Autorin: Helena Holl

Film: También La Lluvia (2010)

Regie: Icíar Bollaín

Details: 104 Min., MEX/E/FR, OmdtU

 

–Geschichte macht der Gegenwart–

 

Wir sitzen im Kino, bald kommt der erste Film der 27. Internationales Bremer Symposium zum Film: Latein Amerika und das Kino. Der Raum wird dunkel und es fängt an… Wir sind jetzt in Bolivien und folgen ein spanisches Kamerateam, die an einen kritischen Film über Christoph Kolumbus arbeitet. Doch steht die Geschichte der berühmte Navigator und Beauftragter der spanischen Kolonialmacht selbst nicht im Zentrum des Filmes. Denn das Werk heißt „También La Lluvia“[1] und beschäftigt sich mehr mit der Gegenwart als Konsequenzen der Geschichte Kolumbus. Die von dem Film gestellte Fragen werden langsam deutlicher, als auf dem Bildschirm die Szenen weiterlaufen. Nach ein paar Minuten erscheint einen Helikopter, der eine immense christliche Kreuz aus Holz in der Luft über den bolivianischen Wald trägt. Diese Inszenierung ergreift die Zuschauerinnen. In diesem Bild steckt alles: die Modernität der Gegenwart, die Geschichte, die Religion und die bolivianische Erde, immer noch dieselben Urwälder als ewige Zeuge der menschlichen Geschichte. Diese Mischung zwischen Geschichte und Gegenwart wird meisterhaft von der Regisseur Icíar Bollaín illustriert. También La Lluvia entwickelt sich auf mehrere Ebenen. Erst eine Metaebene, das die Dreharbeiten eines historischen Filmes, das von Sebastián (Gael García Bernal) geleitet wird zeigt. Parallel dazu die Geschichte Daniels (Juan Carlos Aduviri), einen indigene junger Vater, der im Film Sebastiáns als der Häuptling Hatuey[2] spielt. Daniel wird bald zu dem Anführer der sogenannte Wasserkrieg, der 1999-2000 in Cochamba (Bolivien)[3] stattfand und in También La Lluvia die gegenwärtige Realität darstellt. Letztendlich, wie ein Film im Film decken die von der Filmcrew gefilmte Szenen der Konquistadoren Geschichte die zwei ersten Ebenen über. Es kann überraschend werden, wie die Zuschauerinnen von Gegenwart zu Geschichte und von Dreharbeiten bis Proteste ohne Transition gebracht werden. Diese Methode der Film-im-Film ermöglicht Realität und Fiktion sowie Gegenwart und Geschichte als interagierende Paaren deutlich im Blick zu halten. Dieser Film stellt Fragen: Kann einen historischer Film gedreht werden, wenn die gegenwärtige Geschichtsentwicklung dafür ignoriert werden? Kann einer die Geschichte ignorieren, wenn diese sich neben ihn entfaltet?

 

También La Lluvia bringt ein sehr wichtiges Thema hervor: es ist einfacher die Geschichte seiner Vorfahren zu kritisieren, als sich selbst in Frage zu stellen. Die Figur Sebastiáns ist repräsentativ dafür. Er ist einen jungen Mann voller Ideal und gute Absicht. Sein Ziel ist Kolonisierung mit einem außergewöhnlichen Film zu denunzieren. Mit eine feste Justizbild im Kopf, tritt er in Daniels Welt, der in konstant Ungerechtigkeit lebt. Kern des Filmes ist nämlich die Herrschaft privatem Wasserversorgungsdienste über aller Art Wasservorräte in Bolivien (auch den Regen). Die Begegnung der beiden Protagonisten lässt idealisierte fiktionale Welt und Realität zusammenstoßen, als Daniel fängt Proteste an und der Erfolg der Dreharbeit bedroht wird. Sebastián scheint es am wichtigsten zu sein, Daniel im Griff zu halten. Dennoch ist Wasser für der jungen Indigene ein Tod und Lebens Frage. Sebastian wird langsam übergriffig und es wird einen historischen kolonial Schatten auf ihn geworfen: er probiert „seinen Indianer“[4] als billige Arbeitskraft zu kontrollieren. Daniel wirkt schockiert und erweitert: „Some things are more important than your film, Sebastián“.[5] Sebastián denkt seinen Film sei revolutionär, würde er für seinen Ideal die echte Revolution vor seinen Augen unterzudrücken helfen? Kann man einen engagierten Film über die Geschichte eines Volkes drehen und dabei die gegenwärtigen Probleme desselben Volkes ignorieren? Es muss erwähnt werden, dass También La Lluvia nicht besonders fein in der Mitteilung der Problematik erscheint. Diese direkte Art und Weise, fast roh wirkt sehr effizient. Die Absicht und der Kritik sind transparent, jeder im Kinosaal weiß tief in sich worum es geht, es gibt keine Abweichung möglich. Vor allem, jeder spürt, wie die Thematik der Wasserkrieg aktuell ist und sich weltweit verbreitet.

