen angepasst sind, da sie die Schüler:innen und deren verschiedenen Niveaus schon kennen

Nach Leutner (1992):

Förderung: Im Musikunterricht wird für Schüler:innen die es möchten, extra Klavierunterricht gegeben

Kompensation: Eine Schülerin aus Syrien bekommt extra Deutschübungsstunden

Präferenz: Schüler:innen können durch die Wahlen zwischen den Unterrichtsfächern Biologie und Physik einen individuellen Schwerpunkt setzen

Literatur:

Gruber, Hans, and Evi Stamouli. “Intelligenz und Vorwissen.” Pädagogische Psychologie, edited by E. Wild and J. Möller, Springer, 2009, pp. 25–44.

Ingenkamp, Karl, and Ursula Lissmann. Lehrbuch der Pädagogischen Diagnostik. 6th ed., Beltz, 2008.

Leutner, Detlev. Adaptive Lehrsysteme: Instruktionspsychologische Grundlagen und experimentelle Analysen. Beltz, 1992.

Schneider, Wolfgang, Jürgen Körkel, and Franz E. Weinert. “Domain-Specific Knowledge and Memory Performance: A Comparison of High- and Low-Aptitude Children.” Journal of Educational Psychology, vol. 81, 1989, pp. 306–312.

Schwippert, Knut, et al. “Heterogenität und Chancengleichheit am Ende der vierten Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich.” Erste Ergebnisse aus IGLU, edited by W. Bos et al., Waxmann, 2003, pp. 165–190.

Weinert, Franz E. “Notwendige Methodenvielfalt: Unterschiedliche Lernfähigkeiten der Schüler erfordern variable Unterrichtsmethoden des Lehrers.” Friedrich-Jahresheft, 1997, pp. 50–52.

 

Kommentare

Eine Antwort zu „RV08 – Schule als gesellschaftliche Institution“

  1. Avatar von Tobias
    Tobias

    Grundsätzlich stimme ich dem Beitrag zu, insbesondere der Betonung der Bedeutung von Vorwissen für erfolgreiches Lernen. Ergänzend möchte ich jedoch hervorheben, dass auch Intelligenz eine zentrale Rolle spielt – vor allem, wenn es darum geht, Vorwissen sinnvoll zu nutzen und auf neue Probleme anzuwenden. Man kann noch zu viel wissen, ohne die Fähigkeit, dieses Wissen zu verknüpfen, bleibt der Lernstand begrenzt. Ohne Intelligenz bleibt Vorwissen oft ungenutzt, ohne Vorwissen ist intelligentes Denken deutlich erschwert. Beide Faktoren stehen in einem wechselseitigen Verhältnis (Gruber und Stamouli, 2009).
    Diese Perspektive lässt sich gut mit der Vorlesung zu Inklusion von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf verknüpfen: Wenn Lernvoraussetzungen wie Intelligenz und Vorwissen so entscheidend für den Bildungserfolg sind, dann wird deutlich, warum differenzierter Unterricht und gezielte Materialanpassung für alle Lernenden – besonders aber für jene mit Förderbedarf – unerlässlich sind. Gut strukturierte, sprachlich und visuell angepasste Materialien ermöglichen Lernenden, unabhängig von ihrem Vorwissen oder ihrer Intelligenz, besser anzuknüpfen und Lerninhalte zu verarbeiten.
    Inklusion bedeutet daher auch, Lernbedingungen so zu gestalten, dass Intelligenz und Vorwissen individuell aktiviert und gefördert werden können – was letztlich allen Schüler*innen zugutekommt, nicht nur jenen mit sonderpädagogischem Förderbedarf.
    In diesem Zusammenhang kann auch der gezielte Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) eine wichtige Rolle spielen: Sie erschließt neue Möglichkeiten, das individuelle Vorwissen zu erfassen und darauf basierend individuelle Lernmaterialien bereitzustellen. Wie die Bundeszentrale für politische Bildung betont, kann KI somit als Katalysator für Inklusion wirken – etwa durch Programme, die personalisierte Unterstützung, Tipps und Übungen bieten (bpb, 2023).

    Quellen:

    Bundeszentrale für politische Bildung, 2023: KI als Katalysator für Inklusion
    https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/520748/ki-als-katalysator-fuer-inklusion/

    Gruber, H., & Stamouli, E. (2020). Intelligenz und Vorwissen. In E. Wild & J. Möller
    (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 25–44). Heidelberg: Springer

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