und nicht irgendetwas mit Mama und einem Indikator für generationales Trauma.

Regie: Patricia Cardoso

Länge: 93 Minuten

Genre: Coming of age

3, 2, 1, eine feministische Kampfhaltung wird eingenommen, die Fäuste oben, Wut im Bauch, ein Mund voll schlagfertiger Worte die sagen wollen: „Echte Frauen sind Personen die sich als Frau fühlen, mehr Legitimierung ist nicht notwendig. Echte Frauen haben sowohl Kurven, also auch keine, sind dick, sind dünn, groß, klein, haben glatte, lockige, kurze, lange, keine Haare, haben ganz gleich welches Geschlechtsteil, …“. Die Aussage, dass echte Frauen Kurven haben führt nicht zu der intendierten Bekämpfung von Fatshaming, vorallem dann nicht, wenn in einem Film mit diesem Namen dennoch Sätze wie: „Du bist nicht fett, du bist wunderschön“, reproduziert werden und keine kritische Auseinandersetzung mit dieser Aussage stattfindet. Fett und Wunderschön stehen sich nicht als Antonyme gegenüber, sie exkludieren einander nicht. Entgegen der Erwartung, lässt sich hier ein ‚Aber’ einsetzen, denn für Töchter lateinamerikanischer Frauen, welche selbst auch Töchter lateinamerikanischer Frauen sind, trifft dieser Film einen Jahrhundert alten wunden Punkt. Die Möglichkeit der Identifikation mit der Hauptprotagonistin Ana, lässt kaum zu Wünschen übrig. Generationales Träume, das Gefühl der Verantwortung der Familie gegenüber, als Einwandererkind der ersten Generation und der Konflikt der durch die eigenen Wünsche und Hoffnungen ensteht, welche nicht den Traditionen, Werten und Normen entsprechen die in der Familie gepflegt werden, das ist worum es in diesem Film tatsächlich geht.

Film ab. Die 18 Jährige Ana (America Ferrera), putzt mit einem Eimer voll Wasser und altem Zeitungspapier die Fenster des Hauses, in dem sie mit ihrer Familie wohnt. Estela, Anas ältere Schwester, taucht im Türrahmen auf und richtet ihr aus, dass ihre Mutter nach ihr verlangt. Nur nach ihr.

Szenenwechsel. Ein dämmrig beleuchtetes Schlafzimmer, durch die dünnen Vorhängen fällt morgendliches Licht auf die alten Möbel und die Einrichtung lässt auf katholische Einflüsse schließen. Die gesamte Familie steht an dem Bett der Mutter Carmen (Lupe Ontiveros). Der Vater Raúl, der Großvater, die Schwester und Ana selbst. Es scheint wie eine Sterbebettszene, in der sich alle versammelten Menschen die letzten Klagen und Wünsche, der von ihnen gehenden Person, anhört um jenen im Anschluss nachzukommen.

Carmen fordert Ana auf näher ans Bett zu treten und bittet sie kraftlos darum das Frühstück für die Männer zu machen und sich um den Haushalt zu kümmern. Ihre Hilfe ist heute von größter Wichtigkeit.

Es wird ein erster Einblick in die Dynamik der Familie gegeben und die Aufgabenverteilung innerhalb der gegebenen Genderrollen. Auch das Ana schon früh am Morgen Fenster putzt zeigt, das beiden Töchtern Verantwortung auferlegt wird, die zum gegebenen Zeitpunkt nicht ihre sein sollten.

Von Ana, die weiblich gelesen wird, wird verlangt ihre Tagesplanung nach den Bedürfnissen der Männer zu richten, dies wird jedoch nicht verbal von ihnen selbst geäußert, sondern von Mutter zu Tochter weitergegeben, wie ein ungeliebtes Erbstück. Das junge Mädchen verweist, in einem typischen Geschwisterkindverhalten, auf ihre Schwester und fragt, wieso Estela das nicht übernehmen kann. Die Option, dass die Männer sich ihr Frühstück selber machen, wird nicht gegeben, auch dann nicht, als Carmen Estelas Schwierigkeiten in der Textil Fabrik erwähnt.