 

Bemerkenswert ist der Triptyk aus die drei Hauptfiguren der Filmcrew: Sebastián, der Filmproduzent Costa (Luis López Tosar) und der alte alkoholische Schauspieler Anton (Karra Elejalde). Wenn Daniel die Themen der Armut und Wasserkrieg darstellt, spiegeln die Männer drei verschiedene Reaktionen. Dadurch lässt sich die Frage stellen: wie würde beziehungsweise sollte einer selbst reagieren? Sebastián probiert in seine Bild der Realität vergräbt zu bleiben. Schließlich wird gezeigt, wie die Lage in trotzdem emotional erreicht. Anton hat nichts mehr zu verlieren, er scheint einen nihilistischen Blick auf der Welt adoptiert zu haben. Doch er lehnt die Möglichkeit vor seine menschliche Verantwortung zu fliehen ab und bleibt in Cochamba. Anderseits Costa kam fast als Eroberer nach Bolivien. In seiner Welt kann Geld alle Probleme auslösen, er probierte sogar das Schweigen Daniels wegen der Proteste einzukaufen. Doch sobald Costa eine menschliche Beziehung zur Daniel und seine Familie verknüpft, wird er auch von der Lage in Cochamba direkt betroffen. Der Unterschied zwischen Costa und Sebastian ist die Realität indem sie leben. Einerseits lebt Costa in der Gegenwart, ihn interessiert der alltäglichen Welt vor seinen Augen: in Europa hat er kein Interesse für der Lateinamerika. Dennoch vor Ort schafft er Menschenverbindungen und wird ehrlich besorgt von der alltäglichen Realität dort. Anderseits beschäftigt sich Sebastián viel mit Ungerechtigkeiten in der Welt. Dennoch sobald die Distanz zwischen ihn und die Lage er denunzieren will abgeschafft wird, fällt ihn der Kontrast so schwer und gewalttätig, dass er es menschlich nicht ertragen kann. In También La Lluvia gibt es kein richtiger Held. Sogar Costa, der sich heldenhaft entwickelt probiert in Wirklichkeit nur sein bestens zu machen, um seine Menschheit zu schützen. Er reagiert wirklich nur ab dem Moment, wenn das Kind Daniels in dem Konflikt verloren geht und entscheidet sich das Mädchen zu retten. Dieser Tat zwingt auch der Filmcrew Entscheidungen zu treffen: bleiben oder fliehen. Denn scheint es der Mensch nur zu betreffen, wenn seine Verwandten (sei es Freunde oder Familie) oder ein Kind im Spiel gesetzt werden. Enge Beziehung schaffte den Willen zu schützen. Die Figur Costas ist eine Allegorie dieser Idee. Die Figur Sebastián erinnert uns aber, dass nicht jeder in dem Kampf werfen möge. Schließlich erlebt jeder Ungleichheit auf seiner Ebene. Den Fakt, dass Finanzierung für seinen Film zurückgezogen wird, zeigt auch noch wie schwierig die Problematik. Das Thema seines Filmes wird zu Riskant für Investorinnen sobald die Kritik von Geschichte zur Gegenwart eindeutig umgestellt werden kann. Dieses Ereignis zeigt, wie wichtig verbreitete Kritik in der Form von Film und Kunst ist. Um También La Lluvia wieder auf der Zuschauer Ebene hervorzuheben, da wirkt der Regisseur Icíar Bollaín sehr fein in seiner Mise en abyme. Wenn Sebastián sich der Wasserkrieg darzustellen verweigert, erlaubt es Bollaín die Proteste in Cochamba zu zeigen und dabei die heute überbleibenden Konsequenzen der Kolonisierung zu betrachten. Dazu wird noch die Kritik der Damaligen Regierung und der westlichen Reaktionen eindeutig.

 

Es gibt viel über También La Lluvia zu erläutern aber wer sich eine passende Bild des Werkes machen will, muss es selber gucken. Der Film ist anscheinend so komplex, dass jeder verschiedene Botschaft auf den Bildschirm entdecken könne. Erwähnt soll noch erwähnt werden, dass der Film leider nicht die Voraussetzungen für den Bechdel-Wallace Test. Die Rollenbesetzung des Werks bleibt entschlossen männlich dominiert. Frauen sind doch anwesend. Jedoch bleiben sie am meisten als Masse mit einer stereotypischen Stimme ohne Hauptrolle dargestellt. Ein feministischerer Blick hätte der Films Bedeutung relevant erweitert.

 

 

 

 

[1] Auf Deutsch übersetzt: „Und dann der Regen“.

 

[3] Für mehr Informationen über der bolivianische Wasserkrieg siehe:

Nickson; Vargas: The limitations of water regulation: The failure of the Cochabamba concession in Bolivia, 2002. http://www.kysq.org/docs/Cochabamba.pdf [zuletzt aufgerufen 18.05.23]

Assies: David versus Goliath in Cochabamba: Water Rights, Neoliberalism, and the Revival of Social Protest in Bolivia, 2003. https://www.jstor.org/stable/3185034  [zuletzt aufgerufen 18.05.23]

[4] Bollaín u. a.: También la lluvia, 2010.

[5] Ebd.