Benennen Sie die für Sie zentralsten (mindestens zwei verschiedene, gerne auch mehr) theoretischen Erkenntnisse (auf allgemeine Konzepte oder empirische Studien aufbauend), die Sie aus den Vorträgen der Ringvorlesung mitgenommen haben. Nehmen Sie dabei Bezug auf:
a.) unterschiedliche fachdidaktische Aspekte. Übertragen Sie, wenn möglich, die in der Ringvorlesung gewonnenen Erkenntnisse auf die Didaktiken der von Ihnen studierten Fächer.
b.) generelle Erkenntnisse zur Beziehungsarbeit in Schule und Unterricht.
Eine der zentralen Erkenntnisse, die ich im vierten Semester der Ringvorlesung gewonnen habe, stammt aus dem Vortrag von Dr. Florian Schmidt-Borcherding mit dem Titel „Die kognitiven Dimensionen von Lernerfolg: Intelligenz vs. Vorwissen“. In dieser Vorlesung wurde der Einfluss von Intelligenz und Vorwissen auf den schulischen Lernerfolg herausgearbeitet.
Intelligenz wird in der Fachliteratur als die „durch die Faktoren ‚Anlage‘ und ‚Umwelt‘ sowie durch deren gegenseitige Beeinflussung […] bedingte kognitive Leistungsfähigkeit und kognitive Ausdifferenzierung von Lebewesen“ (Rost 2009: 1) definiert. Es bezieht sich auf Begabungen in einem höheren Maße und umfasst die Fähigkeit, sich an neue Situationen oder Probleme anzupassen, sich auf neue Anforderungen einzustellen sowie zweckvoll und rational zu handeln und zu denken (vgl. ebd.: 2f.). Laut Hofstätter äußert sich Intelligenz in der „Erfassung, Anwendung, Deutung und Herstellung von Beziehungen und Sinnzusammenhängen“ (1957: 187, zit. n. Ingenkamp 2008: 227). Im Gegensatz dazu wird von Vorwissen gesprochen, wenn mithilfe des „eigenen erworbenen Wissens Bedeutung[en] [gefunden] oder konstruier[t] [werden können]“ (Stern 1997: 41).
In Bezug auf den Einfluss von Intelligenz und Vorwissen auf den Lernerfolg lässt sich zunächst eine wechselseitige Beeinflussung beider Dimensionen festhalten. Gruber und Stamouli beschreiben, „dass Wissen allein einem Menschen nicht viel nützt, wenn er nicht die Intelligenz besitzt, es weise einzusetzen, und dass ihm Intelligenz ebenso wenig nützt, wenn er nicht über das Wissen verfügt, wie er Nutzen daraus ziehen kann“ (2009: 39). Ein gewisser Grad beider Parameter ist also notwendig, um Lernerfolge zu erzielen (vgl. Schmidt-Borcherding 2024).
Allerdings zeigen verschiedene empirische Studien, dass Vorwissen eine größere Bedeutung als Intelligenz hat (vgl. Gruber/Stamouli 2009: 39). Ein Beispiel hierfür ist die in der Vorlesung erwähnte Untersuchung von Schneider, Körkel und Weinert aus dem Jahr 1989. Dabei wurde Schüler*innen unterschiedlicher Klassenstufen eine Geschichte vorgelesen, die sie später wiedergeben sollten. Die Ergebnisse zeigten, dass Kinder mit bereichsspezifischen Vorwissen die Inhalte präziser wiedergeben konnten (vgl. Körkel/Schneider/Weinert 1989: 307f.). Demnach ist Intelligenz notwendig, führt aber nur dann zu Lernerfolgen, wenn sie in Wissen umgesetzt wird (vgl. Gruber/Stamouli 2009: 40).
Eine weitere wichtige Erkenntnis aus diesem Semester stammt aus der achten Ringvorlesung „Eigentlich muss ich ja eh inklusiv unterrichten – Inklusiver Deutschunterricht als ganz normale Herausforderung“ von Frau Hollerweger und Frau Korff.