Estela leitet die Fabrik und beschäftigt dort unter anderem auch ihre Mutter und trotz der Tatsache, dass es gute Arbeit ist, Arbeit die Carmen Estela beibrachte und auch plant Ana zu lehren, häufen sich unweigerlich die Probleme und es schwebt eine Ungewissheit und Sorge im Raum. Nicht nur um die Zukunft des Unternehmens, sondern auch um die damit verbundenen Konsequenzen des Verlustes dieser Arbeitsstelle im Bezug auf die Familie.

Wenn man sich die Bitte ihrer Mutter einmal genauer ansieht erkennt man den klaren Widerspruch der sich für Anna findet, sich selbst hinten anzustellen und ihre schulische Bildung außer Acht zu lassen, diese zu vernachlässigen.

Gerade deswegen zieht Ana hier jedoch, klare Grenzen und deklariert, dass heute der letzte Tag ihres Abschlussjahres ist und sie diesen auf keinen Fall verpassen wird. Die Antwort ihrer Mutter lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: ‚Du bist ein undankbares Kind, unter Schmerzen habe ich dich auf diese Welt gebracht und unter mehr Schmerzen habe ich mich jeden Tag angestrengt diesen Haushalt voran zubringen. Trotz meiner Schmerzen habe ich dich großgezogen, dich liebevoll versorgt und ernährt.‘. Mit dieser Aussage setzt Carmen eine Schuld voraus, die Ana niemals zurückzahlen kann.

Carmen ist der Dreh- und Angelpunkt von Anas Existenz. Ganz gleich was passiert, ganz gleich was Ana tut, alles lässt sich darauf zurückführen, dass Carmen sie zur Welt gebracht, sie genährt und versorgt hat. Im Hintergrund verdreht Estela die Augen, sie hat dieselben Vorwürfe gehört und auch ihr werden weiterhin ihre eigenen Wünsche an ihr Leben aberkannt. Sie setzt sich allerdings auch nicht für ihre Schwester ein. Ana, sichtlich gereizt, erwidert: „Ich habe dich nicht darum gebeten mich zur Welt zu bringen“. Die eigene Geburt scheint auf einmal wie der größte Akt der Fremdbestimmung, wenn man immer wieder daran erinnert wird, dass man sein Leben jemandem schuldig ist. So fühlt sich Ana nicht als ihre eigene Person anerkannt. Diese Antwort verdeutlicht die Frustration über die Bedingungen unter denen sich ihre Beziehung zu ihrer Mutter zu diesem Zeitpunkt definiert. Es gibt einen Wunsch nach Entscheidungsfreiheit, ohne Rücksicht auf das gerecht werden eines Vertrages dem sie nie bewusst zugestimmt hat und dessen Auswirkungen sie sich nicht bewusst hatte sein können.

Raúl versucht die Situation zu entschärfen, doch Ana stürmt aus dem Zimmer und Carmen fordert nun Estela auf ihr zu helfen. Wieder ein Augen verdrehen von Estela und doch keine Wiederworte. Ganz anders als Ana die klare Versuche der Rebellion und ein großes Verlangen nach Autonomität vorzuweisen hat.

Die Unterschiede in den Werten die ihre Mutter ihr eintrichtert und jene die sie in dem Land in dem sie groß wird wiederfindet, manifestieren sich, wie zu sehen, als Diskussionspotential in der Mutter-Tochter Beziehung. Carmen hat das Gefühl eine Ablehnung ihrer Tochter zu erfahren, es passiert für sie auf einer persönlichen Ebene. Andersrum so auch für Ana, die sich durch Carmen in ihrer persönlichen Entfaltung beeinträchtigt fühlt.

