Was ist gemeint mit einer ´nationalen Orientierung des Bildungssystems´? Woran kann das festgemacht werden im Hinblick auf seine Zielgruppen, Inhalte/Fächer, Strukturen? (denken Sie hier auch an ihre eigenen Erfahrungen aus der Schulzeit zurück)
„Schulen in Deutschland haben größtenteils eine nationale Orientierung des Bildungssystems“, das ist die These, welche ich versuchen werden zu untermauern. Aber was ist mit „nationaler Orientierung“ überhaupt gemeint? Schulen setzen sich, so zumindest in meiner Schule, selten mit interkulturellen Konzepten und Themen auseinander, viel mehr haben sie eine nationale Orientierung. Sei es im Geschichtsunterricht, in dem ich lediglich deutsche Geschichte beziehungsweise auch ein Teil der europäischen Geschichte kennenlernte, oder etwa im Musikunterricht wenn es um Künstler wie Beethoven oder Mozart ging. Habe ich etwas über die Geschichte der Länder in Asien oder Afrika gelernt? Habe ich künstlerische und traditionelle Einblicke von Ländern kilometerweit weg von Deutschland gewonnen? Die Antwort für mich persönlich lautet Nein. Und genau diese Beobachtung beschriebt die „nationale Orientierung des Bildungssystems“ sehr treffend.
Was nehmen Sie aus dem öffentlichen Diskurs über ´Migration als Herausforderung für die Schule´ und über sog. ´Schüler mit Migrationshintergrund´ als Informationen wahr und inwiefern hat die Vorlesung für sie andere/neue Perspektiven dazu eröffnet?
Interessant finde ich die Informationen über die Verknüpfung von Migrationshintergrund und geringem sozialen Status, was dann wiederum zu einer Benachteiligung im Schulsystem führt. In der Vorlesung wurde gesagt, beziehungsweise steht es so auch auf den Folien, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund selbst bei gleichem Sozialstatus im Durchschnitt seltener auf ein Gymnasium und häufiger in den niedriger qualifizierenden Schularten zu finden sind. Hierbei ist es meiner Meinung nach aber wichtig zu sagen, dass diese Information nicht zu pauschalisieren ist. Wie so vieles kann man auch dieses Thema nicht verallgemeinern: Ausnahmen bestätigen auch nicht die Regel. Das Selbe gilt dann auch für die Information, dass ausländische Jugendliche doppelt so häufig wie deutsche die Schule verlassen. Im Durchschnitt mögen diese Informationen womöglich empirisch belegbar sein, jedoch finde ich es sehr, sehr schwierig solche Informationen zu vermitteln. Denn letztlich gibt es viele Jugendliche mit Migrationshintergrund, die die Hochschulreife erwerben, die Schule nicht abbrechen oder verlassen, und auch nicht unbedingt seltener auf ein Gymnasium gehen. Zu beachten ist hier meine Meinung nach aber auch, wie man Migrationshintergrund definiert. Über eine Generation hinweg? Über zwei? Über wie viele eigentlich? Denn im Grunde haben alle Menschen einen Migrationshintergrund, wenn man so möchte.
Inwiefern kann das Beispiel von Betül (Interviewausschnitt aus einer qualitativen Studie) als Ausdruck von ´DoingCulture´ durch Lehrer*innenhandeln im Unterricht herangezogen werden?
Im Fall von Betül/Birgül war die Lehrerin sehr voreingenommen, voreingenommen kulturellen und ethnischen Kollektivmerkmalen, die aber nicht zwangsläufig den Mädchen ihrer Klasse zugesprochen werden können beziehungsweise dürfen. Die Lehrerin schreibt dem Mädchen verallgemeinerte kulturelle Merkmale zu, mit denen das Mädchen sich jedoch nicht identifiziert. Die Lehrerin hat in dem Fall ein türkisches Stereotyp im Kopf und bezieht dieses eigene Bild, welches in ihrem Kopf verankert scheint, auf die türkischen Mädchen. Ohne jegliche Hintergrundinformation zu den individuellen Mädchen urteilt sie. Denn hätte die Lehrerin das Mädchen gefragt, wie sie zu dem Thema denn steht und ob sie dieses (für die Lehrerin) „typisch türkische“ Denken im Sinn hat, wäre ihr aufgefallen, dass Betül/Birgül hier in Deutschland aufgewachsen ist und nicht anders denkt, als andere Europäerinnen. Dennoch schrieb sie ihr Merkmale und Eigenschaften zu, lediglich basierend auf ihren Migrationshintergrund. Die Lehrperson ließ sich gar nicht erst auf eine interkulturelle Diskussion ein, sondern verfolgte ihre eigenen eindimensionalen Vorstellungen.