1. Die „grundlegenden psychologischen Bedürfnisse“ nach Deci und Ryan (1993) sind Kompetenzerleben, Selbstbestimmung bzw. Autonomie und soziale Eingebundenheit. In diesem Fall scheint für Sandra das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit ausschlaggebend für ihre Wahl gewesen zu sein. Anstatt nach ihrem Interesse zu wählen, hat sie sich entsprechend dem von ihr als relevant bewerteten Kriterium der Gruppenzugehörigkeit entschieden, dem biologischen Geschlecht. Gründe dafür können nur gemutmaßt werden. Entweder fühlt sie sich tatsächlich der sozialen Gruppe der Mädchen zugehörig und eingebunden in diese oder sie befürchtet einen Ausschluss oder eine Stigmatisierung, wenn sie sich entscheidet, mit den Jungen zusammen zu arbeiten. Ebenfalls ist es möglich, dass sie sich in einer Gruppe von Jungen nicht wohl fühlt. Möglicherweise denkt sie auch, für ein Mädchen sei eine solche Aufgabe nicht geeignet.
2. Die didaktische Entscheidung, die Kinder frei wählen zu lassen woran sie arbeiten, erfüllt das Bedürfnis nach Selbstbestimmung. In diesem Fall scheint aber das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit/ Gruppenzugehörigkeit einen stärkeren Einfluss zu haben. Um dieses zu verhindern, wäre möglicherweise eine zeitgleiche, geheime Zuordnung sinnvoller. Es wäre auch möglich, die Kinder einzuteilen und somit nicht selbst bestimmen zu lassen oder alle Kinder beide Aufgaben erledigen zu lassen.
Meiner Meinung nach ist das Bedürfnis nach Zugehörigkeit grundsätzlich sehr ausgeprägt wie man auch bei der Zuteilung von Studierenden zu Referatsthemen beobachten kann. Das „mit wem“ dominiert das „worüber“ deutlich.
3. Die Kollegin handelt unter der Vorannahme, dass die Kompetenzen bei handwerklichen Tätigkeiten zwischen Jungen und Mädchen unterschiedlich ausgeprägt sind. Fraglich ist, worauf dieses Konzept beruht, Erfahrungen aus ihrer Schulzeit, Erfahrungen mit ihren SchülerInnen oder eigener Abneigung gegenüber Handwerksarbeiten? Während meiner Meinung nach grundsätzlich nichts gegen eine von der Lehrperson vorgegebene Partnerkombination einzuwenden ist, stellt sich natürlich die Frage, wie diese kommuniziert wird. Es wäre natürlich ungünstig, wenn die Lehrerin den Kindern erklären würde, dass die Jungen den Mädchen helfen sollen, da diese weniger handwerkliche Kompetenzen hätten (was im Übrigen erst einmal zu überprüfen wäre). Dies könnte natürlich zu einem negatives Selbstbild der Mädchen beitragen oder dieses verfestigen.
Dennoch denke ich, dass der Lebensalltag und Modelle in der Lebenswelt einen viel größeren Einfluss auf das Selbstbild der Kinder und die Rollenzuschreibungen haben. Wer repariert Zuhause, welches Geschlecht hat der Hausmeister und haben Handwerker? Diese Erfahrungen prägen die Kinder entscheidend. Hier möchte ich noch anfügen, dass meine Tochter mir neulich mitteilte, dass sie es besser fände, wenn ihr Vater die Sachen reparieren würde (was gewöhnlich ich tue). Es ist noch ein langer Weg, solche Rollenvorstellungen aufzubrechen.
4. Eine gängige Alltagshypothese ist die, dass Jungen sich mehr für Sachthemen interessieren als Mädchen. So greifen Jungen beispielsweise viel häufiger zu Sachbüchern, während Mädchen sich eher für Erzählungen und Romane interessieren (eigene Erfahrung aus der Bibliothek). Mich würde nun interessieren, inwiefern Unterschiede im Interesse an den Themen des Sachunterrichts zutage treten und ebenfalls, wie groß die Unterschiede bezüglich des Vorwissens sind. Es wäre möglich, zunächst die LehrerInnen dazu zu befragen, um ihre Präkonzepte zu erfahren, dann die Kinder und schließlich diese Ergebnisse wieder mit den LehrerInnen zu besprechen.