Szenenwechsel. Ana verlässt das Haus und begibt sich auf den Weg zur Schule. Der Bus fährt durch das lateinamerikanisch geprägte Viertel in dem Ana wohnt. Graffiti an den Wänden, die Angebote in den Fenstern auf Spanisch formuliert, die Fenster des Busses noch dreckig. Die warme Körnung des Filmes legt einen romantischen Filter auf die Szenerie. Je weiter die Reise geht, desto sauberer und reicher wirkt die Umgebung. Anas Schule befindet sich in Beverly Hills, ihre KlassenkameradInnen sind überwiegend weiß und erzählen von den Elite Universitäten an die sie gehen werden. Auf der anderen Seite stehen die Zukunftsvorstellungen ihrer Mutter, welche sich für ihre Tochter nicht wünscht, dass sie studiert. Im Gegenteil, sie soll heiraten, Kinder kriegen, lernen den Haushalt zu schmeißen und zu nähen, so, wie sie selbst. Damit das alles auch passieren kann, soll sie am besten abnehmen. Das teilt sie den anderen jedoch nicht mit. Erst nachdem alle den Klassenraum verlassen haben, vertraut sie sich diesbezüglich ihrem Lehrer an und bedankt sich bei ihm für alles. Sie gestehtm dass es für sie eine Sache der Unmöglichkeit sein könnte zur Universität zu gehen und sie diese Pläne vorerst nicht weiter verfolgen wird.

Wieder zuhause angekommen, findet sie einen dekorierten Garten und die gesamte Familie vor, die mit ihr diesen Meilenstein feiern möchte. Es wird gesungen, es werden Glückwünsche ausgesprochen und es gibt auch Kuchen, von dem Carmen Ana abrät. Keine gute Idee, bei ihrem Gewicht. Die Stimmung ändert sich prompt als Carmen ihre Tochter darauf anspricht ihren Job gekündigt zu haben. Auch Raúl äußert sich dazu und bestätigt, dass es wichtig ist, dass Ana arbeitet. Es kristallisiert sich immer mehr heraus, wieso es für Ana ein so schwieriges Unterfangen ist, zu studieren. Ihre Familie zeigt sich durch die fehlenden Einnahmen stark betroffen. Carmen entscheidet für Ana, dass sie ab Morgen in Estelas Fabrik arbeitet. Estela hängt mit den Bestellungen hinterher und braucht dringend Hilfe und damit ist es besiegelt. Dadurch greift ihre Mutter zum wiederholten Male in ihre Entscheidungsfreiheit ein und verwickelt sie in ein Arbeitsverhältnis, was nicht ihren Vorstellungen entspricht. Auch wenn keine der Schwestern begeistert über die neuen Umstände sind. Im selben Moment taucht Herr Guzman unangekündigt auf um mit Anas Eltern über ihre Zukunft zu sprechen, über die Möglichkeit eines Stipendiums von dem er sicher ist, dass Ana es erhalten würde. Carmens Meinung zu diesem Thema scheint unumstößlich, doch Raúl lässt sich wenigstens das Versprechen abbringen noch einmal über alles nachzudenken und mit seiner Frau zu sprechen. An diesem Abend noch sucht er das Gespräch mit Carmen. Er ist bereit mehr zu arbeiten, sich mehr anzustrengen um seiner Tochter zu ermöglichen die Uni zu besuchen, denn ihr Lehrer glaubt an sie. Das alles möchte Carmen allerdings nicht hören. Es sei eine Frage der Prinzipien und nicht fair. Sie selbst arbeitet seitdem sie 13 Jahre alt ist. Ana hatte 5 Jahre länger Zeit und jetzt sei sie an der Reihe. Währenddessen geht Ana zu Bett und beklagt sich bei Estela, dass ihr Leben vorbei ist. Hier ist der Punkt an der rote Faden verloren wurde, wenn der rote Faden die Auseinandersetzung mit dem Begriff Frau sein sollte. Der Titel des Films führt auf eine falsche Fährte und je mehr Zeit vergeht, je weiter der Film vorranschreitet desto weniger Anzeichen des Titels, fanden sich im Plot.

