In der Ringvorlesung „Umgang mit Heterogenität in der Schule“ haben mich besonders zwei theoretische Erkenntnisse beschäftigt. Zum einen die Bourdieusche Kapitaltheorie, die den Zusammenhang zwischen schulischem Erfolg und der Verfügbarkeit von ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital betont (Bourdieu 1983, 1992). In meinen Blogbeiträgen habe ich diesen Zusammenhang besonders im Fach Sport reflektiert. So hängt die Teilhabe am Sportunterricht oft von äußeren Faktoren ab, wie der Mitgliedschaft in einem Verein oder der Ausstattung mit Sportkleidung. Kinder aus sozial benachteiligten Familien bringen häufig weniger Bewegungskapital mit, was sie anfälliger für Spott oder Ausgrenzung macht. Hunger (2016) zeigt auf, dass Kinder aus einkommensschwachen Haushalten häufiger von Übergewicht betroffen sind und weniger Bewegungsmöglichkeiten haben. Dies bestätigt meine Annahme, dass Unterricht nicht von gleichen Startbedingungen ausgehen darf, sondern dass die Vielfalt der Voraussetzungen in der Unterrichtsgestaltung berücksichtigt werden muss um allgemeine Partizipation zu ermöglichen.
Daran anschließend wurde mir deutlich, dass Bourdieus Gedanke des Kapitals auch auf Wissen übertragen werden kann. Wissen stellt ebenso wie ökonomische oder soziale Ressourcen ein Kapital dar, das in Familien sehr ungleich verteilt ist. Kinder aus gebildeten Haushalten wachsen vermehrt mit einem reichen sprachlichen und kulturellen Umfeld auf, das ihnen ermöglicht, schulische Inhalte leichter aufzunehmen und einzuordnen. Diese Vorteile gibt es aber auch auf der annehmbaren benachteiligten Seite, aus Familien mit Migrationshintergrund, wo Kinder von einem bilingualen Aufwachsen profitieren können. Jedoch wird diesem Vorteil, wie in der Vorlesung thematisiert, oft zu wenig Präsens in der alltäglich Unterrichtspraxis gegeben. Resultierend aus diesen verschiedenen Startbedingungen, zeigt sich der Unterschied zwischen Intelligenz und Wissen. Während Intelligenz eher als abstrakte Fähigkeit verstanden wird, ist schulischer Erfolg häufig davon abhängig, wie viel Wissen, Begriffe und Lernstrategien ein Kind bereits mitbringt. Dieses Wissenskapital verschafft deutliche Vorteile, die von außen oft fälschlich als höhere Intelligenz gedeutet werden und auch umgekehrt kann ein durch den Background begründeter Mangel an Allgemeinbildung zu dem Anschein mangelnder Intelligenz führen. Für meine spätere Arbeit bedeutet dies, dass ich Schüler weniger nach vermeintlicher Intelligenz einschätzen möchte, sondern nach ihren vorhandenen Wissensbeständen differenziert fördern muss, um allen faire Chancen zu ermöglichen.
Aus meiner Sicht ist besonders prägend im Schulalltag der Umgang mit den Schülern als eine heterogenen Gruppe. In meinen Blogbeiträgen habe ich betont, dass eine klare und sensible Sprache im Unterricht entscheidend ist, um allen Schülern Teilhabe zu ermöglichen. Im Mathematikunterricht bedeutet dies, komplexe Textaufgaben sprachlich zu vereinfachen und mit Visualisierungen zu unterstützen. Im Sportunterricht gilt es, Regeln und Anleitungen so zu gestalten, dass sie für alle verständlich sind. Besonders wichtig im Sport, die Rücksicht auf Geschlechtervielfalt (Hunger, 2013). Beispielsweise bei der Einteilung in Jungen- und Mädchenmannschaften oder dem allgemeinen Umgang mit den Geschlechtern. Hier zeigen sich häufig stereotypische Zuschreibungen in den Sportarten wie Fussball als „Jungssportart“ oder Tanzen als „Mädchensportart“
Dies zeigt, dass Heterogenität nicht nur leistungsmäßige Unterschiede betrifft, sondern auch tief in gesellschaftliche und kulturelle Fragen hineinreicht. Besonders problematisch sind dabei stereotype Zuschreibungen, wenn Schüler nicht nach ihren individuellen Bedürfnissen, sondern nach vermeintlichen Gruppenzugehörigkeiten behandelt werden.
