Hans Wocken – Gemeinsame Lernsituation
Hans Joachim Wocken wurde 1943 in Rütenrock geboren und studierte Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Vechta. Wocken arbeitete als Sonderpädagoge in Dortmund, promovierte anschließend und wurde Professor für Lernbehindertenpädagogik an der Universität Hamburg. Er beschäftigte sich hauptsächlich mit integrativer Pädagogik.
In dem Text „Gemeinsame Lernsituation“ verfasst 1998 von Hans Joachim Wocken werden verschiedene Lernsituationen beschrieben und in Form von Schaubildern dargestellt. Diese bestehen aus zwei Ebenen. Zum einen wird der Inhaltsaspekt, beispielsweise Ziele, Aufgaben und Pläne, durch horizontale Pfeile visualisiert. Zum anderen wird auf vertikaler Ebene der Beziehungsaspekt wie soziale Prozesse und kommunikativer Austausch veranschaulicht.
Koexistente Lernsituation:
Beschreibung:
Das Verhalten der jeweiligen Person wird zum größten Teil über ihr eigenes Handeln bestimmt. Die beteiligten konzentrieren sich in erster Linie auf sich selbst. Das eigene angestrebte Ziel steht hierbei im Vordergrund. Die Gemeinsamkeit wird auf das räumliche beieinander sein reduziert wobei das interaktive weniger vorhanden ist. Vergleichbar ist dies mit dem Straßenverkehr. Man hat ein eigenes Ziel, eine eigene Route und braucht zur Realisierung den anderen erst einmal nicht. Jedoch muss, um das Ziel erreichen zu können, auf andere Fahrer und beteiligte Personen am Straßenverkehr geachtet werden. Kommuniziert wird hierbei meist lediglich mit Hup- und Lichtsignalen. Der Inhaltsaspekt dominiert in diesem Fall und der Beziehungsaspekt passiert eher passiv.
Im schulischen Kontext:
Ein Beispiel für eine koexistente Lernsituation im Schulalltag ist die Bearbeitung des Wochenplans. Die Schüler*innen bearbeitend ihre Aufgaben individuell ihrem Tempo entsprechend. Ein direkter Austausch ist hierbei nicht vorhanden.
Kommunikative Lernsituation:
Beschreibung:
Bei der kommunikativen steht die Interaktion also die Kommunikation und das Miteinander im Vordergrund. Der Inhalt spielt hierbei weniger eine Rolle. Hierbei gibt es weder einen Plan noch ein gemeinsames Ziel. Die beteiligen reagieren und antworten spontan auf das gesagte des anderen. Jeder war schon einmal in solch einer Situation. Beispielsweise beim Kaffee mit Familie oder Freunden oder auf einer Party. Es kann mehrere Abschweifungen innerhalb eines Gespräches geben ohne das eine Entscheidung getroffen werden muss oder ein Problem bearbeitet wird. Es ist also das Gegenstück zur koexistenten Lernsituation.
Im schulischen Kontext:
Auch wenn diese Form von Lernsituation nicht auf den ersten Blickscheint, als ob sich diese einer Lehrenden Einrichtung wiederfinden lässt, so kommt sie doch auch in der Schule vor. Beispielsweisen in den Pausen oder beim Frühstück. Hierbei tritt die intentionale Pädagogik zurück. Diese Zeit ist ebenso wichtig wie die Zeit der koexistenten Lernsituation.
Subsidiäre Lernsituation:
Beschreibung:
Bei der Subsidiären Lernsituation ist sowohl der Inhaltsaspekt als auch der Beziehungsaspekt relevant. Diese lässt sich in zwei verschiedene Situationstypen unterteilen. Zum einen wird die unterstützende Lernsituation erläutert. Hierbei bietet Schüler*in A Schüler*in B Unterstützung bei der Bewältigung der Aufgaben an und arbeitet beiläufig kontinuierlich an seinem eigenen Lernziel weiter. Somit wird durch einseitige Kommunikation dem hilfsbedürftigen Schüler B Unterstützung geleistet. Zum anderen wird die prosoziale Lernsituation beschreiben. Hierbei ist es für Schüler*in A nicht mehr möglich sich neben der Hilfestellung, die eigenen Lernziele weiter zu verfolgen. Schüler*in A stellt die eigenen Bedürfnisse zurück, um Schüler*in B zu Helfen.