Carmens empfundene Schuld, die sie so früh anfing zurück zu zahlen, ist jetzt Anas und diese sieht ihre Zukunft nun in einem ganz anderen Licht. Alles scheint aussichtslos und grau und das im Alter von jungen 18 Jahren. Ihrer Mutter ist sich nicht einmal bewusst, dass sich in ihrem Herzen ein kleiner Funken Eifersucht auf das Leben ihrer Tochter befindet, die in einem anderen Land mit viel mehr Möglichkeiten aufwächst und ein wenig mehr Kindheit erleben durfte, als sie selbst.

Ana fängt an, an der Seite ihrer Mutter und Schwester, in der Fabrik zu arbeiten und auch wenn sich die Differenzen zwischen ihr und ihrer Mutter nur schwer überbrücken lassen, fängt sie an zu verstehen wie hart Estela und Carmen arbeiten. Wie anstrengend es ist die Familie zu versorgen und wie vielen Problemen man sich stellen muss in der Welt der Erwachsenen. Estela designt und schneidert wunderschöne Kleider, die sie für wenig Geld fertig stellt und die wiederrum für sehr viel mehr Geld von großen Ketten verkauft werden. Ana empfindet das nicht als richtig, ihr wird allerdings klar, dass sie auch nicht wirklich etwas dagegen tun können. 3 Mitarbeiterinnen kündigen und die Fertigstellung der letzten Bestellung scheint immer mehr in die Ferne zu rücken. Die Probleme häufen sich und Ana findet überraschenderweise großes Interesse daran ihrer Schwester zu helfen. Gleichzeitig entscheidet sie sich allerdings auch dafür doch Bewerbungen für die Uni zu verschicken und einen jungen Mann, aus ihrer ehemaligen Klasse, näher kennenzulernen. Beides hält sie vor ihrer Mutter geheim. Ihr ist bewusst, dass Carmen die Hoffnung aufgegeben hat, dass Estela noch heiraten und Kinder kriegen könnte und projeziert dementsprechend ihre Wünsche auf Ana. Zwischen Arbeit, Zukunftsplanung und Romanze lernt Ana viel über sich selbst und beweist sich immer wieder ihrer Mutter gegenüber. Sie ist ihr eigener Mensch, mit eigener Meinung und liebt sich so wie sie ist.

Der Film stellte sich als eine positive Überraschung heraus und auch wenn sich nicht sagen lässt, dass er ein Meisterwerk ist, lässt sich schnell Begeisterung zu der Realitätsnähe der angesprochenen Problematik finden. Nur wenige Filme zeigen eine so geladene, detaillierte, komplizierte und ehrliche Mutter Tochter Beziehungen. Dabei ist es oft eine so komplexe Beziehung voller Widersprüche die sich in der Intention nur das Beste für sein Kind zu wollen und den Taten die das Gegenteil beweise, demonstrieren lassen. Es ist frustrierend diese Art von Beziehung zu führen und unendlich erleichternd, wenn man nach Jahrelangen Zähne fletschen und Messerschärfen, endlich zueinander findet. Wenn Verantwortung übernommen wird, wo sie übernommen werden sollte. Entschuldigungen ausgesprochen werden, wo sie nötig sind und man sich auf einer ehrlichen Ebene kennenlernt. Über den Film hinweg entsteht der Wunsch, dass Carmen sich ihre Tochter endlich einmal richtig ansieht. Sieht wer sie ist und was sie vom Leben möchte, sich Zeit nimmt zu erfahren wer die junge Frau ist die sie unter Schmerzen zur Welt gebracht hat. Trotz alledem behält der Film die typische Leichtigkeit eines coming of age Film bei und auch wenn der Bezug zum Titel nur selten einen Auftritt hat, ist dies Möglicherweise Glück im Unglück. Hiermit spreche ich eine klare Empfehlung aus, vorallem für Töchter von Töchtern.