Darüber hinaus habe ich in der Vorlesung gelernt, wie stark solche stereotypen Zuschreibungen das Handeln von Lehrkräften beeinflussen können. Im Planspiel der Vorlesung wurde einer Schülerin eine Rolle nach ihrer vermeintlichen Herkunft zugewiesen. Dieses Othering verkennt individuelle Perspektiven und kann die betroffene Person verletzen (Leiprecht 2016). Die Vorlesung zu Migration hat dies bestätigt, indem sie zeigte, wie Kulturalisierung problematisch wird, wenn Schüler nicht als Individuen, sondern als Vertreter eines angenommenen Kollektivs behandelt werden. Für mich bedeutet das, meine eigene Haltung ständig zu reflektieren und stereotype Erwartungen zu vermeiden.
Passend zu diesen stereotypischen Vorurteilen, stellte ich mir im Laufe des Semesters die Frage zum Umgang mit Umgang mit Kindern mit psychisch ausgelösten Besonderheiten. In meiner Praxis habe ich Kinder mit ADHS oder starkem Bewegungsdrang erlebt, deren Verhalten von Lehrkräften oder Mitschülern schnell als störend empfunden wurde. Solche Zuschreibungen blenden jedoch aus, dass diese Kinder besondere Ressourcen mitbringen. Anstelle von Sanktionierung erscheint es mir wichtig, Unterricht so zu gestalten, dass Bewegungsbedürfnisse flexibel aufgegriffen werden können, da heutzutage besonders in ökonomischen schwachen Familien oft wenig Bewegungsangebote und Räume für die Kinder vorhanden sind (Hunger, 2016). Dafür hat mir die Vorlesung gezeigt, dass Beziehungsarbeit hierbei zentral ist. Nur wenn Schüler sich akzeptiert fühlen, können sie im Unterricht ihr Potenzial entfalten.
Des Weiteren interessiert mich die Rolle der Künstlichen Intelligenz im Unterricht. KI kann personalisierte Lernwege ermöglichen und helfen, Bildungsungleichheiten zu verringern. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass durch einen unkritischen Einsatz bestehende Unterschiede noch verstärkt werden oder durch Missbrauch keine wirkliche Lernentwicklung stattfindet. Für mich ist wichtig zu verstehen, wie KI sinnvoll eingesetzt werden kann, nicht nur als technisches Werkzeug, sondern auch als Vorbereitung auf die zunehmend digitalisierte Arbeitswelt, in der Schüler künftig bestehen müssen.
Zusammenfassend ist für mich deutlich geworden, dass Heterogenität nicht als Problem, sondern als Chance begriffen werden muss. Ob es um den Unterschied von Wissen und Intelligenz, um soziale Unterschiede im Sinne Bourdieus oder um psychische Besonderheiten geht, immer zeigt sich, dass eine sensible und diskriminierungskritische Haltung der Lehrkraft entscheidend ist. Für meine zukünftige Tätigkeit möchte ich diese Haltung weiterentwickeln und zugleich die Chancen neuer Entwicklungen wie der Künstlichen Intelligenz nutzen, um eine gerechte und zukunftsorientierte Schule mitzugestalten.
Quellen:
- Bourdieu, P. (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. Göttingen: Otto Schwartz & Co.
- Bourdieu, P. (1992): Sozialer Raum und symbolische Macht. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Giesinger, J. (2021): Vermitteln und Mitteilen. In: Drerup, J. et al. (Hg.): Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen? Stuttgart: Kohlhammer.
- Hunger, I. (2016): Kind und Körper – unter schweren Bedingungen. Schorndorf: Hofmann.
- Hunger, I. (2013): Wie Jungen und Mädchen im Bereich Körper, Bewegung und Sport von früh an erzogen und sozialisiert werden. Perspektiven für den Bewegungs- und Sportunterricht in der Grundschule. Göttingen: Universität Göttingen.
- Leiprecht, R. (2016): Rassismus. In: Mecheril (Hg.): Handbuch Migrationspädagogik. Weinheim: Beltz.