Im schulischen Kontext:
Beide Lernsituation sind im Schulalltag wiederzufinden. Die unterstützende Lernsituation tritt beispielsweise auf, wenn beispielsweise ein Schüler bei der Aufgabenstellung nicht zugehört hat und der Sitznachbar demjenigen die Aufgabe erklärt und beide anschließend an ihren Aufgaben weiterarbeiten. Die prosoziale Lernsituation kann innerhalb eines Gemeinsamen Unterrichtes immer wieder vorkommen. Ist die Lehrkraft gerade nicht in Reichweite oder traut sich ein/e Schüler*in nicht um Hilfe zu bitten, so kommt es auch zu Hilfestellungen und Assistent unterhalb der Schüler*innen.
Kooperative Lernsituation:
Beschreibung:
Bei der Kooperativen Lernsituation arbeiten alle Schüler*innen an der Bewältigung einer Aufgabe. Arbeitet die Gruppe an einem gemeinsamen Ziel wird dies als solidarische Lernsituation bezeichnet. Gibt es unterschiedliche Zielsetzungen, wird dies komplementäre Lernsituation genannt. Verfolgen sie unterschiedliche Ziele so sind sie dennoch an auf Kooperation und Interaktion untereinander angewiesen. Wird an einem gemeinsamen Ziel gearbeitet stärkt dies die Gemeinschaft.
Im schulischen Kontext:
Auch hier treten beide Lernsituationen im schulischen Alltag auf. Solidarische Lernsituationen sind beispielsweise im Sportunterricht bei der Zusammenarbeit innerhalb einer Mannschaft oder bei Gruppenarbeiten auf. Eine komplementäre Lernsituation kommt beispielsweise beim Fußball spielen oder Schachspielen vor. Man kann beides nicht allein spielen und ist, auch wenn man ein anderes ziel verfolgt, voneinander abhängig.
Anwendung von oben genannten Lernsituationen im inklusiven Unterricht:
Jede Lernsituation weist verschiedene positive Eigenschaften auf, die zu Lernerfolgen der Schüler*innen beitragen. In einem inklusiven Unterricht steht die Individualität der Schüler*innen im Vordergrund. Wichtig für die Lehrperson ist es also die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder wahrzunehmen und dementsprechend auch den Unterricht anzupassen. Demnach ist es nicht Sinnvoll nur eine Lernsituation in einem inklusiven Unterricht zu. Vor allem sind jedoch Lernsituation, die die Gemeinsame Lernen der Kinder mit verschiedenen Bedürfnissen fördert. Das Austauschen, die gegenseitige Hilfe und das Lernen miteinander zeichnen einen inklusiven Unterricht aus. Denn dabei geht es eben nicht darum zu separieren, sondern um die Gemeinsamkeit der Vielfalt. Demnach sollten vor allem Lernsituationen wie kooperative Lernsituation aber auch subsidiäre Lernsituationen im inklusiven Unterricht verwendet werden. So schrieb auch Wocken: „Die Gemeinsamkeit der Verschiedenen ist die eigentliche Erkennungsmelodie der Inklusion, ihr Substanzieller Kern. Und deshalb ist die Gemeinsamkeit der Verschiedenen auch ein unverzichtbares Kernmerkmal der Inklusion.“ (Wocken, Hans (2019), S.14)
Literatur:
Wocken, Hans (1998): GemeinsameLernsituationen (S.41-48)
Wocken, Hans (2019): Inklusive Bildung. Annäherung an den Begriff der Inklusion und Förderungen an die Inklusionsforschung. In: Auswege Magazin, Perspektiven für den Erziehungsalltag. Letzter Zugriff: 10.01.2023
Wocken, Hans (2017): Vielfalt allein genügt nicht! Zur dialektischen Einheit von Vielfalt und Gemeinsamkeit. In: Wocken, Hans (Hrsg.): Beim Haus der inklusiven Schule. Praktiken – Kontroversen – Statistiken. Hamburg: Feldhaus Verlag, S. 170-250 Letzter Zugriff: 10.01.23