Diese Erkenntnis liegt für mich in der Vielfalt der Aspekte guten inklusiven Unterrichts. Dazu gehören zieldifferentes Lernen, innere Differenzierung, offene Unterrichtsformen, kooperative Lernformen, Kommunikation über die Sache, entdeckendes und selbsttätiges Lernen sowie vielfältige Zugänge und Handlungsorientierung (vgl. Hollerweger/Korff 2024). Durch die vielfältigen Differenzierungsmöglichkeiten bietet inklusiver Unterricht weit mehr als „nur“ Individualisierung. Guter inklusiver Unterricht bedeutet jedoch nicht automatisch guter Fachunterricht. Die Aspekte guten inklusiven Unterrichts müssen mit entsprechenden fachlichen Ansatzpunkten kombiniert werden (vgl. ebd.: 10ff.). Darüber hinaus betrifft Inklusion nicht nur angehende Lehrkräfte mit dem Schwerpunkt IP, sondern jede Lehrkraft wird in der Praxis entsprechende Erfahrungen machen und den Unterricht dementsprechend gestalten müssen (vgl. ebd.).
Welche Faktoren zum schulischen Umgang mit Heterogenität (z.B. Unterrichtsformen, Schulformen/-strukturen, schulkulturelle Aspekte, Handeln von Lehrkräften), die Sie in der Vorlesung kennengelernt haben, prägen im Rückblick auf ihre eigenen Praxiserfahrungen (eigene Schulzeit, Berichte aus der Praxis, ggf. auch schon eigene Praxiserfahrungen) den Schulalltag besonders stark – und warum? Hier können Sie aus Ihrer Sicht besonders gelungene oder auch weniger gelungene Beispiele reflektieren. Inwiefern helfen Ihnen die Inhalte der Vorlesung, eine solche Einschätzung vorzunehmen? Nehmen Sie konkret Bezug auf entsprechende Begriffe, Theorien, Konzepte, die Sie jetzt kennengelernt haben.
Bezüglich der Vorlesungsinhalte zum schulischen Umgang mit Heterogenität habe ich festgestellt, dass insbesondere das Konstrukt der Leistungsheterogenität im schulischen Kontext auffällt. Schon während meines Praktikums, welches ich in der Mittelstufe an einer Grundschule absolviert hatte, und durch eigene Erfahrungen und jene aus dem Familienumfeld, konnte ich beobachten, dass soziale Vergleiche nicht nur unter den Schüler*innen stattfinden, sondern auch von Lehrkräften provoziert werden. Durch die Erhebung der Leistungen und die anschließende Kategorisierung als „leistungsstark“ oder „leistungsschwach“ entstehen Unterschiede, die mit Bedeutungen und Wertungen aufgeladen werden (vgl. Trostmann 2024: 19f.). Diese Kategorisierung erleben die Kinder immer wieder, wobei es in der Praxis schwer ist, aus der Kategorie „leistungsschwach“ herauszukommen. Daher betrachte ich dieses Konstrukt kritisch.
Hingegen habe ich im Umgang mit der Mehrsprachigkeit positive Erfahrungen gemacht. Es zeigte sich, dass zugewanderte Kinder oft in ihre Regelklassen integriert wurden und „nebenbei“ in einer DaZ-Klasse Deutsch lernten. Dabei wurde zunehmend auf die individuellen Bedürfnisse eingegangen. So erhielten sie beispielsweise Arbeitsblätter mit deutschen und muttersprachlichen Erklärungen. Außerdem wurde im Unterricht auf die Familiensprachen der Kinder eingegangen, indem Wörter in verschiedenen Sprachen erklärt wurden. Des Weiteren habe ich während einer Hospitation das “Wort der Woche” kennenlernen dürfen. Jeden Freitag fragt die Lehrkraft im Morgenkreis, ob ein Kind das “Wort der Woche” noch in einer anderen Sprache kennt und sagen kann, was eine schöne Idee ist.
Zu welchen, mindestens zwei, Fragestellungen, die Sie in der Vorlesung kennengelernt haben, würden Sie gerne mehr erfahren im weiteren Studium in Bezug auf das Modulthema UMHET? Welche haben Sie vermisst? Bitte begründen Sie Ihre Wahl.
Abschließend interessiert mich das Thema der Leistungsbeurteilung einer heterogenen Schülerschaft. In der Vorlesung haben wir viel über das Konstrukt der Leistungsheterogenität erfahren, wobei für mich offen bleibt, inwiefern die unterschiedlichen Leistungen fair erhoben und bewertet werden können. Außerdem fände ich es spannend, mich vertieft mit dem Umgang heterogener Kinder im Hinblick auf die Dimension ‚Lernmotivation‘ zu beschäftigen, um meine Handlungsmöglichkeiten als angehende Lehrkraft zu optimieren.
Gefehlt hat mir tatsächlich der Blick auf psychische Erkrankungen und Entwicklungsstörungen. Diese Themen sind nämlich bereits in der Grundschule wichtig, auch wenn sie erfahrungsgemäß erst mit zunehmendem Alter ins Blickfeld gelangen. Es gibt die konkrete Thematisierung von Inklusion, bei beispielsweise DaZ/DiM und Behinderungen, welche sich meist aber eher auf das Down-Syndrom beziehen, aber nun mal keine für psychische Erkrankungen und Entwicklungsstörungen. Damit beziehe ich mich beispielsweise auf die Thematisierung von Traumata bei Kindern, ADHS, Autismus und Essstörungen.
Als eine Person, die selbst während ihrer Schulzeit und auch jetzt teilweise während des Studiums, unter der Unwissenheit, Befangenheit und Stigmatisierung der Lehrenden, gelitten hat, würde ich mir wünschen, dass dies zukünftig auch expliziter und verpflichtend thematisiert wird. Wenn ich daran denke, wie viel besser man mir hätte helfen können oder mich hätte unterstützen können, wenn dieses Thema mehr im Bewusstsein gewesen wäre und nicht nur meist stigmatisiert im Hinterkopf existiert, werde ich traurig.
Dabei soll nicht darauf abgezielt werden, dass Lehrer*innen dies diagnostizieren oder ähnliches, sondern mit den Basics vertraut sind und dadurch benötigtes Fachpersonal gegebenenfalls an die Seite holen können.
Wenn es um die Unterrichtsgestaltung geht, geht es natürlich um Differenzierung, welche ja auch im Modul thematisiert wird, aber das Differenzierung gerade auch bei psychischen Erkrankungen und Entwicklungsverzögerungen im Grundschulalter benötigt wird, wurde nicht einmal so explizit benannt, wie es zum Beispiel benannt wurde bei DaZ/DiM.
Literatur:
Gruber, Hans/Stamouli, Elena (2009): Intelligenz und Vorwissen. In: Möller, Jens/Wild, Elke (Hrsg.): Pädagogische Psychologie. Heidelberg: Springer. S. 27-47.
Hollerweger, Elisa/Korff, Natascha (2024): „Eigentlich muss ich ja eh inklusiv unterrichten“ – Inklusiver Deutschunterricht als ganz normale Herausforderung. [Ringvorlesung 07 vom 27.05.2024].
Ingenkamp, Karlheinz/Lissmann Urban (2008): Lehrbuch der Pädagogischen Diagnostik. 6., neu ausgest. Aufl., Weinheim: Beltz Verlag.
Rost, Detlef H. (2009): Intelligenz. Fakten und Mythen. 1. Aufl., Weinheim: Beltz Verlag.
Schmidt-Borcherding, Florian (2024): Die kognitiven Dimensionen von Lernerfolg: Intelligenz vs. Vorwissen. [Ringvorlesung 11 vom 24.06.2024].
Stern, Sylke (1997): Einfluss des kulturellen Vorwissens auf die Rezeption von literarischen Texten in Deutsch als Fremdsprache. Pfaffenweiler: CENTAURUS-Verlagsgesellschaft.
Trostmann, Sven (2024): Leistungsheterogenität – Zeichen, Ursachen und Umgang im Prozess der Leistungsbeurteilung. [Ringvorlesung 08 vom 03.06.2024].
sehr differenzierte gute reflexionen.
stark ihre gedanken und literaturarbeit zu leistungsvoraussetzungen und -bewertungen. das thema der mündlichen notengebung ist z.b. echt etwas sehr wichtiges, was viel zu wenig beleuchtet wird oft…
cf
Kommentar by Christoph Fantini — 10. Oktober 2024 @ 17:59